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Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Erstes Vierteljahr.

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Der neue Träger des Volks - Schillerpreises

die Nebenbemerkung nicht sparen wollen, daß Eulenberg uns in anderen früheren
Dramen noch mehr gibt als hier.

Eulenbergs letztes größeres Werk "Belinde" aber, gerade das preisgekrönte
Stück, zeigt uns keinen von den Vorzügen des Dichters. Es mischt die Gattungen
des Dramas ganz willkürlich, und die ernste Haupthälfte huscht ohne Wirkung
vorbei. Das Enoch-Arven-Problem umgekehrt, antisentimental behandelt --
gewiß, das ist ein guter Gedanke; aber es ist nichts daraus gemacht. Das
Stück wird auch die Bühne schwerlich erobern können. Soeben ist bereits
wieder ein neues Buch des Dichters buchhändlerisch angezeigt, drei Einakter;
von ihnen ist "Die Wunderkur" schon vor kurzem in der Vossischen Zeitung
veröffentlicht -- ein immerhin spaßhafter, aber unbedeutender Schwank in nicht
durchweg guten Knittelversen.

Wenn Eulenberg da wieder anknüpft, wo er im "Ulrich von Waldeck"
stand (und warum sollte er das nicht?) -- dann wird er uns wieder voll
vertraut sein, und gewiß, auch eine Komödie wie der "Natürliche Vater", die
er uns zwischen ernsten Dramen schenken will, soll uns willkommen sein. Doch
(diese Schulmeistern muß er schon hinnehmen) die gewallten Mischexperimente
soll er ruhen lassen. Man würde sonst versucht sein, böswillig zu zitieren, was
er selbst im burschikosen Nachspiel zum "Simson" in wunderlicher Selbstkritik
äußert:

Wir haben nicht das ganze Schaffen des Dichters behandelt. Eulenberg
hat Novellen, er hat einen jeanpaulisierenden Roman geschrieben, zwei Bände
literarhistorischer Aufsätze, mehrere einzelne Streitschriften und einen Band
Sonette veröffentlicht. Den seltsamsten und reizvollsten Gegensatz zum Sturm¬
und-Drang-Geist des Dramatikers bildet die Vorliebe für die strenge und
zuweilen wundervoll erfüllte Form des Sonetts. Gar nicht eignet sich Eulen¬
berg, dieser Temperamentsmensch, zum theoretischen Verfechter ethischer Gesichts¬
punkte; sein Schriftchen "Du darfst ehebrechen" z. B. ist nicht einmal eine
Novelle, geschweige denn ein Beweis der Titelbehauptung. Eulenbergs lite¬
rarische "Schattenbilder" sind sehr ungleich, die eine Silhouette gelingt ihn,,
die andere ist nach allzu zufälliger Kenntnis phantastisch zurechtgeschnitten.

Der dramatische Eulenberg wird immer die Hauptsache bleiben. Ob er
je unsere Bühne beherrschen wird? Es ist bei der Art seines Talents und der
Art des Theaterpublikums nicht sehr wahrscheinlich. Und doch muß ich sagen.
Eulenberg beklagt sich zu sehr über öffentlichen Mißerfolg. Er hat eine ver¬
hältnismäßig sehr große Gemeinde und sollte bedenken, daß originelle poetische
Sonderlinge in Deutschland aus ihrer Begabung meist noch viel weniger äußeren
Vorteil haben ziehen können als er. Man darf sogar sagen: die Gegenwart


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Der neue Träger des Volks - Schillerpreises

die Nebenbemerkung nicht sparen wollen, daß Eulenberg uns in anderen früheren
Dramen noch mehr gibt als hier.

Eulenbergs letztes größeres Werk „Belinde" aber, gerade das preisgekrönte
Stück, zeigt uns keinen von den Vorzügen des Dichters. Es mischt die Gattungen
des Dramas ganz willkürlich, und die ernste Haupthälfte huscht ohne Wirkung
vorbei. Das Enoch-Arven-Problem umgekehrt, antisentimental behandelt —
gewiß, das ist ein guter Gedanke; aber es ist nichts daraus gemacht. Das
Stück wird auch die Bühne schwerlich erobern können. Soeben ist bereits
wieder ein neues Buch des Dichters buchhändlerisch angezeigt, drei Einakter;
von ihnen ist „Die Wunderkur" schon vor kurzem in der Vossischen Zeitung
veröffentlicht — ein immerhin spaßhafter, aber unbedeutender Schwank in nicht
durchweg guten Knittelversen.

Wenn Eulenberg da wieder anknüpft, wo er im „Ulrich von Waldeck"
stand (und warum sollte er das nicht?) — dann wird er uns wieder voll
vertraut sein, und gewiß, auch eine Komödie wie der „Natürliche Vater", die
er uns zwischen ernsten Dramen schenken will, soll uns willkommen sein. Doch
(diese Schulmeistern muß er schon hinnehmen) die gewallten Mischexperimente
soll er ruhen lassen. Man würde sonst versucht sein, böswillig zu zitieren, was
er selbst im burschikosen Nachspiel zum „Simson" in wunderlicher Selbstkritik
äußert:

Wir haben nicht das ganze Schaffen des Dichters behandelt. Eulenberg
hat Novellen, er hat einen jeanpaulisierenden Roman geschrieben, zwei Bände
literarhistorischer Aufsätze, mehrere einzelne Streitschriften und einen Band
Sonette veröffentlicht. Den seltsamsten und reizvollsten Gegensatz zum Sturm¬
und-Drang-Geist des Dramatikers bildet die Vorliebe für die strenge und
zuweilen wundervoll erfüllte Form des Sonetts. Gar nicht eignet sich Eulen¬
berg, dieser Temperamentsmensch, zum theoretischen Verfechter ethischer Gesichts¬
punkte; sein Schriftchen „Du darfst ehebrechen" z. B. ist nicht einmal eine
Novelle, geschweige denn ein Beweis der Titelbehauptung. Eulenbergs lite¬
rarische „Schattenbilder" sind sehr ungleich, die eine Silhouette gelingt ihn,,
die andere ist nach allzu zufälliger Kenntnis phantastisch zurechtgeschnitten.

Der dramatische Eulenberg wird immer die Hauptsache bleiben. Ob er
je unsere Bühne beherrschen wird? Es ist bei der Art seines Talents und der
Art des Theaterpublikums nicht sehr wahrscheinlich. Und doch muß ich sagen.
Eulenberg beklagt sich zu sehr über öffentlichen Mißerfolg. Er hat eine ver¬
hältnismäßig sehr große Gemeinde und sollte bedenken, daß originelle poetische
Sonderlinge in Deutschland aus ihrer Begabung meist noch viel weniger äußeren
Vorteil haben ziehen können als er. Man darf sogar sagen: die Gegenwart


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[0295] Der neue Träger des Volks - Schillerpreises die Nebenbemerkung nicht sparen wollen, daß Eulenberg uns in anderen früheren Dramen noch mehr gibt als hier. Eulenbergs letztes größeres Werk „Belinde" aber, gerade das preisgekrönte Stück, zeigt uns keinen von den Vorzügen des Dichters. Es mischt die Gattungen des Dramas ganz willkürlich, und die ernste Haupthälfte huscht ohne Wirkung vorbei. Das Enoch-Arven-Problem umgekehrt, antisentimental behandelt — gewiß, das ist ein guter Gedanke; aber es ist nichts daraus gemacht. Das Stück wird auch die Bühne schwerlich erobern können. Soeben ist bereits wieder ein neues Buch des Dichters buchhändlerisch angezeigt, drei Einakter; von ihnen ist „Die Wunderkur" schon vor kurzem in der Vossischen Zeitung veröffentlicht — ein immerhin spaßhafter, aber unbedeutender Schwank in nicht durchweg guten Knittelversen. Wenn Eulenberg da wieder anknüpft, wo er im „Ulrich von Waldeck" stand (und warum sollte er das nicht?) — dann wird er uns wieder voll vertraut sein, und gewiß, auch eine Komödie wie der „Natürliche Vater", die er uns zwischen ernsten Dramen schenken will, soll uns willkommen sein. Doch (diese Schulmeistern muß er schon hinnehmen) die gewallten Mischexperimente soll er ruhen lassen. Man würde sonst versucht sein, böswillig zu zitieren, was er selbst im burschikosen Nachspiel zum „Simson" in wunderlicher Selbstkritik äußert: Wir haben nicht das ganze Schaffen des Dichters behandelt. Eulenberg hat Novellen, er hat einen jeanpaulisierenden Roman geschrieben, zwei Bände literarhistorischer Aufsätze, mehrere einzelne Streitschriften und einen Band Sonette veröffentlicht. Den seltsamsten und reizvollsten Gegensatz zum Sturm¬ und-Drang-Geist des Dramatikers bildet die Vorliebe für die strenge und zuweilen wundervoll erfüllte Form des Sonetts. Gar nicht eignet sich Eulen¬ berg, dieser Temperamentsmensch, zum theoretischen Verfechter ethischer Gesichts¬ punkte; sein Schriftchen „Du darfst ehebrechen" z. B. ist nicht einmal eine Novelle, geschweige denn ein Beweis der Titelbehauptung. Eulenbergs lite¬ rarische „Schattenbilder" sind sehr ungleich, die eine Silhouette gelingt ihn,, die andere ist nach allzu zufälliger Kenntnis phantastisch zurechtgeschnitten. Der dramatische Eulenberg wird immer die Hauptsache bleiben. Ob er je unsere Bühne beherrschen wird? Es ist bei der Art seines Talents und der Art des Theaterpublikums nicht sehr wahrscheinlich. Und doch muß ich sagen. Eulenberg beklagt sich zu sehr über öffentlichen Mißerfolg. Er hat eine ver¬ hältnismäßig sehr große Gemeinde und sollte bedenken, daß originelle poetische Sonderlinge in Deutschland aus ihrer Begabung meist noch viel weniger äußeren Vorteil haben ziehen können als er. Man darf sogar sagen: die Gegenwart 19*

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341897_324869/295>, abgerufen am 22.05.2024.