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Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Erstes Vierteljahr.

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Politik und Wirtschaft

müssen daher zurückgestellt werden. So hat Hamburg die beabsichtigte Emission
von sechzig Millionen vierprozentiger Anleihe unter dem Drucke der Verhältnisse
auf die Hälfte des Betrages beschränkt, so haben eine ganze Anzahl deutscher
Städte auf die bereits beschlossene Aufnahme größerer Anleihen einstweilen
verzichten müssen. Das trifft die Städte um so schwerer, als das ganze voran¬
gegangene Jahr sich der Befriedigung von Emissionswünschen sehr ungünstig
zeigte. Daher ist der Betrag der 1912 aufgenommenen Städteanleihen niedriger
geblieben als in den letzten sieben Jahren, obgleich doch die Bedürfnisse der
Städte während dieser Periode stark gestiegen sind, ebensowohl wegen der
Erweiterung der kommunalpolitischen Aufgaben, als wegen der Gewöhnung,
sich in der Befriedigung des Anleihebedarfes keine Beschränkung aufzuerlegen.
Es sind ganz außerordentlich große, nach mehreren hundert Millionen zählende
Summen, deren Deckung die Kommunen bei der ersten günstigeren Gestaltung
am Geldmarkt heischen werden. Dazu treten dann die Bedürfnisse der Einzel¬
staaten und des Reichs, welch letzteres im Frühjahr ebenfalls wieder mit An¬
sprüchen hervortreten dürfte. Dabei hat das Konsortium für die Übernahme
der letzten Emission bis heute sich noch nicht auflösen können! Es ist schlechter¬
dings nicht abzusehen, woher der Geldmarkt die Kraft nehmen soll, all diesen
Anforderungen zu genügen, zumal auch die Regelung der großen internationalen
Bedürfnisse, der Anleihen Italiens, der Türkei, der Balkanstaaten, Chinas,
deren hier zunächst Erwähnung getan worden ist, noch aussteht.




Vom Geldmarkt drohen daher auch der Wirtschaftskonjunktur die
ernstesten Gefahren. Einstweilen ist der rasche Aufstieg der Industrie --
wenigstens der schweren -- durch den Balkankrieg und die politischen Sorgen
nicht gehemmt worden. Der Weltbedarf an Erzeugnissen der Montanindustrie,
an Eisen wie an Kohle, ist ein so ungeheuerer, daß in allen drei Haupt¬
produktionsländern, in Deutschland nicht minder wie in Amerika und England,
Produktion und Ausfuhr im letzten Jahre ganz außerordentlich gesteigert werden
konnten. Der rheinisch-westfälische Kohlenbergbau hat sich noch nie in so
günstiger Lage befunden als im Augenblick. Während früher der Absatz nach
dem Ausland zu billigen Preisen forciert wurde und dort vielfach ein verlust¬
bringender Wettbewerb mit englischer Kohle durchzufechten war, liegen heute
die Verhältnisse so, daß das Kohlensyndikat zu sehr gewinnbringenden Preisen
in das Ausland verkauft. Es ist daher den Zechen gegenüber längst jede Betriebs-
einschränkung aufgehoben und den Mitgliedern eine Überschreitung der Betei¬
ligungsquote um 5 Prozent zugestanden worden; die Syndikatsumlage ist er-
mäßigt und wird nach dem Eintreten der beschlossenen Preiserhöhung um weitere
2 Prozent vermindert werden. Wir haben früher schon darauf hingewiesen,
welche Gewinne den Zechen allein aus dieser Verminderung der Anlage zu¬
fließen. Es zeigt sich jetzt auf das Klarste, wie berechtigt der Widerspruch des


Politik und Wirtschaft

müssen daher zurückgestellt werden. So hat Hamburg die beabsichtigte Emission
von sechzig Millionen vierprozentiger Anleihe unter dem Drucke der Verhältnisse
auf die Hälfte des Betrages beschränkt, so haben eine ganze Anzahl deutscher
Städte auf die bereits beschlossene Aufnahme größerer Anleihen einstweilen
verzichten müssen. Das trifft die Städte um so schwerer, als das ganze voran¬
gegangene Jahr sich der Befriedigung von Emissionswünschen sehr ungünstig
zeigte. Daher ist der Betrag der 1912 aufgenommenen Städteanleihen niedriger
geblieben als in den letzten sieben Jahren, obgleich doch die Bedürfnisse der
Städte während dieser Periode stark gestiegen sind, ebensowohl wegen der
Erweiterung der kommunalpolitischen Aufgaben, als wegen der Gewöhnung,
sich in der Befriedigung des Anleihebedarfes keine Beschränkung aufzuerlegen.
Es sind ganz außerordentlich große, nach mehreren hundert Millionen zählende
Summen, deren Deckung die Kommunen bei der ersten günstigeren Gestaltung
am Geldmarkt heischen werden. Dazu treten dann die Bedürfnisse der Einzel¬
staaten und des Reichs, welch letzteres im Frühjahr ebenfalls wieder mit An¬
sprüchen hervortreten dürfte. Dabei hat das Konsortium für die Übernahme
der letzten Emission bis heute sich noch nicht auflösen können! Es ist schlechter¬
dings nicht abzusehen, woher der Geldmarkt die Kraft nehmen soll, all diesen
Anforderungen zu genügen, zumal auch die Regelung der großen internationalen
Bedürfnisse, der Anleihen Italiens, der Türkei, der Balkanstaaten, Chinas,
deren hier zunächst Erwähnung getan worden ist, noch aussteht.




Vom Geldmarkt drohen daher auch der Wirtschaftskonjunktur die
ernstesten Gefahren. Einstweilen ist der rasche Aufstieg der Industrie —
wenigstens der schweren — durch den Balkankrieg und die politischen Sorgen
nicht gehemmt worden. Der Weltbedarf an Erzeugnissen der Montanindustrie,
an Eisen wie an Kohle, ist ein so ungeheuerer, daß in allen drei Haupt¬
produktionsländern, in Deutschland nicht minder wie in Amerika und England,
Produktion und Ausfuhr im letzten Jahre ganz außerordentlich gesteigert werden
konnten. Der rheinisch-westfälische Kohlenbergbau hat sich noch nie in so
günstiger Lage befunden als im Augenblick. Während früher der Absatz nach
dem Ausland zu billigen Preisen forciert wurde und dort vielfach ein verlust¬
bringender Wettbewerb mit englischer Kohle durchzufechten war, liegen heute
die Verhältnisse so, daß das Kohlensyndikat zu sehr gewinnbringenden Preisen
in das Ausland verkauft. Es ist daher den Zechen gegenüber längst jede Betriebs-
einschränkung aufgehoben und den Mitgliedern eine Überschreitung der Betei¬
ligungsquote um 5 Prozent zugestanden worden; die Syndikatsumlage ist er-
mäßigt und wird nach dem Eintreten der beschlossenen Preiserhöhung um weitere
2 Prozent vermindert werden. Wir haben früher schon darauf hingewiesen,
welche Gewinne den Zechen allein aus dieser Verminderung der Anlage zu¬
fließen. Es zeigt sich jetzt auf das Klarste, wie berechtigt der Widerspruch des


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[0297] Politik und Wirtschaft müssen daher zurückgestellt werden. So hat Hamburg die beabsichtigte Emission von sechzig Millionen vierprozentiger Anleihe unter dem Drucke der Verhältnisse auf die Hälfte des Betrages beschränkt, so haben eine ganze Anzahl deutscher Städte auf die bereits beschlossene Aufnahme größerer Anleihen einstweilen verzichten müssen. Das trifft die Städte um so schwerer, als das ganze voran¬ gegangene Jahr sich der Befriedigung von Emissionswünschen sehr ungünstig zeigte. Daher ist der Betrag der 1912 aufgenommenen Städteanleihen niedriger geblieben als in den letzten sieben Jahren, obgleich doch die Bedürfnisse der Städte während dieser Periode stark gestiegen sind, ebensowohl wegen der Erweiterung der kommunalpolitischen Aufgaben, als wegen der Gewöhnung, sich in der Befriedigung des Anleihebedarfes keine Beschränkung aufzuerlegen. Es sind ganz außerordentlich große, nach mehreren hundert Millionen zählende Summen, deren Deckung die Kommunen bei der ersten günstigeren Gestaltung am Geldmarkt heischen werden. Dazu treten dann die Bedürfnisse der Einzel¬ staaten und des Reichs, welch letzteres im Frühjahr ebenfalls wieder mit An¬ sprüchen hervortreten dürfte. Dabei hat das Konsortium für die Übernahme der letzten Emission bis heute sich noch nicht auflösen können! Es ist schlechter¬ dings nicht abzusehen, woher der Geldmarkt die Kraft nehmen soll, all diesen Anforderungen zu genügen, zumal auch die Regelung der großen internationalen Bedürfnisse, der Anleihen Italiens, der Türkei, der Balkanstaaten, Chinas, deren hier zunächst Erwähnung getan worden ist, noch aussteht. Vom Geldmarkt drohen daher auch der Wirtschaftskonjunktur die ernstesten Gefahren. Einstweilen ist der rasche Aufstieg der Industrie — wenigstens der schweren — durch den Balkankrieg und die politischen Sorgen nicht gehemmt worden. Der Weltbedarf an Erzeugnissen der Montanindustrie, an Eisen wie an Kohle, ist ein so ungeheuerer, daß in allen drei Haupt¬ produktionsländern, in Deutschland nicht minder wie in Amerika und England, Produktion und Ausfuhr im letzten Jahre ganz außerordentlich gesteigert werden konnten. Der rheinisch-westfälische Kohlenbergbau hat sich noch nie in so günstiger Lage befunden als im Augenblick. Während früher der Absatz nach dem Ausland zu billigen Preisen forciert wurde und dort vielfach ein verlust¬ bringender Wettbewerb mit englischer Kohle durchzufechten war, liegen heute die Verhältnisse so, daß das Kohlensyndikat zu sehr gewinnbringenden Preisen in das Ausland verkauft. Es ist daher den Zechen gegenüber längst jede Betriebs- einschränkung aufgehoben und den Mitgliedern eine Überschreitung der Betei¬ ligungsquote um 5 Prozent zugestanden worden; die Syndikatsumlage ist er- mäßigt und wird nach dem Eintreten der beschlossenen Preiserhöhung um weitere 2 Prozent vermindert werden. Wir haben früher schon darauf hingewiesen, welche Gewinne den Zechen allein aus dieser Verminderung der Anlage zu¬ fließen. Es zeigt sich jetzt auf das Klarste, wie berechtigt der Widerspruch des

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341897_324869/297>, abgerufen am 22.05.2024.