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Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Erstes Vierteljahr.

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Briefe aus Trebeldorf

Inzwischen bin ich zweimal wieder dort gewesen, und ich fand alles so
ungekünstelt und herzlich wie beim ersten Besuch.

Was sollte ich sonst? Mich in die Gesellschaft stürzen?

So etwas gibt es hier nicht, wenigstens nicht in dem Sinne, in dem man
das Wort Gesellschaft gemeiniglich versteht. Gehässigkeit und Klatsch sind die
Keile, die alles spalten. Kaum drei Familien pflegen hier einen einigermaßen
friedlichen Verkehr.

Wem soll ich mich anschließen?

Der Bürgermeister -- das gibst Du zu -- ist ganz ausgeschlossen. Die
zwei Ärzte sind, wie das in solchen Nestern zu sein pflegt, in Brotneid ver¬
feindet. Die Pastorsleute sind sür mich zu alt. Zudem ist er in Glaubens¬
sachen ein Despot. Dahin gehöre ich also auch nicht. Mag er immerhin nebenbei
der Ortsschulinspektor sein!

Der Rektor meint freilich, man müsse deshalb dort Fühlung suchen. Über
den ist aber seit seiner schlimmen Zeit die Angststreberei gekommen. Das ist an
ihm eine Seite, die ich nicht schätze. Ich mache das unbedingt nicht mit. Beim
Rektor magh allenfalls begreiflich sein. Seine Feinde sind die alten geblieben
und können ihm immer noch seine Ausschweifungen von ehemals nicht vergessen.
Hier verjährt eben nichts.

Seine Feinde schütteln auch mißbilligend die Köpfe darüber, daß ich für
ihn eintrete, wenn sie ihn beschimpfen, und sehr böse werde, wenn sie ihn mit
Kot zu bewerfen suchen.

Überall, wie Du siehst, ein hüben und drüben. Da ist es schwer, in der
Mitte zu stehen, zumal sie mit Eifer nach allen Seiten zerren, denn der un¬
beweibte Korrektor ist hier als der sozusagen einzige junge Mann im Dorfe ein
viel Begehrter.

Die Mütter der unverheirateten Töchter bilden in unausgesprochener Über¬
einkunft einen Angelklub, dessen Kitt der gemeinsame Neid auf diejenige unter
ihnen ist, die die meiste Aussicht hat, ihre Tochter dem Einzigen anzuhängen.
Gelingts ihr, so wird sie gerichtet und in den großen Bann getan.

So haben sie einmal die Frau Senator Bläulich unbarmherzig ausgestoßen,
als diese für ihre Angelika den Doktor Welker eingefangen hat. Der ist bis
dahin der beliebte Arzt gewesen. Vom Tage der Verlobung an aber haben
sie nur noch bei seinem Konkurrenten machen lassen und ihm sonst noch allerlei
Dinge angehängt, so daß er zu guter Letzt die Praxis aufgegeben und seinen
Stab weitergesetzt hat.

Das ist vor etwa zehn Jahren gewesen. Inzwischen ist eine neue Gene¬
ration herangewachsen. Unter den fünfzehn bis zwanzig jungen Mägdlein, die
etwa für mich in Frage kommen könnten, höre ich Namen von unsagbarer
Schönheit, wie: Berthalda Meier, Josepha Pluderig, Veronika Pümpel, Irene
Schulze und ähnliche.


Briefe aus Trebeldorf

Inzwischen bin ich zweimal wieder dort gewesen, und ich fand alles so
ungekünstelt und herzlich wie beim ersten Besuch.

Was sollte ich sonst? Mich in die Gesellschaft stürzen?

So etwas gibt es hier nicht, wenigstens nicht in dem Sinne, in dem man
das Wort Gesellschaft gemeiniglich versteht. Gehässigkeit und Klatsch sind die
Keile, die alles spalten. Kaum drei Familien pflegen hier einen einigermaßen
friedlichen Verkehr.

Wem soll ich mich anschließen?

Der Bürgermeister — das gibst Du zu — ist ganz ausgeschlossen. Die
zwei Ärzte sind, wie das in solchen Nestern zu sein pflegt, in Brotneid ver¬
feindet. Die Pastorsleute sind sür mich zu alt. Zudem ist er in Glaubens¬
sachen ein Despot. Dahin gehöre ich also auch nicht. Mag er immerhin nebenbei
der Ortsschulinspektor sein!

Der Rektor meint freilich, man müsse deshalb dort Fühlung suchen. Über
den ist aber seit seiner schlimmen Zeit die Angststreberei gekommen. Das ist an
ihm eine Seite, die ich nicht schätze. Ich mache das unbedingt nicht mit. Beim
Rektor magh allenfalls begreiflich sein. Seine Feinde sind die alten geblieben
und können ihm immer noch seine Ausschweifungen von ehemals nicht vergessen.
Hier verjährt eben nichts.

Seine Feinde schütteln auch mißbilligend die Köpfe darüber, daß ich für
ihn eintrete, wenn sie ihn beschimpfen, und sehr böse werde, wenn sie ihn mit
Kot zu bewerfen suchen.

Überall, wie Du siehst, ein hüben und drüben. Da ist es schwer, in der
Mitte zu stehen, zumal sie mit Eifer nach allen Seiten zerren, denn der un¬
beweibte Korrektor ist hier als der sozusagen einzige junge Mann im Dorfe ein
viel Begehrter.

Die Mütter der unverheirateten Töchter bilden in unausgesprochener Über¬
einkunft einen Angelklub, dessen Kitt der gemeinsame Neid auf diejenige unter
ihnen ist, die die meiste Aussicht hat, ihre Tochter dem Einzigen anzuhängen.
Gelingts ihr, so wird sie gerichtet und in den großen Bann getan.

So haben sie einmal die Frau Senator Bläulich unbarmherzig ausgestoßen,
als diese für ihre Angelika den Doktor Welker eingefangen hat. Der ist bis
dahin der beliebte Arzt gewesen. Vom Tage der Verlobung an aber haben
sie nur noch bei seinem Konkurrenten machen lassen und ihm sonst noch allerlei
Dinge angehängt, so daß er zu guter Letzt die Praxis aufgegeben und seinen
Stab weitergesetzt hat.

Das ist vor etwa zehn Jahren gewesen. Inzwischen ist eine neue Gene¬
ration herangewachsen. Unter den fünfzehn bis zwanzig jungen Mägdlein, die
etwa für mich in Frage kommen könnten, höre ich Namen von unsagbarer
Schönheit, wie: Berthalda Meier, Josepha Pluderig, Veronika Pümpel, Irene
Schulze und ähnliche.


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[0334] Briefe aus Trebeldorf Inzwischen bin ich zweimal wieder dort gewesen, und ich fand alles so ungekünstelt und herzlich wie beim ersten Besuch. Was sollte ich sonst? Mich in die Gesellschaft stürzen? So etwas gibt es hier nicht, wenigstens nicht in dem Sinne, in dem man das Wort Gesellschaft gemeiniglich versteht. Gehässigkeit und Klatsch sind die Keile, die alles spalten. Kaum drei Familien pflegen hier einen einigermaßen friedlichen Verkehr. Wem soll ich mich anschließen? Der Bürgermeister — das gibst Du zu — ist ganz ausgeschlossen. Die zwei Ärzte sind, wie das in solchen Nestern zu sein pflegt, in Brotneid ver¬ feindet. Die Pastorsleute sind sür mich zu alt. Zudem ist er in Glaubens¬ sachen ein Despot. Dahin gehöre ich also auch nicht. Mag er immerhin nebenbei der Ortsschulinspektor sein! Der Rektor meint freilich, man müsse deshalb dort Fühlung suchen. Über den ist aber seit seiner schlimmen Zeit die Angststreberei gekommen. Das ist an ihm eine Seite, die ich nicht schätze. Ich mache das unbedingt nicht mit. Beim Rektor magh allenfalls begreiflich sein. Seine Feinde sind die alten geblieben und können ihm immer noch seine Ausschweifungen von ehemals nicht vergessen. Hier verjährt eben nichts. Seine Feinde schütteln auch mißbilligend die Köpfe darüber, daß ich für ihn eintrete, wenn sie ihn beschimpfen, und sehr böse werde, wenn sie ihn mit Kot zu bewerfen suchen. Überall, wie Du siehst, ein hüben und drüben. Da ist es schwer, in der Mitte zu stehen, zumal sie mit Eifer nach allen Seiten zerren, denn der un¬ beweibte Korrektor ist hier als der sozusagen einzige junge Mann im Dorfe ein viel Begehrter. Die Mütter der unverheirateten Töchter bilden in unausgesprochener Über¬ einkunft einen Angelklub, dessen Kitt der gemeinsame Neid auf diejenige unter ihnen ist, die die meiste Aussicht hat, ihre Tochter dem Einzigen anzuhängen. Gelingts ihr, so wird sie gerichtet und in den großen Bann getan. So haben sie einmal die Frau Senator Bläulich unbarmherzig ausgestoßen, als diese für ihre Angelika den Doktor Welker eingefangen hat. Der ist bis dahin der beliebte Arzt gewesen. Vom Tage der Verlobung an aber haben sie nur noch bei seinem Konkurrenten machen lassen und ihm sonst noch allerlei Dinge angehängt, so daß er zu guter Letzt die Praxis aufgegeben und seinen Stab weitergesetzt hat. Das ist vor etwa zehn Jahren gewesen. Inzwischen ist eine neue Gene¬ ration herangewachsen. Unter den fünfzehn bis zwanzig jungen Mägdlein, die etwa für mich in Frage kommen könnten, höre ich Namen von unsagbarer Schönheit, wie: Berthalda Meier, Josepha Pluderig, Veronika Pümpel, Irene Schulze und ähnliche.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341897_324869/334>, abgerufen am 22.05.2024.