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Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Erstes Vierteljahr.

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Für oder wider die innere Kolonisation?

Obwohl die Gutsfläche gegen früher die dreifache Menschenzahl, einen fast
doppelten Pferde- und Rindviehbestand und einen neunfachen Schweinebestand
schon jetzt ernährt und sehr bedeutende Mehrerträge an Vieh liefert, wird trotzdem
noch ein nicht unbeträchtlicher Überfluß der Bodenprodukte auf den Markt ge¬
worfen. Und dazu, was sehr zu beachten, ist dies möglich, obwohl Rützow,
wenn auch etwas extensiv bewirtschaftet, so doch ein in bester alter Kultur
befindlicher Großbetrieb besten Bodens war, der hohe Erträge brachte und
durchaus rentabel war. Hieraus ist klar zu ermessen, und durch zahlreiche
praktische Beispiele ziffernmäßig nachweisbar, wie bedeutend erst im Kleinbetriebe
die Steigerung der Produktion nicht nur, wie allgemein zugestanden, an Vieh,
sondern, was vielfach bestritten, auch an Bodenerzeugnissen in den zahlreichen
Fällen sein muß und tatsächlich ist, wo heruntergewirtschaftete, unrentable Gro߬
betriebe -- unter erheblicher Verbesserung der Landeskultur, die mit allen solchen
Rentengutsgründungen unzertrennlich verbunden ist -- im Wege der Besiedlung
in Mittel- und Kleinbetrieb umgewandelt werden.

Die innere Kolonisation stellt eine allgemeine bodenpolitische und
bevölkerungspolitische Aufgabe dar. Wieder möglichst viele Menschen in der
heimischen Scholle verankern, eine gesunde Grundbesitzverteilung herbeiführen,
das sind die Ziele. In seiner viel beachteten Studie von 1910 hat Herr
Professor Sering die engen Zusammenhänge zwischen Grundbesitzverteilung und
Abwanderung vom Lande auf statistischer Grundlage klargelegt. Vorherrschender
Großgrundbesitz entvölkert das platte Land. In diesem Kernsatz gipfelt die
Seringsche Beweisführung. Aus dieser Grundtatsache wächst die Grundaufgabe
klar hervor: Bauerngemeinden in die Gebiete mit vorherrschendem
Großgrundbesitz! Da gibt es aus Gründen, die in der Sache selbst liegen,
kein Wenn und Aber.

Für oder wider die innere Kolonisation? so lautet die Frage.

Die innere Kolonisation ist nicht nur ein Gegengewicht gegen die Ab¬
wanderung vom platten Lande, sie ist auch eine wirksame Maßregel zur Hemmung
der Landstadtflucht. Durch die umfangreiche Denkschrift der Ansiedlungs-
kommission: "Zwanzig Jahre deutscher Kulturarbeit", die 1907 erschien, ist
einwandsfrei erwiesen, daß die innere Kolonisation das Schwergewicht sowohl
der ländlichen wie der kleinstädtischen Bevölkerung gegenüber den Großstädten
nachhaltig verstärkt. Nicht nur, daß sie Menschen aufs Land hinauszieht und
hält, sie füllt auch in mannigfacher Gestalt die Kleinstadt mit neuem Leben und
wirtschaftlichen Kräften. Auch Herr Regierungspräsident von Schwerin-Frank¬
furt a. O. hat in Wort und Schrift zu wiederholten Malen zahlenmäßig dar¬
gelegt, daß vorherrschender Großgrundbesitz die wirtschaftliche Entwicklung der
von ihm eingeschlossenen Landstadt beeinträchtigt oder hindert.

Wie auch unsere weltwirtschaftliche Stellung in ihrer weiteren Entfaltung
und Sicherung mitbedingt ist durch das Maß und das Tempo, in dem wir die
innere Kolonisation zur Durchführung bringen, zeigte Sering in seiner vor-
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Für oder wider die innere Kolonisation?

Obwohl die Gutsfläche gegen früher die dreifache Menschenzahl, einen fast
doppelten Pferde- und Rindviehbestand und einen neunfachen Schweinebestand
schon jetzt ernährt und sehr bedeutende Mehrerträge an Vieh liefert, wird trotzdem
noch ein nicht unbeträchtlicher Überfluß der Bodenprodukte auf den Markt ge¬
worfen. Und dazu, was sehr zu beachten, ist dies möglich, obwohl Rützow,
wenn auch etwas extensiv bewirtschaftet, so doch ein in bester alter Kultur
befindlicher Großbetrieb besten Bodens war, der hohe Erträge brachte und
durchaus rentabel war. Hieraus ist klar zu ermessen, und durch zahlreiche
praktische Beispiele ziffernmäßig nachweisbar, wie bedeutend erst im Kleinbetriebe
die Steigerung der Produktion nicht nur, wie allgemein zugestanden, an Vieh,
sondern, was vielfach bestritten, auch an Bodenerzeugnissen in den zahlreichen
Fällen sein muß und tatsächlich ist, wo heruntergewirtschaftete, unrentable Gro߬
betriebe — unter erheblicher Verbesserung der Landeskultur, die mit allen solchen
Rentengutsgründungen unzertrennlich verbunden ist — im Wege der Besiedlung
in Mittel- und Kleinbetrieb umgewandelt werden.

Die innere Kolonisation stellt eine allgemeine bodenpolitische und
bevölkerungspolitische Aufgabe dar. Wieder möglichst viele Menschen in der
heimischen Scholle verankern, eine gesunde Grundbesitzverteilung herbeiführen,
das sind die Ziele. In seiner viel beachteten Studie von 1910 hat Herr
Professor Sering die engen Zusammenhänge zwischen Grundbesitzverteilung und
Abwanderung vom Lande auf statistischer Grundlage klargelegt. Vorherrschender
Großgrundbesitz entvölkert das platte Land. In diesem Kernsatz gipfelt die
Seringsche Beweisführung. Aus dieser Grundtatsache wächst die Grundaufgabe
klar hervor: Bauerngemeinden in die Gebiete mit vorherrschendem
Großgrundbesitz! Da gibt es aus Gründen, die in der Sache selbst liegen,
kein Wenn und Aber.

Für oder wider die innere Kolonisation? so lautet die Frage.

Die innere Kolonisation ist nicht nur ein Gegengewicht gegen die Ab¬
wanderung vom platten Lande, sie ist auch eine wirksame Maßregel zur Hemmung
der Landstadtflucht. Durch die umfangreiche Denkschrift der Ansiedlungs-
kommission: „Zwanzig Jahre deutscher Kulturarbeit", die 1907 erschien, ist
einwandsfrei erwiesen, daß die innere Kolonisation das Schwergewicht sowohl
der ländlichen wie der kleinstädtischen Bevölkerung gegenüber den Großstädten
nachhaltig verstärkt. Nicht nur, daß sie Menschen aufs Land hinauszieht und
hält, sie füllt auch in mannigfacher Gestalt die Kleinstadt mit neuem Leben und
wirtschaftlichen Kräften. Auch Herr Regierungspräsident von Schwerin-Frank¬
furt a. O. hat in Wort und Schrift zu wiederholten Malen zahlenmäßig dar¬
gelegt, daß vorherrschender Großgrundbesitz die wirtschaftliche Entwicklung der
von ihm eingeschlossenen Landstadt beeinträchtigt oder hindert.

Wie auch unsere weltwirtschaftliche Stellung in ihrer weiteren Entfaltung
und Sicherung mitbedingt ist durch das Maß und das Tempo, in dem wir die
innere Kolonisation zur Durchführung bringen, zeigte Sering in seiner vor-
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[0375] Für oder wider die innere Kolonisation? Obwohl die Gutsfläche gegen früher die dreifache Menschenzahl, einen fast doppelten Pferde- und Rindviehbestand und einen neunfachen Schweinebestand schon jetzt ernährt und sehr bedeutende Mehrerträge an Vieh liefert, wird trotzdem noch ein nicht unbeträchtlicher Überfluß der Bodenprodukte auf den Markt ge¬ worfen. Und dazu, was sehr zu beachten, ist dies möglich, obwohl Rützow, wenn auch etwas extensiv bewirtschaftet, so doch ein in bester alter Kultur befindlicher Großbetrieb besten Bodens war, der hohe Erträge brachte und durchaus rentabel war. Hieraus ist klar zu ermessen, und durch zahlreiche praktische Beispiele ziffernmäßig nachweisbar, wie bedeutend erst im Kleinbetriebe die Steigerung der Produktion nicht nur, wie allgemein zugestanden, an Vieh, sondern, was vielfach bestritten, auch an Bodenerzeugnissen in den zahlreichen Fällen sein muß und tatsächlich ist, wo heruntergewirtschaftete, unrentable Gro߬ betriebe — unter erheblicher Verbesserung der Landeskultur, die mit allen solchen Rentengutsgründungen unzertrennlich verbunden ist — im Wege der Besiedlung in Mittel- und Kleinbetrieb umgewandelt werden. Die innere Kolonisation stellt eine allgemeine bodenpolitische und bevölkerungspolitische Aufgabe dar. Wieder möglichst viele Menschen in der heimischen Scholle verankern, eine gesunde Grundbesitzverteilung herbeiführen, das sind die Ziele. In seiner viel beachteten Studie von 1910 hat Herr Professor Sering die engen Zusammenhänge zwischen Grundbesitzverteilung und Abwanderung vom Lande auf statistischer Grundlage klargelegt. Vorherrschender Großgrundbesitz entvölkert das platte Land. In diesem Kernsatz gipfelt die Seringsche Beweisführung. Aus dieser Grundtatsache wächst die Grundaufgabe klar hervor: Bauerngemeinden in die Gebiete mit vorherrschendem Großgrundbesitz! Da gibt es aus Gründen, die in der Sache selbst liegen, kein Wenn und Aber. Für oder wider die innere Kolonisation? so lautet die Frage. Die innere Kolonisation ist nicht nur ein Gegengewicht gegen die Ab¬ wanderung vom platten Lande, sie ist auch eine wirksame Maßregel zur Hemmung der Landstadtflucht. Durch die umfangreiche Denkschrift der Ansiedlungs- kommission: „Zwanzig Jahre deutscher Kulturarbeit", die 1907 erschien, ist einwandsfrei erwiesen, daß die innere Kolonisation das Schwergewicht sowohl der ländlichen wie der kleinstädtischen Bevölkerung gegenüber den Großstädten nachhaltig verstärkt. Nicht nur, daß sie Menschen aufs Land hinauszieht und hält, sie füllt auch in mannigfacher Gestalt die Kleinstadt mit neuem Leben und wirtschaftlichen Kräften. Auch Herr Regierungspräsident von Schwerin-Frank¬ furt a. O. hat in Wort und Schrift zu wiederholten Malen zahlenmäßig dar¬ gelegt, daß vorherrschender Großgrundbesitz die wirtschaftliche Entwicklung der von ihm eingeschlossenen Landstadt beeinträchtigt oder hindert. Wie auch unsere weltwirtschaftliche Stellung in ihrer weiteren Entfaltung und Sicherung mitbedingt ist durch das Maß und das Tempo, in dem wir die innere Kolonisation zur Durchführung bringen, zeigte Sering in seiner vor- * 24

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341897_324869/375>, abgerufen am 16.06.2024.