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Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Zweites Vierteljahr.

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Maßgebliches und Unmaßgebliches

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tatorisch auszumünzen. Seine Schrift ist ein
Muster der wissenschaftlich würdigen Behand¬
lung einer Frage, die "von der Parteien
Gunst und Haß verwirrt" war.

Es ist nicht überflüssig, wenn zu dem¬
selben Thema in demselben Sinne auch
G. Ruprecht das Wort ergreift in seiner
Broschüre "Das Kleid der deutschen Sprache"
(6. Aufl., Göttingen, Vandenhoeck und Ruprecht,
1912, 1 Mary. Ruprecht ist Verleger. Da¬
mit fügt er zu den theoretischen Erörterungen
KirschmannS, auf den er sich ausdrücklich be¬
zieht, das Gewicht einer sehr materiellen Be¬
gründung. Nachdem er die Anpassung der
Fraktur an die allgemeinen optischen Forde¬
rungen sowohl wie die besonderenBedingungen
der deutschen Wortbildung in Kürze rekapitu¬
liert hat, wendet er sich zu seinem eigensten
Gebiete: der buchhändlerischen Praxis. Mit
umsichtiger Gewandtheit, wie sie die sichere
Sachkenntnis verleiht, und gestützt auf eigenes
Studium in? Ausland, zerstört er hier vor
allem die alte Fabel, die eine Hemmung
unserer kulturellen und damit wirtschaftlichen
Ausbreitung durch unsere Sonderschrift be¬
hauptet hatte. Schließlich werden an der
Hand von Druckproben, die wir bei Kirsch¬
mann vermißten, die "Bastard"- und die
deutschen Reuschriften auf ihr Verhältnis zu
den gewonnenen Ergebnissen geprüft. Wenn
Ruprecht aber dabei zu einer Ablehnung so
ziemlich sämtlicher Renschriften kommt, so ist
das ein Beweis, daß "die brutale Leserlich¬
keit", wie sie R. von Larisch bezeichnet, noch
keine letzte Instanz bedeutet. Ich kann darum
auch Ruprecht nicht folgen, wenn er, im
Gegensatz zu Kirschmann, bei einer Verteidi¬
gung der Fraktur nicht stehen bleibt, sondern
zum Angriff auf die Antiqua übergeht, die
er nur noch für "kleine Drucksachen" (S. 67)
gelten läßt. Wie die neue Frakturbewegung
den Populären Trugschluß aufgedeckt hat, daß
einfache Schrift auch einfaches Lesen verbürge,
ebenso halte ich in dem Satz Ruprechts (S. 60),
daß "die Lateinschrift . . . mehr Rervenkraft
und Aufmerksamkeit . . . verbraucht, also die
geistige Aufnahme des Gelesenen nicht in
gleichem Maße fördern kann", das "also" so
lange für eine erschlichene Selbstverständlich¬
keit, als darüber nicht experimentelle Nach¬
weise vorliegen. Psychologisch erfahren nur

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starke Eindrücke eine "geistige Aufnahme",
d. h. eine Aufnahme in den Vorrat repro¬
duzierbarer Vorstellungen. ES ist klar, daß
Eindrücke an Stärke verlieren, wenn sie ein¬
ander zu rasch folgen, wie es bei einer
flüchtigen Lektüre der Fall ist. Ich Halle es
darum nicht für Zufall, daß sich der Brauch
gebildet hat, Bücher, die wir lesen, um sie
zu behalten, wie die wissenschaftliche Literatur,
in Antigua zu drucken. Es ist bezeichnend
für den demokratisch-Puritanischen Geist unserer
Zeit, daß sie zuerst mit der willkürlichen Alter¬
native "Antiqua oder Fraktur" an unserer
Doppelschriftigkeit "reformiert", der ich nicht
anstehe, Umfang, Tiefe und Beweglichkeit der
deutschen literarischen Kultur zu einem guten
Teile zuzuschreiben. Wenn schon eine "Be¬
lastung durch zweierlei Erinnerungsbilder für
jedes Wort" (S. 35) vorliegt, so bringt das
nicht nur den Pädagogischen Gewinn, den
auch Ruprecht in einer Äußerung Prof. Fiakers
(S. W) wiedergibt, sondern auch eine allge¬
meine geistige Befreiung, eine Elastizität der
Apperzeption, die das Verhältnis von Wort
und Sinn in dauerndem Fluß erhält.

Rie von Larlowitz-Hartitzsch i
Aunst

or. C. G. Benedict: Richard Wa"mers
Parsifal in seiner menschlich-ethischen Be¬
deutung. Lissa i.P., Verlag von Oskar Eullitz,
1913. R. Wagners Parsifal steht gerade in
dieseni Jahre im Mittelpunkt des öffentlichen
Interesses, so daß die vorliegende kleine Schrift
Wohl ihren Leserkreis finden dürfte. Sie
würde es auch verdienen. ES ist dem Ver¬
fasser der Nachweis durchaus gelungen, daß
ein allgemeines menschlich-ethisches Problem
die Grundlage der dramatischen Handlung des
Parsifal bildet, richtig hat er auch im Mitleid
die Grundlage dieser Ethik erfaßt. Er hat
dann wenigstens den Versuch gemacht, den
Kuß der Kundry in der Bedeutung, die ihm
der Dichter und der Musiker ganz augen¬
scheinlich geben wollten, zu würdigen. Auch
die symbolische Bedeutung des Amfvrtas ist
nach einer Seite hin ganz richtig hervor¬
gehoben. Doch legt der Verfasser auf das
allgemein Menschliche zu viel Wert; dadurch
verschließt er sich dem vollen Verständnis des
Dramas. So kommt er dazu, die Begriffe

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Maßgebliches und Unmaßgebliches

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tatorisch auszumünzen. Seine Schrift ist ein
Muster der wissenschaftlich würdigen Behand¬
lung einer Frage, die „von der Parteien
Gunst und Haß verwirrt" war.

Es ist nicht überflüssig, wenn zu dem¬
selben Thema in demselben Sinne auch
G. Ruprecht das Wort ergreift in seiner
Broschüre „Das Kleid der deutschen Sprache"
(6. Aufl., Göttingen, Vandenhoeck und Ruprecht,
1912, 1 Mary. Ruprecht ist Verleger. Da¬
mit fügt er zu den theoretischen Erörterungen
KirschmannS, auf den er sich ausdrücklich be¬
zieht, das Gewicht einer sehr materiellen Be¬
gründung. Nachdem er die Anpassung der
Fraktur an die allgemeinen optischen Forde¬
rungen sowohl wie die besonderenBedingungen
der deutschen Wortbildung in Kürze rekapitu¬
liert hat, wendet er sich zu seinem eigensten
Gebiete: der buchhändlerischen Praxis. Mit
umsichtiger Gewandtheit, wie sie die sichere
Sachkenntnis verleiht, und gestützt auf eigenes
Studium in? Ausland, zerstört er hier vor
allem die alte Fabel, die eine Hemmung
unserer kulturellen und damit wirtschaftlichen
Ausbreitung durch unsere Sonderschrift be¬
hauptet hatte. Schließlich werden an der
Hand von Druckproben, die wir bei Kirsch¬
mann vermißten, die „Bastard"- und die
deutschen Reuschriften auf ihr Verhältnis zu
den gewonnenen Ergebnissen geprüft. Wenn
Ruprecht aber dabei zu einer Ablehnung so
ziemlich sämtlicher Renschriften kommt, so ist
das ein Beweis, daß „die brutale Leserlich¬
keit", wie sie R. von Larisch bezeichnet, noch
keine letzte Instanz bedeutet. Ich kann darum
auch Ruprecht nicht folgen, wenn er, im
Gegensatz zu Kirschmann, bei einer Verteidi¬
gung der Fraktur nicht stehen bleibt, sondern
zum Angriff auf die Antiqua übergeht, die
er nur noch für „kleine Drucksachen" (S. 67)
gelten läßt. Wie die neue Frakturbewegung
den Populären Trugschluß aufgedeckt hat, daß
einfache Schrift auch einfaches Lesen verbürge,
ebenso halte ich in dem Satz Ruprechts (S. 60),
daß „die Lateinschrift . . . mehr Rervenkraft
und Aufmerksamkeit . . . verbraucht, also die
geistige Aufnahme des Gelesenen nicht in
gleichem Maße fördern kann", das „also" so
lange für eine erschlichene Selbstverständlich¬
keit, als darüber nicht experimentelle Nach¬
weise vorliegen. Psychologisch erfahren nur

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starke Eindrücke eine „geistige Aufnahme",
d. h. eine Aufnahme in den Vorrat repro¬
duzierbarer Vorstellungen. ES ist klar, daß
Eindrücke an Stärke verlieren, wenn sie ein¬
ander zu rasch folgen, wie es bei einer
flüchtigen Lektüre der Fall ist. Ich Halle es
darum nicht für Zufall, daß sich der Brauch
gebildet hat, Bücher, die wir lesen, um sie
zu behalten, wie die wissenschaftliche Literatur,
in Antigua zu drucken. Es ist bezeichnend
für den demokratisch-Puritanischen Geist unserer
Zeit, daß sie zuerst mit der willkürlichen Alter¬
native „Antiqua oder Fraktur" an unserer
Doppelschriftigkeit „reformiert", der ich nicht
anstehe, Umfang, Tiefe und Beweglichkeit der
deutschen literarischen Kultur zu einem guten
Teile zuzuschreiben. Wenn schon eine „Be¬
lastung durch zweierlei Erinnerungsbilder für
jedes Wort" (S. 35) vorliegt, so bringt das
nicht nur den Pädagogischen Gewinn, den
auch Ruprecht in einer Äußerung Prof. Fiakers
(S. W) wiedergibt, sondern auch eine allge¬
meine geistige Befreiung, eine Elastizität der
Apperzeption, die das Verhältnis von Wort
und Sinn in dauerndem Fluß erhält.

Rie von Larlowitz-Hartitzsch i
Aunst

or. C. G. Benedict: Richard Wa„mers
Parsifal in seiner menschlich-ethischen Be¬
deutung. Lissa i.P., Verlag von Oskar Eullitz,
1913. R. Wagners Parsifal steht gerade in
dieseni Jahre im Mittelpunkt des öffentlichen
Interesses, so daß die vorliegende kleine Schrift
Wohl ihren Leserkreis finden dürfte. Sie
würde es auch verdienen. ES ist dem Ver¬
fasser der Nachweis durchaus gelungen, daß
ein allgemeines menschlich-ethisches Problem
die Grundlage der dramatischen Handlung des
Parsifal bildet, richtig hat er auch im Mitleid
die Grundlage dieser Ethik erfaßt. Er hat
dann wenigstens den Versuch gemacht, den
Kuß der Kundry in der Bedeutung, die ihm
der Dichter und der Musiker ganz augen¬
scheinlich geben wollten, zu würdigen. Auch
die symbolische Bedeutung des Amfvrtas ist
nach einer Seite hin ganz richtig hervor¬
gehoben. Doch legt der Verfasser auf das
allgemein Menschliche zu viel Wert; dadurch
verschließt er sich dem vollen Verständnis des
Dramas. So kommt er dazu, die Begriffe

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[0209] Maßgebliches und Unmaßgebliches tatorisch auszumünzen. Seine Schrift ist ein Muster der wissenschaftlich würdigen Behand¬ lung einer Frage, die „von der Parteien Gunst und Haß verwirrt" war. Es ist nicht überflüssig, wenn zu dem¬ selben Thema in demselben Sinne auch G. Ruprecht das Wort ergreift in seiner Broschüre „Das Kleid der deutschen Sprache" (6. Aufl., Göttingen, Vandenhoeck und Ruprecht, 1912, 1 Mary. Ruprecht ist Verleger. Da¬ mit fügt er zu den theoretischen Erörterungen KirschmannS, auf den er sich ausdrücklich be¬ zieht, das Gewicht einer sehr materiellen Be¬ gründung. Nachdem er die Anpassung der Fraktur an die allgemeinen optischen Forde¬ rungen sowohl wie die besonderenBedingungen der deutschen Wortbildung in Kürze rekapitu¬ liert hat, wendet er sich zu seinem eigensten Gebiete: der buchhändlerischen Praxis. Mit umsichtiger Gewandtheit, wie sie die sichere Sachkenntnis verleiht, und gestützt auf eigenes Studium in? Ausland, zerstört er hier vor allem die alte Fabel, die eine Hemmung unserer kulturellen und damit wirtschaftlichen Ausbreitung durch unsere Sonderschrift be¬ hauptet hatte. Schließlich werden an der Hand von Druckproben, die wir bei Kirsch¬ mann vermißten, die „Bastard"- und die deutschen Reuschriften auf ihr Verhältnis zu den gewonnenen Ergebnissen geprüft. Wenn Ruprecht aber dabei zu einer Ablehnung so ziemlich sämtlicher Renschriften kommt, so ist das ein Beweis, daß „die brutale Leserlich¬ keit", wie sie R. von Larisch bezeichnet, noch keine letzte Instanz bedeutet. Ich kann darum auch Ruprecht nicht folgen, wenn er, im Gegensatz zu Kirschmann, bei einer Verteidi¬ gung der Fraktur nicht stehen bleibt, sondern zum Angriff auf die Antiqua übergeht, die er nur noch für „kleine Drucksachen" (S. 67) gelten läßt. Wie die neue Frakturbewegung den Populären Trugschluß aufgedeckt hat, daß einfache Schrift auch einfaches Lesen verbürge, ebenso halte ich in dem Satz Ruprechts (S. 60), daß „die Lateinschrift . . . mehr Rervenkraft und Aufmerksamkeit . . . verbraucht, also die geistige Aufnahme des Gelesenen nicht in gleichem Maße fördern kann", das „also" so lange für eine erschlichene Selbstverständlich¬ keit, als darüber nicht experimentelle Nach¬ weise vorliegen. Psychologisch erfahren nur starke Eindrücke eine „geistige Aufnahme", d. h. eine Aufnahme in den Vorrat repro¬ duzierbarer Vorstellungen. ES ist klar, daß Eindrücke an Stärke verlieren, wenn sie ein¬ ander zu rasch folgen, wie es bei einer flüchtigen Lektüre der Fall ist. Ich Halle es darum nicht für Zufall, daß sich der Brauch gebildet hat, Bücher, die wir lesen, um sie zu behalten, wie die wissenschaftliche Literatur, in Antigua zu drucken. Es ist bezeichnend für den demokratisch-Puritanischen Geist unserer Zeit, daß sie zuerst mit der willkürlichen Alter¬ native „Antiqua oder Fraktur" an unserer Doppelschriftigkeit „reformiert", der ich nicht anstehe, Umfang, Tiefe und Beweglichkeit der deutschen literarischen Kultur zu einem guten Teile zuzuschreiben. Wenn schon eine „Be¬ lastung durch zweierlei Erinnerungsbilder für jedes Wort" (S. 35) vorliegt, so bringt das nicht nur den Pädagogischen Gewinn, den auch Ruprecht in einer Äußerung Prof. Fiakers (S. W) wiedergibt, sondern auch eine allge¬ meine geistige Befreiung, eine Elastizität der Apperzeption, die das Verhältnis von Wort und Sinn in dauerndem Fluß erhält. Rie von Larlowitz-Hartitzsch i Aunst or. C. G. Benedict: Richard Wa„mers Parsifal in seiner menschlich-ethischen Be¬ deutung. Lissa i.P., Verlag von Oskar Eullitz, 1913. R. Wagners Parsifal steht gerade in dieseni Jahre im Mittelpunkt des öffentlichen Interesses, so daß die vorliegende kleine Schrift Wohl ihren Leserkreis finden dürfte. Sie würde es auch verdienen. ES ist dem Ver¬ fasser der Nachweis durchaus gelungen, daß ein allgemeines menschlich-ethisches Problem die Grundlage der dramatischen Handlung des Parsifal bildet, richtig hat er auch im Mitleid die Grundlage dieser Ethik erfaßt. Er hat dann wenigstens den Versuch gemacht, den Kuß der Kundry in der Bedeutung, die ihm der Dichter und der Musiker ganz augen¬ scheinlich geben wollten, zu würdigen. Auch die symbolische Bedeutung des Amfvrtas ist nach einer Seite hin ganz richtig hervor¬ gehoben. Doch legt der Verfasser auf das allgemein Menschliche zu viel Wert; dadurch verschließt er sich dem vollen Verständnis des Dramas. So kommt er dazu, die Begriffe

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341897_325519/209>, abgerufen am 30.05.2024.