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Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Drittes Vierteljahr.

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Maßgebliches und Unmaßgebliches

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Handen waren, ist nur zu erklären aus der
ursachlichen Furcht, sich loyal und auf
legalem Wege mit den Parlamentsparteien ins
Einvernehmen zu setzen und so dem Schreck-

- lichen Ungeheuer Parlamentarismus öffentlich
die Hand reichen zu müssen. Hätte die Re¬
gierung das Prävenire gespielt, so hätte auch
die bürgerliche Presse der sozicildemokratischen
Agitation zuvorkommen können und Lieb¬
knechts Panama - Gefasel wäre im In- und
Auslande nur homerischen Gelächter begegnet.
Jetzt aber, nach dem Prozeß, brauchte Lieb¬
knecht nicht zum Mittelpunkt der Angelegen¬
heit erhoben zu werden. Nun, Herr von Hee¬
ringen ist nicht mehr Kriegsminister, und sein
Nachfolger stammt aus der Schule des General¬
feldmarschalls Grafen Schliessen, dessen Glaube
an die Sieg tragende Macht des Angriffs
Leitsatz der deutschen Taktik geblieben ist!

Irgendwelche tiefere Lehren aus dem Ver¬
fahren gegen Tilicrn und Genossen zu ziehen,
geht einstweilen nicht an. Selbst über die Ver¬
urteilten darf das letzte Wort noch nicht ge¬
sprochen werden: es sind arme Schelme, die aus
Subalterner Veranlagung und Unbildung, und
geblendet durch das Ansehen der in vielen
Richtungen mächtigen Kanonenfirma in eine
Sache hineingeraten sind, deren Grenzen sie
mit ihrem kleinen Hirn gar nicht erfassen
konnten. Es will mir scheinen, daß ihnen
gegenüber eine gewisse Zurückhaltung am
Platze ist, bis zum Abschluß des Prozesses
vor dem bürgerlichen Gericht gegen die
verantwortlichen Männer der Firma Krupp.
Verfährt das bürgerliche Gericht mit der¬
selben von allen politschcn Rücksichten freien
Gründlichkeit wie das militärische -- und es
ist kein Grund vorhanden, daran zu zweifeln,
-- so bin ich überzeugt, daß alle heute noch
als Rost angesprochene Flecken am Schilde
der Militärverwaltung sich als Anspritzer von
G. Li. außen erweisen werden.

Rechtsfragen

Das Ervrecht des Reiches. Zu den be¬
währten Vorkämpfern der Erbrechtsreform
zählt Geheimrat Professor Bernhöft in Rostock.
Schon im Jahre 1894 trat er in der Schrift
"Reform des Erbrechts" dafür ein, daß man
im Bürgerlichen Gesetzbuch bei der Regelung
des Erbrechts nicht nur die Wünsche des ost¬

[Spaltenumbruch]

römischen Kaisers Justinian vom Jahre 643,
sondern auch die Bedürfnisse des Deutschen
Reichs in: zwanzigsten Jahrhundert berück¬
sichtige. Seine Bemühungen blieben ebenso
wie die anderer hervorragender Rechtslehrer
und Nationalökonomen erfolglos. Bernhöft
hat sich auch der neueren Bewegung tätig
angeschlossen und die bekannte Kundgebung
für das Erbrecht des Reiches mitunterzeichnet.
In der Abhandlung: "Die Verwandtschaft
als Grundlage des Erbrechts" geht er auf
den Kern der Frage ein. Daß er dem oft
behandelten Gegenstand neue Seiten abge¬
winnt, spricht ebenso für die Sache, wie für
den Verfasser. Er führt aus:

Mit dem gesetzliche!: Erbrecht hat der
Familiensinn überhaupt nichts zu tun. Der
Erblasser mag ihn in seinem Testament
zeigen; tut er das nicht, so ist es nicht Sache
des Staates, einem Familiensinn Rechnung
zu tragen, der nicht betätigt worden und
vermutlich auch nicht vorhanden ist. Das
Erbrecht beruht von alters her nicht bloß auf
dem Familienverhältnis, sondern auch auf
testamentarischer Bestimmung. Und das
Familienverhältnis seinerseits beruht nicht
bloß auf der Blutsverwandtschaft, sondern
auch auf der Ehe, wie das Erbrecht der Ehe¬
gatten zeigt, und auf der Annahme an
Kindesstatt, wie das Erbrecht der angenom¬
menen Kinder zeigt. Das gesetzliche Erbrecht
kommt also keineswegs der Blutsverwandt¬
schaft allein zu. -- Der Gesetzgeber muß sich
fragen, welches Verwandtschaftsverhältnis
derart ist, daß der Erbe in der überwiegen¬
den Zahl von Fällen dem Erblasser genehni
ist. Daß der Sterbende sein Vermögen
seinen Kindern, und wenn er keine Kinder
hat, seinen Eltern und Geschwistern zu hinter¬
lassen wünscht, das wird in der überwiegen¬
den Zahl von Fällen zutreffen. Darüber
hinaus wird die Frage bereits zweifelhaft.
Einen moralischen Anspruch auf die Erbschaft
Pflegen die Neffen zwar gern anzunehmen,
die Onkel aber seltener anzuerkennen. Bettern
können in einem sehr freundschaftlichen Ver¬
hältnis stehen, allgemeine Regel ist das aber
nicht. Ganz ungerechtfertigt ist es, wenn der
Staat noch ferneren Verwandten, die über¬
haupt in keinem persönlichen Verhältnisse zu
dem Erblasser standen, ihm vielleicht völlig

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Maßgebliches und Unmaßgebliches

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Handen waren, ist nur zu erklären aus der
ursachlichen Furcht, sich loyal und auf
legalem Wege mit den Parlamentsparteien ins
Einvernehmen zu setzen und so dem Schreck-

- lichen Ungeheuer Parlamentarismus öffentlich
die Hand reichen zu müssen. Hätte die Re¬
gierung das Prävenire gespielt, so hätte auch
die bürgerliche Presse der sozicildemokratischen
Agitation zuvorkommen können und Lieb¬
knechts Panama - Gefasel wäre im In- und
Auslande nur homerischen Gelächter begegnet.
Jetzt aber, nach dem Prozeß, brauchte Lieb¬
knecht nicht zum Mittelpunkt der Angelegen¬
heit erhoben zu werden. Nun, Herr von Hee¬
ringen ist nicht mehr Kriegsminister, und sein
Nachfolger stammt aus der Schule des General¬
feldmarschalls Grafen Schliessen, dessen Glaube
an die Sieg tragende Macht des Angriffs
Leitsatz der deutschen Taktik geblieben ist!

Irgendwelche tiefere Lehren aus dem Ver¬
fahren gegen Tilicrn und Genossen zu ziehen,
geht einstweilen nicht an. Selbst über die Ver¬
urteilten darf das letzte Wort noch nicht ge¬
sprochen werden: es sind arme Schelme, die aus
Subalterner Veranlagung und Unbildung, und
geblendet durch das Ansehen der in vielen
Richtungen mächtigen Kanonenfirma in eine
Sache hineingeraten sind, deren Grenzen sie
mit ihrem kleinen Hirn gar nicht erfassen
konnten. Es will mir scheinen, daß ihnen
gegenüber eine gewisse Zurückhaltung am
Platze ist, bis zum Abschluß des Prozesses
vor dem bürgerlichen Gericht gegen die
verantwortlichen Männer der Firma Krupp.
Verfährt das bürgerliche Gericht mit der¬
selben von allen politschcn Rücksichten freien
Gründlichkeit wie das militärische — und es
ist kein Grund vorhanden, daran zu zweifeln,
— so bin ich überzeugt, daß alle heute noch
als Rost angesprochene Flecken am Schilde
der Militärverwaltung sich als Anspritzer von
G. Li. außen erweisen werden.

Rechtsfragen

Das Ervrecht des Reiches. Zu den be¬
währten Vorkämpfern der Erbrechtsreform
zählt Geheimrat Professor Bernhöft in Rostock.
Schon im Jahre 1894 trat er in der Schrift
„Reform des Erbrechts" dafür ein, daß man
im Bürgerlichen Gesetzbuch bei der Regelung
des Erbrechts nicht nur die Wünsche des ost¬

[Spaltenumbruch]

römischen Kaisers Justinian vom Jahre 643,
sondern auch die Bedürfnisse des Deutschen
Reichs in: zwanzigsten Jahrhundert berück¬
sichtige. Seine Bemühungen blieben ebenso
wie die anderer hervorragender Rechtslehrer
und Nationalökonomen erfolglos. Bernhöft
hat sich auch der neueren Bewegung tätig
angeschlossen und die bekannte Kundgebung
für das Erbrecht des Reiches mitunterzeichnet.
In der Abhandlung: „Die Verwandtschaft
als Grundlage des Erbrechts" geht er auf
den Kern der Frage ein. Daß er dem oft
behandelten Gegenstand neue Seiten abge¬
winnt, spricht ebenso für die Sache, wie für
den Verfasser. Er führt aus:

Mit dem gesetzliche!: Erbrecht hat der
Familiensinn überhaupt nichts zu tun. Der
Erblasser mag ihn in seinem Testament
zeigen; tut er das nicht, so ist es nicht Sache
des Staates, einem Familiensinn Rechnung
zu tragen, der nicht betätigt worden und
vermutlich auch nicht vorhanden ist. Das
Erbrecht beruht von alters her nicht bloß auf
dem Familienverhältnis, sondern auch auf
testamentarischer Bestimmung. Und das
Familienverhältnis seinerseits beruht nicht
bloß auf der Blutsverwandtschaft, sondern
auch auf der Ehe, wie das Erbrecht der Ehe¬
gatten zeigt, und auf der Annahme an
Kindesstatt, wie das Erbrecht der angenom¬
menen Kinder zeigt. Das gesetzliche Erbrecht
kommt also keineswegs der Blutsverwandt¬
schaft allein zu. — Der Gesetzgeber muß sich
fragen, welches Verwandtschaftsverhältnis
derart ist, daß der Erbe in der überwiegen¬
den Zahl von Fällen dem Erblasser genehni
ist. Daß der Sterbende sein Vermögen
seinen Kindern, und wenn er keine Kinder
hat, seinen Eltern und Geschwistern zu hinter¬
lassen wünscht, das wird in der überwiegen¬
den Zahl von Fällen zutreffen. Darüber
hinaus wird die Frage bereits zweifelhaft.
Einen moralischen Anspruch auf die Erbschaft
Pflegen die Neffen zwar gern anzunehmen,
die Onkel aber seltener anzuerkennen. Bettern
können in einem sehr freundschaftlichen Ver¬
hältnis stehen, allgemeine Regel ist das aber
nicht. Ganz ungerechtfertigt ist es, wenn der
Staat noch ferneren Verwandten, die über¬
haupt in keinem persönlichen Verhältnisse zu
dem Erblasser standen, ihm vielleicht völlig

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[0342] Maßgebliches und Unmaßgebliches Handen waren, ist nur zu erklären aus der ursachlichen Furcht, sich loyal und auf legalem Wege mit den Parlamentsparteien ins Einvernehmen zu setzen und so dem Schreck- - lichen Ungeheuer Parlamentarismus öffentlich die Hand reichen zu müssen. Hätte die Re¬ gierung das Prävenire gespielt, so hätte auch die bürgerliche Presse der sozicildemokratischen Agitation zuvorkommen können und Lieb¬ knechts Panama - Gefasel wäre im In- und Auslande nur homerischen Gelächter begegnet. Jetzt aber, nach dem Prozeß, brauchte Lieb¬ knecht nicht zum Mittelpunkt der Angelegen¬ heit erhoben zu werden. Nun, Herr von Hee¬ ringen ist nicht mehr Kriegsminister, und sein Nachfolger stammt aus der Schule des General¬ feldmarschalls Grafen Schliessen, dessen Glaube an die Sieg tragende Macht des Angriffs Leitsatz der deutschen Taktik geblieben ist! Irgendwelche tiefere Lehren aus dem Ver¬ fahren gegen Tilicrn und Genossen zu ziehen, geht einstweilen nicht an. Selbst über die Ver¬ urteilten darf das letzte Wort noch nicht ge¬ sprochen werden: es sind arme Schelme, die aus Subalterner Veranlagung und Unbildung, und geblendet durch das Ansehen der in vielen Richtungen mächtigen Kanonenfirma in eine Sache hineingeraten sind, deren Grenzen sie mit ihrem kleinen Hirn gar nicht erfassen konnten. Es will mir scheinen, daß ihnen gegenüber eine gewisse Zurückhaltung am Platze ist, bis zum Abschluß des Prozesses vor dem bürgerlichen Gericht gegen die verantwortlichen Männer der Firma Krupp. Verfährt das bürgerliche Gericht mit der¬ selben von allen politschcn Rücksichten freien Gründlichkeit wie das militärische — und es ist kein Grund vorhanden, daran zu zweifeln, — so bin ich überzeugt, daß alle heute noch als Rost angesprochene Flecken am Schilde der Militärverwaltung sich als Anspritzer von G. Li. außen erweisen werden. Rechtsfragen Das Ervrecht des Reiches. Zu den be¬ währten Vorkämpfern der Erbrechtsreform zählt Geheimrat Professor Bernhöft in Rostock. Schon im Jahre 1894 trat er in der Schrift „Reform des Erbrechts" dafür ein, daß man im Bürgerlichen Gesetzbuch bei der Regelung des Erbrechts nicht nur die Wünsche des ost¬ römischen Kaisers Justinian vom Jahre 643, sondern auch die Bedürfnisse des Deutschen Reichs in: zwanzigsten Jahrhundert berück¬ sichtige. Seine Bemühungen blieben ebenso wie die anderer hervorragender Rechtslehrer und Nationalökonomen erfolglos. Bernhöft hat sich auch der neueren Bewegung tätig angeschlossen und die bekannte Kundgebung für das Erbrecht des Reiches mitunterzeichnet. In der Abhandlung: „Die Verwandtschaft als Grundlage des Erbrechts" geht er auf den Kern der Frage ein. Daß er dem oft behandelten Gegenstand neue Seiten abge¬ winnt, spricht ebenso für die Sache, wie für den Verfasser. Er führt aus: Mit dem gesetzliche!: Erbrecht hat der Familiensinn überhaupt nichts zu tun. Der Erblasser mag ihn in seinem Testament zeigen; tut er das nicht, so ist es nicht Sache des Staates, einem Familiensinn Rechnung zu tragen, der nicht betätigt worden und vermutlich auch nicht vorhanden ist. Das Erbrecht beruht von alters her nicht bloß auf dem Familienverhältnis, sondern auch auf testamentarischer Bestimmung. Und das Familienverhältnis seinerseits beruht nicht bloß auf der Blutsverwandtschaft, sondern auch auf der Ehe, wie das Erbrecht der Ehe¬ gatten zeigt, und auf der Annahme an Kindesstatt, wie das Erbrecht der angenom¬ menen Kinder zeigt. Das gesetzliche Erbrecht kommt also keineswegs der Blutsverwandt¬ schaft allein zu. — Der Gesetzgeber muß sich fragen, welches Verwandtschaftsverhältnis derart ist, daß der Erbe in der überwiegen¬ den Zahl von Fällen dem Erblasser genehni ist. Daß der Sterbende sein Vermögen seinen Kindern, und wenn er keine Kinder hat, seinen Eltern und Geschwistern zu hinter¬ lassen wünscht, das wird in der überwiegen¬ den Zahl von Fällen zutreffen. Darüber hinaus wird die Frage bereits zweifelhaft. Einen moralischen Anspruch auf die Erbschaft Pflegen die Neffen zwar gern anzunehmen, die Onkel aber seltener anzuerkennen. Bettern können in einem sehr freundschaftlichen Ver¬ hältnis stehen, allgemeine Regel ist das aber nicht. Ganz ungerechtfertigt ist es, wenn der Staat noch ferneren Verwandten, die über¬ haupt in keinem persönlichen Verhältnisse zu dem Erblasser standen, ihm vielleicht völlig

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341897_326169/342>, abgerufen am 19.05.2024.