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Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Drittes Vierteljahr.

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Zur Sprachkritik

Wirkungen im Raum. In der ersten Welt orientiert die Kunst, in der zweiten
die Wissenschaft, in der dritten "in Feierstunden notwendigen" Welt die Mystik.
Es sind "drei Sprachen, die einander helfen müssen". Die Benennung als
Welten, die selbst allzu substantivisch ist, läßt Mauthner nicht immer seinen
eigenen Vorbehalt beachten, daß es sich dabei nur um Standpunkte (kantisch:
Formen) unserer Sprachauffassung der einen Realität handelt, die in keiner
einzelnen Form restlos aufgeht. Unversehens werden ihm die "Welten" zu
dinglichen Inhalten, denen er dann eine absteigende Realität zuschreibt. Die
psychische Gewißheit der adjektivischen Welt wird erlebt, die physische Not¬
wendigkeit der verbalen Welt gewußt, die metaphysische Gesetzmäßigkeit der
substantivischen Welt geglaubt.

Indem hier das sprachliche Problem bereits eine erkenntnistheoretische
Fassung erhält, treffen wir auf die tragende These seines skeptischen Systems,
das darum von R. Richter in seinem "Skeptizismus in der Philosophie" schon
als "linguistischer Skeptizismus" gebucht ist. Mauthner vertritt die völlige
Identität von Sprechen und Denken, die beide nicht nur wechselseitig bedingt,
sondern "der gleiche Vorgang" (Seite 178) sind. Weil nun die Sprache nicht
nur "eine zu kurze Decke für die Wirklichkeit" (II 429), sondern vor allem "ein
elendes Werkzeug sür Unwirklichkeiten" (II 424) darstellt, darum ist die Ergebnis¬
losigkeit aller Philosophie a priori gewiß. Denn nicht nur das begriffliche
Denken (der Schopenhauersche: Verstand) ist an Sprache gebunden, sondern
Mauthner identifiziert mit ihr ausdrücklich auch noch die Schopenhauersche
Vernunft (II 369), "so daß die letzten Fragen (Kausalität, Zweck, Unendlichkeit,
Realität) sprachkritische Fragen sind" (Seite 260). "Philosophie ist Erkenntnis¬
theorie. Erkenntnistheorie ist Sprachkritik" (Seite XI). I^e roi e8t mort. vivs
Is roi! Daß aber damit die Ergebnislosigkeit von der Philosophie im Grunde
auf die Sprachkritik mit übergeht, darüber täuscht sich auch Mauthner nicht.
"Und das ist die verzweifelte Lage des Sprachkritikers, der klar die Aufgabe
erkannt hat, den Wortaberglauben auch auf dem Gebiete unserer gräzisierenden
Philosophie zu bekämpfen, der aber für die Untersuchung der verdächtigen
Begriffe kein besseres Werkzeug besitzt als eben wieder diese verdächtigen Begriffe
selbst. . . . Und so ist auch die Sprachkritik den Wörtern in der Philosophie
gegenüber nur eine unerfüllte Sehnsucht" (Seite 502).

Die behauptete Identität von Sprechen und Denken kann uns nicht über¬
zeugen. Mauthner selbst gibt zunächst Beispiele, wie dehnbar der Begriff Denken
ist und daß für seine untere Grenze ("jedes innere Erlebnis gehört zum Denken"
Seite 177), jedenfalls keine Sprache erforderlich ist. Aber auch für die ein¬
geschränkte Bedeutung des apperzeptiven Denkens scheint uns die Mauthnersche
Hypothese nicht zwingend. In der psychischen Erfahrung finden wir nur, daß
Denken ex pe>8t mit Sprechen zusammenfällt, insofern wir keine andere Rechen¬
schaft über das Gedachte geben können als in Worten. Lx arts ist Denken
ein selbständiger Vorgang, der (historisch) erst die Sprache nach seiner Weise


Zur Sprachkritik

Wirkungen im Raum. In der ersten Welt orientiert die Kunst, in der zweiten
die Wissenschaft, in der dritten „in Feierstunden notwendigen" Welt die Mystik.
Es sind „drei Sprachen, die einander helfen müssen". Die Benennung als
Welten, die selbst allzu substantivisch ist, läßt Mauthner nicht immer seinen
eigenen Vorbehalt beachten, daß es sich dabei nur um Standpunkte (kantisch:
Formen) unserer Sprachauffassung der einen Realität handelt, die in keiner
einzelnen Form restlos aufgeht. Unversehens werden ihm die „Welten" zu
dinglichen Inhalten, denen er dann eine absteigende Realität zuschreibt. Die
psychische Gewißheit der adjektivischen Welt wird erlebt, die physische Not¬
wendigkeit der verbalen Welt gewußt, die metaphysische Gesetzmäßigkeit der
substantivischen Welt geglaubt.

Indem hier das sprachliche Problem bereits eine erkenntnistheoretische
Fassung erhält, treffen wir auf die tragende These seines skeptischen Systems,
das darum von R. Richter in seinem „Skeptizismus in der Philosophie" schon
als „linguistischer Skeptizismus" gebucht ist. Mauthner vertritt die völlige
Identität von Sprechen und Denken, die beide nicht nur wechselseitig bedingt,
sondern „der gleiche Vorgang" (Seite 178) sind. Weil nun die Sprache nicht
nur „eine zu kurze Decke für die Wirklichkeit" (II 429), sondern vor allem „ein
elendes Werkzeug sür Unwirklichkeiten" (II 424) darstellt, darum ist die Ergebnis¬
losigkeit aller Philosophie a priori gewiß. Denn nicht nur das begriffliche
Denken (der Schopenhauersche: Verstand) ist an Sprache gebunden, sondern
Mauthner identifiziert mit ihr ausdrücklich auch noch die Schopenhauersche
Vernunft (II 369), „so daß die letzten Fragen (Kausalität, Zweck, Unendlichkeit,
Realität) sprachkritische Fragen sind" (Seite 260). „Philosophie ist Erkenntnis¬
theorie. Erkenntnistheorie ist Sprachkritik" (Seite XI). I^e roi e8t mort. vivs
Is roi! Daß aber damit die Ergebnislosigkeit von der Philosophie im Grunde
auf die Sprachkritik mit übergeht, darüber täuscht sich auch Mauthner nicht.
„Und das ist die verzweifelte Lage des Sprachkritikers, der klar die Aufgabe
erkannt hat, den Wortaberglauben auch auf dem Gebiete unserer gräzisierenden
Philosophie zu bekämpfen, der aber für die Untersuchung der verdächtigen
Begriffe kein besseres Werkzeug besitzt als eben wieder diese verdächtigen Begriffe
selbst. . . . Und so ist auch die Sprachkritik den Wörtern in der Philosophie
gegenüber nur eine unerfüllte Sehnsucht" (Seite 502).

Die behauptete Identität von Sprechen und Denken kann uns nicht über¬
zeugen. Mauthner selbst gibt zunächst Beispiele, wie dehnbar der Begriff Denken
ist und daß für seine untere Grenze („jedes innere Erlebnis gehört zum Denken"
Seite 177), jedenfalls keine Sprache erforderlich ist. Aber auch für die ein¬
geschränkte Bedeutung des apperzeptiven Denkens scheint uns die Mauthnersche
Hypothese nicht zwingend. In der psychischen Erfahrung finden wir nur, daß
Denken ex pe>8t mit Sprechen zusammenfällt, insofern wir keine andere Rechen¬
schaft über das Gedachte geben können als in Worten. Lx arts ist Denken
ein selbständiger Vorgang, der (historisch) erst die Sprache nach seiner Weise


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[0042] Zur Sprachkritik Wirkungen im Raum. In der ersten Welt orientiert die Kunst, in der zweiten die Wissenschaft, in der dritten „in Feierstunden notwendigen" Welt die Mystik. Es sind „drei Sprachen, die einander helfen müssen". Die Benennung als Welten, die selbst allzu substantivisch ist, läßt Mauthner nicht immer seinen eigenen Vorbehalt beachten, daß es sich dabei nur um Standpunkte (kantisch: Formen) unserer Sprachauffassung der einen Realität handelt, die in keiner einzelnen Form restlos aufgeht. Unversehens werden ihm die „Welten" zu dinglichen Inhalten, denen er dann eine absteigende Realität zuschreibt. Die psychische Gewißheit der adjektivischen Welt wird erlebt, die physische Not¬ wendigkeit der verbalen Welt gewußt, die metaphysische Gesetzmäßigkeit der substantivischen Welt geglaubt. Indem hier das sprachliche Problem bereits eine erkenntnistheoretische Fassung erhält, treffen wir auf die tragende These seines skeptischen Systems, das darum von R. Richter in seinem „Skeptizismus in der Philosophie" schon als „linguistischer Skeptizismus" gebucht ist. Mauthner vertritt die völlige Identität von Sprechen und Denken, die beide nicht nur wechselseitig bedingt, sondern „der gleiche Vorgang" (Seite 178) sind. Weil nun die Sprache nicht nur „eine zu kurze Decke für die Wirklichkeit" (II 429), sondern vor allem „ein elendes Werkzeug sür Unwirklichkeiten" (II 424) darstellt, darum ist die Ergebnis¬ losigkeit aller Philosophie a priori gewiß. Denn nicht nur das begriffliche Denken (der Schopenhauersche: Verstand) ist an Sprache gebunden, sondern Mauthner identifiziert mit ihr ausdrücklich auch noch die Schopenhauersche Vernunft (II 369), „so daß die letzten Fragen (Kausalität, Zweck, Unendlichkeit, Realität) sprachkritische Fragen sind" (Seite 260). „Philosophie ist Erkenntnis¬ theorie. Erkenntnistheorie ist Sprachkritik" (Seite XI). I^e roi e8t mort. vivs Is roi! Daß aber damit die Ergebnislosigkeit von der Philosophie im Grunde auf die Sprachkritik mit übergeht, darüber täuscht sich auch Mauthner nicht. „Und das ist die verzweifelte Lage des Sprachkritikers, der klar die Aufgabe erkannt hat, den Wortaberglauben auch auf dem Gebiete unserer gräzisierenden Philosophie zu bekämpfen, der aber für die Untersuchung der verdächtigen Begriffe kein besseres Werkzeug besitzt als eben wieder diese verdächtigen Begriffe selbst. . . . Und so ist auch die Sprachkritik den Wörtern in der Philosophie gegenüber nur eine unerfüllte Sehnsucht" (Seite 502). Die behauptete Identität von Sprechen und Denken kann uns nicht über¬ zeugen. Mauthner selbst gibt zunächst Beispiele, wie dehnbar der Begriff Denken ist und daß für seine untere Grenze („jedes innere Erlebnis gehört zum Denken" Seite 177), jedenfalls keine Sprache erforderlich ist. Aber auch für die ein¬ geschränkte Bedeutung des apperzeptiven Denkens scheint uns die Mauthnersche Hypothese nicht zwingend. In der psychischen Erfahrung finden wir nur, daß Denken ex pe>8t mit Sprechen zusammenfällt, insofern wir keine andere Rechen¬ schaft über das Gedachte geben können als in Worten. Lx arts ist Denken ein selbständiger Vorgang, der (historisch) erst die Sprache nach seiner Weise

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341897_326169/42>, abgerufen am 20.05.2024.