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Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Viertes Vierteljahr.

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Elisabeth

doch, Mistreß Ashley, kommt der König? Erst morgen? -- Nun, bis heute
Abend, bis heute Mittag schon wird die Krankheit ganz gewichen sein."

Dann trat er zu der Erzieherin, die noch immer unbeweglich am Fenster
stand. "Sie haben eine schnell wirkende aber gefährliche Kur versucht," sagte
er leise, sich von ihr verabschiedend, "eine seltsame Kur, für die Sie allein die
Verantwortung tragen. Möchte der Erfolg zeigen, daß die Kühnheit Ihres
Handelns nicht zu groß war!" Er verbeugte sich dabei mit absichtsvoller Höf¬
lichkeit. -- Sie sah ihm fest in die Augen: "Sie tun gut daran, das zu wünschen,
hochgelehrter Herr, und des Himmels Gunst für das Gelingen meines Vor¬
habens zu erflehen! Denn wenn mein Kopf fällt, wird auch der Ihre nicht
mehr sicher auf seinen Schultern sitzen!"




Der König kam. Rosig und frisch, als sei sie nie krank gewesen, bot ihm
die Prinzesiin vor dem Tor des Landsitzes den Willkomm. Von Sonnenlicht
umflossen stund sie da, weit vor allen anderen Schloßbewohnern, als, von zwei
Schimmeln getragen, Heinrichs wappengeschmückte Sänfte nahte. Aus dem
kleinen ovalen Fenster streckte sich ihr eine breite Rechte im Stulphandschnh
entgegen, die sie -- streng nach der höfischen Etikette -- voller Demut und
Ehrerbietung küßte.

Der Sänfte entstiegen begrüßte Heinrich sein Kind mit einer flüchtigen
Aufwallung väterlicher Zärtlichkeit. Er mochte fühlen, daß seine gutgemeinte
derbe Umarmung dem Mädchen wenig behagte; ein Schatten flog über sein
Gesicht. "Schüchtern und zaghaft wie immer, daran erkenne ich meine Tochter!"
sagte er, sie auf die Wange tätschelnd; sein Lachen klang unaufrichtig, gezwungen.
Von feinem Gefolge begleitet, das unterdessen die Reitpferde den Knechten über¬
lassen hatte, schritt er dem festlich geschmückten Hause zu.

In der Säulenhalle schaute er sich suchend um. "Ah, Mistreß Ashley, ich
freue mich, die Hoheit unter Ihrer Leitung und Pflege gedeihen zu sehen. Sie
ist ein hübsches Kind geworden, seit ich sie zulltzt sah. Aber eines mißfällt mir:
sie wird mir zu scheu, zu duckmäuserig. Lassen Sie ihr Freiheit, lassen Sie
künftig Jagd und Reiten und Ballspiel mehr als Puppen und Bücher ihren
Zeitvertreib bilden. Unterricht braucht sie nicht; Kenntnisse und höfische Formen
mag sie sich später erwerben. Es gilt zuerst ihren Charakter zu bilden. Und
im Charakter sollen Heinrichs von England Töchter Männer sein!"

Mit dem Gefühl, seiner Vaterpflicht für lange Zeit vollauf genügt zu haben,
ließ sich Heinrich an diesem Tag zum festlichen Gelage nieder. Während seines
weiteren Aufenthalts zu Schloß Bisley begnügte er sich damit, die Dienerschaft
zuweilen nach dem Befinden der kleinen Hoheit zu fragen. Der Landsitz erlebte
drei laute, unruhige Tage, voll Jagdhörnerklang, Waffenlärm und Becherklirren.
Am Abend des dritten verließ der König mit dem ganzen Hofstaat Bisley Manort
ohne seine Tochter nochmals gesehen zu haben.


Elisabeth

doch, Mistreß Ashley, kommt der König? Erst morgen? — Nun, bis heute
Abend, bis heute Mittag schon wird die Krankheit ganz gewichen sein."

Dann trat er zu der Erzieherin, die noch immer unbeweglich am Fenster
stand. „Sie haben eine schnell wirkende aber gefährliche Kur versucht," sagte
er leise, sich von ihr verabschiedend, „eine seltsame Kur, für die Sie allein die
Verantwortung tragen. Möchte der Erfolg zeigen, daß die Kühnheit Ihres
Handelns nicht zu groß war!" Er verbeugte sich dabei mit absichtsvoller Höf¬
lichkeit. — Sie sah ihm fest in die Augen: „Sie tun gut daran, das zu wünschen,
hochgelehrter Herr, und des Himmels Gunst für das Gelingen meines Vor¬
habens zu erflehen! Denn wenn mein Kopf fällt, wird auch der Ihre nicht
mehr sicher auf seinen Schultern sitzen!"




Der König kam. Rosig und frisch, als sei sie nie krank gewesen, bot ihm
die Prinzesiin vor dem Tor des Landsitzes den Willkomm. Von Sonnenlicht
umflossen stund sie da, weit vor allen anderen Schloßbewohnern, als, von zwei
Schimmeln getragen, Heinrichs wappengeschmückte Sänfte nahte. Aus dem
kleinen ovalen Fenster streckte sich ihr eine breite Rechte im Stulphandschnh
entgegen, die sie — streng nach der höfischen Etikette — voller Demut und
Ehrerbietung küßte.

Der Sänfte entstiegen begrüßte Heinrich sein Kind mit einer flüchtigen
Aufwallung väterlicher Zärtlichkeit. Er mochte fühlen, daß seine gutgemeinte
derbe Umarmung dem Mädchen wenig behagte; ein Schatten flog über sein
Gesicht. „Schüchtern und zaghaft wie immer, daran erkenne ich meine Tochter!"
sagte er, sie auf die Wange tätschelnd; sein Lachen klang unaufrichtig, gezwungen.
Von feinem Gefolge begleitet, das unterdessen die Reitpferde den Knechten über¬
lassen hatte, schritt er dem festlich geschmückten Hause zu.

In der Säulenhalle schaute er sich suchend um. „Ah, Mistreß Ashley, ich
freue mich, die Hoheit unter Ihrer Leitung und Pflege gedeihen zu sehen. Sie
ist ein hübsches Kind geworden, seit ich sie zulltzt sah. Aber eines mißfällt mir:
sie wird mir zu scheu, zu duckmäuserig. Lassen Sie ihr Freiheit, lassen Sie
künftig Jagd und Reiten und Ballspiel mehr als Puppen und Bücher ihren
Zeitvertreib bilden. Unterricht braucht sie nicht; Kenntnisse und höfische Formen
mag sie sich später erwerben. Es gilt zuerst ihren Charakter zu bilden. Und
im Charakter sollen Heinrichs von England Töchter Männer sein!"

Mit dem Gefühl, seiner Vaterpflicht für lange Zeit vollauf genügt zu haben,
ließ sich Heinrich an diesem Tag zum festlichen Gelage nieder. Während seines
weiteren Aufenthalts zu Schloß Bisley begnügte er sich damit, die Dienerschaft
zuweilen nach dem Befinden der kleinen Hoheit zu fragen. Der Landsitz erlebte
drei laute, unruhige Tage, voll Jagdhörnerklang, Waffenlärm und Becherklirren.
Am Abend des dritten verließ der König mit dem ganzen Hofstaat Bisley Manort
ohne seine Tochter nochmals gesehen zu haben.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341897_326811/188>, abgerufen am 11.05.2024.