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Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Viertes Vierteljahr.

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Neue Lyrik
Mutier, liebe Mutter mein,
War deine Seele auch so müd?
Schau ich in mein Herz hinein,
Ist alles verblüht.
Meiner Träume Silberkähne
Fuhren weit hinaus aufs Meer,
Nun schick' ich die weißen Schwäne
Der Sehnsucht hinterher.
Sie kommen mit schwarzen Booten
An den Strand
Und bringen mir die toten
Wünsche aus dem Mädchenland.

Etwas schwerblütiger, aber nicht minder sympathisch mutete mich Will
Vespers "Liebesmesse" an (Verlag C. H. Beck'sche Buchhandlung, München). Auch
hier ist alles schlicht und wahr. Dieser stattliche Band birgt eine gute Ernte,
Weich gleiten die Verse dahin; viel scharf geschaute Bilder ziehen vorüber.
Gelegentlich störten mich freilich kleine Unebenheiten, z. B.:

Indessen vermögen sie den Genuß an diesen reifen, stillen Gedichten nicht
zu trüben. Sie gleichen einem freundlichen Idyll aus ländlicher Einsamkeit.
Liebe, Luft und Leid werden innig mit dem Wachsen und Vergehen der Natur
verweben. Und so ist dieses Buch ein Gefährte für ruhige, besinnliche Stunden.
Die große Dichtung "Die Liebesmesse", nach welcher das Buch seinen Titel
trägt, ist als musikalisches Chorwerk gedacht; sicherlich ist es trefflich zur Kom-
Position geeignet. Was ich dem Dichter wünsche, ist noch etwas mehr Gelöstheit,
mehr innere Leichtigkeit. Sollte ich ihn mit einem Tonkünstler vergleichen, so
würde ich an Brahms erinnern. Jedenfalls aber sei nochmals betont, daß in
diesem Versbande Ehrlichkeit. Wärme und Können eingeschlossen sind. Und das
gilt gewiß nicht wenig!

Bitter enttäuschten mich die "Neuen Verse" von Richard Schaukal (Georg
Müller, München). Früher dichtete Schaukal artistisch, wie man jetzt zu sagen
pflegt. Ihm haftete etwas Kapriziöses, selbstgefälliges an. Er interessierte,
wenn er auch nur selten zu erwärmen vermochte. Seine Sprachgewandtheit,
sein Einfühlen in fremde Zeiten und Zonen waren erstaunlich; in Übersetzungen
leistete er darum auch manches Unübertreffliche. Jetzt will er wahrscheinlich
innerlich, einfach sein und wirkt nur trocken, banal. Man wird als Munde
geboren! Was fruchten alle Versuche, es ihm gleich zu tun! Diese erstrebte
Schlichtheit eben verstimmt so in ihrer Unechtheit. Wie gewunden, nichtssagend
klingen etwa diese Verse:


Neue Lyrik
Mutier, liebe Mutter mein,
War deine Seele auch so müd?
Schau ich in mein Herz hinein,
Ist alles verblüht.
Meiner Träume Silberkähne
Fuhren weit hinaus aufs Meer,
Nun schick' ich die weißen Schwäne
Der Sehnsucht hinterher.
Sie kommen mit schwarzen Booten
An den Strand
Und bringen mir die toten
Wünsche aus dem Mädchenland.

Etwas schwerblütiger, aber nicht minder sympathisch mutete mich Will
Vespers „Liebesmesse" an (Verlag C. H. Beck'sche Buchhandlung, München). Auch
hier ist alles schlicht und wahr. Dieser stattliche Band birgt eine gute Ernte,
Weich gleiten die Verse dahin; viel scharf geschaute Bilder ziehen vorüber.
Gelegentlich störten mich freilich kleine Unebenheiten, z. B.:

Indessen vermögen sie den Genuß an diesen reifen, stillen Gedichten nicht
zu trüben. Sie gleichen einem freundlichen Idyll aus ländlicher Einsamkeit.
Liebe, Luft und Leid werden innig mit dem Wachsen und Vergehen der Natur
verweben. Und so ist dieses Buch ein Gefährte für ruhige, besinnliche Stunden.
Die große Dichtung „Die Liebesmesse", nach welcher das Buch seinen Titel
trägt, ist als musikalisches Chorwerk gedacht; sicherlich ist es trefflich zur Kom-
Position geeignet. Was ich dem Dichter wünsche, ist noch etwas mehr Gelöstheit,
mehr innere Leichtigkeit. Sollte ich ihn mit einem Tonkünstler vergleichen, so
würde ich an Brahms erinnern. Jedenfalls aber sei nochmals betont, daß in
diesem Versbande Ehrlichkeit. Wärme und Können eingeschlossen sind. Und das
gilt gewiß nicht wenig!

Bitter enttäuschten mich die „Neuen Verse" von Richard Schaukal (Georg
Müller, München). Früher dichtete Schaukal artistisch, wie man jetzt zu sagen
pflegt. Ihm haftete etwas Kapriziöses, selbstgefälliges an. Er interessierte,
wenn er auch nur selten zu erwärmen vermochte. Seine Sprachgewandtheit,
sein Einfühlen in fremde Zeiten und Zonen waren erstaunlich; in Übersetzungen
leistete er darum auch manches Unübertreffliche. Jetzt will er wahrscheinlich
innerlich, einfach sein und wirkt nur trocken, banal. Man wird als Munde
geboren! Was fruchten alle Versuche, es ihm gleich zu tun! Diese erstrebte
Schlichtheit eben verstimmt so in ihrer Unechtheit. Wie gewunden, nichtssagend
klingen etwa diese Verse:


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[0389] Neue Lyrik Mutier, liebe Mutter mein, War deine Seele auch so müd? Schau ich in mein Herz hinein, Ist alles verblüht. Meiner Träume Silberkähne Fuhren weit hinaus aufs Meer, Nun schick' ich die weißen Schwäne Der Sehnsucht hinterher. Sie kommen mit schwarzen Booten An den Strand Und bringen mir die toten Wünsche aus dem Mädchenland. Etwas schwerblütiger, aber nicht minder sympathisch mutete mich Will Vespers „Liebesmesse" an (Verlag C. H. Beck'sche Buchhandlung, München). Auch hier ist alles schlicht und wahr. Dieser stattliche Band birgt eine gute Ernte, Weich gleiten die Verse dahin; viel scharf geschaute Bilder ziehen vorüber. Gelegentlich störten mich freilich kleine Unebenheiten, z. B.: Indessen vermögen sie den Genuß an diesen reifen, stillen Gedichten nicht zu trüben. Sie gleichen einem freundlichen Idyll aus ländlicher Einsamkeit. Liebe, Luft und Leid werden innig mit dem Wachsen und Vergehen der Natur verweben. Und so ist dieses Buch ein Gefährte für ruhige, besinnliche Stunden. Die große Dichtung „Die Liebesmesse", nach welcher das Buch seinen Titel trägt, ist als musikalisches Chorwerk gedacht; sicherlich ist es trefflich zur Kom- Position geeignet. Was ich dem Dichter wünsche, ist noch etwas mehr Gelöstheit, mehr innere Leichtigkeit. Sollte ich ihn mit einem Tonkünstler vergleichen, so würde ich an Brahms erinnern. Jedenfalls aber sei nochmals betont, daß in diesem Versbande Ehrlichkeit. Wärme und Können eingeschlossen sind. Und das gilt gewiß nicht wenig! Bitter enttäuschten mich die „Neuen Verse" von Richard Schaukal (Georg Müller, München). Früher dichtete Schaukal artistisch, wie man jetzt zu sagen pflegt. Ihm haftete etwas Kapriziöses, selbstgefälliges an. Er interessierte, wenn er auch nur selten zu erwärmen vermochte. Seine Sprachgewandtheit, sein Einfühlen in fremde Zeiten und Zonen waren erstaunlich; in Übersetzungen leistete er darum auch manches Unübertreffliche. Jetzt will er wahrscheinlich innerlich, einfach sein und wirkt nur trocken, banal. Man wird als Munde geboren! Was fruchten alle Versuche, es ihm gleich zu tun! Diese erstrebte Schlichtheit eben verstimmt so in ihrer Unechtheit. Wie gewunden, nichtssagend klingen etwa diese Verse:

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341897_326811/389>, abgerufen am 11.05.2024.