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Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Viertes Vierteljahr.

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"Lesen, Besen, selbs gewesen!"

Ich muß mir hier versagen, Ihnen einige Stichproben zu geben, wie weit
die Urteile über ein und dasselbe Handwerk -- auch von feiten solcher an¬
geblich Berufener -- auseinandergehen können. Eben darum ist das erwähnte
Schielen so verderblich. Und glücklich noch, wenn der Glaube an irgendeine
solche Autorität das Streben des jungen Künstlers leitet, und nicht etwa der
Blick auf Erfolge eines reklametüchtigen oder von mächtigen Kunsthandelsfingern
geschobenen Genossen.

Reklame, Sensation, Suggestion! Drei Worte, im Klang so undeutsch
wie im Begriff! Drei Mächte, die mitwirkten, daß die Revolution, deren Ursachen
und Verlauf Sie historisch beleuchtet wünschen, soviel einschneidender wirkte,
als frühere, die sich mehr aus reinen Überzeugungen ohne Spekulation, ohne
Einmischung breiter Öffentlichkeit vollzogen.

Als der erste Keil in die bisherige Genieinsamkeit des Künstlerlebens in
München getrieben wurde, pflegte ein -- sonst wirklich berufener -- Kunst¬
referent einen Teil der ausstellenden Maler regelmäßig mit dem Wort ab¬
zutun: "er hat uns nichts Neues zu sagen!" Ein solcher Standpunkt muß die
Kunst unter das Joch der Mode beugen. Wie, wenn nun ein Künstler nur
auf einem Gebiet sein Allerbestes? zu geben vermag, und sich darum weise
auf dieses beschränkt -- verliert er damit den Anteil? Neues zu sagen, ist
Beruf und Ehrgeiz des Zeitungsmannes, wohl ihm, vermag er es, dem Reiz,
der Sensationssucht der Menge zu dienen, tapfer zu widerstehen! Die Kunst
soll mit Sensation nichts zu schaffen haben, so sensibel der Künstler sein
muß. Wiederum, weil er das muß, verfällt er so leicht der Suggestion, die
das gedruckte Wort ausübt. Das zur Befreiung geschaffene, kann der gewaltigste
Despot werden. Solche Machthaber brauchen deshalb das tiefste Wissen und
das höchste Verantwortlichkeitsgefühl.

Nun hat freilich jede Macht ihre Grenzen. Den durchaus gesunden Sinnen
vermag nichts im Leben Häßliches als Schönheit aufzuschwatzen; aber dekadente
Gesellschaft kann Morbidezza als Zeichen von Kulturverfeinerung ausgeben, und
es braucht Mut, sich dann zum Gesunden zu bekennen. Die drei undeutschen
Mächte scheinen wohl die Zeit zu beherrschen, in das Innerste des deutschen
Gemütslebens reicht ihre Gewalt doch nie. In das Heimliche, Heilig-Junige,
den Urgrund, der den einen Religion, den anderen Poesie heißt.

Daß, wie unser Rückblick zeigt, weder Grund noch Zwang zu der letzten
Kunstrevolution vorhanden war, und das Gute, das ihr zu verdanken ist, auch
Evolution gebracht hätte, beweist das Kunstleben einiger von ihr wenig oder gar
nicht berührter Länder, so Holland, England. Es ist einer der gedankenlosesten
Gemeinplätze: es sei immer so gewesen, die Jungen hätten die Alten erschlagen.
Wer nicht an Goethes Filiation glaubt, mag ihr Recht aus mancher Künstler¬
biographie früherer Zeit erkennen. Schüler, den Meistern lebenslang dankbar.
Dies Evolutionsverlauf. Revolution freilich^anders: dort frißtDer gemeine.Berg'
immer die edlere ,Gironde'. Das erfuhr kürzlich unser anfangs erwähnte Neues-


„Lesen, Besen, selbs gewesen!"

Ich muß mir hier versagen, Ihnen einige Stichproben zu geben, wie weit
die Urteile über ein und dasselbe Handwerk — auch von feiten solcher an¬
geblich Berufener — auseinandergehen können. Eben darum ist das erwähnte
Schielen so verderblich. Und glücklich noch, wenn der Glaube an irgendeine
solche Autorität das Streben des jungen Künstlers leitet, und nicht etwa der
Blick auf Erfolge eines reklametüchtigen oder von mächtigen Kunsthandelsfingern
geschobenen Genossen.

Reklame, Sensation, Suggestion! Drei Worte, im Klang so undeutsch
wie im Begriff! Drei Mächte, die mitwirkten, daß die Revolution, deren Ursachen
und Verlauf Sie historisch beleuchtet wünschen, soviel einschneidender wirkte,
als frühere, die sich mehr aus reinen Überzeugungen ohne Spekulation, ohne
Einmischung breiter Öffentlichkeit vollzogen.

Als der erste Keil in die bisherige Genieinsamkeit des Künstlerlebens in
München getrieben wurde, pflegte ein — sonst wirklich berufener — Kunst¬
referent einen Teil der ausstellenden Maler regelmäßig mit dem Wort ab¬
zutun: „er hat uns nichts Neues zu sagen!" Ein solcher Standpunkt muß die
Kunst unter das Joch der Mode beugen. Wie, wenn nun ein Künstler nur
auf einem Gebiet sein Allerbestes? zu geben vermag, und sich darum weise
auf dieses beschränkt — verliert er damit den Anteil? Neues zu sagen, ist
Beruf und Ehrgeiz des Zeitungsmannes, wohl ihm, vermag er es, dem Reiz,
der Sensationssucht der Menge zu dienen, tapfer zu widerstehen! Die Kunst
soll mit Sensation nichts zu schaffen haben, so sensibel der Künstler sein
muß. Wiederum, weil er das muß, verfällt er so leicht der Suggestion, die
das gedruckte Wort ausübt. Das zur Befreiung geschaffene, kann der gewaltigste
Despot werden. Solche Machthaber brauchen deshalb das tiefste Wissen und
das höchste Verantwortlichkeitsgefühl.

Nun hat freilich jede Macht ihre Grenzen. Den durchaus gesunden Sinnen
vermag nichts im Leben Häßliches als Schönheit aufzuschwatzen; aber dekadente
Gesellschaft kann Morbidezza als Zeichen von Kulturverfeinerung ausgeben, und
es braucht Mut, sich dann zum Gesunden zu bekennen. Die drei undeutschen
Mächte scheinen wohl die Zeit zu beherrschen, in das Innerste des deutschen
Gemütslebens reicht ihre Gewalt doch nie. In das Heimliche, Heilig-Junige,
den Urgrund, der den einen Religion, den anderen Poesie heißt.

Daß, wie unser Rückblick zeigt, weder Grund noch Zwang zu der letzten
Kunstrevolution vorhanden war, und das Gute, das ihr zu verdanken ist, auch
Evolution gebracht hätte, beweist das Kunstleben einiger von ihr wenig oder gar
nicht berührter Länder, so Holland, England. Es ist einer der gedankenlosesten
Gemeinplätze: es sei immer so gewesen, die Jungen hätten die Alten erschlagen.
Wer nicht an Goethes Filiation glaubt, mag ihr Recht aus mancher Künstler¬
biographie früherer Zeit erkennen. Schüler, den Meistern lebenslang dankbar.
Dies Evolutionsverlauf. Revolution freilich^anders: dort frißtDer gemeine.Berg'
immer die edlere ,Gironde'. Das erfuhr kürzlich unser anfangs erwähnte Neues-


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[0436] „Lesen, Besen, selbs gewesen!" Ich muß mir hier versagen, Ihnen einige Stichproben zu geben, wie weit die Urteile über ein und dasselbe Handwerk — auch von feiten solcher an¬ geblich Berufener — auseinandergehen können. Eben darum ist das erwähnte Schielen so verderblich. Und glücklich noch, wenn der Glaube an irgendeine solche Autorität das Streben des jungen Künstlers leitet, und nicht etwa der Blick auf Erfolge eines reklametüchtigen oder von mächtigen Kunsthandelsfingern geschobenen Genossen. Reklame, Sensation, Suggestion! Drei Worte, im Klang so undeutsch wie im Begriff! Drei Mächte, die mitwirkten, daß die Revolution, deren Ursachen und Verlauf Sie historisch beleuchtet wünschen, soviel einschneidender wirkte, als frühere, die sich mehr aus reinen Überzeugungen ohne Spekulation, ohne Einmischung breiter Öffentlichkeit vollzogen. Als der erste Keil in die bisherige Genieinsamkeit des Künstlerlebens in München getrieben wurde, pflegte ein — sonst wirklich berufener — Kunst¬ referent einen Teil der ausstellenden Maler regelmäßig mit dem Wort ab¬ zutun: „er hat uns nichts Neues zu sagen!" Ein solcher Standpunkt muß die Kunst unter das Joch der Mode beugen. Wie, wenn nun ein Künstler nur auf einem Gebiet sein Allerbestes? zu geben vermag, und sich darum weise auf dieses beschränkt — verliert er damit den Anteil? Neues zu sagen, ist Beruf und Ehrgeiz des Zeitungsmannes, wohl ihm, vermag er es, dem Reiz, der Sensationssucht der Menge zu dienen, tapfer zu widerstehen! Die Kunst soll mit Sensation nichts zu schaffen haben, so sensibel der Künstler sein muß. Wiederum, weil er das muß, verfällt er so leicht der Suggestion, die das gedruckte Wort ausübt. Das zur Befreiung geschaffene, kann der gewaltigste Despot werden. Solche Machthaber brauchen deshalb das tiefste Wissen und das höchste Verantwortlichkeitsgefühl. Nun hat freilich jede Macht ihre Grenzen. Den durchaus gesunden Sinnen vermag nichts im Leben Häßliches als Schönheit aufzuschwatzen; aber dekadente Gesellschaft kann Morbidezza als Zeichen von Kulturverfeinerung ausgeben, und es braucht Mut, sich dann zum Gesunden zu bekennen. Die drei undeutschen Mächte scheinen wohl die Zeit zu beherrschen, in das Innerste des deutschen Gemütslebens reicht ihre Gewalt doch nie. In das Heimliche, Heilig-Junige, den Urgrund, der den einen Religion, den anderen Poesie heißt. Daß, wie unser Rückblick zeigt, weder Grund noch Zwang zu der letzten Kunstrevolution vorhanden war, und das Gute, das ihr zu verdanken ist, auch Evolution gebracht hätte, beweist das Kunstleben einiger von ihr wenig oder gar nicht berührter Länder, so Holland, England. Es ist einer der gedankenlosesten Gemeinplätze: es sei immer so gewesen, die Jungen hätten die Alten erschlagen. Wer nicht an Goethes Filiation glaubt, mag ihr Recht aus mancher Künstler¬ biographie früherer Zeit erkennen. Schüler, den Meistern lebenslang dankbar. Dies Evolutionsverlauf. Revolution freilich^anders: dort frißtDer gemeine.Berg' immer die edlere ,Gironde'. Das erfuhr kürzlich unser anfangs erwähnte Neues-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341897_326811/436>, abgerufen am 14.05.2024.