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Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Viertes Vierteljahr.

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Maßgebliches und Unmaßgebliches

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zu können vermeint --; und befriedigt sie
doch den über die Erfahrung hinausstreben¬
den Philosophischen Trieb durch die gesteigerte
Stimmung, in die sie versetzt, am unmittel¬
barsten!

So muß die wissenschaftliche Philosophie,
die in ihrer Grundlage und Methode eben
solchem Glänze gegenüber besonders grau
und spröde anmutet, will sie die Gunst der
philosophischen Zeitstimmung sich zuwenden,
auf Mittel sinnen, die auch ihr eine stärkere
Anziehungskraft verleihen. Dergleichen aber
braucht sie nicht weit zu suchen: sie darf nur
von einer Betrachtungsweise ausgehen, die in
ihrer Anwendung seit Hegel zu einem Teil
der Philosophie selbst geworden ist: von der
geschichtlichen. Die Geschichte der Philosophie
ist in der Tat imstande, den Reiz des Histo¬
rischen, der aus der Betrachtung menschheit¬
lich bedeutsamer konkreter Gestaltungen und
ihrer Entwicklung aus einander entspringt,
mit dem Werte strenger Wissenschaftlichkeit zu
vereinigen. So kann sich die wissenschaftliche
Philosophie der geschichtlichen Einführung mit
Erfolg bedienen, ja, sie selbst sogar wird
durch die Berücksichtigung ihrer Geschichte be¬
reichert und fruchtbarer gemacht. Auch ihre
Überzeugungskraft wird bei wahrhaft Philo¬
sophischer Behandlung der Geschichte der
Philosophie noch erhöht dadurch, daß einer¬
seits Ansätze zu ihrer eigenen geklärteren An¬
sicht in den historisch vorliegenden Systemen
von Philosophen, anderseits Vermischungen
jener Ansätze mit fremdartigen -- oft sehr
interessanten, aber der Kritik nicht standhal¬
tenden -- Gedanken aufgewiesen werden;
daraus ergibt sich die ideelle Notwendigkeit,
von diesen Systemen weiterzuschreiten --
eine Notwendigkeit, der die Geschichte des
menschlichen Geistes auf ihrem ver¬
wickelten Wege, wenigstens in großen
Zügen, Gehorsam geleistet hat. In dieser
langen, vielgestaltigen Entwicklungsreihe der
Geschichte der Philosophie, die sich über zwei¬
einhalb Jahrtausende erstreckt, entfalten sich
nun auch in ihrem ganzen Reichtum Ideen,
die dem metaphysischen Bedürfnis entsprungen
sind; sie wechseln ab oder mischen sich mit
den Gedanken, welche das Streben nach
Wissenschaftlichkeit der Philosophie hervor¬
bringt. Vom Standpunkt der kritischen Phi¬

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losophie entsteht dann aber die Aufgabe, die
wissenschaftlichen Bestandteile vorzüglich zur
Geltung zu bringen; sie hat zu zeigen, wie
diese sich durch die vielfarbigen Gewebe der
Philosophischen Systeme hindurchschlingen, an¬
fangs zumeist nur matt hervorschimmernd,
dann aber mit immer leuchtenderer Deutlich¬
keit sich aus ihnen heraushebend.

Das von E. Von Aster herausgegebene
vornehm ausgestattete -- nur zuweilen an
Druckfehlern überreiche -- Werk "Große
Denker" (Verlag Quelle u. Meyer, Leipzig)
ist unter entsprechenden Gesichtspunkten zu
beurteilen. Den Zweck, dem philosophi¬
schen Interesse unserer Zeit anreizende und
doch gediegene Nahrung zu geben, die den
Wunsch und die Fähigkeit verleihe, tiefer in
die bewegenden Probleme der Philosophie
einzudringen, sucht es durch Darstellungen
aus der Philosophiegeschichte zu erreichen.
Doch will es nicht die gesamte Reihe der
gedanklichen Gestaltungen vorführen, die in
der systematischen philosophiegeschichtlichen
Wissenschaft in stetiger Folge, eine auf die
andere hinweisend, aneinandergekettet wer¬
den, -- eine Form der Belehrung, die an¬
gestrengtere Sammlung und Beharrlichkeit
des Studiums beansprucht --; vielmehr löst
sie die überragenden Gestalten heraus (oder
wenn man will: stellt sie wieder her) und
betrachtet sie jede wesentlich für sich und als
rü sich sinnvolle Erscheinungen, gleich Kunst¬
werken, denen ja in der Tat die Systeme
vieler großer Philosophen gleichen. Nur in
einzelnen Fällen wird von dieser BeHand¬
lungsweise, auf Grund deren den Gesamt¬
leistungen der einzelnen philosophischen Denker
gesonderte Darstellungen zuteil werden, zur
eigentlich philosophiegeschichtlichen Form zu¬
rückgegangen -- aus verständlichen Motiven.
So kann es vornehmlich gebilligt werden,
daß die griechischen Philosophen vor Sokrntes
in zusammenhängender Reihe vorgeführt
werden. Zwar ist unter ihnen gewiß kein
Mangel an solchen, die in ihrer lapidaren
Größe höchst packende Bilder in eigenem
Rahmen abgeben würden; indessen bietet
gerade die Aufeinanderfolge der Grund¬
gedanken dieser ersten Philosophen ein viel
bewundertes, wie zur Einführung in die
Philosophie erdachtes, folgerichtiges Fort-

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Maßgebliches und Unmaßgebliches

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zu können vermeint —; und befriedigt sie
doch den über die Erfahrung hinausstreben¬
den Philosophischen Trieb durch die gesteigerte
Stimmung, in die sie versetzt, am unmittel¬
barsten!

So muß die wissenschaftliche Philosophie,
die in ihrer Grundlage und Methode eben
solchem Glänze gegenüber besonders grau
und spröde anmutet, will sie die Gunst der
philosophischen Zeitstimmung sich zuwenden,
auf Mittel sinnen, die auch ihr eine stärkere
Anziehungskraft verleihen. Dergleichen aber
braucht sie nicht weit zu suchen: sie darf nur
von einer Betrachtungsweise ausgehen, die in
ihrer Anwendung seit Hegel zu einem Teil
der Philosophie selbst geworden ist: von der
geschichtlichen. Die Geschichte der Philosophie
ist in der Tat imstande, den Reiz des Histo¬
rischen, der aus der Betrachtung menschheit¬
lich bedeutsamer konkreter Gestaltungen und
ihrer Entwicklung aus einander entspringt,
mit dem Werte strenger Wissenschaftlichkeit zu
vereinigen. So kann sich die wissenschaftliche
Philosophie der geschichtlichen Einführung mit
Erfolg bedienen, ja, sie selbst sogar wird
durch die Berücksichtigung ihrer Geschichte be¬
reichert und fruchtbarer gemacht. Auch ihre
Überzeugungskraft wird bei wahrhaft Philo¬
sophischer Behandlung der Geschichte der
Philosophie noch erhöht dadurch, daß einer¬
seits Ansätze zu ihrer eigenen geklärteren An¬
sicht in den historisch vorliegenden Systemen
von Philosophen, anderseits Vermischungen
jener Ansätze mit fremdartigen — oft sehr
interessanten, aber der Kritik nicht standhal¬
tenden — Gedanken aufgewiesen werden;
daraus ergibt sich die ideelle Notwendigkeit,
von diesen Systemen weiterzuschreiten —
eine Notwendigkeit, der die Geschichte des
menschlichen Geistes auf ihrem ver¬
wickelten Wege, wenigstens in großen
Zügen, Gehorsam geleistet hat. In dieser
langen, vielgestaltigen Entwicklungsreihe der
Geschichte der Philosophie, die sich über zwei¬
einhalb Jahrtausende erstreckt, entfalten sich
nun auch in ihrem ganzen Reichtum Ideen,
die dem metaphysischen Bedürfnis entsprungen
sind; sie wechseln ab oder mischen sich mit
den Gedanken, welche das Streben nach
Wissenschaftlichkeit der Philosophie hervor¬
bringt. Vom Standpunkt der kritischen Phi¬

[Spaltenumbruch]

losophie entsteht dann aber die Aufgabe, die
wissenschaftlichen Bestandteile vorzüglich zur
Geltung zu bringen; sie hat zu zeigen, wie
diese sich durch die vielfarbigen Gewebe der
Philosophischen Systeme hindurchschlingen, an¬
fangs zumeist nur matt hervorschimmernd,
dann aber mit immer leuchtenderer Deutlich¬
keit sich aus ihnen heraushebend.

Das von E. Von Aster herausgegebene
vornehm ausgestattete — nur zuweilen an
Druckfehlern überreiche — Werk „Große
Denker" (Verlag Quelle u. Meyer, Leipzig)
ist unter entsprechenden Gesichtspunkten zu
beurteilen. Den Zweck, dem philosophi¬
schen Interesse unserer Zeit anreizende und
doch gediegene Nahrung zu geben, die den
Wunsch und die Fähigkeit verleihe, tiefer in
die bewegenden Probleme der Philosophie
einzudringen, sucht es durch Darstellungen
aus der Philosophiegeschichte zu erreichen.
Doch will es nicht die gesamte Reihe der
gedanklichen Gestaltungen vorführen, die in
der systematischen philosophiegeschichtlichen
Wissenschaft in stetiger Folge, eine auf die
andere hinweisend, aneinandergekettet wer¬
den, — eine Form der Belehrung, die an¬
gestrengtere Sammlung und Beharrlichkeit
des Studiums beansprucht —; vielmehr löst
sie die überragenden Gestalten heraus (oder
wenn man will: stellt sie wieder her) und
betrachtet sie jede wesentlich für sich und als
rü sich sinnvolle Erscheinungen, gleich Kunst¬
werken, denen ja in der Tat die Systeme
vieler großer Philosophen gleichen. Nur in
einzelnen Fällen wird von dieser BeHand¬
lungsweise, auf Grund deren den Gesamt¬
leistungen der einzelnen philosophischen Denker
gesonderte Darstellungen zuteil werden, zur
eigentlich philosophiegeschichtlichen Form zu¬
rückgegangen — aus verständlichen Motiven.
So kann es vornehmlich gebilligt werden,
daß die griechischen Philosophen vor Sokrntes
in zusammenhängender Reihe vorgeführt
werden. Zwar ist unter ihnen gewiß kein
Mangel an solchen, die in ihrer lapidaren
Größe höchst packende Bilder in eigenem
Rahmen abgeben würden; indessen bietet
gerade die Aufeinanderfolge der Grund¬
gedanken dieser ersten Philosophen ein viel
bewundertes, wie zur Einführung in die
Philosophie erdachtes, folgerichtiges Fort-

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[0486] Maßgebliches und Unmaßgebliches zu können vermeint —; und befriedigt sie doch den über die Erfahrung hinausstreben¬ den Philosophischen Trieb durch die gesteigerte Stimmung, in die sie versetzt, am unmittel¬ barsten! So muß die wissenschaftliche Philosophie, die in ihrer Grundlage und Methode eben solchem Glänze gegenüber besonders grau und spröde anmutet, will sie die Gunst der philosophischen Zeitstimmung sich zuwenden, auf Mittel sinnen, die auch ihr eine stärkere Anziehungskraft verleihen. Dergleichen aber braucht sie nicht weit zu suchen: sie darf nur von einer Betrachtungsweise ausgehen, die in ihrer Anwendung seit Hegel zu einem Teil der Philosophie selbst geworden ist: von der geschichtlichen. Die Geschichte der Philosophie ist in der Tat imstande, den Reiz des Histo¬ rischen, der aus der Betrachtung menschheit¬ lich bedeutsamer konkreter Gestaltungen und ihrer Entwicklung aus einander entspringt, mit dem Werte strenger Wissenschaftlichkeit zu vereinigen. So kann sich die wissenschaftliche Philosophie der geschichtlichen Einführung mit Erfolg bedienen, ja, sie selbst sogar wird durch die Berücksichtigung ihrer Geschichte be¬ reichert und fruchtbarer gemacht. Auch ihre Überzeugungskraft wird bei wahrhaft Philo¬ sophischer Behandlung der Geschichte der Philosophie noch erhöht dadurch, daß einer¬ seits Ansätze zu ihrer eigenen geklärteren An¬ sicht in den historisch vorliegenden Systemen von Philosophen, anderseits Vermischungen jener Ansätze mit fremdartigen — oft sehr interessanten, aber der Kritik nicht standhal¬ tenden — Gedanken aufgewiesen werden; daraus ergibt sich die ideelle Notwendigkeit, von diesen Systemen weiterzuschreiten — eine Notwendigkeit, der die Geschichte des menschlichen Geistes auf ihrem ver¬ wickelten Wege, wenigstens in großen Zügen, Gehorsam geleistet hat. In dieser langen, vielgestaltigen Entwicklungsreihe der Geschichte der Philosophie, die sich über zwei¬ einhalb Jahrtausende erstreckt, entfalten sich nun auch in ihrem ganzen Reichtum Ideen, die dem metaphysischen Bedürfnis entsprungen sind; sie wechseln ab oder mischen sich mit den Gedanken, welche das Streben nach Wissenschaftlichkeit der Philosophie hervor¬ bringt. Vom Standpunkt der kritischen Phi¬ losophie entsteht dann aber die Aufgabe, die wissenschaftlichen Bestandteile vorzüglich zur Geltung zu bringen; sie hat zu zeigen, wie diese sich durch die vielfarbigen Gewebe der Philosophischen Systeme hindurchschlingen, an¬ fangs zumeist nur matt hervorschimmernd, dann aber mit immer leuchtenderer Deutlich¬ keit sich aus ihnen heraushebend. Das von E. Von Aster herausgegebene vornehm ausgestattete — nur zuweilen an Druckfehlern überreiche — Werk „Große Denker" (Verlag Quelle u. Meyer, Leipzig) ist unter entsprechenden Gesichtspunkten zu beurteilen. Den Zweck, dem philosophi¬ schen Interesse unserer Zeit anreizende und doch gediegene Nahrung zu geben, die den Wunsch und die Fähigkeit verleihe, tiefer in die bewegenden Probleme der Philosophie einzudringen, sucht es durch Darstellungen aus der Philosophiegeschichte zu erreichen. Doch will es nicht die gesamte Reihe der gedanklichen Gestaltungen vorführen, die in der systematischen philosophiegeschichtlichen Wissenschaft in stetiger Folge, eine auf die andere hinweisend, aneinandergekettet wer¬ den, — eine Form der Belehrung, die an¬ gestrengtere Sammlung und Beharrlichkeit des Studiums beansprucht —; vielmehr löst sie die überragenden Gestalten heraus (oder wenn man will: stellt sie wieder her) und betrachtet sie jede wesentlich für sich und als rü sich sinnvolle Erscheinungen, gleich Kunst¬ werken, denen ja in der Tat die Systeme vieler großer Philosophen gleichen. Nur in einzelnen Fällen wird von dieser BeHand¬ lungsweise, auf Grund deren den Gesamt¬ leistungen der einzelnen philosophischen Denker gesonderte Darstellungen zuteil werden, zur eigentlich philosophiegeschichtlichen Form zu¬ rückgegangen — aus verständlichen Motiven. So kann es vornehmlich gebilligt werden, daß die griechischen Philosophen vor Sokrntes in zusammenhängender Reihe vorgeführt werden. Zwar ist unter ihnen gewiß kein Mangel an solchen, die in ihrer lapidaren Größe höchst packende Bilder in eigenem Rahmen abgeben würden; indessen bietet gerade die Aufeinanderfolge der Grund¬ gedanken dieser ersten Philosophen ein viel bewundertes, wie zur Einführung in die Philosophie erdachtes, folgerichtiges Fort-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341897_326811/486>, abgerufen am 12.05.2024.