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Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Viertes Vierteljahr.

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Maßgebliches und Unmaßgebliches

[Beginn Spaltensatz]

fein und anmutig aber fühlt sich Oeser in
Burne Jones Farbendichtung ein. Hier steht
auch die hübsche Definition des Begriffes der
Schönheit, die zugleich Oesers künstlerischen
Standpunkt deutlich kennzeichnet: "Werke von
mächtigem Anteilsinhalte, der so reich ist, daß
er auch uns noch ausfüllen kann, nennen wir
.schön'. Dies geheimnisvolle, unbegründbare,
undefinierbare Urteil .schön' bedeutet im
Munde des Empfangenden die Liebe des Be¬
siegten zum Sieger, die stumme, beglückte
Kberwundenheit einer Seele durch eine andere
Seele, die als Waffe für diesen Sieg ein Lied,
eine Komposition, ein Bild, eine Statue, ein
Haus, ja auch ein Haus, wenn es nur in
jeder Form das Symbol edler Häuslichkeit
oder das Symbol der Anbetung, der edlen
Freude war, benutzt hat." Das Bedeutendste
gibt Oeser in seiner ausführlichen Studie
Maeterlincks, mit dessen Schaffen er sich aufs
innigste vertraut gemacht hat. Entgegen der
Anschauung mancher Beurteiler, die ini Werk
des Flamen die mystischen und ethischen
Elemente scheiden wollen, zeigt Oeser an
vielen Beispielen, wie beides sich aufs Voll¬
kommenste ergänzt und ineinander übergeht
Die späteren Werke, beginnend mit dem "Be¬
grabenen Tempel" sind kein bewußtes Sich¬
abwenden von einst gestellten Fragen an
das Schicksal. Jene suchen nun schon klare
Antwort zu geben und lösen denn auch
befriedigend genug diese oder jene Frage, an
der sich sonst der blinde Intellekt manch un¬
schuldigen Menschenkindes tötlich verwundet
hat. Uns nicht voll erkennbar, "denn wir
zählen nur kurze Tage", weist Oeser in Maeter¬
lincks Weltanschauung als oberstes Gesetz die
Gerechtigkeit nach. Spuren ihres Wirkens
finden sich schon in unserm vegrenzten Dasein.
Denn "im Gemüte des Menschen, der eine
Ungerechtigkeit begeht, spielt sich ein unver¬
gleichliches Drama ab. Jede Ungerechtigkeit
erschüttert das Vertrauen, das ein Wesen in
sich und sein Schicksal setzt. Es hat zu einer
gegebenen Zeit, gewöhnlich in seiner ernstesten
Stunde, darauf verzichtet, nur auf sich selbst
zu bauen." Auf diesem Fundament erhebt
sich in klaren sicheren Linien die Forderung
zur Selbsterziehung, die gleichzeitig Erziehung
zur Güte gegen den Nächsten und damit
Borbedingung für der Erdenwelt Wandlung

[Spaltenumbruch]

zum Besseren ist. Dies Ziel schwebt ja allen
vor, die über den Sinn des Lebens nach¬
grübeln, und mannigfaltig sind die Wege, die
den einzelnen Denkern gangbar erscheinen.
Scharf definiert sind sie in Björnsons Werk,
dem ein "Spiegelungen der Christenheit bei
Björnson" betitelter Abschnitt gewidmet ist,
wunderlich verworren bei Eduard Douwes
Vetter, der sich den Dichternamen Multatuli
gab, das ist: "ich habe viel getragen." Wahr¬
lich haben unter den Wahrheitsuchern zu Recht
auch diejenigen ihren Platz, die Irrwege
gingen. DaS Flackerlicht ihres Geistes be¬
leuchtet grell die Antinomien des Lebens und
erschließt Dunkelheiten, an denen der Fuß der
Leidenschaftslosen in Sicherheit vorübergeht.
Menschen wie Multatuli wird selbst ihr Herz¬
schlag zur Melodie der Ruhelosigkeit und wir
können kaum glauben, daß dem Asyl seiner
letzten Lebensjahre, dem stillen Landhäuschen
am Mittelrhein, die Stürme von einst ganz
ferngeblieben sind.

Wer sich einwiegen lassen will in den
Abendfrieden eines ausruhenden Menschen¬
lebens, der greife zuW i l h e I in S t e i n h a u s e n s
feinem stillem Buche "Aus meinem Leben"
(Martin Warneck, Berlin). Nicht eine fest-
umrissene, streng an die Erlebnisfolge ge¬
bundene Lebensbeschreibung gibt der Maler¬
poet in diesen Blättern, sondern lose anein¬
andergereiht Erinnerungen und Betrachtungen,
wie die Stunden des Ausruhens sie bringen
und verflattern lassen. Hier sind sie in der
weichen Frische ihres Auftauchens festgehalten
und irgendwie scheint, ob auch hier nur der
Erzähler und Dichter zu uns reden will,
die Farbensprache seiner Bilder immer gegen¬
wärtig wie eine leise begleitende Melodie
-- besonders jener Landschaften, wo beim
Verglimmen der letzten Sonnenstrahlen Wolken
und Winde ruhen. "Tagebuchblätter" hat
der Künstler eine Reihe dieser Bildchen
genannt, die im Städel in Frankfurt stim¬
mungsvoll in einem Sonderkabinett vereint
sind. Auch dies Buch schmücken einige solcher
verträumten Landschaften, so daß ein mit
Steinhausens Kunst unbekannter Leser genug
von der Art seiner Bilder erfährt, um die
Harmonie dieses Charakters zu begreifen.
Das Mißbehagen, das ihm so manche Aus¬
wüchse der modernen Richtung verursachen,

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Maßgebliches und Unmaßgebliches

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fein und anmutig aber fühlt sich Oeser in
Burne Jones Farbendichtung ein. Hier steht
auch die hübsche Definition des Begriffes der
Schönheit, die zugleich Oesers künstlerischen
Standpunkt deutlich kennzeichnet: „Werke von
mächtigem Anteilsinhalte, der so reich ist, daß
er auch uns noch ausfüllen kann, nennen wir
.schön'. Dies geheimnisvolle, unbegründbare,
undefinierbare Urteil .schön' bedeutet im
Munde des Empfangenden die Liebe des Be¬
siegten zum Sieger, die stumme, beglückte
Kberwundenheit einer Seele durch eine andere
Seele, die als Waffe für diesen Sieg ein Lied,
eine Komposition, ein Bild, eine Statue, ein
Haus, ja auch ein Haus, wenn es nur in
jeder Form das Symbol edler Häuslichkeit
oder das Symbol der Anbetung, der edlen
Freude war, benutzt hat." Das Bedeutendste
gibt Oeser in seiner ausführlichen Studie
Maeterlincks, mit dessen Schaffen er sich aufs
innigste vertraut gemacht hat. Entgegen der
Anschauung mancher Beurteiler, die ini Werk
des Flamen die mystischen und ethischen
Elemente scheiden wollen, zeigt Oeser an
vielen Beispielen, wie beides sich aufs Voll¬
kommenste ergänzt und ineinander übergeht
Die späteren Werke, beginnend mit dem „Be¬
grabenen Tempel" sind kein bewußtes Sich¬
abwenden von einst gestellten Fragen an
das Schicksal. Jene suchen nun schon klare
Antwort zu geben und lösen denn auch
befriedigend genug diese oder jene Frage, an
der sich sonst der blinde Intellekt manch un¬
schuldigen Menschenkindes tötlich verwundet
hat. Uns nicht voll erkennbar, „denn wir
zählen nur kurze Tage", weist Oeser in Maeter¬
lincks Weltanschauung als oberstes Gesetz die
Gerechtigkeit nach. Spuren ihres Wirkens
finden sich schon in unserm vegrenzten Dasein.
Denn „im Gemüte des Menschen, der eine
Ungerechtigkeit begeht, spielt sich ein unver¬
gleichliches Drama ab. Jede Ungerechtigkeit
erschüttert das Vertrauen, das ein Wesen in
sich und sein Schicksal setzt. Es hat zu einer
gegebenen Zeit, gewöhnlich in seiner ernstesten
Stunde, darauf verzichtet, nur auf sich selbst
zu bauen." Auf diesem Fundament erhebt
sich in klaren sicheren Linien die Forderung
zur Selbsterziehung, die gleichzeitig Erziehung
zur Güte gegen den Nächsten und damit
Borbedingung für der Erdenwelt Wandlung

[Spaltenumbruch]

zum Besseren ist. Dies Ziel schwebt ja allen
vor, die über den Sinn des Lebens nach¬
grübeln, und mannigfaltig sind die Wege, die
den einzelnen Denkern gangbar erscheinen.
Scharf definiert sind sie in Björnsons Werk,
dem ein „Spiegelungen der Christenheit bei
Björnson" betitelter Abschnitt gewidmet ist,
wunderlich verworren bei Eduard Douwes
Vetter, der sich den Dichternamen Multatuli
gab, das ist: „ich habe viel getragen." Wahr¬
lich haben unter den Wahrheitsuchern zu Recht
auch diejenigen ihren Platz, die Irrwege
gingen. DaS Flackerlicht ihres Geistes be¬
leuchtet grell die Antinomien des Lebens und
erschließt Dunkelheiten, an denen der Fuß der
Leidenschaftslosen in Sicherheit vorübergeht.
Menschen wie Multatuli wird selbst ihr Herz¬
schlag zur Melodie der Ruhelosigkeit und wir
können kaum glauben, daß dem Asyl seiner
letzten Lebensjahre, dem stillen Landhäuschen
am Mittelrhein, die Stürme von einst ganz
ferngeblieben sind.

Wer sich einwiegen lassen will in den
Abendfrieden eines ausruhenden Menschen¬
lebens, der greife zuW i l h e I in S t e i n h a u s e n s
feinem stillem Buche „Aus meinem Leben"
(Martin Warneck, Berlin). Nicht eine fest-
umrissene, streng an die Erlebnisfolge ge¬
bundene Lebensbeschreibung gibt der Maler¬
poet in diesen Blättern, sondern lose anein¬
andergereiht Erinnerungen und Betrachtungen,
wie die Stunden des Ausruhens sie bringen
und verflattern lassen. Hier sind sie in der
weichen Frische ihres Auftauchens festgehalten
und irgendwie scheint, ob auch hier nur der
Erzähler und Dichter zu uns reden will,
die Farbensprache seiner Bilder immer gegen¬
wärtig wie eine leise begleitende Melodie
— besonders jener Landschaften, wo beim
Verglimmen der letzten Sonnenstrahlen Wolken
und Winde ruhen. „Tagebuchblätter" hat
der Künstler eine Reihe dieser Bildchen
genannt, die im Städel in Frankfurt stim¬
mungsvoll in einem Sonderkabinett vereint
sind. Auch dies Buch schmücken einige solcher
verträumten Landschaften, so daß ein mit
Steinhausens Kunst unbekannter Leser genug
von der Art seiner Bilder erfährt, um die
Harmonie dieses Charakters zu begreifen.
Das Mißbehagen, das ihm so manche Aus¬
wüchse der modernen Richtung verursachen,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341897_326811/546>, abgerufen am 13.05.2024.