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Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Viertes Vierteljahr.

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Maßgebliches und Unmaßgebliches

[Beginn Spaltensatz]

einem Brief über seine Politische Tätigkeit
"Sie verweisen mich auf die Kunst und haben
in der Idee freilich Recht, denn der Mensch
nützt der Welt ohne Zweifel durch seine primi¬
tiven Kräfte am meisten, und das sind mir
die Poetischen. Aber wer kann während eines
Erdbebens malen? Ohnehin wird für mich
die Politik jetzt um so sicherer zur Poesie, je
gründlicher ich sie selbst durchmache." Von
seinen zahlreichen 1848 geplanten Dramen sind
uns aber nur Bruchstücke erhalten, an der
Ausführung hinderte ihm wahrscheinlich sein
späterer Widerwille gegen das revolutionäre
Treiben; "Agnes Bernauer" und das Epos
"MutterundKind" zeigen unter den vollendeten
Werken am deutlichsten die Nachwirkungen
von 1848. Das eigenartige, mitten in den
Stürmen der Dresdener Revolution konzipierte
Werk Richard Wagners, "Jesus von Nazareth"
ist vom Verfasser aus der Betrachtung der
Nevolutionsliteratur herausgenommen und als
reines Tendenzstück im Anhang gesondert
behandelt worden. Nach dem Plan des
Buches sicher mit Recht; trotzdem gehört dies
seltsamedramatischeFragment, in dem Christus,
der Träger einer sozialen Mission, der un¬

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sittlichen Adelspartei zum Opfer fällt, inner¬
lich dicht neben Hebbels Fragmente.

Die folgende Epoche hat wenig Politische
Dichtungen auszuweisen; die allgemeine Resig¬
nation und Gleichgültigkeit lagen lähmend
auch auf der Dichtkunst; neben Jordans
"Demiurgos" beanspruchen nur Freytags
"Journalisten" (1853) größeres Interesse, die
erwuchsen aus seiner Mitarbeit an den Grenze
boten, die für nationale Einigung unter
preußischer Führung eintraten. --

Volles Verständnis für die innere Tragi-
der 43 er Bewegung besaßen die seichten Epi¬
gonen der "Schablonendramen" der nächsten
Jahrzehnte nicht; erst die jungen Dramatiker,
die sich in den 80 er Jahren zum Kampf für eine
neue, starke Kunst um Gerhart Hauptmann
scharten, konnten sie mit ihrem für die Wirklich¬
keit geschärften Blick erkennen. Die sozialen
Motive in der Bewegung, die von den
früheren Revolutionsdichtern nie so in den
Vordergrund gerückt worden waren, stehen
den Dichtern einer Zeit, die sich intensiv mit
der Lösung der sozialen Probleme beschäftigt,
besonders nahe, erst die Enkel der 43 er Frei¬
heitskämpfer haben den richtigen Abstand von

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Maßgebliches und Unmaßgebliches

[Beginn Spaltensatz]

einem Brief über seine Politische Tätigkeit
»Sie verweisen mich auf die Kunst und haben
in der Idee freilich Recht, denn der Mensch
nützt der Welt ohne Zweifel durch seine primi¬
tiven Kräfte am meisten, und das sind mir
die Poetischen. Aber wer kann während eines
Erdbebens malen? Ohnehin wird für mich
die Politik jetzt um so sicherer zur Poesie, je
gründlicher ich sie selbst durchmache." Von
seinen zahlreichen 1848 geplanten Dramen sind
uns aber nur Bruchstücke erhalten, an der
Ausführung hinderte ihm wahrscheinlich sein
späterer Widerwille gegen das revolutionäre
Treiben; „Agnes Bernauer" und das Epos
„MutterundKind" zeigen unter den vollendeten
Werken am deutlichsten die Nachwirkungen
von 1848. Das eigenartige, mitten in den
Stürmen der Dresdener Revolution konzipierte
Werk Richard Wagners, „Jesus von Nazareth"
ist vom Verfasser aus der Betrachtung der
Nevolutionsliteratur herausgenommen und als
reines Tendenzstück im Anhang gesondert
behandelt worden. Nach dem Plan des
Buches sicher mit Recht; trotzdem gehört dies
seltsamedramatischeFragment, in dem Christus,
der Träger einer sozialen Mission, der un¬

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sittlichen Adelspartei zum Opfer fällt, inner¬
lich dicht neben Hebbels Fragmente.

Die folgende Epoche hat wenig Politische
Dichtungen auszuweisen; die allgemeine Resig¬
nation und Gleichgültigkeit lagen lähmend
auch auf der Dichtkunst; neben Jordans
„Demiurgos" beanspruchen nur Freytags
„Journalisten" (1853) größeres Interesse, die
erwuchsen aus seiner Mitarbeit an den Grenze
boten, die für nationale Einigung unter
preußischer Führung eintraten. —

Volles Verständnis für die innere Tragi-
der 43 er Bewegung besaßen die seichten Epi¬
gonen der „Schablonendramen" der nächsten
Jahrzehnte nicht; erst die jungen Dramatiker,
die sich in den 80 er Jahren zum Kampf für eine
neue, starke Kunst um Gerhart Hauptmann
scharten, konnten sie mit ihrem für die Wirklich¬
keit geschärften Blick erkennen. Die sozialen
Motive in der Bewegung, die von den
früheren Revolutionsdichtern nie so in den
Vordergrund gerückt worden waren, stehen
den Dichtern einer Zeit, die sich intensiv mit
der Lösung der sozialen Probleme beschäftigt,
besonders nahe, erst die Enkel der 43 er Frei¬
heitskämpfer haben den richtigen Abstand von

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[0059] Maßgebliches und Unmaßgebliches einem Brief über seine Politische Tätigkeit »Sie verweisen mich auf die Kunst und haben in der Idee freilich Recht, denn der Mensch nützt der Welt ohne Zweifel durch seine primi¬ tiven Kräfte am meisten, und das sind mir die Poetischen. Aber wer kann während eines Erdbebens malen? Ohnehin wird für mich die Politik jetzt um so sicherer zur Poesie, je gründlicher ich sie selbst durchmache." Von seinen zahlreichen 1848 geplanten Dramen sind uns aber nur Bruchstücke erhalten, an der Ausführung hinderte ihm wahrscheinlich sein späterer Widerwille gegen das revolutionäre Treiben; „Agnes Bernauer" und das Epos „MutterundKind" zeigen unter den vollendeten Werken am deutlichsten die Nachwirkungen von 1848. Das eigenartige, mitten in den Stürmen der Dresdener Revolution konzipierte Werk Richard Wagners, „Jesus von Nazareth" ist vom Verfasser aus der Betrachtung der Nevolutionsliteratur herausgenommen und als reines Tendenzstück im Anhang gesondert behandelt worden. Nach dem Plan des Buches sicher mit Recht; trotzdem gehört dies seltsamedramatischeFragment, in dem Christus, der Träger einer sozialen Mission, der un¬ sittlichen Adelspartei zum Opfer fällt, inner¬ lich dicht neben Hebbels Fragmente. Die folgende Epoche hat wenig Politische Dichtungen auszuweisen; die allgemeine Resig¬ nation und Gleichgültigkeit lagen lähmend auch auf der Dichtkunst; neben Jordans „Demiurgos" beanspruchen nur Freytags „Journalisten" (1853) größeres Interesse, die erwuchsen aus seiner Mitarbeit an den Grenze boten, die für nationale Einigung unter preußischer Führung eintraten. — Volles Verständnis für die innere Tragi- der 43 er Bewegung besaßen die seichten Epi¬ gonen der „Schablonendramen" der nächsten Jahrzehnte nicht; erst die jungen Dramatiker, die sich in den 80 er Jahren zum Kampf für eine neue, starke Kunst um Gerhart Hauptmann scharten, konnten sie mit ihrem für die Wirklich¬ keit geschärften Blick erkennen. Die sozialen Motive in der Bewegung, die von den früheren Revolutionsdichtern nie so in den Vordergrund gerückt worden waren, stehen den Dichtern einer Zeit, die sich intensiv mit der Lösung der sozialen Probleme beschäftigt, besonders nahe, erst die Enkel der 43 er Frei¬ heitskämpfer haben den richtigen Abstand von [Abbildung]

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341897_326811/59>, abgerufen am 26.05.2024.