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Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Viertes Vierteljahr.

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Napoleon und Deutschland

starken lassen, als er ihm, dem Herrn des Rheinbundes, unbedingten Gehorsam
und Gefolgschaft zu leisten erbötig war.

Gleichwohl hat er nicht bloß dadurch, daß er den Haß der Besiegten gegen
sein Werk entflammte, zu ihrer Wiedergeburt und Erstarkung beigetragen. Viel¬
mehr hat er dieser auch im positiven Sinne die Wege geebnet. Solches geschah
durch das große Reformwerk, das überall die Spuren seiner Eroberungen be¬
zeichnete: die Errungenschaften der Revolution wurden den Ländern, die unter
Napoleons Einfluß geraten waren, in reichem Maße zuteil. Man betrachte
einmal die Landkarte vor dem Beginn der großen Bewegung und im Napo¬
leonischen Zeitalter; wie sehr hat das zerstückte und durch seine Zerstücklung
ohnmächtige Deutschland an jener Konzentration und Vereinheitlichung der
Mächtegruppen gewonnen, die eine Grundbedingung seiner neuen Einheit war!
Mit eherner Faust hat Napoleon den hundertfältiger Partikularismus gebrochen,
der den Reichsgedanken schon in der Wurzel hatte verderben lassen. Der große
klassische Stil des Imperialismus, dem alle Zersplitterung und eigensinnige
Absonderung fremd war, übertrug sich so auch auf die überwundenen Nationen.
Die letzten Reste des feudalen Mittelalters, die sich auf deutschem Boden mit
besonderer Zähigkeit behauptet hatten, mußten abgestreift werden, um den
Aufbau des modernen Nationalstaates zu ermöglichen.

Doch in dieser widerspruchsvollen Eigenart des politischen Einflusses er¬
schöpft ,steh Napoleons Verhältnis zum germanischen Wesen keineswegs.
Daß echte deutsche Geister dem Korsen nicht allein Bewunderung, sondern rück¬
haltlose Sympathie entgegenbrachten, dafür genügt es, Goethe zu nennen. Aber
auch Kant, Schiller, Beethoven haben wenigstens die Anfänge des Welteroberers
freudig begrüßt. Von Schillers klassischen Dramen meint Hebbel, daß sie ohne
die gewaltige Wirkung des Imperators überhaupt nicht entstanden wären.
Ähnlich urteilt Nietzsche in bezug auf Goethe, er habe an der übermenschlichen
Erscheinung Napoleons erst das Faustproblem umzudenken gelernt. Seltsam
muß es auch berühren, wenn Hegel jenen, von seinem bloßen Anblick über¬
wältigt, als Inkarnation des Weltgeistes feiert. Der eigentliche Napoleonkult
gehört freilich erst der Spätromantik an, einer Zeit, da sich die historische
Gestalt in ihrer materialen Greifbarkeit allmählich zum Mythos zu verflüchtigen
begonnen hatte. Stellt man diesen Bewunderern des Erdbezwingers seine Feinde
auf deutschem Boden gegenüber, dann scheint es zunächst sogar, als ob die
kulturelle Bedeutung der letzteren eine weit geringere wäre. Freilich nicht durch¬
gängig; denn zwei in geistiger Hinsicht überragende Erscheinungen zum mindesten
müssen hier genannt werden: Fichte und Kleist. War es der willkürliche Ein¬
bruch Napoleons in die bestehende Rechtsordnung, der Kleist im Tiefsten auf¬
wühlte und empörte, so setzte Fichte der Tendenz nationaler Gleichmacherei
urwüchsiges deutsches Empfinden entgegen. In beiden aber wehrte sich ein letzter,
metaphysischer Urtrieb gegen das Fremdartige und Dämonische dieser Gewalt,
der sich die anderen staunend beugten.


Napoleon und Deutschland

starken lassen, als er ihm, dem Herrn des Rheinbundes, unbedingten Gehorsam
und Gefolgschaft zu leisten erbötig war.

Gleichwohl hat er nicht bloß dadurch, daß er den Haß der Besiegten gegen
sein Werk entflammte, zu ihrer Wiedergeburt und Erstarkung beigetragen. Viel¬
mehr hat er dieser auch im positiven Sinne die Wege geebnet. Solches geschah
durch das große Reformwerk, das überall die Spuren seiner Eroberungen be¬
zeichnete: die Errungenschaften der Revolution wurden den Ländern, die unter
Napoleons Einfluß geraten waren, in reichem Maße zuteil. Man betrachte
einmal die Landkarte vor dem Beginn der großen Bewegung und im Napo¬
leonischen Zeitalter; wie sehr hat das zerstückte und durch seine Zerstücklung
ohnmächtige Deutschland an jener Konzentration und Vereinheitlichung der
Mächtegruppen gewonnen, die eine Grundbedingung seiner neuen Einheit war!
Mit eherner Faust hat Napoleon den hundertfältiger Partikularismus gebrochen,
der den Reichsgedanken schon in der Wurzel hatte verderben lassen. Der große
klassische Stil des Imperialismus, dem alle Zersplitterung und eigensinnige
Absonderung fremd war, übertrug sich so auch auf die überwundenen Nationen.
Die letzten Reste des feudalen Mittelalters, die sich auf deutschem Boden mit
besonderer Zähigkeit behauptet hatten, mußten abgestreift werden, um den
Aufbau des modernen Nationalstaates zu ermöglichen.

Doch in dieser widerspruchsvollen Eigenart des politischen Einflusses er¬
schöpft ,steh Napoleons Verhältnis zum germanischen Wesen keineswegs.
Daß echte deutsche Geister dem Korsen nicht allein Bewunderung, sondern rück¬
haltlose Sympathie entgegenbrachten, dafür genügt es, Goethe zu nennen. Aber
auch Kant, Schiller, Beethoven haben wenigstens die Anfänge des Welteroberers
freudig begrüßt. Von Schillers klassischen Dramen meint Hebbel, daß sie ohne
die gewaltige Wirkung des Imperators überhaupt nicht entstanden wären.
Ähnlich urteilt Nietzsche in bezug auf Goethe, er habe an der übermenschlichen
Erscheinung Napoleons erst das Faustproblem umzudenken gelernt. Seltsam
muß es auch berühren, wenn Hegel jenen, von seinem bloßen Anblick über¬
wältigt, als Inkarnation des Weltgeistes feiert. Der eigentliche Napoleonkult
gehört freilich erst der Spätromantik an, einer Zeit, da sich die historische
Gestalt in ihrer materialen Greifbarkeit allmählich zum Mythos zu verflüchtigen
begonnen hatte. Stellt man diesen Bewunderern des Erdbezwingers seine Feinde
auf deutschem Boden gegenüber, dann scheint es zunächst sogar, als ob die
kulturelle Bedeutung der letzteren eine weit geringere wäre. Freilich nicht durch¬
gängig; denn zwei in geistiger Hinsicht überragende Erscheinungen zum mindesten
müssen hier genannt werden: Fichte und Kleist. War es der willkürliche Ein¬
bruch Napoleons in die bestehende Rechtsordnung, der Kleist im Tiefsten auf¬
wühlte und empörte, so setzte Fichte der Tendenz nationaler Gleichmacherei
urwüchsiges deutsches Empfinden entgegen. In beiden aber wehrte sich ein letzter,
metaphysischer Urtrieb gegen das Fremdartige und Dämonische dieser Gewalt,
der sich die anderen staunend beugten.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341897_326811/598>, abgerufen am 13.05.2024.