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Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Viertes Vierteljahr.

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Napoleon und Deutschland

die Welt gestaltet, um sich darüber als Zuschauer und erkennender Geist zu
erheben. Und nichts anderes offenbart sich im Faustproblem, wie es durch
Goethe zu Ende gedacht wurde. Wenn nach seiner tiefsinnigen Verdeutschung
des Bibelwortes am Anfang und Ursprung aller Dinge die Tat stand, so ist
doch die Tat für ihn stets auch lebendiger Sinn gewesen. Die fortschreitende
Formung und Organisation der Wirklichkeit durch wissenschaftliche, technische,
politische Arbeit, durch zivilisatorische und kulturelle Wirksamkeit ist ihre fort¬
schreitende Vergeistigung. Niemals verliert sich der Deutsche völlig ans Stoffliche,
er gibt sich ihm hin, um es auf eine höhere Seinsstufe zu erheben, um es
seelisch und geistig zu erfüllen. Diese letzte Innerlichkeit vermißt man im Werke
und in der Persönlichkeit Napoleons. Er war zu sehr Willensphänomen,
elementare Naturkraft, die nach keinem zentralen Punkte des Geistes hin einge¬
richtet ist. Mögen seine Unternehmungen, im einzelnen betrachtet, das Gepräge
vollendeter Zweckmäßigkeit tragen, als ganzes entbehren sie des großen Kultur-
planes, der die Handlungen eines Alexander, Cäsar, aber auch Karls des
Großen kennzeichnete. Daß er die positiven Errungenschaften der französischen
Revolution durch Europa trug, war weniger der Zweck als die Wirkung seines
Tuns und Wollens. Er gehört zu jenen Erscheinungen, deren Entfaltung letzten
Endes nicht auf eine Formel gebracht werden kann, weil sie sich im Dunkel
unbewußter Triebe und Leidenschaften verlieren. Sie sind überhaupt auf keine
festen Zielpunkte gerichtet -- mögen sie solche sich und anderen auch vor¬
täuschen --, sie werden bloß vom unaufhaltsamen, unerschöpflichen Drang nach
Bewegung beherrscht. Nicht an dem Werke liegt ihnen, das ihnen überhaupt
bloß in unklarer Weise vorschwebt, sondern am Wirken. In ihnen ist so viel
seelischer Sprengstoff gehäuft, daß er sie selber zerstören müßte, fände er nicht
ein Ventil nach außen. Eine der größten von diesen elementaren Naturen, die
von ihrem eigenen Feuer verzehrt werden, war Napoleon. Hieraus -- nicht
aus kleinlichen Motiven der Ehrsucht -- läßt sich das Zufällige und Vergäng¬
liche seiner Schöpfungen erklären. Denn was Ewigkeit verbürgt, ist nicht die
Energie des Handelns, sondern die es durchleuchtende Idee. Was
nicht von dieser im Innersten erfüllt ist, das ist, wie ein Natur¬
phänomen, dem Untergang geweiht. Deshalb mußte Napoleon von
eben der deutschen Ideologie, die ihm ein wesenloses Phantom dünkte,
besiegt werden; der Naturalismus der schrankenlosen Macht zerbrach an dem
Idealismus des zweckbewußten Werkes. Aus der Gedankenwelt der großen
Künstler und Philosophen, Goethe, Schiller. Kant, Fichte. Hegel wuchsen die
Aufgaben hervor, deren Durchführung bis in unsere Tage hinein den Inhalt
der historischen Entwicklung bildet.

Und auch im tragischen Schicksal Napoleons erfüllte sich die tiefe Symbolik
alles äußeren Geschehens. Am passiven Widerstand des Slawentums, das seinem
Wesen am fremdesten gegenüberstand, erlahmte zum ersten Male sein Tatendrang!
in den russischen schneeoerwehten Sümpfen wurde der Impuls der ungeheuern


Napoleon und Deutschland

die Welt gestaltet, um sich darüber als Zuschauer und erkennender Geist zu
erheben. Und nichts anderes offenbart sich im Faustproblem, wie es durch
Goethe zu Ende gedacht wurde. Wenn nach seiner tiefsinnigen Verdeutschung
des Bibelwortes am Anfang und Ursprung aller Dinge die Tat stand, so ist
doch die Tat für ihn stets auch lebendiger Sinn gewesen. Die fortschreitende
Formung und Organisation der Wirklichkeit durch wissenschaftliche, technische,
politische Arbeit, durch zivilisatorische und kulturelle Wirksamkeit ist ihre fort¬
schreitende Vergeistigung. Niemals verliert sich der Deutsche völlig ans Stoffliche,
er gibt sich ihm hin, um es auf eine höhere Seinsstufe zu erheben, um es
seelisch und geistig zu erfüllen. Diese letzte Innerlichkeit vermißt man im Werke
und in der Persönlichkeit Napoleons. Er war zu sehr Willensphänomen,
elementare Naturkraft, die nach keinem zentralen Punkte des Geistes hin einge¬
richtet ist. Mögen seine Unternehmungen, im einzelnen betrachtet, das Gepräge
vollendeter Zweckmäßigkeit tragen, als ganzes entbehren sie des großen Kultur-
planes, der die Handlungen eines Alexander, Cäsar, aber auch Karls des
Großen kennzeichnete. Daß er die positiven Errungenschaften der französischen
Revolution durch Europa trug, war weniger der Zweck als die Wirkung seines
Tuns und Wollens. Er gehört zu jenen Erscheinungen, deren Entfaltung letzten
Endes nicht auf eine Formel gebracht werden kann, weil sie sich im Dunkel
unbewußter Triebe und Leidenschaften verlieren. Sie sind überhaupt auf keine
festen Zielpunkte gerichtet — mögen sie solche sich und anderen auch vor¬
täuschen —, sie werden bloß vom unaufhaltsamen, unerschöpflichen Drang nach
Bewegung beherrscht. Nicht an dem Werke liegt ihnen, das ihnen überhaupt
bloß in unklarer Weise vorschwebt, sondern am Wirken. In ihnen ist so viel
seelischer Sprengstoff gehäuft, daß er sie selber zerstören müßte, fände er nicht
ein Ventil nach außen. Eine der größten von diesen elementaren Naturen, die
von ihrem eigenen Feuer verzehrt werden, war Napoleon. Hieraus — nicht
aus kleinlichen Motiven der Ehrsucht — läßt sich das Zufällige und Vergäng¬
liche seiner Schöpfungen erklären. Denn was Ewigkeit verbürgt, ist nicht die
Energie des Handelns, sondern die es durchleuchtende Idee. Was
nicht von dieser im Innersten erfüllt ist, das ist, wie ein Natur¬
phänomen, dem Untergang geweiht. Deshalb mußte Napoleon von
eben der deutschen Ideologie, die ihm ein wesenloses Phantom dünkte,
besiegt werden; der Naturalismus der schrankenlosen Macht zerbrach an dem
Idealismus des zweckbewußten Werkes. Aus der Gedankenwelt der großen
Künstler und Philosophen, Goethe, Schiller. Kant, Fichte. Hegel wuchsen die
Aufgaben hervor, deren Durchführung bis in unsere Tage hinein den Inhalt
der historischen Entwicklung bildet.

Und auch im tragischen Schicksal Napoleons erfüllte sich die tiefe Symbolik
alles äußeren Geschehens. Am passiven Widerstand des Slawentums, das seinem
Wesen am fremdesten gegenüberstand, erlahmte zum ersten Male sein Tatendrang!
in den russischen schneeoerwehten Sümpfen wurde der Impuls der ungeheuern


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341897_326811/600>, abgerufen am 09.05.2024.