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Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Viertes Vierteljahr.

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Downingstreet und die Dominionen

Die Stellung des Foreign Office gegenüber den Dominionen hat sich, wie
gesagt, aus den tatsächlichen Verhältnissen heraus gestaltet. Wie England keine
geschriebene Verfassung kennt, so gibt es auch keine staatsgesetzlich festgelegte
Norm über die Kompetenz des Auswärtigen Amtes in Reichs- beziehungsweise
Dominialangelegenheiten. Downingstreet übt lediglich as ka,Leo, nicht ac jure
die Kontrolle über die auswärtigen Beziehungen einer Dominion zu einer
anderen, zum Mutterlande oder zu einer fremden Nation aus. Es kann sich
nicht auf eine ihm zustehende grundsätzliche Kompetenz, auf eine wirkliche
Machtbefugnis berufen. Aber es macht -- gleichsam durch Kompromiß --
von Fall zu Fall einen staatsrechtlich nicht definierbaren politischen Einfluß
geltend.

Kanadas Premierminister Mr. Borden stellte am 16. September 1913 in
einer zu Halifax gehaltenen programmatischen Rede kategorisch die Forderung auf:
"Weil die Dominion Reichsverpflichtungen (gemeint ist die Flottenzusteuerung)
erfüllt, verlangt sie Zolles Reichsbürgerrecht, insbesondere eine gleichberechtigte
Stimme bei der Kontrolle der auswärtigen Beziehungen des Reiches." Die
eingangs gestreiften Emanzipationsbestrebungen der Tochternationen gipfeln
logischerweise in dem jetzt oft gehörten Schlagwort: "Fort mit der Kontrolle
Downingstreets!" Es fragt sich nur, was an die Stelle des so geschmähten
englischen Auswärtigen Amtes treten sollte. Nehmen wir einmal den Fall an,
die fünf Ministerkabinette Englands und der vier Dominionen würden theoretisch
auf die Basis der Gleichberechtigung gestellt, in Praxis könnte ein solcher Fünf¬
bund doch auch nichts anderes als eine se>cicla8 leomng, sein. Ans der Macht
der gegebenen Verhältnisse heraus müßte der Partner England die prädo¬
minierende Stellung einnehmen und -- das politische Übergewicht Dowmng¬
streets bliebe doch bestehen.

Ein solches Übergewicht Altenglands ist allerdings nicht in allen Fällen
gleichbedeutend mit Überordnung, noch weniger mit einem Reservatrecht be¬
züglich der auswärtigen Angelegenheiten. Es ist auch möglich, daß die
gegenwärtige Bewegung zur Schaffung einer neuen Reichsbehörde für die aus¬
wärtigen Angelegenheiten des Imperiums führt, die im organischen Zusammen¬
hang, nicht aber in einem ausgesprochenen Abhängigkeitsverhältnis zur Downing¬
street stehen wird. Soviel ist gewiß: die gegenwärtige an Kompetenzkonflikt¬
stoff überreiche Lage bedeutet nur eine Übergangsperiode. Die Zeiten, da
die Dominionen ein weltabgeschiedenes, idyllisches Dasein des inneren Wachstums
führten, sind endgültig vorüber. In der Geschichte der Vereinigten Staaten,
die erst im letzten Menschenalter von der lokal-amerikanischen zur internationalen,
d. h. zur sogenannten Weltpolitik übergegangen sind, haben wir eine Parallele
zu dieser bedeutsamen Umwälzung. Die Dominionen kommen heute selbst vielfach
in unmittelbare Berührung, manchmal in Interessenkonflikt mit dem Ausland.
Man kann nicht sagen, daß in solchen Fällen die Politik der Downingstreet
immer den Beifall der Tochternationen gefunden hat.


Downingstreet und die Dominionen

Die Stellung des Foreign Office gegenüber den Dominionen hat sich, wie
gesagt, aus den tatsächlichen Verhältnissen heraus gestaltet. Wie England keine
geschriebene Verfassung kennt, so gibt es auch keine staatsgesetzlich festgelegte
Norm über die Kompetenz des Auswärtigen Amtes in Reichs- beziehungsweise
Dominialangelegenheiten. Downingstreet übt lediglich as ka,Leo, nicht ac jure
die Kontrolle über die auswärtigen Beziehungen einer Dominion zu einer
anderen, zum Mutterlande oder zu einer fremden Nation aus. Es kann sich
nicht auf eine ihm zustehende grundsätzliche Kompetenz, auf eine wirkliche
Machtbefugnis berufen. Aber es macht — gleichsam durch Kompromiß —
von Fall zu Fall einen staatsrechtlich nicht definierbaren politischen Einfluß
geltend.

Kanadas Premierminister Mr. Borden stellte am 16. September 1913 in
einer zu Halifax gehaltenen programmatischen Rede kategorisch die Forderung auf:
„Weil die Dominion Reichsverpflichtungen (gemeint ist die Flottenzusteuerung)
erfüllt, verlangt sie Zolles Reichsbürgerrecht, insbesondere eine gleichberechtigte
Stimme bei der Kontrolle der auswärtigen Beziehungen des Reiches." Die
eingangs gestreiften Emanzipationsbestrebungen der Tochternationen gipfeln
logischerweise in dem jetzt oft gehörten Schlagwort: „Fort mit der Kontrolle
Downingstreets!" Es fragt sich nur, was an die Stelle des so geschmähten
englischen Auswärtigen Amtes treten sollte. Nehmen wir einmal den Fall an,
die fünf Ministerkabinette Englands und der vier Dominionen würden theoretisch
auf die Basis der Gleichberechtigung gestellt, in Praxis könnte ein solcher Fünf¬
bund doch auch nichts anderes als eine se>cicla8 leomng, sein. Ans der Macht
der gegebenen Verhältnisse heraus müßte der Partner England die prädo¬
minierende Stellung einnehmen und — das politische Übergewicht Dowmng¬
streets bliebe doch bestehen.

Ein solches Übergewicht Altenglands ist allerdings nicht in allen Fällen
gleichbedeutend mit Überordnung, noch weniger mit einem Reservatrecht be¬
züglich der auswärtigen Angelegenheiten. Es ist auch möglich, daß die
gegenwärtige Bewegung zur Schaffung einer neuen Reichsbehörde für die aus¬
wärtigen Angelegenheiten des Imperiums führt, die im organischen Zusammen¬
hang, nicht aber in einem ausgesprochenen Abhängigkeitsverhältnis zur Downing¬
street stehen wird. Soviel ist gewiß: die gegenwärtige an Kompetenzkonflikt¬
stoff überreiche Lage bedeutet nur eine Übergangsperiode. Die Zeiten, da
die Dominionen ein weltabgeschiedenes, idyllisches Dasein des inneren Wachstums
führten, sind endgültig vorüber. In der Geschichte der Vereinigten Staaten,
die erst im letzten Menschenalter von der lokal-amerikanischen zur internationalen,
d. h. zur sogenannten Weltpolitik übergegangen sind, haben wir eine Parallele
zu dieser bedeutsamen Umwälzung. Die Dominionen kommen heute selbst vielfach
in unmittelbare Berührung, manchmal in Interessenkonflikt mit dem Ausland.
Man kann nicht sagen, daß in solchen Fällen die Politik der Downingstreet
immer den Beifall der Tochternationen gefunden hat.


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[0062] Downingstreet und die Dominionen Die Stellung des Foreign Office gegenüber den Dominionen hat sich, wie gesagt, aus den tatsächlichen Verhältnissen heraus gestaltet. Wie England keine geschriebene Verfassung kennt, so gibt es auch keine staatsgesetzlich festgelegte Norm über die Kompetenz des Auswärtigen Amtes in Reichs- beziehungsweise Dominialangelegenheiten. Downingstreet übt lediglich as ka,Leo, nicht ac jure die Kontrolle über die auswärtigen Beziehungen einer Dominion zu einer anderen, zum Mutterlande oder zu einer fremden Nation aus. Es kann sich nicht auf eine ihm zustehende grundsätzliche Kompetenz, auf eine wirkliche Machtbefugnis berufen. Aber es macht — gleichsam durch Kompromiß — von Fall zu Fall einen staatsrechtlich nicht definierbaren politischen Einfluß geltend. Kanadas Premierminister Mr. Borden stellte am 16. September 1913 in einer zu Halifax gehaltenen programmatischen Rede kategorisch die Forderung auf: „Weil die Dominion Reichsverpflichtungen (gemeint ist die Flottenzusteuerung) erfüllt, verlangt sie Zolles Reichsbürgerrecht, insbesondere eine gleichberechtigte Stimme bei der Kontrolle der auswärtigen Beziehungen des Reiches." Die eingangs gestreiften Emanzipationsbestrebungen der Tochternationen gipfeln logischerweise in dem jetzt oft gehörten Schlagwort: „Fort mit der Kontrolle Downingstreets!" Es fragt sich nur, was an die Stelle des so geschmähten englischen Auswärtigen Amtes treten sollte. Nehmen wir einmal den Fall an, die fünf Ministerkabinette Englands und der vier Dominionen würden theoretisch auf die Basis der Gleichberechtigung gestellt, in Praxis könnte ein solcher Fünf¬ bund doch auch nichts anderes als eine se>cicla8 leomng, sein. Ans der Macht der gegebenen Verhältnisse heraus müßte der Partner England die prädo¬ minierende Stellung einnehmen und — das politische Übergewicht Dowmng¬ streets bliebe doch bestehen. Ein solches Übergewicht Altenglands ist allerdings nicht in allen Fällen gleichbedeutend mit Überordnung, noch weniger mit einem Reservatrecht be¬ züglich der auswärtigen Angelegenheiten. Es ist auch möglich, daß die gegenwärtige Bewegung zur Schaffung einer neuen Reichsbehörde für die aus¬ wärtigen Angelegenheiten des Imperiums führt, die im organischen Zusammen¬ hang, nicht aber in einem ausgesprochenen Abhängigkeitsverhältnis zur Downing¬ street stehen wird. Soviel ist gewiß: die gegenwärtige an Kompetenzkonflikt¬ stoff überreiche Lage bedeutet nur eine Übergangsperiode. Die Zeiten, da die Dominionen ein weltabgeschiedenes, idyllisches Dasein des inneren Wachstums führten, sind endgültig vorüber. In der Geschichte der Vereinigten Staaten, die erst im letzten Menschenalter von der lokal-amerikanischen zur internationalen, d. h. zur sogenannten Weltpolitik übergegangen sind, haben wir eine Parallele zu dieser bedeutsamen Umwälzung. Die Dominionen kommen heute selbst vielfach in unmittelbare Berührung, manchmal in Interessenkonflikt mit dem Ausland. Man kann nicht sagen, daß in solchen Fällen die Politik der Downingstreet immer den Beifall der Tochternationen gefunden hat.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341897_326811/62>, abgerufen am 13.05.2024.