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Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Viertes Vierteljahr.

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Reichsspiegel

im Herbst 1912 ein schlecht vorbereiteter Aufstand des Generals Felix Diaz,
eines Neffen des alten Porstrio Diaz. mißlungen war, wurde Madero Anfang
Februar 1913 durch einen Aufstand in der Stadt Mexiko gestürzt und der
gefangene Felix Diaz befreit. Madero dankte ab, wurde mit einer Anzahl
seiner Anhänger gefangen gesetzt und kurz darauf erschossen. An die Spitze
der Regierung trat der General Huerta, er hat auch heute noch die Zügel der
Regierung in der Hand. Der Sturz und die Ermordung Maderos wurden in
den Vereinigten Staaten mit allgemeiner Entrüstung aufgenommen und als
eine "unfreundliche Handlung" angesehen. Von Anfang an hatte man Madero
unterstützt, bis zuletzt in ihm den für die Vereinigten Staaten "rechten Mann"
erblickt; man hatte aus diesem Grunde darauf verzichtet, Schadenersatz und
Sühne für zahlreiche Vergehen gegen Leib und Gut amerikanischer Staats¬
angehöriger in Mexiko zu verlangen. Hunderte von Amerikanern sind während
der kurzen Maderoschen Amtsführung in Mexiko ermordet worden und die
Zahl der Eigentumsvergehen ist Legion. Es hat allgemeines Erstaunen erregt,
daß gerade die einzige Landnachbarmacht Mexikos, die Vereinigten Staaten,
dem gegenüber völlig passiv blieb. Der Grund ist der angegebene. Man
wollte Maderos Stellung schonen und, wie amerikanische Diplomaten sagten,
>,ve must flaua our Lkance". Was war damit gemeint? Nun, die
leitenden Männer in Washington hatten wohl die Eventualität im Auge: es
würde Madero gelingen, mit der Zeit relative Ruhe im Lande zu schaffen, so
blieb er dann trotzdem den Vereinigten Staaten ergeben und diese erhielten,
was sie wollten, nämlich ein Mexiko, das sie nicht zu verwalten oder gar zu
besetzen brauchten, das ihnen gleichwohl wirtschaftlich Objekt und politisch nicht
nur unschädlich, sondern als Verbindungsstück zwischen den Südstaaten und
dem Panamakanal auf die Dauer unentbehrlich sein mußte. Mit anderen
Worten: Mexiko sollte, ob schneller oder langsamer, in seiner eigenen Sauce
schmoren, bis es gar war. In diesem Gedanken hat auch noch der Präsident
Taft während des letzten Teiles seiner Amtszeit so große Zurückhaltung beob¬
achtet. Wilsons Gedanke ist von vornherein ohne Zweifel der gleiche gewesen,
nur daß Wilson von Anfang an, aus praktischen wie aus moralischen Gründen,
bewaffneter Intervention noch ablehnender gegenüber stand, als Taft. Die
moralischen Gründe und Argumente des Präsidenten Wilson sind von Anfang
an bis heute viel bespöttelt worden. Man kann ohne Zweifel sehr verschiedener
Ansicht über sie sein, aber es ist unbezweifelbar, daß sie -- immer neben den
praktischen Gründen -- aufrichtig gemeint sind. Sehr objektiv denkende Leute,
die den Präsidenten Wilson kennen, vereinigen sich in dem Urteile, daß er es
mit seinen Prinzipien ehrlich meint. Ihre Anwendung ist freilich von sehr
anfechtbaren Werte.

Seit dem Sturze und der Ermordung Franzisko Maderos liegt die Zentral¬
gewalt in den Händen des Generals Huerta. soweit man überhaupt von einer
Zentralgewalt im heutigen Mexiko sprechen kann. Huerta hat aber tatsächlich


Reichsspiegel

im Herbst 1912 ein schlecht vorbereiteter Aufstand des Generals Felix Diaz,
eines Neffen des alten Porstrio Diaz. mißlungen war, wurde Madero Anfang
Februar 1913 durch einen Aufstand in der Stadt Mexiko gestürzt und der
gefangene Felix Diaz befreit. Madero dankte ab, wurde mit einer Anzahl
seiner Anhänger gefangen gesetzt und kurz darauf erschossen. An die Spitze
der Regierung trat der General Huerta, er hat auch heute noch die Zügel der
Regierung in der Hand. Der Sturz und die Ermordung Maderos wurden in
den Vereinigten Staaten mit allgemeiner Entrüstung aufgenommen und als
eine „unfreundliche Handlung" angesehen. Von Anfang an hatte man Madero
unterstützt, bis zuletzt in ihm den für die Vereinigten Staaten „rechten Mann"
erblickt; man hatte aus diesem Grunde darauf verzichtet, Schadenersatz und
Sühne für zahlreiche Vergehen gegen Leib und Gut amerikanischer Staats¬
angehöriger in Mexiko zu verlangen. Hunderte von Amerikanern sind während
der kurzen Maderoschen Amtsführung in Mexiko ermordet worden und die
Zahl der Eigentumsvergehen ist Legion. Es hat allgemeines Erstaunen erregt,
daß gerade die einzige Landnachbarmacht Mexikos, die Vereinigten Staaten,
dem gegenüber völlig passiv blieb. Der Grund ist der angegebene. Man
wollte Maderos Stellung schonen und, wie amerikanische Diplomaten sagten,
>,ve must flaua our Lkance". Was war damit gemeint? Nun, die
leitenden Männer in Washington hatten wohl die Eventualität im Auge: es
würde Madero gelingen, mit der Zeit relative Ruhe im Lande zu schaffen, so
blieb er dann trotzdem den Vereinigten Staaten ergeben und diese erhielten,
was sie wollten, nämlich ein Mexiko, das sie nicht zu verwalten oder gar zu
besetzen brauchten, das ihnen gleichwohl wirtschaftlich Objekt und politisch nicht
nur unschädlich, sondern als Verbindungsstück zwischen den Südstaaten und
dem Panamakanal auf die Dauer unentbehrlich sein mußte. Mit anderen
Worten: Mexiko sollte, ob schneller oder langsamer, in seiner eigenen Sauce
schmoren, bis es gar war. In diesem Gedanken hat auch noch der Präsident
Taft während des letzten Teiles seiner Amtszeit so große Zurückhaltung beob¬
achtet. Wilsons Gedanke ist von vornherein ohne Zweifel der gleiche gewesen,
nur daß Wilson von Anfang an, aus praktischen wie aus moralischen Gründen,
bewaffneter Intervention noch ablehnender gegenüber stand, als Taft. Die
moralischen Gründe und Argumente des Präsidenten Wilson sind von Anfang
an bis heute viel bespöttelt worden. Man kann ohne Zweifel sehr verschiedener
Ansicht über sie sein, aber es ist unbezweifelbar, daß sie — immer neben den
praktischen Gründen — aufrichtig gemeint sind. Sehr objektiv denkende Leute,
die den Präsidenten Wilson kennen, vereinigen sich in dem Urteile, daß er es
mit seinen Prinzipien ehrlich meint. Ihre Anwendung ist freilich von sehr
anfechtbaren Werte.

Seit dem Sturze und der Ermordung Franzisko Maderos liegt die Zentral¬
gewalt in den Händen des Generals Huerta. soweit man überhaupt von einer
Zentralgewalt im heutigen Mexiko sprechen kann. Huerta hat aber tatsächlich


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[0640] Reichsspiegel im Herbst 1912 ein schlecht vorbereiteter Aufstand des Generals Felix Diaz, eines Neffen des alten Porstrio Diaz. mißlungen war, wurde Madero Anfang Februar 1913 durch einen Aufstand in der Stadt Mexiko gestürzt und der gefangene Felix Diaz befreit. Madero dankte ab, wurde mit einer Anzahl seiner Anhänger gefangen gesetzt und kurz darauf erschossen. An die Spitze der Regierung trat der General Huerta, er hat auch heute noch die Zügel der Regierung in der Hand. Der Sturz und die Ermordung Maderos wurden in den Vereinigten Staaten mit allgemeiner Entrüstung aufgenommen und als eine „unfreundliche Handlung" angesehen. Von Anfang an hatte man Madero unterstützt, bis zuletzt in ihm den für die Vereinigten Staaten „rechten Mann" erblickt; man hatte aus diesem Grunde darauf verzichtet, Schadenersatz und Sühne für zahlreiche Vergehen gegen Leib und Gut amerikanischer Staats¬ angehöriger in Mexiko zu verlangen. Hunderte von Amerikanern sind während der kurzen Maderoschen Amtsführung in Mexiko ermordet worden und die Zahl der Eigentumsvergehen ist Legion. Es hat allgemeines Erstaunen erregt, daß gerade die einzige Landnachbarmacht Mexikos, die Vereinigten Staaten, dem gegenüber völlig passiv blieb. Der Grund ist der angegebene. Man wollte Maderos Stellung schonen und, wie amerikanische Diplomaten sagten, >,ve must flaua our Lkance". Was war damit gemeint? Nun, die leitenden Männer in Washington hatten wohl die Eventualität im Auge: es würde Madero gelingen, mit der Zeit relative Ruhe im Lande zu schaffen, so blieb er dann trotzdem den Vereinigten Staaten ergeben und diese erhielten, was sie wollten, nämlich ein Mexiko, das sie nicht zu verwalten oder gar zu besetzen brauchten, das ihnen gleichwohl wirtschaftlich Objekt und politisch nicht nur unschädlich, sondern als Verbindungsstück zwischen den Südstaaten und dem Panamakanal auf die Dauer unentbehrlich sein mußte. Mit anderen Worten: Mexiko sollte, ob schneller oder langsamer, in seiner eigenen Sauce schmoren, bis es gar war. In diesem Gedanken hat auch noch der Präsident Taft während des letzten Teiles seiner Amtszeit so große Zurückhaltung beob¬ achtet. Wilsons Gedanke ist von vornherein ohne Zweifel der gleiche gewesen, nur daß Wilson von Anfang an, aus praktischen wie aus moralischen Gründen, bewaffneter Intervention noch ablehnender gegenüber stand, als Taft. Die moralischen Gründe und Argumente des Präsidenten Wilson sind von Anfang an bis heute viel bespöttelt worden. Man kann ohne Zweifel sehr verschiedener Ansicht über sie sein, aber es ist unbezweifelbar, daß sie — immer neben den praktischen Gründen — aufrichtig gemeint sind. Sehr objektiv denkende Leute, die den Präsidenten Wilson kennen, vereinigen sich in dem Urteile, daß er es mit seinen Prinzipien ehrlich meint. Ihre Anwendung ist freilich von sehr anfechtbaren Werte. Seit dem Sturze und der Ermordung Franzisko Maderos liegt die Zentral¬ gewalt in den Händen des Generals Huerta. soweit man überhaupt von einer Zentralgewalt im heutigen Mexiko sprechen kann. Huerta hat aber tatsächlich

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341897_326811/640>, abgerufen am 13.05.2024.