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Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Erstes Vierteljahr.

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Die Rechtsfrage von zähem

tun müssen. Oder man kann auch so fragen: was hätten die juristischen und
unjuristischen Angreifer des "Militärskandals von Zabern" getan, wenn sie selbst
Oberst in Zabern gewesen wären, oder was hätten sie dem Oberst zu tun
geraten, wenn er sich rechtzeitig an sie mit der Bitte um Rat gewendet hätte?

Sicher hätten sie ihm in erster Linie geraten, den Schutz der Polizei¬
behörden anzurufen. Aber die jüngsten Verhandlungen in Straßburg haben
gezeigt, daß der Oberst das längst getan hatte, daß indes die Maßnahmen der
Polizeibehörden unzulänglich waren.

Im Hinblick auf diese Unzulänglichkeit der polizeilichen Maßnahmen konnte
man ihm weiter raten, der Polizeibehörde die Requisition des Militärs nahe¬
zulegen. Die Rechtmäßigkeit einer solchen Requisition ist bisher noch nicht an¬
gezweifelt worden, obwohl sie auf den gemäß N. V. 68 auch im Reichsland
geltenden Artikel 36 der Preußischen V. U. allein noch nicht gestützt werden
kann. Aber die Verhandlungen haben weiter gezeigt, daß. als nicht von,
Militär, sondern von der der Ziviloerwaltung unterstellten Gendarmerie der
Wunsch nach Requisition des Militärs ausgesprochen wurde, dieser Wunsch
sofort abgelehnt wurde, "da die Gendarmerie sich doch nicht blamieren dürfe".

Anschütz hat in der Juristenzeitung S. 1458 weiter gemeint: "Der
Regimentskommandeur hätte (so weitgehende Vollmachten sind den Truppen¬
befehlshabern im Reichslande durch das Reichsgesetz betreffend die Vorbereitung
des Kriegszustandes in Elsaß-Lothringen vom 30. Mai 1892 gegeben) den
Kriegszustand, unter sofortiger Meldung an den Kaiser, provisorisch in Szene
setzen können." Der Oberst scheint in der Tat auch einmal daran gedacht zu
haben. Aber es war sehr gut, daß er den Gedanken nicht ausführte, sondern
zunächst das erwähnte Gesetz aufschlug; denn darin ist unzweideutig bestimmt,
daß er diese Zuständigkeit nur habe "für den Fall eines Krieges oder im Falle
eines unmittelbar drohenden feindlichen (!) Angriffes", also bezüglich des so¬
genannten militärischen Belagerungszustandes, dagegen nicht im Falle innerer
Unruhen bezüglich des sogenannten politischen Belagerungszustandes.

Sollte der politische Belagerungszustand erklärt werden, so war dafür
vielmehr kein anderer Weg gegeben, als der in R. V. 68 in Verbindung mit
§2 des Preußischen Gesetzes vom 4.Juni 1851 bezeichnete, d.h. Erklärung des
Belagerungszustandes durch den Kaiser selbst, der nach richtiger, in der Praxis
allerdings nicht anerkannter Ansicht nicht einmal in der Lage wäre, diese
Zuständigkeit zu delegieren. Es mag hier beiläufig auf die Anomalie hin¬
gewiesen werden, daß die Truppcnbefehlshaber im Reichsland hinsichtlich
des politischen Belagerungszustandes weniger Macht besitzen, als sie in Preußen
oder Sachsen auf Grund der älteren landesrechtlichen. Bestimmungen haben,
die, allerdings im Widerspruch mit der herrschenden Meinung der Wissenschaft,
von der Praxis noch immer als geltendes Recht anerkannt werden! Bei
Berücksichtigung dieses Rechtszustandes aber wird gewiß niemand von dem
Militär erwartet haben, daß es die Erklärung des Belagerungszustandes be-


Die Rechtsfrage von zähem

tun müssen. Oder man kann auch so fragen: was hätten die juristischen und
unjuristischen Angreifer des „Militärskandals von Zabern" getan, wenn sie selbst
Oberst in Zabern gewesen wären, oder was hätten sie dem Oberst zu tun
geraten, wenn er sich rechtzeitig an sie mit der Bitte um Rat gewendet hätte?

Sicher hätten sie ihm in erster Linie geraten, den Schutz der Polizei¬
behörden anzurufen. Aber die jüngsten Verhandlungen in Straßburg haben
gezeigt, daß der Oberst das längst getan hatte, daß indes die Maßnahmen der
Polizeibehörden unzulänglich waren.

Im Hinblick auf diese Unzulänglichkeit der polizeilichen Maßnahmen konnte
man ihm weiter raten, der Polizeibehörde die Requisition des Militärs nahe¬
zulegen. Die Rechtmäßigkeit einer solchen Requisition ist bisher noch nicht an¬
gezweifelt worden, obwohl sie auf den gemäß N. V. 68 auch im Reichsland
geltenden Artikel 36 der Preußischen V. U. allein noch nicht gestützt werden
kann. Aber die Verhandlungen haben weiter gezeigt, daß. als nicht von,
Militär, sondern von der der Ziviloerwaltung unterstellten Gendarmerie der
Wunsch nach Requisition des Militärs ausgesprochen wurde, dieser Wunsch
sofort abgelehnt wurde, „da die Gendarmerie sich doch nicht blamieren dürfe".

Anschütz hat in der Juristenzeitung S. 1458 weiter gemeint: „Der
Regimentskommandeur hätte (so weitgehende Vollmachten sind den Truppen¬
befehlshabern im Reichslande durch das Reichsgesetz betreffend die Vorbereitung
des Kriegszustandes in Elsaß-Lothringen vom 30. Mai 1892 gegeben) den
Kriegszustand, unter sofortiger Meldung an den Kaiser, provisorisch in Szene
setzen können." Der Oberst scheint in der Tat auch einmal daran gedacht zu
haben. Aber es war sehr gut, daß er den Gedanken nicht ausführte, sondern
zunächst das erwähnte Gesetz aufschlug; denn darin ist unzweideutig bestimmt,
daß er diese Zuständigkeit nur habe „für den Fall eines Krieges oder im Falle
eines unmittelbar drohenden feindlichen (!) Angriffes", also bezüglich des so¬
genannten militärischen Belagerungszustandes, dagegen nicht im Falle innerer
Unruhen bezüglich des sogenannten politischen Belagerungszustandes.

Sollte der politische Belagerungszustand erklärt werden, so war dafür
vielmehr kein anderer Weg gegeben, als der in R. V. 68 in Verbindung mit
§2 des Preußischen Gesetzes vom 4.Juni 1851 bezeichnete, d.h. Erklärung des
Belagerungszustandes durch den Kaiser selbst, der nach richtiger, in der Praxis
allerdings nicht anerkannter Ansicht nicht einmal in der Lage wäre, diese
Zuständigkeit zu delegieren. Es mag hier beiläufig auf die Anomalie hin¬
gewiesen werden, daß die Truppcnbefehlshaber im Reichsland hinsichtlich
des politischen Belagerungszustandes weniger Macht besitzen, als sie in Preußen
oder Sachsen auf Grund der älteren landesrechtlichen. Bestimmungen haben,
die, allerdings im Widerspruch mit der herrschenden Meinung der Wissenschaft,
von der Praxis noch immer als geltendes Recht anerkannt werden! Bei
Berücksichtigung dieses Rechtszustandes aber wird gewiß niemand von dem
Militär erwartet haben, daß es die Erklärung des Belagerungszustandes be-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341899_327465/110>, abgerufen am 19.05.2024.