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Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Erstes Vierteljahr.

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Maßgebliches und Unmaßgebliches

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Versprechen als Aspirant (Jungpfadfinder) in
eine Patrouille aufgenommen und erhält da¬
mit die Berechtigung, die Kleidung der Ab¬
teilung zu tragen. Zur Ablegung des eigent¬
lichen Psadfinderexamens braucht der Aspirant
zunächst die Einwilligung seines Justruktors.
Dieser muß durch Beobachtung während der
Aspirantenzeit die Überzeugung gewonnen
haben, daß der Junge in moralischer und
körperlicher Hinsicht reif und würdig ist, im
Geiste des Pfadfindertums zu leben, Ist das
Urteil des Jnstruktors positib, dann hat sich
der Aspirant der eigentlichen Prüfung zu
unterziehen, die sich auf folgende Punkte er¬
streckt:

"1, Zehn in unseren Gegenden vor¬
kommende Bäume nach Blatt oder Silhouette
erkennen und bestimmen; ihre charakteristischen
Eigenschaften angeben,

2. Wenigstens einen Franken erspart und
auf einer Sparkasse angelegt haben.

3, Nach Besichtigung während einer
Minute von vierundzwanzig verschiedenen,
zerstreut auf einem Brette liegenden Gegen¬
ständen eine Liste aufzustellen, die wenigstens
sechzehn der gesehenen Gegeniiände enthält.

4 Zwei Kilometer in weniger als fünf¬
zehn Minuten zurücklegen.

5. Mit höchstens zwei Streichhölzern im
Freien ein Feuer anzünden und auf diesem
Feuer ein kleines Mahl bereiten.

6. Eine Generalstabskarte lesen und den
Kompaß gebrauchen können.

Diese sechs Bedingungen, die in der Pfad¬
sinderprüfung erfüllt werden müssen, fordern
von dem Knaben doch schon eine tüchtige,
ernste theoretische und Praktische Vorarbeit.
Darin liegt aber ein großes erzieherisches
Moment; sie muß durch zielbewußtes Schaffen
auf.eine bestimmte Höhe gebracht werden, Ve-
sondereAbzeichen geben die verschiedenen Grade
der Leistung an und reizen den Ehrgeiz, Die
beiden Examina geben die eigentliche Gewähr
für eine bis zu einem bestimmten Grube gleich¬
förmige Ausbildung der einzelnen Abteilungen,
Ihre Einführung wird darum durch das
Zentralkomitee von jeder Gruppe verlangt,
wenn sie sich dem eidgenössischen Pfadfinder¬
bunde anschließen will. Im übrigen aber ist
es den Abteilungen freigestellt, ein oder das
andere der gesamten Erziehungsrichtung nicht

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widersprechende Prinzip besonders auszu¬
Professor Broßiner bauen,

Schöne Literatur

Das Klcistlmch von Julius Hart. Berlin,
Verlag Neues Leben, Wilhelm Borngräber,

Als Goethe Tiecks Paradoxe Deutung des
Charakters der Lady Macbeth erfuhr, be¬
merkte er, wir hätten in der Behandlung
Shakespeares den Kreis schon durchlaufen
und wären auf dem Standpunkte angelangt,
daß uns die Wahrheit anwidert, der Irrtum
aber willkommen erscheint. So geht es Julius
Hart mit seinem krampfhaften Versuch, in
Kleiste "Prinzen von Homburg" etwas ganz
Neues hineinzulegen. Es ist in der Tat schwer,
augenblicklich über Kleist zu schreiben, nach¬
dem Meyer-Benfey ihn für den eigentlichen
und einzigen deutschen Ktcrssiker neben Goethe
erklärt und Wilhelm Herzog eine erschöpfende
begeisterte Biographie gegeben hat. Die Plötz¬
liche Erkenntnis von Kleists überragender.
Größe weckt einerseits wie bei Roland Schacht
(Ur. 42 Jhg, I91S der Grenzboten) den Wider¬
spruch, anderseits die Lust, diese ErkenniniS zu
vertiefen und durch Erfindung eines Kleist¬
systems zu begründen. Der kluge Julius
Hart hat sich in den Gedanken verrannt, daß
vor ihm noch keiner Kleist richtig beurteilt
hätte, denn gerade dort sei Kleists eigent¬
liches Wesen zu finden, wo die früheren Aus¬
leger das Krankhafte und Verfehlte zu sehen
glaubten. Und nun gibt der geistvolle Kri¬
tiker eine außerordentlich scharfsinnige Er¬
klärung, wie der "Prinz von Homburg" eigent¬
lich gemeint sei; glänzend geschrieben, fesselnd
bis in die Kleinigkeiten, aber in Kleists Text
findet sich nicht der geringste Anlaß zu Harls
Ansicht. -- Oder soll das wirklich das Neue
sein, daß "der Jahrtausende alte Kampf
zwischen Vernunft und Natur der große Stoff
ist, die einzige Angelegenheit, um welche sich
für Kleist alles handelt?" Da muß ich aus
meiner, natürlich höchst minderwertigen,Schul¬
praxis widersprechen. Das weiß längst jeder
Primaner, daß im "Prinzen von Homburg"
kein Held im Sinne Max Piccolominis dar¬
gestellt werden soll, sondern ein Stück Natur,
Gefühl, im Gegensatz zum Recht, zum strengen
Gesetz der Vernunft.

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Maßgebliches und Unmaßgebliches

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Versprechen als Aspirant (Jungpfadfinder) in
eine Patrouille aufgenommen und erhält da¬
mit die Berechtigung, die Kleidung der Ab¬
teilung zu tragen. Zur Ablegung des eigent¬
lichen Psadfinderexamens braucht der Aspirant
zunächst die Einwilligung seines Justruktors.
Dieser muß durch Beobachtung während der
Aspirantenzeit die Überzeugung gewonnen
haben, daß der Junge in moralischer und
körperlicher Hinsicht reif und würdig ist, im
Geiste des Pfadfindertums zu leben, Ist das
Urteil des Jnstruktors positib, dann hat sich
der Aspirant der eigentlichen Prüfung zu
unterziehen, die sich auf folgende Punkte er¬
streckt:

„1, Zehn in unseren Gegenden vor¬
kommende Bäume nach Blatt oder Silhouette
erkennen und bestimmen; ihre charakteristischen
Eigenschaften angeben,

2. Wenigstens einen Franken erspart und
auf einer Sparkasse angelegt haben.

3, Nach Besichtigung während einer
Minute von vierundzwanzig verschiedenen,
zerstreut auf einem Brette liegenden Gegen¬
ständen eine Liste aufzustellen, die wenigstens
sechzehn der gesehenen Gegeniiände enthält.

4 Zwei Kilometer in weniger als fünf¬
zehn Minuten zurücklegen.

5. Mit höchstens zwei Streichhölzern im
Freien ein Feuer anzünden und auf diesem
Feuer ein kleines Mahl bereiten.

6. Eine Generalstabskarte lesen und den
Kompaß gebrauchen können.

Diese sechs Bedingungen, die in der Pfad¬
sinderprüfung erfüllt werden müssen, fordern
von dem Knaben doch schon eine tüchtige,
ernste theoretische und Praktische Vorarbeit.
Darin liegt aber ein großes erzieherisches
Moment; sie muß durch zielbewußtes Schaffen
auf.eine bestimmte Höhe gebracht werden, Ve-
sondereAbzeichen geben die verschiedenen Grade
der Leistung an und reizen den Ehrgeiz, Die
beiden Examina geben die eigentliche Gewähr
für eine bis zu einem bestimmten Grube gleich¬
förmige Ausbildung der einzelnen Abteilungen,
Ihre Einführung wird darum durch das
Zentralkomitee von jeder Gruppe verlangt,
wenn sie sich dem eidgenössischen Pfadfinder¬
bunde anschließen will. Im übrigen aber ist
es den Abteilungen freigestellt, ein oder das
andere der gesamten Erziehungsrichtung nicht

[Spaltenumbruch]

widersprechende Prinzip besonders auszu¬
Professor Broßiner bauen,

Schöne Literatur

Das Klcistlmch von Julius Hart. Berlin,
Verlag Neues Leben, Wilhelm Borngräber,

Als Goethe Tiecks Paradoxe Deutung des
Charakters der Lady Macbeth erfuhr, be¬
merkte er, wir hätten in der Behandlung
Shakespeares den Kreis schon durchlaufen
und wären auf dem Standpunkte angelangt,
daß uns die Wahrheit anwidert, der Irrtum
aber willkommen erscheint. So geht es Julius
Hart mit seinem krampfhaften Versuch, in
Kleiste „Prinzen von Homburg" etwas ganz
Neues hineinzulegen. Es ist in der Tat schwer,
augenblicklich über Kleist zu schreiben, nach¬
dem Meyer-Benfey ihn für den eigentlichen
und einzigen deutschen Ktcrssiker neben Goethe
erklärt und Wilhelm Herzog eine erschöpfende
begeisterte Biographie gegeben hat. Die Plötz¬
liche Erkenntnis von Kleists überragender.
Größe weckt einerseits wie bei Roland Schacht
(Ur. 42 Jhg, I91S der Grenzboten) den Wider¬
spruch, anderseits die Lust, diese ErkenniniS zu
vertiefen und durch Erfindung eines Kleist¬
systems zu begründen. Der kluge Julius
Hart hat sich in den Gedanken verrannt, daß
vor ihm noch keiner Kleist richtig beurteilt
hätte, denn gerade dort sei Kleists eigent¬
liches Wesen zu finden, wo die früheren Aus¬
leger das Krankhafte und Verfehlte zu sehen
glaubten. Und nun gibt der geistvolle Kri¬
tiker eine außerordentlich scharfsinnige Er¬
klärung, wie der „Prinz von Homburg" eigent¬
lich gemeint sei; glänzend geschrieben, fesselnd
bis in die Kleinigkeiten, aber in Kleists Text
findet sich nicht der geringste Anlaß zu Harls
Ansicht. — Oder soll das wirklich das Neue
sein, daß „der Jahrtausende alte Kampf
zwischen Vernunft und Natur der große Stoff
ist, die einzige Angelegenheit, um welche sich
für Kleist alles handelt?" Da muß ich aus
meiner, natürlich höchst minderwertigen,Schul¬
praxis widersprechen. Das weiß längst jeder
Primaner, daß im „Prinzen von Homburg"
kein Held im Sinne Max Piccolominis dar¬
gestellt werden soll, sondern ein Stück Natur,
Gefühl, im Gegensatz zum Recht, zum strengen
Gesetz der Vernunft.

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[0153] Maßgebliches und Unmaßgebliches Versprechen als Aspirant (Jungpfadfinder) in eine Patrouille aufgenommen und erhält da¬ mit die Berechtigung, die Kleidung der Ab¬ teilung zu tragen. Zur Ablegung des eigent¬ lichen Psadfinderexamens braucht der Aspirant zunächst die Einwilligung seines Justruktors. Dieser muß durch Beobachtung während der Aspirantenzeit die Überzeugung gewonnen haben, daß der Junge in moralischer und körperlicher Hinsicht reif und würdig ist, im Geiste des Pfadfindertums zu leben, Ist das Urteil des Jnstruktors positib, dann hat sich der Aspirant der eigentlichen Prüfung zu unterziehen, die sich auf folgende Punkte er¬ streckt: „1, Zehn in unseren Gegenden vor¬ kommende Bäume nach Blatt oder Silhouette erkennen und bestimmen; ihre charakteristischen Eigenschaften angeben, 2. Wenigstens einen Franken erspart und auf einer Sparkasse angelegt haben. 3, Nach Besichtigung während einer Minute von vierundzwanzig verschiedenen, zerstreut auf einem Brette liegenden Gegen¬ ständen eine Liste aufzustellen, die wenigstens sechzehn der gesehenen Gegeniiände enthält. 4 Zwei Kilometer in weniger als fünf¬ zehn Minuten zurücklegen. 5. Mit höchstens zwei Streichhölzern im Freien ein Feuer anzünden und auf diesem Feuer ein kleines Mahl bereiten. 6. Eine Generalstabskarte lesen und den Kompaß gebrauchen können. Diese sechs Bedingungen, die in der Pfad¬ sinderprüfung erfüllt werden müssen, fordern von dem Knaben doch schon eine tüchtige, ernste theoretische und Praktische Vorarbeit. Darin liegt aber ein großes erzieherisches Moment; sie muß durch zielbewußtes Schaffen auf.eine bestimmte Höhe gebracht werden, Ve- sondereAbzeichen geben die verschiedenen Grade der Leistung an und reizen den Ehrgeiz, Die beiden Examina geben die eigentliche Gewähr für eine bis zu einem bestimmten Grube gleich¬ förmige Ausbildung der einzelnen Abteilungen, Ihre Einführung wird darum durch das Zentralkomitee von jeder Gruppe verlangt, wenn sie sich dem eidgenössischen Pfadfinder¬ bunde anschließen will. Im übrigen aber ist es den Abteilungen freigestellt, ein oder das andere der gesamten Erziehungsrichtung nicht widersprechende Prinzip besonders auszu¬ Professor Broßiner bauen, Schöne Literatur Das Klcistlmch von Julius Hart. Berlin, Verlag Neues Leben, Wilhelm Borngräber, Als Goethe Tiecks Paradoxe Deutung des Charakters der Lady Macbeth erfuhr, be¬ merkte er, wir hätten in der Behandlung Shakespeares den Kreis schon durchlaufen und wären auf dem Standpunkte angelangt, daß uns die Wahrheit anwidert, der Irrtum aber willkommen erscheint. So geht es Julius Hart mit seinem krampfhaften Versuch, in Kleiste „Prinzen von Homburg" etwas ganz Neues hineinzulegen. Es ist in der Tat schwer, augenblicklich über Kleist zu schreiben, nach¬ dem Meyer-Benfey ihn für den eigentlichen und einzigen deutschen Ktcrssiker neben Goethe erklärt und Wilhelm Herzog eine erschöpfende begeisterte Biographie gegeben hat. Die Plötz¬ liche Erkenntnis von Kleists überragender. Größe weckt einerseits wie bei Roland Schacht (Ur. 42 Jhg, I91S der Grenzboten) den Wider¬ spruch, anderseits die Lust, diese ErkenniniS zu vertiefen und durch Erfindung eines Kleist¬ systems zu begründen. Der kluge Julius Hart hat sich in den Gedanken verrannt, daß vor ihm noch keiner Kleist richtig beurteilt hätte, denn gerade dort sei Kleists eigent¬ liches Wesen zu finden, wo die früheren Aus¬ leger das Krankhafte und Verfehlte zu sehen glaubten. Und nun gibt der geistvolle Kri¬ tiker eine außerordentlich scharfsinnige Er¬ klärung, wie der „Prinz von Homburg" eigent¬ lich gemeint sei; glänzend geschrieben, fesselnd bis in die Kleinigkeiten, aber in Kleists Text findet sich nicht der geringste Anlaß zu Harls Ansicht. — Oder soll das wirklich das Neue sein, daß „der Jahrtausende alte Kampf zwischen Vernunft und Natur der große Stoff ist, die einzige Angelegenheit, um welche sich für Kleist alles handelt?" Da muß ich aus meiner, natürlich höchst minderwertigen,Schul¬ praxis widersprechen. Das weiß längst jeder Primaner, daß im „Prinzen von Homburg" kein Held im Sinne Max Piccolominis dar¬ gestellt werden soll, sondern ein Stück Natur, Gefühl, im Gegensatz zum Recht, zum strengen Gesetz der Vernunft.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341899_327465/153>, abgerufen am 30.05.2024.