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Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Erstes Vierteljahr.

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Die Hexe von Mayen

"Ich weiß nur von sehr heiligen Reliquien, gnädiger Herr!" erwiderte sie
vorsichtig. "Aber diese haben natürlich unermeßlichen Wert, und König Ludwig
soll gesagt haben, daß er in Notre Dame zu Paris alles zu besitzen wünsche,
das an heiligen Gegenständen im Rheinland zu finden ist."

Wieder ging der Herzog auf und nieder und schwieg so lange, daß Se¬
bastian Wiltbergs Schwester ihn ängstlich betrachtete.

"Gnädiger Herr, wollt Ihr meinen armen Bruder im Kerker schmachten
lassen? Er hat doch eine Jungfrau befreit, die jetzt in Eurem Lager ist und
vor der die hohen Herren Reverenz machen, obgleich sie --"

"Ich wußte nicht, daß Ihr so genau Bescheid wüßtet über das. was hier
vorgeht!" entgegnete der Herzog kurz.

"Es ist mir berichtet worden --" murmelte Frau Emmeline, aber Hans
Adolf wurde kühl und von oben herab.

"Liebe Frau, wenn eine adlige Jungfrau aus meinem Lande sich hier in
Not befindet und durch den Aberglauben Eurer Landsleute beinahe den Tod
erleiden muß, so ist es meine Pflicht, sie in Obhut zu nehmen. Wo ich bin
und mit mir holsteinische Junker, da ist sie wohl geborgen. Um so mehr, als
wohl keine gute Familie in Andernach sie in ihr Haus aufnehmen würde, da
sie den gereinigten Glauben Martin Luthers bekennt und dadurch der Verfolgung
der Papisten ausgesetzt wäre, wie sie es schon erlebt hat. Wollet daher ver¬
meiden, anders als in Ehrerbietung von ihr zu sprechen." Frau Emmeline
schlug die Augen nieder.

"Sie hat meinen Bruder betört", entgegnete sie leise, aber Hans Adolf
rührte schon eine Klingel und rief dem eintretenden Diener einige Worte zu.
Es dauerte nicht lange, da stand Josias Sehestedt im Zelt und sah scharf aus
die blasse Frau, die nun noch einmal berichten mußte, was sie erfahren hatte.

Nämlich, daß die Franzosen in den nächsten Tagen in Manen sein würden,
daß ihr Weg dorthin ein verderbenbringender war und daß sie dann aufs
Kloster Laach und von dort aus nach dem Rhein gehen wollten. Mit des
Herzogs Erlaubnis fragte Josias die Edelfrau scharf aus und erhielt dieselben
Antworten, wie sein Herr. Frau von Kolben würde sich sonst nicht aufgemacht
haben, aber die Sorge um ihren Bruder trieb sie ins Lager. "Er hat die
Heilung befreit!" schob Hans Adolf ein und zwinkerte dabei etwas mit den
Augen. Denn er war scharfsinnig genug, um hier an allerlei Komplikationen
zu denken. Josias wurde auch sogleich rot und warf einen nicht sehr freund¬
lichen Blick auf die Bittstellerin, um sich dann aber gleich zusammenzunehmen
und im Namen seines Herrn eine Audienz bei dem Lothringer nachzusuchen.
Denn ohne seine Erlaubnis durfte sich Hans Adolf nicht viel rühren, und wenn
er allerlei Gedanken und Pläne hatte, so konnte er sie niemals allein ausführen.
War er doch nur ein kleiner Fürst, der wohl etliche holsteinische Junker in
seinem Gefolge, aber kein Heer hatte.

(Fortsetzung folgt)


24*
Die Hexe von Mayen

„Ich weiß nur von sehr heiligen Reliquien, gnädiger Herr!" erwiderte sie
vorsichtig. „Aber diese haben natürlich unermeßlichen Wert, und König Ludwig
soll gesagt haben, daß er in Notre Dame zu Paris alles zu besitzen wünsche,
das an heiligen Gegenständen im Rheinland zu finden ist."

Wieder ging der Herzog auf und nieder und schwieg so lange, daß Se¬
bastian Wiltbergs Schwester ihn ängstlich betrachtete.

„Gnädiger Herr, wollt Ihr meinen armen Bruder im Kerker schmachten
lassen? Er hat doch eine Jungfrau befreit, die jetzt in Eurem Lager ist und
vor der die hohen Herren Reverenz machen, obgleich sie —"

„Ich wußte nicht, daß Ihr so genau Bescheid wüßtet über das. was hier
vorgeht!" entgegnete der Herzog kurz.

„Es ist mir berichtet worden —" murmelte Frau Emmeline, aber Hans
Adolf wurde kühl und von oben herab.

„Liebe Frau, wenn eine adlige Jungfrau aus meinem Lande sich hier in
Not befindet und durch den Aberglauben Eurer Landsleute beinahe den Tod
erleiden muß, so ist es meine Pflicht, sie in Obhut zu nehmen. Wo ich bin
und mit mir holsteinische Junker, da ist sie wohl geborgen. Um so mehr, als
wohl keine gute Familie in Andernach sie in ihr Haus aufnehmen würde, da
sie den gereinigten Glauben Martin Luthers bekennt und dadurch der Verfolgung
der Papisten ausgesetzt wäre, wie sie es schon erlebt hat. Wollet daher ver¬
meiden, anders als in Ehrerbietung von ihr zu sprechen." Frau Emmeline
schlug die Augen nieder.

„Sie hat meinen Bruder betört", entgegnete sie leise, aber Hans Adolf
rührte schon eine Klingel und rief dem eintretenden Diener einige Worte zu.
Es dauerte nicht lange, da stand Josias Sehestedt im Zelt und sah scharf aus
die blasse Frau, die nun noch einmal berichten mußte, was sie erfahren hatte.

Nämlich, daß die Franzosen in den nächsten Tagen in Manen sein würden,
daß ihr Weg dorthin ein verderbenbringender war und daß sie dann aufs
Kloster Laach und von dort aus nach dem Rhein gehen wollten. Mit des
Herzogs Erlaubnis fragte Josias die Edelfrau scharf aus und erhielt dieselben
Antworten, wie sein Herr. Frau von Kolben würde sich sonst nicht aufgemacht
haben, aber die Sorge um ihren Bruder trieb sie ins Lager. „Er hat die
Heilung befreit!" schob Hans Adolf ein und zwinkerte dabei etwas mit den
Augen. Denn er war scharfsinnig genug, um hier an allerlei Komplikationen
zu denken. Josias wurde auch sogleich rot und warf einen nicht sehr freund¬
lichen Blick auf die Bittstellerin, um sich dann aber gleich zusammenzunehmen
und im Namen seines Herrn eine Audienz bei dem Lothringer nachzusuchen.
Denn ohne seine Erlaubnis durfte sich Hans Adolf nicht viel rühren, und wenn
er allerlei Gedanken und Pläne hatte, so konnte er sie niemals allein ausführen.
War er doch nur ein kleiner Fürst, der wohl etliche holsteinische Junker in
seinem Gefolge, aber kein Heer hatte.

(Fortsetzung folgt)


24*
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341899_327465/383>, abgerufen am 19.05.2024.