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Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Zweites Vierteljahr.

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Die Zukunft um Balkan

künftige Balkanpolitik beherrschen, und er verspricht den in Bukarest gezogenen
Landesgrenzen keine lange Dauer. Da die Erhaltung des Bukarester Friedens
für Rumänien eine Frage des Prestiges ist, ist ein weiteres, vielleicht uumerk-
liches Verwachsen mit der Balkanpolitik kaum uoch zu vermeiden, so gern auch
König Karol an der alten Formel des Desinteressements festhalten möchte.
Dazu kommt noch eine Veränderung in der nationalen Stimmung. Das lange
Zuwarten Rumäniens in der Balkankrisis hatte eine Mißstimmung erzeugt, die
nicht ganz ohne Einfluß auf den Entschluß einzugreifen bleiben konnte; dazu
hat dann der Erfolg dieses Eingreifens, die Gebietserwerbung und die aus-
schlaggebende Stellung, die Rumänien errang, den nationalen Ehrgeiz einerseits
befriedigt, anderseits gesteigert. Dadurch sind wieder die nationalistischen
Tendenzen in Rumänien gekräftigt worden, und nach verläßlichen Berichten
haben sie bereits begonnen, einen merklichen Einfluß auf die Staatspolitik zu
gewinnen.

Diese nationalistischen Tendenzen sind panrumänischen Charakters. Außer¬
halb des Königsreichs leben über 4 Millionen Rumänen, 1 Million in
Bessarabien. 2-^ in Ungarn und V2 in der Bukowina. Die panrumänische
Bewegung hat zwar erst Mitte der Wer Jahre in der "Liga für die kulturelle
Einheit aller Rumänen" eine Organisation gefunden. Aber schon 1883 sprach
der Bürgernleister von Jassu auf einem Bankett, und zwar in einem Toast
auf den anwesenden König, auf die politische Vereinigung der von Rumänen
bewohnten Gebiete Österreich. Ungarns mit dem Fürstentum. Eben in jener
Zeit suchte Rumänien eine politische Anlehnung an Österreich-Ungarn. Gegen¬
über der panrumünischen Bewegung erklärten rumänische Minister, die Existenz
der Habsburgischen Monarchie sei eine europäische Notwendigkeit; die An-
gliederung aller ungarischen Rumänen an das Königreich habe den Zusammen¬
bruch Österreichs zur Voraussetzung, und dieser müsse Rumänien selbst ver¬
hängnisvoll werden. Die Anlehnung Rumäniens an Österreich beruhe auf der
Furcht vor der slawischen Gefahr. Inzwischen aber haben die Rumänen
erkannt, daß das Schreckgespenst des Panslavismus keine Realität hat, da die
Balkanstaaten ihre politische und nationale Individualität auch gegen Rußland
entwickelt und behauptet haben; und außerdem hat Rumänien jetzt die Wahl,
ob es sich an die Balkanstaaten oder an Österreich-Ungarn anlehnen will.
Inzwischen hat die beständige Unterdrückung der rumänischen Nationalität in
Ungarn natürlich die nationalistische Bewegung in Rumänien geschürt, und es
ist nicht ohne Interesse, daß der gegenwärtige Minister Tale Jonescu als
junger Rechtsanwalt zu den nationalistischen Agitatoren gehört hat.

Man hat der österreichischen Politik den Vorwurf gemacht, daß ste wahrend
der Balkankrisis die Ansprüche Rumäniens nicht genügend unterstützt und sich
daher die Entfremdung Rumäniens selbst zuzuschreiben habe. Mese Auffassung
erscheint uns durchaus ungerechtfertigt. Aus dem rumänischen Grünbuch und
den Reden der rumänischen Minister geht deutlich hervor, daß Österreich von


Die Zukunft um Balkan

künftige Balkanpolitik beherrschen, und er verspricht den in Bukarest gezogenen
Landesgrenzen keine lange Dauer. Da die Erhaltung des Bukarester Friedens
für Rumänien eine Frage des Prestiges ist, ist ein weiteres, vielleicht uumerk-
liches Verwachsen mit der Balkanpolitik kaum uoch zu vermeiden, so gern auch
König Karol an der alten Formel des Desinteressements festhalten möchte.
Dazu kommt noch eine Veränderung in der nationalen Stimmung. Das lange
Zuwarten Rumäniens in der Balkankrisis hatte eine Mißstimmung erzeugt, die
nicht ganz ohne Einfluß auf den Entschluß einzugreifen bleiben konnte; dazu
hat dann der Erfolg dieses Eingreifens, die Gebietserwerbung und die aus-
schlaggebende Stellung, die Rumänien errang, den nationalen Ehrgeiz einerseits
befriedigt, anderseits gesteigert. Dadurch sind wieder die nationalistischen
Tendenzen in Rumänien gekräftigt worden, und nach verläßlichen Berichten
haben sie bereits begonnen, einen merklichen Einfluß auf die Staatspolitik zu
gewinnen.

Diese nationalistischen Tendenzen sind panrumänischen Charakters. Außer¬
halb des Königsreichs leben über 4 Millionen Rumänen, 1 Million in
Bessarabien. 2-^ in Ungarn und V2 in der Bukowina. Die panrumänische
Bewegung hat zwar erst Mitte der Wer Jahre in der „Liga für die kulturelle
Einheit aller Rumänen" eine Organisation gefunden. Aber schon 1883 sprach
der Bürgernleister von Jassu auf einem Bankett, und zwar in einem Toast
auf den anwesenden König, auf die politische Vereinigung der von Rumänen
bewohnten Gebiete Österreich. Ungarns mit dem Fürstentum. Eben in jener
Zeit suchte Rumänien eine politische Anlehnung an Österreich-Ungarn. Gegen¬
über der panrumünischen Bewegung erklärten rumänische Minister, die Existenz
der Habsburgischen Monarchie sei eine europäische Notwendigkeit; die An-
gliederung aller ungarischen Rumänen an das Königreich habe den Zusammen¬
bruch Österreichs zur Voraussetzung, und dieser müsse Rumänien selbst ver¬
hängnisvoll werden. Die Anlehnung Rumäniens an Österreich beruhe auf der
Furcht vor der slawischen Gefahr. Inzwischen aber haben die Rumänen
erkannt, daß das Schreckgespenst des Panslavismus keine Realität hat, da die
Balkanstaaten ihre politische und nationale Individualität auch gegen Rußland
entwickelt und behauptet haben; und außerdem hat Rumänien jetzt die Wahl,
ob es sich an die Balkanstaaten oder an Österreich-Ungarn anlehnen will.
Inzwischen hat die beständige Unterdrückung der rumänischen Nationalität in
Ungarn natürlich die nationalistische Bewegung in Rumänien geschürt, und es
ist nicht ohne Interesse, daß der gegenwärtige Minister Tale Jonescu als
junger Rechtsanwalt zu den nationalistischen Agitatoren gehört hat.

Man hat der österreichischen Politik den Vorwurf gemacht, daß ste wahrend
der Balkankrisis die Ansprüche Rumäniens nicht genügend unterstützt und sich
daher die Entfremdung Rumäniens selbst zuzuschreiben habe. Mese Auffassung
erscheint uns durchaus ungerechtfertigt. Aus dem rumänischen Grünbuch und
den Reden der rumänischen Minister geht deutlich hervor, daß Österreich von


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[0017] Die Zukunft um Balkan künftige Balkanpolitik beherrschen, und er verspricht den in Bukarest gezogenen Landesgrenzen keine lange Dauer. Da die Erhaltung des Bukarester Friedens für Rumänien eine Frage des Prestiges ist, ist ein weiteres, vielleicht uumerk- liches Verwachsen mit der Balkanpolitik kaum uoch zu vermeiden, so gern auch König Karol an der alten Formel des Desinteressements festhalten möchte. Dazu kommt noch eine Veränderung in der nationalen Stimmung. Das lange Zuwarten Rumäniens in der Balkankrisis hatte eine Mißstimmung erzeugt, die nicht ganz ohne Einfluß auf den Entschluß einzugreifen bleiben konnte; dazu hat dann der Erfolg dieses Eingreifens, die Gebietserwerbung und die aus- schlaggebende Stellung, die Rumänien errang, den nationalen Ehrgeiz einerseits befriedigt, anderseits gesteigert. Dadurch sind wieder die nationalistischen Tendenzen in Rumänien gekräftigt worden, und nach verläßlichen Berichten haben sie bereits begonnen, einen merklichen Einfluß auf die Staatspolitik zu gewinnen. Diese nationalistischen Tendenzen sind panrumänischen Charakters. Außer¬ halb des Königsreichs leben über 4 Millionen Rumänen, 1 Million in Bessarabien. 2-^ in Ungarn und V2 in der Bukowina. Die panrumänische Bewegung hat zwar erst Mitte der Wer Jahre in der „Liga für die kulturelle Einheit aller Rumänen" eine Organisation gefunden. Aber schon 1883 sprach der Bürgernleister von Jassu auf einem Bankett, und zwar in einem Toast auf den anwesenden König, auf die politische Vereinigung der von Rumänen bewohnten Gebiete Österreich. Ungarns mit dem Fürstentum. Eben in jener Zeit suchte Rumänien eine politische Anlehnung an Österreich-Ungarn. Gegen¬ über der panrumünischen Bewegung erklärten rumänische Minister, die Existenz der Habsburgischen Monarchie sei eine europäische Notwendigkeit; die An- gliederung aller ungarischen Rumänen an das Königreich habe den Zusammen¬ bruch Österreichs zur Voraussetzung, und dieser müsse Rumänien selbst ver¬ hängnisvoll werden. Die Anlehnung Rumäniens an Österreich beruhe auf der Furcht vor der slawischen Gefahr. Inzwischen aber haben die Rumänen erkannt, daß das Schreckgespenst des Panslavismus keine Realität hat, da die Balkanstaaten ihre politische und nationale Individualität auch gegen Rußland entwickelt und behauptet haben; und außerdem hat Rumänien jetzt die Wahl, ob es sich an die Balkanstaaten oder an Österreich-Ungarn anlehnen will. Inzwischen hat die beständige Unterdrückung der rumänischen Nationalität in Ungarn natürlich die nationalistische Bewegung in Rumänien geschürt, und es ist nicht ohne Interesse, daß der gegenwärtige Minister Tale Jonescu als junger Rechtsanwalt zu den nationalistischen Agitatoren gehört hat. Man hat der österreichischen Politik den Vorwurf gemacht, daß ste wahrend der Balkankrisis die Ansprüche Rumäniens nicht genügend unterstützt und sich daher die Entfremdung Rumäniens selbst zuzuschreiben habe. Mese Auffassung erscheint uns durchaus ungerechtfertigt. Aus dem rumänischen Grünbuch und den Reden der rumänischen Minister geht deutlich hervor, daß Österreich von

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341899_328099/17>, abgerufen am 22.05.2024.