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Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Zweites Vierteljahr.

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Die Hexe von Mayen

El, wie er über die Weiber schimpfte! Seine Worte klangen Josias noch
in den Ohren, als er in Schierensee anlangte, die Junker ihm entgegensprangen
und die kleine Heilwig den Knaben nur zögernd folgte. Sie war ein Mutterkind
und sie machte sich nichts aus ihm; als er sie aufhob, um sie zu küssen, begann
sie zu weinen. Heftig setzte er sie auf die Erde und wollte ein hartes Wort
sagen, da stand Frau Heilwig schon neben ihm und in ihr Gewand verbarg
sich das zarte Kindergesicht.

"Ihr seid zu rauh, Herr von Sehestedt!" sagte seine Gemahlin und er
wußte keine Antwort darauf. Er meinte es gut -- warum sollte er denn
rauh sein?

Mürrisch ging er von dannen und seine zwei Junker erhielten an diesem
Tage mehrmals Hiebe, über die sie sich laut beklagten. Denn waren sie nicht
Junker, die alles tun durften, was sie wollten? Aber ihre Strafe war ver¬
dient; sie waren wild und unbändig und der Prädikant, der sie unterrichten
sollte, klagte über sie. Ehemals hätte Herr Josias nur gelacht, wenn seine
Junker unbändig waren, jetzt wurde er doch nachdenklich und sah mehr nach ihnen.
Ritt auch nicht mehr so viel auf die Jagd und lehnte ein großes Nitterfest in
Itzehoe ab, das zehn Tage dauern sollte, und das Trunk und Raufereien im
Gefolge hatte. Darum aber war Frau Heilwig doch noch nicht freundlicher
geworden, und er selbst konnte sich gleichfalls nicht entschließen, gute Worte zu
sprechen. So nebenbei berichtete er ihr, daß der Stadtschreiber von Mayen sich
das Leben genommen habe. Da sagte sie nicht viel, nur ihre Augen öffneten
sich weit und sahen an ihm vorüber in die Ferne. An was dachte sie? An
den Turm in Mayen, aus dem sie der rheinische Junker rettete? An das Loch
in der Mauer, durch das sie entkommen war? Der Junker war tot -- oder
sollte er wieder gesund geworden sein und noch an die denken, die ihn damals
so sehr liebte, daß sie ihn fast geheiratet hätte. Nur gut, daß er ein Papist
war und daß seine Frau Schwester mit ungeschickter Hand dazwischen fuhr!

Herr Josias wurde grüblerisch. Wohl ging er mit seinen Junkern auf die
Jagd und ermahnte den Prädikanten, strenge mit ihnen zu sein; wohl versuchte
er, seine kleine Tochter mehr zu sich zu ziehen. Ganz heimlich, so daß es
Frau Heilwig kaum merkte. Zuerst war die Kleine scheu: dann saß sie doch
manchmal auf seinem Knie und ließ sich berichten von den Häslein im Felde,
von den Rehkitzchen, hinter welchen der Wolf her war. Herr Josias verstand
nichts von Märchen; er konnte nur Dinge berichten, die er mit Augen sehen
konnte, aber klein Heilwig hörte ihm doch zu, und einmal bekam die Mutter
zu hören:

"Der Herr Vater weiß schönere Geschichten als Ihr, Frau Mutter!"

Worauf Herr Josias, der bei diesem Vorwurf zugegen war, sich verlegen
räusperte, und doch den ersten freundlichen Blick Heilwigs erhielt.

Aber dann versank sie wieder in ihr kühles Schweigen, und auch ihr Gemahl
konnte den rechten Weg zu ihr nicht mehr finden.


Die Hexe von Mayen

El, wie er über die Weiber schimpfte! Seine Worte klangen Josias noch
in den Ohren, als er in Schierensee anlangte, die Junker ihm entgegensprangen
und die kleine Heilwig den Knaben nur zögernd folgte. Sie war ein Mutterkind
und sie machte sich nichts aus ihm; als er sie aufhob, um sie zu küssen, begann
sie zu weinen. Heftig setzte er sie auf die Erde und wollte ein hartes Wort
sagen, da stand Frau Heilwig schon neben ihm und in ihr Gewand verbarg
sich das zarte Kindergesicht.

„Ihr seid zu rauh, Herr von Sehestedt!" sagte seine Gemahlin und er
wußte keine Antwort darauf. Er meinte es gut — warum sollte er denn
rauh sein?

Mürrisch ging er von dannen und seine zwei Junker erhielten an diesem
Tage mehrmals Hiebe, über die sie sich laut beklagten. Denn waren sie nicht
Junker, die alles tun durften, was sie wollten? Aber ihre Strafe war ver¬
dient; sie waren wild und unbändig und der Prädikant, der sie unterrichten
sollte, klagte über sie. Ehemals hätte Herr Josias nur gelacht, wenn seine
Junker unbändig waren, jetzt wurde er doch nachdenklich und sah mehr nach ihnen.
Ritt auch nicht mehr so viel auf die Jagd und lehnte ein großes Nitterfest in
Itzehoe ab, das zehn Tage dauern sollte, und das Trunk und Raufereien im
Gefolge hatte. Darum aber war Frau Heilwig doch noch nicht freundlicher
geworden, und er selbst konnte sich gleichfalls nicht entschließen, gute Worte zu
sprechen. So nebenbei berichtete er ihr, daß der Stadtschreiber von Mayen sich
das Leben genommen habe. Da sagte sie nicht viel, nur ihre Augen öffneten
sich weit und sahen an ihm vorüber in die Ferne. An was dachte sie? An
den Turm in Mayen, aus dem sie der rheinische Junker rettete? An das Loch
in der Mauer, durch das sie entkommen war? Der Junker war tot — oder
sollte er wieder gesund geworden sein und noch an die denken, die ihn damals
so sehr liebte, daß sie ihn fast geheiratet hätte. Nur gut, daß er ein Papist
war und daß seine Frau Schwester mit ungeschickter Hand dazwischen fuhr!

Herr Josias wurde grüblerisch. Wohl ging er mit seinen Junkern auf die
Jagd und ermahnte den Prädikanten, strenge mit ihnen zu sein; wohl versuchte
er, seine kleine Tochter mehr zu sich zu ziehen. Ganz heimlich, so daß es
Frau Heilwig kaum merkte. Zuerst war die Kleine scheu: dann saß sie doch
manchmal auf seinem Knie und ließ sich berichten von den Häslein im Felde,
von den Rehkitzchen, hinter welchen der Wolf her war. Herr Josias verstand
nichts von Märchen; er konnte nur Dinge berichten, die er mit Augen sehen
konnte, aber klein Heilwig hörte ihm doch zu, und einmal bekam die Mutter
zu hören:

„Der Herr Vater weiß schönere Geschichten als Ihr, Frau Mutter!"

Worauf Herr Josias, der bei diesem Vorwurf zugegen war, sich verlegen
räusperte, und doch den ersten freundlichen Blick Heilwigs erhielt.

Aber dann versank sie wieder in ihr kühles Schweigen, und auch ihr Gemahl
konnte den rechten Weg zu ihr nicht mehr finden.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341899_328099/184>, abgerufen am 16.06.2024.