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Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Zweites Vierteljahr.

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Reichsspiegel

diese oder jene Persönlichkeit auf diesem oder jenem hohen Platze wird leisten
können. Unsere hohen Staatsmänner gehen gewöhnlich mit einer Marsch¬
route auf den führenden Posten, die unabhängig gegeben wird von der öffent¬
lichen Meinung. Man ist daher vielfach auf Kombinationen angewiesen
über das, was als die Aufgabe neuer Männer betrachtet werden soll.
Infolgedessen muß man auch jedem Staatsmann erst eine gewisse Zeit lassen,
sich auf seinen: neuen Posten einzuarbeiten, ehe man erkennt, was er zu leisten
befähigt ist. Manchmal lassen zwar Antrittsreden oder offiziös beeinflußte
Zeitungsartikel schon bald den Weg erkennen, auf dem der neue Mann zu
wandeln gedenkt. In Preußen macht man jedoch wenig Gebrauch von solcher
Übung, weil es sich im Hinblick auf das Bestreben, die Behördenautorität unter
allen Umständen zu wahren, als unzweckmäßig erwiesen hat, sich in irgendeiner
Richtung festzulegen, die nachher womöglich nicht eingehalten werden kann.
So ist es auch durchaus nicht ausgeschlossen, daß Herr von Dallwitz, der nicht
zu den stärksten preußischen Ministern des Innern gerechnet werden durfte, ein
ganz hervorragender Vertreter des Kaisers und der Reichsinteressen in den
Neichslanden werden wird.

Nicht so glücklich ist bezüglich der Presse der Nachfolger des Herrn
von Dallwitz im Ministerium des Innern. Herrn von Loebell gegenüber hat
sich die Presse die notwendige Zurückhaltung nicht auferlegt. Nur die Konser¬
vativen behandeln den neuen Herrn im Ministerium des Innern mit vorsichtiger
Kühle, hinter der das Mißtrauen gegen den früheren Vertrauten des Fürsten
Bülow nur schlecht verhüllt ist. Die liberalen Blätter und vor allen Dingen
die nationalliberalen begehen dagegen von neuem einen Fehler, der ihnen schon
so viel Vertrauen im Lande gekostet hat. Sie begrüßen den neuen Minister
als den Träger einer bestimmten, diesmal der Bülowschen Politik, ohne doch zu
wissen, ob er es fünf Jahre nach dem Zusammenbruch jener Politik als
praktischer Staatsmann, selbst bei bestem Willen, sein kann. Sie scheinen von
Herrn von Loebell zu erwarten, daß er so etwas wie Rückkehr zur Blockpolitik
bringen würde, für die doch nur recht fragwürdige Vorbedingungen vorhanden
sind. Man stellt es auch so ziemlich als sicher hin, als werde der neue Minister
eine Wahlrechtsreform in das Abgeordnetenhaus einbringen und dabei besonders
den liberalen Wünschen entgegenkommen. Dabei beruht aber doch alles nur
auf Mutmaßungen. Was gedenkt die liberale Presse zu tun, wenn sich ihre
ziemlich apodiktisch aufgestellten Behauptungen über die wahrscheinlichen Wege
der Politik des neuen Mannes im alten Wagen nicht als richtig erweisen?
Will sie dann einen auch ohne Wahlrechtsenthusiasmus höchst willkommenen und
vertrauenswürdiger Staatsmann bekämpfen? Herr von Loebell muß beim Lesen
der Zeitungsstimmen wohl oft den Gedanken haben: "Herr bewahre mich vor
meinen Freunden." Gerade einem Manne gegenüber, den auch politische Gegner
stets zur Elite unserer Beamtenschaft gerechnet haben, ist, will man ihm beim
Eintritt in sein Amt nicht gleich überflüssige Schwierigkeiten entgegenwälzen.


Reichsspiegel

diese oder jene Persönlichkeit auf diesem oder jenem hohen Platze wird leisten
können. Unsere hohen Staatsmänner gehen gewöhnlich mit einer Marsch¬
route auf den führenden Posten, die unabhängig gegeben wird von der öffent¬
lichen Meinung. Man ist daher vielfach auf Kombinationen angewiesen
über das, was als die Aufgabe neuer Männer betrachtet werden soll.
Infolgedessen muß man auch jedem Staatsmann erst eine gewisse Zeit lassen,
sich auf seinen: neuen Posten einzuarbeiten, ehe man erkennt, was er zu leisten
befähigt ist. Manchmal lassen zwar Antrittsreden oder offiziös beeinflußte
Zeitungsartikel schon bald den Weg erkennen, auf dem der neue Mann zu
wandeln gedenkt. In Preußen macht man jedoch wenig Gebrauch von solcher
Übung, weil es sich im Hinblick auf das Bestreben, die Behördenautorität unter
allen Umständen zu wahren, als unzweckmäßig erwiesen hat, sich in irgendeiner
Richtung festzulegen, die nachher womöglich nicht eingehalten werden kann.
So ist es auch durchaus nicht ausgeschlossen, daß Herr von Dallwitz, der nicht
zu den stärksten preußischen Ministern des Innern gerechnet werden durfte, ein
ganz hervorragender Vertreter des Kaisers und der Reichsinteressen in den
Neichslanden werden wird.

Nicht so glücklich ist bezüglich der Presse der Nachfolger des Herrn
von Dallwitz im Ministerium des Innern. Herrn von Loebell gegenüber hat
sich die Presse die notwendige Zurückhaltung nicht auferlegt. Nur die Konser¬
vativen behandeln den neuen Herrn im Ministerium des Innern mit vorsichtiger
Kühle, hinter der das Mißtrauen gegen den früheren Vertrauten des Fürsten
Bülow nur schlecht verhüllt ist. Die liberalen Blätter und vor allen Dingen
die nationalliberalen begehen dagegen von neuem einen Fehler, der ihnen schon
so viel Vertrauen im Lande gekostet hat. Sie begrüßen den neuen Minister
als den Träger einer bestimmten, diesmal der Bülowschen Politik, ohne doch zu
wissen, ob er es fünf Jahre nach dem Zusammenbruch jener Politik als
praktischer Staatsmann, selbst bei bestem Willen, sein kann. Sie scheinen von
Herrn von Loebell zu erwarten, daß er so etwas wie Rückkehr zur Blockpolitik
bringen würde, für die doch nur recht fragwürdige Vorbedingungen vorhanden
sind. Man stellt es auch so ziemlich als sicher hin, als werde der neue Minister
eine Wahlrechtsreform in das Abgeordnetenhaus einbringen und dabei besonders
den liberalen Wünschen entgegenkommen. Dabei beruht aber doch alles nur
auf Mutmaßungen. Was gedenkt die liberale Presse zu tun, wenn sich ihre
ziemlich apodiktisch aufgestellten Behauptungen über die wahrscheinlichen Wege
der Politik des neuen Mannes im alten Wagen nicht als richtig erweisen?
Will sie dann einen auch ohne Wahlrechtsenthusiasmus höchst willkommenen und
vertrauenswürdiger Staatsmann bekämpfen? Herr von Loebell muß beim Lesen
der Zeitungsstimmen wohl oft den Gedanken haben: „Herr bewahre mich vor
meinen Freunden." Gerade einem Manne gegenüber, den auch politische Gegner
stets zur Elite unserer Beamtenschaft gerechnet haben, ist, will man ihm beim
Eintritt in sein Amt nicht gleich überflüssige Schwierigkeiten entgegenwälzen.


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[0197] Reichsspiegel diese oder jene Persönlichkeit auf diesem oder jenem hohen Platze wird leisten können. Unsere hohen Staatsmänner gehen gewöhnlich mit einer Marsch¬ route auf den führenden Posten, die unabhängig gegeben wird von der öffent¬ lichen Meinung. Man ist daher vielfach auf Kombinationen angewiesen über das, was als die Aufgabe neuer Männer betrachtet werden soll. Infolgedessen muß man auch jedem Staatsmann erst eine gewisse Zeit lassen, sich auf seinen: neuen Posten einzuarbeiten, ehe man erkennt, was er zu leisten befähigt ist. Manchmal lassen zwar Antrittsreden oder offiziös beeinflußte Zeitungsartikel schon bald den Weg erkennen, auf dem der neue Mann zu wandeln gedenkt. In Preußen macht man jedoch wenig Gebrauch von solcher Übung, weil es sich im Hinblick auf das Bestreben, die Behördenautorität unter allen Umständen zu wahren, als unzweckmäßig erwiesen hat, sich in irgendeiner Richtung festzulegen, die nachher womöglich nicht eingehalten werden kann. So ist es auch durchaus nicht ausgeschlossen, daß Herr von Dallwitz, der nicht zu den stärksten preußischen Ministern des Innern gerechnet werden durfte, ein ganz hervorragender Vertreter des Kaisers und der Reichsinteressen in den Neichslanden werden wird. Nicht so glücklich ist bezüglich der Presse der Nachfolger des Herrn von Dallwitz im Ministerium des Innern. Herrn von Loebell gegenüber hat sich die Presse die notwendige Zurückhaltung nicht auferlegt. Nur die Konser¬ vativen behandeln den neuen Herrn im Ministerium des Innern mit vorsichtiger Kühle, hinter der das Mißtrauen gegen den früheren Vertrauten des Fürsten Bülow nur schlecht verhüllt ist. Die liberalen Blätter und vor allen Dingen die nationalliberalen begehen dagegen von neuem einen Fehler, der ihnen schon so viel Vertrauen im Lande gekostet hat. Sie begrüßen den neuen Minister als den Träger einer bestimmten, diesmal der Bülowschen Politik, ohne doch zu wissen, ob er es fünf Jahre nach dem Zusammenbruch jener Politik als praktischer Staatsmann, selbst bei bestem Willen, sein kann. Sie scheinen von Herrn von Loebell zu erwarten, daß er so etwas wie Rückkehr zur Blockpolitik bringen würde, für die doch nur recht fragwürdige Vorbedingungen vorhanden sind. Man stellt es auch so ziemlich als sicher hin, als werde der neue Minister eine Wahlrechtsreform in das Abgeordnetenhaus einbringen und dabei besonders den liberalen Wünschen entgegenkommen. Dabei beruht aber doch alles nur auf Mutmaßungen. Was gedenkt die liberale Presse zu tun, wenn sich ihre ziemlich apodiktisch aufgestellten Behauptungen über die wahrscheinlichen Wege der Politik des neuen Mannes im alten Wagen nicht als richtig erweisen? Will sie dann einen auch ohne Wahlrechtsenthusiasmus höchst willkommenen und vertrauenswürdiger Staatsmann bekämpfen? Herr von Loebell muß beim Lesen der Zeitungsstimmen wohl oft den Gedanken haben: „Herr bewahre mich vor meinen Freunden." Gerade einem Manne gegenüber, den auch politische Gegner stets zur Elite unserer Beamtenschaft gerechnet haben, ist, will man ihm beim Eintritt in sein Amt nicht gleich überflüssige Schwierigkeiten entgegenwälzen.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341899_328099/197>, abgerufen am 26.05.2024.