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Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Zweites Vierteljahr.

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Bismarck und Prokesch-Osten

näher steht als Tallenrand und Metternich. Aber Machicwelli wird in alle
Ewigkeit der unumgängliche Lehrmeister beider Typen von Staatsmännern
bleiben, und so wird es. in seinem Sinne, immer nur darauf ankommen, daß
dieselben Dinge geschickt und mit Erfolg betrieben werden, wegen deren man
den sie ungeschickt und erfolglos Betreibenden mit leichter Mühe bloßstellen und
richten kann; daß vor allem Einsatz und Erfolg in das rechte Verhältnis, daß
die Ratschläge Machiavells nur um eines genügend großen und in sich berechtigten
historischen Zieles willen zur Anwendung gebracht werden. Bismarck hat später,
wenn es nicht anders ging, auch alles das. was er an seinen damaligen
Gegnern im kleinen verwarf, in gigantischem Maßstabe vollführt, er handhabte
die List, ja die Überlistung. mit gleicher Meisterschaft wie die Gewalt, und sein
Motto blieb, hier wie dort, daß "die Tugend im Gelingen liege".

Der Sinn seiner vermeintlichen Neuerung in der diplomatischen Moral
konnte also im wesentlichen kein anderer sein, als daß man, wo der Stand der
Dinge irgend Licht vertrage, nicht den Lichtscheuen spielen, daß man. wie nach
dem Katechismus den Namen Gottes nicht unnützlich führen, so auch den Teufel
nicht unnötig ins Spiel ziehen solle.

Es gibt vielleicht keinen Staatsmann wieder, der es so verstanden hätte,
seine Gegner ins Unrecht zu setzen, wie Bismarck. Von einem tiefen Instinkt
für die wirklichen sittlichen treibenden Kräfte der Geschichte erfüllt, ja man
darf sagen, eines ihrer mächtigsten Echos und Werkzeuge, wußte er auch die
Mittel, mit denen er seine Pläne verwirklichte, und bei denen -- der ganzen
Art der Politik nach -- die Sittlichkeit oft tatsächlich nur eine relativ geringe
Rolle spielte, um so mehr also die Fiktion einer solchen vonnöten war. immer
prachtvoll in diesem Sinne zu drapieren. .

Damals freilich, in Frankfurt, hatte er es leichter: der erste Einblick in
die dortigen Zustände offenbarte ihm den Gegner in einem tiefen Unrecht, in
das er ihn nicht erst zu setzen brauchte, zeigte ihn in der selbstsüchtigen
Heranziehung und Ausbeutung überlebter, unhaltbarer, unwirklicher Verfassungs¬
formen sozusagen in eine einzige große Lüge verstrickt. Was das Unsittliche
des damaligen Bundestagstreibens noch verstärkte und auf die Spitze trieb
war. daß Österreich und Preußen nominell und formell Bundesbrüder, tatsächlich
Nebenbuhler waren und sich vielfach nicht nur als solche, sondern direkt als
Feinde behandelten. Es ist hierbei gleichgültig, wen das Hauptodmm davon
trifft: im Sinne Österreichs wird man immerhin sagen dürfen, daß Schwarzen¬
berg nur Gegenschläge gegen Gagern und Radowitz geführt hat. daß Olmütz
eine Reaktion auf Frankfurt und Erfurt war. Worauf es ankommt, ist dies:
wer dieses Bundesverhältnis. aus dem Treu und Glauben gewichen. beMe
und vertrat, der log. mochte er wollen oder nicht; wer es aus Herzensgrunde
verwarf und verneinte, der bekannte die Wahrheit. Diese dankbarere Rolle i
damals Bismarck zugefallen, und insofern er. und einzig er. wenn auch zunächst
nur in dieser Negative, sich dessen bewußt war. was er wollte, und zugleich


Bismarck und Prokesch-Osten

näher steht als Tallenrand und Metternich. Aber Machicwelli wird in alle
Ewigkeit der unumgängliche Lehrmeister beider Typen von Staatsmännern
bleiben, und so wird es. in seinem Sinne, immer nur darauf ankommen, daß
dieselben Dinge geschickt und mit Erfolg betrieben werden, wegen deren man
den sie ungeschickt und erfolglos Betreibenden mit leichter Mühe bloßstellen und
richten kann; daß vor allem Einsatz und Erfolg in das rechte Verhältnis, daß
die Ratschläge Machiavells nur um eines genügend großen und in sich berechtigten
historischen Zieles willen zur Anwendung gebracht werden. Bismarck hat später,
wenn es nicht anders ging, auch alles das. was er an seinen damaligen
Gegnern im kleinen verwarf, in gigantischem Maßstabe vollführt, er handhabte
die List, ja die Überlistung. mit gleicher Meisterschaft wie die Gewalt, und sein
Motto blieb, hier wie dort, daß „die Tugend im Gelingen liege".

Der Sinn seiner vermeintlichen Neuerung in der diplomatischen Moral
konnte also im wesentlichen kein anderer sein, als daß man, wo der Stand der
Dinge irgend Licht vertrage, nicht den Lichtscheuen spielen, daß man. wie nach
dem Katechismus den Namen Gottes nicht unnützlich führen, so auch den Teufel
nicht unnötig ins Spiel ziehen solle.

Es gibt vielleicht keinen Staatsmann wieder, der es so verstanden hätte,
seine Gegner ins Unrecht zu setzen, wie Bismarck. Von einem tiefen Instinkt
für die wirklichen sittlichen treibenden Kräfte der Geschichte erfüllt, ja man
darf sagen, eines ihrer mächtigsten Echos und Werkzeuge, wußte er auch die
Mittel, mit denen er seine Pläne verwirklichte, und bei denen — der ganzen
Art der Politik nach — die Sittlichkeit oft tatsächlich nur eine relativ geringe
Rolle spielte, um so mehr also die Fiktion einer solchen vonnöten war. immer
prachtvoll in diesem Sinne zu drapieren. .

Damals freilich, in Frankfurt, hatte er es leichter: der erste Einblick in
die dortigen Zustände offenbarte ihm den Gegner in einem tiefen Unrecht, in
das er ihn nicht erst zu setzen brauchte, zeigte ihn in der selbstsüchtigen
Heranziehung und Ausbeutung überlebter, unhaltbarer, unwirklicher Verfassungs¬
formen sozusagen in eine einzige große Lüge verstrickt. Was das Unsittliche
des damaligen Bundestagstreibens noch verstärkte und auf die Spitze trieb
war. daß Österreich und Preußen nominell und formell Bundesbrüder, tatsächlich
Nebenbuhler waren und sich vielfach nicht nur als solche, sondern direkt als
Feinde behandelten. Es ist hierbei gleichgültig, wen das Hauptodmm davon
trifft: im Sinne Österreichs wird man immerhin sagen dürfen, daß Schwarzen¬
berg nur Gegenschläge gegen Gagern und Radowitz geführt hat. daß Olmütz
eine Reaktion auf Frankfurt und Erfurt war. Worauf es ankommt, ist dies:
wer dieses Bundesverhältnis. aus dem Treu und Glauben gewichen. beMe
und vertrat, der log. mochte er wollen oder nicht; wer es aus Herzensgrunde
verwarf und verneinte, der bekannte die Wahrheit. Diese dankbarere Rolle i
damals Bismarck zugefallen, und insofern er. und einzig er. wenn auch zunächst
nur in dieser Negative, sich dessen bewußt war. was er wollte, und zugleich


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341899_328099/25>, abgerufen am 22.05.2024.