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Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Zweites Vierteljahr.

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Vererbung beim Menschen

schiedene locker-krause, engwellige, flachwellige, lockige Zwischenformen zum
schlichten Haar, bedingt durch Paarung zweier Keimzellen mit den Erbeinheiten
"glatt" und "gerade". Alle neun verschiedenen Typen der Haarform entstehen
durch Kombination dieser beiden Gene bei der Fortpflanzung zweier Mischehegatten.

Der Erbforscher kann beim Menschen an feine Zahlenverhältnisse keine
allzugroßen Ansprüche stellen. Er darf schon zufrieden sein, wenn überhaupt
in den Geschwisterschaften ein Aufspalten zu verzeichnen ist. So sah Fischer in
der Tat aus Ehen locker-krauser -- also mischmerkmaliger -- Gatten schlichte,
flachwellige, engwellige, locker-krause und dichtkrause Haarformen hervorgehen,
wie es die Theorie erfordert. Und zwar erwies sich das Schlichthaar gegen
die Kräuselung als rezessiv und am Grade der Kräuselung ließen sich die misch-
oder reinerbigen Individuen unterscheiden.

Die Konstitutions-Erbforschung gibt sich aber weiterhin auch nicht mit der
Erkenntnis zufrieden, daß ein einfaches Außenmerkmal, wie Haarform, Haut¬
farbe usw. von mehreren selbständigen Erbeinheiten beherrscht wird. Es bedars
sogleich die Frage näherer Aufklärung, in welchem Verhältnis diese zusammen¬
arbeitenden Gene zueinander stehen. Die gemeinsame Wirkung ist durchaus
nicht immer eine einfache Summation oder Übereinanderlagerung gleichgeordneter
Anlagen wie im Falle wellig ^ spiralig dichtkraus. Wie allgemein im Ver¬
hältnis zweier Größen zueinander, so sind auch hier zwei Ordnungen möglich!
Koordination und Subordination. Die Unterordnung aber kann sich in ver¬
schiedenen Abstufungen äußern: einmal kann die übergeordnete Größe die andere
völlig unterdrücken, zum zweiten vermag die untergeordnete sich nicht zu äußern,
wenn jene nicht vorhanden ist, oder die subordinierte ist sähig, die übergeordnete
in verschiedener Weise zu modifizieren.

Aus den Grundproportionen entstehen durch diese Arten innerer Zusammen¬
ordnung, durch den hierarchischen Aufbau der Einheiten zum Gesamterbgut,
anderslautende, darum aber nicht minder eindeutige Verhältniszahlen in
den Geschwisterschaften. Der höchste Grad der Subordination einer Einheit
unter die andere heißt Heterostase. Ein Gen, das epistatische, macht dem
anderen, dem hypostatischen, sein Wirken gänzlich unmöglich. Zuweilen bedingen
ganz durchsichtige Tatsachen Solcherlei Überordnung. Bei dunkelbrauner Haut-
färbung kann sich Dasein oder Fehlen einer Erbeinheit "gelb" nimmermehr
äußern. Aber auch zwischen Erbstücken ohne solche natürliche Überordnung
verdeckt zuweilen eines das andere völlig. Rechnerisch lassen sich Proportionen
wie z, B. 12 : 3 : 1 oder 10 : 5 : 1 auf derartige ungleiche Partnerschaften
zurückführen. Mancherlei Abwandlungen kommen in diesen Ziffern durch die
Unerkennbarkeit der Mischlinge, durch den verschiedenen Grad der Überordnung
zustande. So könnte einmal ein Gen schon dann wenn es nur einfach vertreten
oder heterozygot ist. das andere ausschalten, oder aber erst in dem Falle
so übermüßig wirken, wenn es selbst reinerbig, d. h. in doppelter Dosis
geführt wird u



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Vererbung beim Menschen

schiedene locker-krause, engwellige, flachwellige, lockige Zwischenformen zum
schlichten Haar, bedingt durch Paarung zweier Keimzellen mit den Erbeinheiten
„glatt" und „gerade". Alle neun verschiedenen Typen der Haarform entstehen
durch Kombination dieser beiden Gene bei der Fortpflanzung zweier Mischehegatten.

Der Erbforscher kann beim Menschen an feine Zahlenverhältnisse keine
allzugroßen Ansprüche stellen. Er darf schon zufrieden sein, wenn überhaupt
in den Geschwisterschaften ein Aufspalten zu verzeichnen ist. So sah Fischer in
der Tat aus Ehen locker-krauser — also mischmerkmaliger — Gatten schlichte,
flachwellige, engwellige, locker-krause und dichtkrause Haarformen hervorgehen,
wie es die Theorie erfordert. Und zwar erwies sich das Schlichthaar gegen
die Kräuselung als rezessiv und am Grade der Kräuselung ließen sich die misch-
oder reinerbigen Individuen unterscheiden.

Die Konstitutions-Erbforschung gibt sich aber weiterhin auch nicht mit der
Erkenntnis zufrieden, daß ein einfaches Außenmerkmal, wie Haarform, Haut¬
farbe usw. von mehreren selbständigen Erbeinheiten beherrscht wird. Es bedars
sogleich die Frage näherer Aufklärung, in welchem Verhältnis diese zusammen¬
arbeitenden Gene zueinander stehen. Die gemeinsame Wirkung ist durchaus
nicht immer eine einfache Summation oder Übereinanderlagerung gleichgeordneter
Anlagen wie im Falle wellig ^ spiralig dichtkraus. Wie allgemein im Ver¬
hältnis zweier Größen zueinander, so sind auch hier zwei Ordnungen möglich!
Koordination und Subordination. Die Unterordnung aber kann sich in ver¬
schiedenen Abstufungen äußern: einmal kann die übergeordnete Größe die andere
völlig unterdrücken, zum zweiten vermag die untergeordnete sich nicht zu äußern,
wenn jene nicht vorhanden ist, oder die subordinierte ist sähig, die übergeordnete
in verschiedener Weise zu modifizieren.

Aus den Grundproportionen entstehen durch diese Arten innerer Zusammen¬
ordnung, durch den hierarchischen Aufbau der Einheiten zum Gesamterbgut,
anderslautende, darum aber nicht minder eindeutige Verhältniszahlen in
den Geschwisterschaften. Der höchste Grad der Subordination einer Einheit
unter die andere heißt Heterostase. Ein Gen, das epistatische, macht dem
anderen, dem hypostatischen, sein Wirken gänzlich unmöglich. Zuweilen bedingen
ganz durchsichtige Tatsachen Solcherlei Überordnung. Bei dunkelbrauner Haut-
färbung kann sich Dasein oder Fehlen einer Erbeinheit „gelb" nimmermehr
äußern. Aber auch zwischen Erbstücken ohne solche natürliche Überordnung
verdeckt zuweilen eines das andere völlig. Rechnerisch lassen sich Proportionen
wie z, B. 12 : 3 : 1 oder 10 : 5 : 1 auf derartige ungleiche Partnerschaften
zurückführen. Mancherlei Abwandlungen kommen in diesen Ziffern durch die
Unerkennbarkeit der Mischlinge, durch den verschiedenen Grad der Überordnung
zustande. So könnte einmal ein Gen schon dann wenn es nur einfach vertreten
oder heterozygot ist. das andere ausschalten, oder aber erst in dem Falle
so übermüßig wirken, wenn es selbst reinerbig, d. h. in doppelter Dosis
geführt wird u



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[0271] Vererbung beim Menschen schiedene locker-krause, engwellige, flachwellige, lockige Zwischenformen zum schlichten Haar, bedingt durch Paarung zweier Keimzellen mit den Erbeinheiten „glatt" und „gerade". Alle neun verschiedenen Typen der Haarform entstehen durch Kombination dieser beiden Gene bei der Fortpflanzung zweier Mischehegatten. Der Erbforscher kann beim Menschen an feine Zahlenverhältnisse keine allzugroßen Ansprüche stellen. Er darf schon zufrieden sein, wenn überhaupt in den Geschwisterschaften ein Aufspalten zu verzeichnen ist. So sah Fischer in der Tat aus Ehen locker-krauser — also mischmerkmaliger — Gatten schlichte, flachwellige, engwellige, locker-krause und dichtkrause Haarformen hervorgehen, wie es die Theorie erfordert. Und zwar erwies sich das Schlichthaar gegen die Kräuselung als rezessiv und am Grade der Kräuselung ließen sich die misch- oder reinerbigen Individuen unterscheiden. Die Konstitutions-Erbforschung gibt sich aber weiterhin auch nicht mit der Erkenntnis zufrieden, daß ein einfaches Außenmerkmal, wie Haarform, Haut¬ farbe usw. von mehreren selbständigen Erbeinheiten beherrscht wird. Es bedars sogleich die Frage näherer Aufklärung, in welchem Verhältnis diese zusammen¬ arbeitenden Gene zueinander stehen. Die gemeinsame Wirkung ist durchaus nicht immer eine einfache Summation oder Übereinanderlagerung gleichgeordneter Anlagen wie im Falle wellig ^ spiralig dichtkraus. Wie allgemein im Ver¬ hältnis zweier Größen zueinander, so sind auch hier zwei Ordnungen möglich! Koordination und Subordination. Die Unterordnung aber kann sich in ver¬ schiedenen Abstufungen äußern: einmal kann die übergeordnete Größe die andere völlig unterdrücken, zum zweiten vermag die untergeordnete sich nicht zu äußern, wenn jene nicht vorhanden ist, oder die subordinierte ist sähig, die übergeordnete in verschiedener Weise zu modifizieren. Aus den Grundproportionen entstehen durch diese Arten innerer Zusammen¬ ordnung, durch den hierarchischen Aufbau der Einheiten zum Gesamterbgut, anderslautende, darum aber nicht minder eindeutige Verhältniszahlen in den Geschwisterschaften. Der höchste Grad der Subordination einer Einheit unter die andere heißt Heterostase. Ein Gen, das epistatische, macht dem anderen, dem hypostatischen, sein Wirken gänzlich unmöglich. Zuweilen bedingen ganz durchsichtige Tatsachen Solcherlei Überordnung. Bei dunkelbrauner Haut- färbung kann sich Dasein oder Fehlen einer Erbeinheit „gelb" nimmermehr äußern. Aber auch zwischen Erbstücken ohne solche natürliche Überordnung verdeckt zuweilen eines das andere völlig. Rechnerisch lassen sich Proportionen wie z, B. 12 : 3 : 1 oder 10 : 5 : 1 auf derartige ungleiche Partnerschaften zurückführen. Mancherlei Abwandlungen kommen in diesen Ziffern durch die Unerkennbarkeit der Mischlinge, durch den verschiedenen Grad der Überordnung zustande. So könnte einmal ein Gen schon dann wenn es nur einfach vertreten oder heterozygot ist. das andere ausschalten, oder aber erst in dem Falle so übermüßig wirken, wenn es selbst reinerbig, d. h. in doppelter Dosis geführt wird u 17*

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341899_328099/271>, abgerufen am 21.05.2024.