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Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Zweites Vierteljahr.

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Maßgebliches und Unmaßgebliches

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Beschwerde arbeitet man sich durch die end¬
losen, immer in derselben Form wieder¬
kehrenden Vorschläge und Weisungen für die
Bilderversendung und den Bilderveikauf hin¬
durch, die der Sohn der unverdrossen sorgenden
und für ihn wirkenden Mutter anheimgibt.
Und doch möchte man die Spuren solcher
Alltagsmühsal aus dem Gesamtbilde dieses
Lebensschicksals nicht hinweggetilgt wünschen.
Der unablässige Kampf mit den Hemmungen
des Augenblicks zeigt die Grenzen von Feuer¬
bachs seelischem Vermögen im klarsten Licht,
aber es bewährt sich in ihm zugleich auch
sein unbeirrbares Festhalten an den tief-
gegründeten Überzeugungen, die sein Schaffen
leiteten. Und gerade in der engen Ver¬
flechtung des Inneren mit dem Äußeren hat
der bezwingende Gesamteindruck eine wesent¬
liche Wurzel. Oft genug quellen aufschlu߬
reiche Bekenntnisse des Künstlers über die be¬
wegenden Kräfte und das innere Ziel seines
Lebensweges unmittelbar und notwendig
hervor ans dem verquälten Bedenken der
nächsten, kläglichsten Daseinsnot,

Die Auswahl, die der Gesamtausgabe im
gleichen Verlag bald nachgefolgt ist, tut des¬
halb gut daran, daß auch sie fast nur voll¬
ständige Briefe mitteilt. Freilich, gegenüber
der Fülle und Macht der Züge, wie sie die
Gesamtheit der Briefe vergegenwärtigt, ver¬
mag sie nur Umrisse zu geben, nur Ahnungen
zu erwecken. Und das Beste, was sie wirken
könnte, wäre eben doch nur, daß sie zu dem
Reichtum des Ganzen den Weg wiese. Zudem
haben die zwei schweren Bände einen so
großen Buchhändlerersolg geerntet, daß es
nachher dieser ausgewählten Proben nicht
mehr so dringend bedurft hätte.

Einen Vorzug allerdings hat die Auslese
vor der vollständigen Ausgabe voraus: sie
gibt in den biographischen Überleitungen, die
H. Abbe - Bcrnays hinzugefügt hat, Klarheit
über Voraussetzungen und Zusammenhänge,
die aus den Briefen allein nicht voll ver¬
ständlich werden. Die große Ausgabe fordert
als notwendige Ergänzung die Biographie
Allgeyers, die kleinere bietet selbst einen
leichter zu handhabenden Schlüssel. Nur be¬
schränkt sich der Herausgeber nicht überall auf
das sachlich Notwendige, sondern gibt Betrach¬
tungen Raum, die ihm persönlich nahe liegen,

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erörtert Maßstäbe für die Beurteilung, wo
der Tatbestand für sich selber sprechen könnte.

Daß demgegenüber die Gesamtdarbietung
der Briefe Feuerbachs fast auf jede Erläute¬
rung verzichtet, hat Wohl darin seinen Grund,
daß sie von allen fremden Zutaten freigehalten
werden sollte. Gewiß hat der Inhalt der
beiden Bände auf diese Weise eine ruhige,
machtvolle Geschlossenheit gewonnen. Aber für
ihre Benutzung wäre doch etwa ein Beiheft
dankenswert gewesen, das Schritt für Schritt
über alles, was zwischen den Zeilen und
zwischen den Briefen unausgesprochen bleibt,
knappe und sichere Auskunft gäbe.

Und wenn nun durch eine billigere Aus¬
lese den Selbstzeugnissen Feuerbachs über sein
Schaffen noch weitere Verbreitung ermöglicht
werden soll: wäre es da nicht wertvoller ge¬
wesen, aus der Gesamtmasse der Briefe sorg¬
sam nur das, aber eben auch alles das her¬
auszuholen, was einen möglichst vollständigen
Überblick über die gesamte Entwicklung des
Künstlers, über das Werden all seiner Werke
gewähren könnte? Eine solche Ausgabe würde,
von allen bloß zufälligen und nebensächlichen
Einzelheiten entlastet und nur auf die Er¬
hellung des wahrhaft Wesentlichen eingestellt,
eine geschlossene Selbstdarstellung des Malers
und des Menschen bedeuten. Damit wäre auf
breiterer, zuverlässigerer Grundlage ein
Gegenstück zu dem biographischen Denkmal
geschaffen, das die Mutter einst dem früh
Dahingegangenen im "Vermächtnis" errichtete.
Die Gesamtheit der Briefe wird doch jederzeit
mehr Besitzer finden als wirkliche Leser: eine
umfassende und innerlich zureichende Auswahl
dagegen könnten die vielen, die sie zu erwerben
vermöchten, sich auch ganz zum inneren Eigen¬
tum machen.

Die gegenwärtig vorliegende Auslese ver¬
dankt Lucian Bernhard ihre äußere Erschei¬
nung. Der Band wetteifert mit der Wucht
der großen Ausgabe, ist aber auch ebenso
schwerfällig und unhandlich. Die eingehefteten
Abbildungen nach den Hauptwerken Feuer¬
bachs sind erstaunlich mißraten; sie dienen
dem Buche nicht zum Schmuck, und man
könnte sie ja überhaupt schon darum entbehren,
weil heute fast alle wichtigeren Bilder Feuer¬
bachs in weit besserer Wiedergabe ganz wohl¬
feil zu erwerben sind.

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Maßgebliches und Unmaßgebliches

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Beschwerde arbeitet man sich durch die end¬
losen, immer in derselben Form wieder¬
kehrenden Vorschläge und Weisungen für die
Bilderversendung und den Bilderveikauf hin¬
durch, die der Sohn der unverdrossen sorgenden
und für ihn wirkenden Mutter anheimgibt.
Und doch möchte man die Spuren solcher
Alltagsmühsal aus dem Gesamtbilde dieses
Lebensschicksals nicht hinweggetilgt wünschen.
Der unablässige Kampf mit den Hemmungen
des Augenblicks zeigt die Grenzen von Feuer¬
bachs seelischem Vermögen im klarsten Licht,
aber es bewährt sich in ihm zugleich auch
sein unbeirrbares Festhalten an den tief-
gegründeten Überzeugungen, die sein Schaffen
leiteten. Und gerade in der engen Ver¬
flechtung des Inneren mit dem Äußeren hat
der bezwingende Gesamteindruck eine wesent¬
liche Wurzel. Oft genug quellen aufschlu߬
reiche Bekenntnisse des Künstlers über die be¬
wegenden Kräfte und das innere Ziel seines
Lebensweges unmittelbar und notwendig
hervor ans dem verquälten Bedenken der
nächsten, kläglichsten Daseinsnot,

Die Auswahl, die der Gesamtausgabe im
gleichen Verlag bald nachgefolgt ist, tut des¬
halb gut daran, daß auch sie fast nur voll¬
ständige Briefe mitteilt. Freilich, gegenüber
der Fülle und Macht der Züge, wie sie die
Gesamtheit der Briefe vergegenwärtigt, ver¬
mag sie nur Umrisse zu geben, nur Ahnungen
zu erwecken. Und das Beste, was sie wirken
könnte, wäre eben doch nur, daß sie zu dem
Reichtum des Ganzen den Weg wiese. Zudem
haben die zwei schweren Bände einen so
großen Buchhändlerersolg geerntet, daß es
nachher dieser ausgewählten Proben nicht
mehr so dringend bedurft hätte.

Einen Vorzug allerdings hat die Auslese
vor der vollständigen Ausgabe voraus: sie
gibt in den biographischen Überleitungen, die
H. Abbe - Bcrnays hinzugefügt hat, Klarheit
über Voraussetzungen und Zusammenhänge,
die aus den Briefen allein nicht voll ver¬
ständlich werden. Die große Ausgabe fordert
als notwendige Ergänzung die Biographie
Allgeyers, die kleinere bietet selbst einen
leichter zu handhabenden Schlüssel. Nur be¬
schränkt sich der Herausgeber nicht überall auf
das sachlich Notwendige, sondern gibt Betrach¬
tungen Raum, die ihm persönlich nahe liegen,

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erörtert Maßstäbe für die Beurteilung, wo
der Tatbestand für sich selber sprechen könnte.

Daß demgegenüber die Gesamtdarbietung
der Briefe Feuerbachs fast auf jede Erläute¬
rung verzichtet, hat Wohl darin seinen Grund,
daß sie von allen fremden Zutaten freigehalten
werden sollte. Gewiß hat der Inhalt der
beiden Bände auf diese Weise eine ruhige,
machtvolle Geschlossenheit gewonnen. Aber für
ihre Benutzung wäre doch etwa ein Beiheft
dankenswert gewesen, das Schritt für Schritt
über alles, was zwischen den Zeilen und
zwischen den Briefen unausgesprochen bleibt,
knappe und sichere Auskunft gäbe.

Und wenn nun durch eine billigere Aus¬
lese den Selbstzeugnissen Feuerbachs über sein
Schaffen noch weitere Verbreitung ermöglicht
werden soll: wäre es da nicht wertvoller ge¬
wesen, aus der Gesamtmasse der Briefe sorg¬
sam nur das, aber eben auch alles das her¬
auszuholen, was einen möglichst vollständigen
Überblick über die gesamte Entwicklung des
Künstlers, über das Werden all seiner Werke
gewähren könnte? Eine solche Ausgabe würde,
von allen bloß zufälligen und nebensächlichen
Einzelheiten entlastet und nur auf die Er¬
hellung des wahrhaft Wesentlichen eingestellt,
eine geschlossene Selbstdarstellung des Malers
und des Menschen bedeuten. Damit wäre auf
breiterer, zuverlässigerer Grundlage ein
Gegenstück zu dem biographischen Denkmal
geschaffen, das die Mutter einst dem früh
Dahingegangenen im „Vermächtnis" errichtete.
Die Gesamtheit der Briefe wird doch jederzeit
mehr Besitzer finden als wirkliche Leser: eine
umfassende und innerlich zureichende Auswahl
dagegen könnten die vielen, die sie zu erwerben
vermöchten, sich auch ganz zum inneren Eigen¬
tum machen.

Die gegenwärtig vorliegende Auslese ver¬
dankt Lucian Bernhard ihre äußere Erschei¬
nung. Der Band wetteifert mit der Wucht
der großen Ausgabe, ist aber auch ebenso
schwerfällig und unhandlich. Die eingehefteten
Abbildungen nach den Hauptwerken Feuer¬
bachs sind erstaunlich mißraten; sie dienen
dem Buche nicht zum Schmuck, und man
könnte sie ja überhaupt schon darum entbehren,
weil heute fast alle wichtigeren Bilder Feuer¬
bachs in weit besserer Wiedergabe ganz wohl¬
feil zu erwerben sind.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341899_328099/342>, abgerufen am 22.05.2024.