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Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Zweites Vierteljahr.

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epitheta Driewer, der Kinderfreund

Rika antwortete nur, indem sie ihr Stricken losrollte und in Gang brachte,
das sie zur Handarbeit mit sich führte: "Ist er nicht da?"

"Er ist zu einer Kindtaufe fort und kommt nicht vor der Nacht zurück.
Die achte Patenschaft, die man ihm gibt; er kann keine absagen, solch ein Kinder¬
narr ist er. Wenn er eine Mutter mit einem Kind steht', dann zuckt es ihm
im Arm, und er muß hingehen und sich das Kind geben lassen, nur zum Spaß
für den Augenblick."

Das stille blasse Gesicht der jungen Frau wurde warm und belebt, wie
sie so sprach. Sie mochte an ihr eigenes Kind denken, dessen Dasein erwartet
wurde und nächster Zeit die Seele des Hauses ausmachen sollte.

Rika, die mit beklemmtem Gefühl auf dem Platz des Bauern saß, strickte
mit fliegenden Nadeln ihre Maschen ab. Sie mußte auch inzwischen von den
Puffern essen und sagte scherzhaft, indem sie über sich selbst hinwegzukommen
suchte: "Ich roch die Puffer durch die ganze Ortschaft, und da hielt es mich
nicht im Hause, ich dachte, da mußt du hin, wenn es sich auch wieder trifft,
daß Wilhelm Driewer nicht da ist."

"Sieh, du wußtest es," sagte Frau Martha mit unbefangenem Erstaunen.

Aber das Gesinde sah sich verstohlen untereinander an, und die Mägde
bedeuteten den Knechten, daß Rika Stratmann einen Kinderstrumpf Stricke.

Das Mädchen, das sich zu den Puffern zu Gast geladen hatte, war trotz
der Verwandtschaft mit der Frau Driewer von dieser sehr verschieden. Sie war
bedeutender und hübscher, obgleich sie aus geringeren Verhältnissen kam, und
galt besonders mehr für einen bäuerlichen Geschmack. Während an der Base
alles blond und blaß, glatt, schmal und sehnig war, konnte Rika kaum ihr
braunes, krauses Haar im Scheitel halten, ihre Backen blühten, ihre Kleider
umschlossen prall die schöne Fülle ihrer Gestalt, und es hatte eine Zeit gegeben,
wo sie ihre Blicke aus feurigen braunen Augen nicht so wie heute im Zaum
halten konnte.

Rika hatte längst die Aufmerksamkeit des Gesindes auf ihre Handarbeit
verspürt, während Frau Martha über ihren Mann und die Patenschaft sprach,
als jetzt einer der Knechte, der keinen Meister über sich fühlte, die laute Be¬
merkung sagte: "Sie strickt schon im Vorrat für der Frau Driewer ihr Kind."

Rika schoß das Blut noch höher in die Backen, und nun tat Frau Martha
einen langen Blick über das Strickzeug und von da hinunter zu den Leuten, sie
war nun aufmerksam geworden, aber sie blieb ruhig, als sie Rika anredete,
ohne den Blick von den Leuten zu wenden: "Wie macht sich denn dein Junge,
Rika? Er ist am Ende schon flott auf den Beinen, daß du so eifrig stricken mußt."

"Das ist so," antwortete das Mädchen, welches den Beistand der Base
wohltuend empfand, und der Knecht und alle, die mit ihm zu spötteln versucht
hatten, spürten wieder, wie schon öfter, die beste und treffliche Art, mit der Frau
Martha das zu Unglück gekommene Mädchen ehrlich zu machen suchte. Sie hatte,
seit das Unglück geschah, zu allen ruhig und offen über Ritas Knaben sprechen


epitheta Driewer, der Kinderfreund

Rika antwortete nur, indem sie ihr Stricken losrollte und in Gang brachte,
das sie zur Handarbeit mit sich führte: „Ist er nicht da?"

„Er ist zu einer Kindtaufe fort und kommt nicht vor der Nacht zurück.
Die achte Patenschaft, die man ihm gibt; er kann keine absagen, solch ein Kinder¬
narr ist er. Wenn er eine Mutter mit einem Kind steht', dann zuckt es ihm
im Arm, und er muß hingehen und sich das Kind geben lassen, nur zum Spaß
für den Augenblick."

Das stille blasse Gesicht der jungen Frau wurde warm und belebt, wie
sie so sprach. Sie mochte an ihr eigenes Kind denken, dessen Dasein erwartet
wurde und nächster Zeit die Seele des Hauses ausmachen sollte.

Rika, die mit beklemmtem Gefühl auf dem Platz des Bauern saß, strickte
mit fliegenden Nadeln ihre Maschen ab. Sie mußte auch inzwischen von den
Puffern essen und sagte scherzhaft, indem sie über sich selbst hinwegzukommen
suchte: „Ich roch die Puffer durch die ganze Ortschaft, und da hielt es mich
nicht im Hause, ich dachte, da mußt du hin, wenn es sich auch wieder trifft,
daß Wilhelm Driewer nicht da ist."

„Sieh, du wußtest es," sagte Frau Martha mit unbefangenem Erstaunen.

Aber das Gesinde sah sich verstohlen untereinander an, und die Mägde
bedeuteten den Knechten, daß Rika Stratmann einen Kinderstrumpf Stricke.

Das Mädchen, das sich zu den Puffern zu Gast geladen hatte, war trotz
der Verwandtschaft mit der Frau Driewer von dieser sehr verschieden. Sie war
bedeutender und hübscher, obgleich sie aus geringeren Verhältnissen kam, und
galt besonders mehr für einen bäuerlichen Geschmack. Während an der Base
alles blond und blaß, glatt, schmal und sehnig war, konnte Rika kaum ihr
braunes, krauses Haar im Scheitel halten, ihre Backen blühten, ihre Kleider
umschlossen prall die schöne Fülle ihrer Gestalt, und es hatte eine Zeit gegeben,
wo sie ihre Blicke aus feurigen braunen Augen nicht so wie heute im Zaum
halten konnte.

Rika hatte längst die Aufmerksamkeit des Gesindes auf ihre Handarbeit
verspürt, während Frau Martha über ihren Mann und die Patenschaft sprach,
als jetzt einer der Knechte, der keinen Meister über sich fühlte, die laute Be¬
merkung sagte: „Sie strickt schon im Vorrat für der Frau Driewer ihr Kind."

Rika schoß das Blut noch höher in die Backen, und nun tat Frau Martha
einen langen Blick über das Strickzeug und von da hinunter zu den Leuten, sie
war nun aufmerksam geworden, aber sie blieb ruhig, als sie Rika anredete,
ohne den Blick von den Leuten zu wenden: „Wie macht sich denn dein Junge,
Rika? Er ist am Ende schon flott auf den Beinen, daß du so eifrig stricken mußt."

„Das ist so," antwortete das Mädchen, welches den Beistand der Base
wohltuend empfand, und der Knecht und alle, die mit ihm zu spötteln versucht
hatten, spürten wieder, wie schon öfter, die beste und treffliche Art, mit der Frau
Martha das zu Unglück gekommene Mädchen ehrlich zu machen suchte. Sie hatte,
seit das Unglück geschah, zu allen ruhig und offen über Ritas Knaben sprechen


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[0430] epitheta Driewer, der Kinderfreund Rika antwortete nur, indem sie ihr Stricken losrollte und in Gang brachte, das sie zur Handarbeit mit sich führte: „Ist er nicht da?" „Er ist zu einer Kindtaufe fort und kommt nicht vor der Nacht zurück. Die achte Patenschaft, die man ihm gibt; er kann keine absagen, solch ein Kinder¬ narr ist er. Wenn er eine Mutter mit einem Kind steht', dann zuckt es ihm im Arm, und er muß hingehen und sich das Kind geben lassen, nur zum Spaß für den Augenblick." Das stille blasse Gesicht der jungen Frau wurde warm und belebt, wie sie so sprach. Sie mochte an ihr eigenes Kind denken, dessen Dasein erwartet wurde und nächster Zeit die Seele des Hauses ausmachen sollte. Rika, die mit beklemmtem Gefühl auf dem Platz des Bauern saß, strickte mit fliegenden Nadeln ihre Maschen ab. Sie mußte auch inzwischen von den Puffern essen und sagte scherzhaft, indem sie über sich selbst hinwegzukommen suchte: „Ich roch die Puffer durch die ganze Ortschaft, und da hielt es mich nicht im Hause, ich dachte, da mußt du hin, wenn es sich auch wieder trifft, daß Wilhelm Driewer nicht da ist." „Sieh, du wußtest es," sagte Frau Martha mit unbefangenem Erstaunen. Aber das Gesinde sah sich verstohlen untereinander an, und die Mägde bedeuteten den Knechten, daß Rika Stratmann einen Kinderstrumpf Stricke. Das Mädchen, das sich zu den Puffern zu Gast geladen hatte, war trotz der Verwandtschaft mit der Frau Driewer von dieser sehr verschieden. Sie war bedeutender und hübscher, obgleich sie aus geringeren Verhältnissen kam, und galt besonders mehr für einen bäuerlichen Geschmack. Während an der Base alles blond und blaß, glatt, schmal und sehnig war, konnte Rika kaum ihr braunes, krauses Haar im Scheitel halten, ihre Backen blühten, ihre Kleider umschlossen prall die schöne Fülle ihrer Gestalt, und es hatte eine Zeit gegeben, wo sie ihre Blicke aus feurigen braunen Augen nicht so wie heute im Zaum halten konnte. Rika hatte längst die Aufmerksamkeit des Gesindes auf ihre Handarbeit verspürt, während Frau Martha über ihren Mann und die Patenschaft sprach, als jetzt einer der Knechte, der keinen Meister über sich fühlte, die laute Be¬ merkung sagte: „Sie strickt schon im Vorrat für der Frau Driewer ihr Kind." Rika schoß das Blut noch höher in die Backen, und nun tat Frau Martha einen langen Blick über das Strickzeug und von da hinunter zu den Leuten, sie war nun aufmerksam geworden, aber sie blieb ruhig, als sie Rika anredete, ohne den Blick von den Leuten zu wenden: „Wie macht sich denn dein Junge, Rika? Er ist am Ende schon flott auf den Beinen, daß du so eifrig stricken mußt." „Das ist so," antwortete das Mädchen, welches den Beistand der Base wohltuend empfand, und der Knecht und alle, die mit ihm zu spötteln versucht hatten, spürten wieder, wie schon öfter, die beste und treffliche Art, mit der Frau Martha das zu Unglück gekommene Mädchen ehrlich zu machen suchte. Sie hatte, seit das Unglück geschah, zu allen ruhig und offen über Ritas Knaben sprechen

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341899_328099/430>, abgerufen am 21.05.2024.