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Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Zweites Vierteljahr.

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Paul I^-so

bewahrt: erst der reife Mann hat das Abschiedslied an die Jugend gesungen
("Schöne Jugend, scheidest du? Wohll du bliebst mir lange treu"), das Gott¬
fried Keller Storm gegenüber als Beweis für Heyses lyrische Meisterschaft an¬
führte, und noch der Sechziger und Siebziger hat dem Alter kein Recht über
sich zuerkennen wollen, wenn er auch wohl wußte, daß kommen würde, was
nun geschehen ist:

Weit weniger als die Lyrik lag Heyse die Ballade, reich aber ist er wieder
an schlagenden und formvollendeten Sprüchen (hier Goethes Schüler). Gern
wählte er die Form des Sonetts, und 1901/2 gab er eine Reihe persönlicher
Bekenntnisse in Ghaselenform. Es wechseln hier gehaltvolle Stücke mit mehr
spielend hingeworfenen.

Als Erzähler hat H.yse mit Märchen begonnen, in denen er noch in
Brentanos Manier Witzspiele einmengt und etwa die Anonymität des Buches
dadurch halb aufhebt, daß er einen für Schwarz - rot - gold begeisterten Jüng¬
ling -- er ist es selbst -- beteuernd ausrufen läßt: "So wahr ich Paul heiße!"
Dann ist er zur Novelle übergegangen und bis zu allerletzt der Lust zu fabu¬
lieren treu geblieben. An den Novellen -- nicht an den größeren Romanen,
die er zwischendurch gab -- hängt Her/es Ruhm hauptsächlich. Der Dichter
selbst hat in seinen "Erinnerungen und Bekenntnissen" geflissentlich schlecht von
seiner Novellistik gesprochen. "Daß unter meinen nur allzu zahlreichen Novellen
sich manche befinden, zu denen ich von Anfang an kein näheres persönliches
Verhältnis halte und die jetzt meinem Gedächtnis fast ganz entschwunden sind,
kann ich nicht verschweigen. Doch so seltsam es klingen mag, ist es doch die
volle Wahrheit, daß der Novellist in der Wahl seiner Stoffe nicht immer frei
ist, daß er oft .nicht dafür kann', wenn er auch ein geringeres Thema, das
sich ihm aufdrängt, nicht von sich weist, obwohl er keinen sonderlichen Wert
darauf legt. Ein solches wenig bedeutendes Motiv nistet, sich dennoch in den
Mutterschoß der Phantasie unwiderstehlich ein, wo es dann nach demselben
instinktiven Kristallisat onsprozeß sich weiter entwickelt wie das bedeutendste und
wertvollste. ... Ich habe mich zuweilen längere Zeit bemüht, dergleichen
Sachen unaufgeschrieben zu lassen, und doch zuletzt sie wie eine beschwerliche
Last vom Herzen gewälzt." Heyse überrascht uns ferner durch das Geständnis,
daß er nie eine Novelle ins Unreine geschrieben, von keiner eine Abschrift ge¬
macht und sie samt und sonders bis auf die Themata und wenige Einzelheiten
bald nach der Ausarbeitung wieder vergessen habe. Dem muß man nun aber
gcgenüberhalten, daß er gleichwohl dem Novellisten energische künstlerische Arbeit
zur Pflicht macht; er selbst hat die Feder zu seiner Art der hastigen Impro¬
visation niemals angesetzt, "ohne sich vorher in der Erfindung der Fabel und


Paul I^-so

bewahrt: erst der reife Mann hat das Abschiedslied an die Jugend gesungen
(„Schöne Jugend, scheidest du? Wohll du bliebst mir lange treu"), das Gott¬
fried Keller Storm gegenüber als Beweis für Heyses lyrische Meisterschaft an¬
führte, und noch der Sechziger und Siebziger hat dem Alter kein Recht über
sich zuerkennen wollen, wenn er auch wohl wußte, daß kommen würde, was
nun geschehen ist:

Weit weniger als die Lyrik lag Heyse die Ballade, reich aber ist er wieder
an schlagenden und formvollendeten Sprüchen (hier Goethes Schüler). Gern
wählte er die Form des Sonetts, und 1901/2 gab er eine Reihe persönlicher
Bekenntnisse in Ghaselenform. Es wechseln hier gehaltvolle Stücke mit mehr
spielend hingeworfenen.

Als Erzähler hat H.yse mit Märchen begonnen, in denen er noch in
Brentanos Manier Witzspiele einmengt und etwa die Anonymität des Buches
dadurch halb aufhebt, daß er einen für Schwarz - rot - gold begeisterten Jüng¬
ling — er ist es selbst — beteuernd ausrufen läßt: „So wahr ich Paul heiße!"
Dann ist er zur Novelle übergegangen und bis zu allerletzt der Lust zu fabu¬
lieren treu geblieben. An den Novellen — nicht an den größeren Romanen,
die er zwischendurch gab — hängt Her/es Ruhm hauptsächlich. Der Dichter
selbst hat in seinen „Erinnerungen und Bekenntnissen" geflissentlich schlecht von
seiner Novellistik gesprochen. „Daß unter meinen nur allzu zahlreichen Novellen
sich manche befinden, zu denen ich von Anfang an kein näheres persönliches
Verhältnis halte und die jetzt meinem Gedächtnis fast ganz entschwunden sind,
kann ich nicht verschweigen. Doch so seltsam es klingen mag, ist es doch die
volle Wahrheit, daß der Novellist in der Wahl seiner Stoffe nicht immer frei
ist, daß er oft .nicht dafür kann', wenn er auch ein geringeres Thema, das
sich ihm aufdrängt, nicht von sich weist, obwohl er keinen sonderlichen Wert
darauf legt. Ein solches wenig bedeutendes Motiv nistet, sich dennoch in den
Mutterschoß der Phantasie unwiderstehlich ein, wo es dann nach demselben
instinktiven Kristallisat onsprozeß sich weiter entwickelt wie das bedeutendste und
wertvollste. ... Ich habe mich zuweilen längere Zeit bemüht, dergleichen
Sachen unaufgeschrieben zu lassen, und doch zuletzt sie wie eine beschwerliche
Last vom Herzen gewälzt." Heyse überrascht uns ferner durch das Geständnis,
daß er nie eine Novelle ins Unreine geschrieben, von keiner eine Abschrift ge¬
macht und sie samt und sonders bis auf die Themata und wenige Einzelheiten
bald nach der Ausarbeitung wieder vergessen habe. Dem muß man nun aber
gcgenüberhalten, daß er gleichwohl dem Novellisten energische künstlerische Arbeit
zur Pflicht macht; er selbst hat die Feder zu seiner Art der hastigen Impro¬
visation niemals angesetzt, „ohne sich vorher in der Erfindung der Fabel und


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[0048] Paul I^-so bewahrt: erst der reife Mann hat das Abschiedslied an die Jugend gesungen („Schöne Jugend, scheidest du? Wohll du bliebst mir lange treu"), das Gott¬ fried Keller Storm gegenüber als Beweis für Heyses lyrische Meisterschaft an¬ führte, und noch der Sechziger und Siebziger hat dem Alter kein Recht über sich zuerkennen wollen, wenn er auch wohl wußte, daß kommen würde, was nun geschehen ist: Weit weniger als die Lyrik lag Heyse die Ballade, reich aber ist er wieder an schlagenden und formvollendeten Sprüchen (hier Goethes Schüler). Gern wählte er die Form des Sonetts, und 1901/2 gab er eine Reihe persönlicher Bekenntnisse in Ghaselenform. Es wechseln hier gehaltvolle Stücke mit mehr spielend hingeworfenen. Als Erzähler hat H.yse mit Märchen begonnen, in denen er noch in Brentanos Manier Witzspiele einmengt und etwa die Anonymität des Buches dadurch halb aufhebt, daß er einen für Schwarz - rot - gold begeisterten Jüng¬ ling — er ist es selbst — beteuernd ausrufen läßt: „So wahr ich Paul heiße!" Dann ist er zur Novelle übergegangen und bis zu allerletzt der Lust zu fabu¬ lieren treu geblieben. An den Novellen — nicht an den größeren Romanen, die er zwischendurch gab — hängt Her/es Ruhm hauptsächlich. Der Dichter selbst hat in seinen „Erinnerungen und Bekenntnissen" geflissentlich schlecht von seiner Novellistik gesprochen. „Daß unter meinen nur allzu zahlreichen Novellen sich manche befinden, zu denen ich von Anfang an kein näheres persönliches Verhältnis halte und die jetzt meinem Gedächtnis fast ganz entschwunden sind, kann ich nicht verschweigen. Doch so seltsam es klingen mag, ist es doch die volle Wahrheit, daß der Novellist in der Wahl seiner Stoffe nicht immer frei ist, daß er oft .nicht dafür kann', wenn er auch ein geringeres Thema, das sich ihm aufdrängt, nicht von sich weist, obwohl er keinen sonderlichen Wert darauf legt. Ein solches wenig bedeutendes Motiv nistet, sich dennoch in den Mutterschoß der Phantasie unwiderstehlich ein, wo es dann nach demselben instinktiven Kristallisat onsprozeß sich weiter entwickelt wie das bedeutendste und wertvollste. ... Ich habe mich zuweilen längere Zeit bemüht, dergleichen Sachen unaufgeschrieben zu lassen, und doch zuletzt sie wie eine beschwerliche Last vom Herzen gewälzt." Heyse überrascht uns ferner durch das Geständnis, daß er nie eine Novelle ins Unreine geschrieben, von keiner eine Abschrift ge¬ macht und sie samt und sonders bis auf die Themata und wenige Einzelheiten bald nach der Ausarbeitung wieder vergessen habe. Dem muß man nun aber gcgenüberhalten, daß er gleichwohl dem Novellisten energische künstlerische Arbeit zur Pflicht macht; er selbst hat die Feder zu seiner Art der hastigen Impro¬ visation niemals angesetzt, „ohne sich vorher in der Erfindung der Fabel und

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341899_328099/48>, abgerufen am 22.05.2024.