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Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Zweites Vierteljahr.

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Die Illusion von Saloniki

daß dieses Gebiet unter eine fremde Herrschaft käme. Daneben aber habe
Österreich-Ungarn ein sehr namhaftes positiveres Interesse in Mazedonien,
nämlich "sich den kommerziellen Weg über Saloniki offen zu halten, frei von
jedwedem beengenden fremden Einfluß"*).

Das ist, um es gleich vorweg zu bemerken, ein Ziel, das durchaus ein¬
leuchtet und dessen Berechtigung niemand bestreiten kann. Diese Forderung
würde darauf hinauslaufen, daß erstens die österreichisch - ungarische Waren"
ausfuhr und -einfuhr zwischen Saloniki und der Grenze unter Zollverschluß in
plombierten Wagen versandt werden könnte, und zweitens, daß es auf dieser
Strecke durch ein völkerrechtliches Abkommen gegen jede tarifarische Differential¬
behandlung und gegen Verwaltungsschikanen gesichert würde. Österreich-Ungarn
hätte nun auf der Londoner Botschafterkonferenz sehr wohl verlangen können,
daß die Mächte sein Anrecht auf eine völlig ungehinderte Durchfuhr nach
Saloniki anerkannten, und keine der Mächte hätte ihm dies versagen können.
Es ist nicht bekannt geworden, daß dies geschehen ist. Dagegen hat die Monarchie
direkte Verhandlungen mit Griechenland und Serbien begonnen; ein Handels¬
vertrag mit Griechenland ist dem Abschluß nahe, während die Verhandlungen mit
Serbien über die orientalischen Bahnen noch wenig von der Stelle gekommen sind.

Serbien seinerseits hat ebenfalls Verhandlungen mit Griechenland eröffnet.
Eine serbisch - griechische Kommission ist bereits im März zusammengetreten und
verhandelt über die Errichtung einer Freihandelszone in Saloniki, wohin die
serbische Warenausfuhr in plombierten Waggons direkt versandt werden soll
und in der Serbien Grundbesitz erwerben darf, um Stallungen für das aus¬
geführte Vieh zu bauen, und ferner über eine Herabsetzung der Frachttarife.

Aber es erscheint uns zweifelhaft, ob ein solches handelspolitisches
Abkommen eine so fundamentale Bedeutung für die Monarchie hätte, als
Chlumetzkn annimmt, und ob Saloniki wirklich eine so große Wichtigkeit als
Ausfuhrhafen für Österreich - Ungarn zukommt. Betrachten wir die Voraus¬
setzungen, von denen CHIumetzky ausgeht: "Saloniki," sagt er. "ist durch seine
geographische Lage dazu prädestiniert, das am weitest nach Südosten vor¬
geschobene Ausfallstor für den südösterreichischen und ungarischen Handel zu
werden. Heute bloß eine Zukunftshoffnung, wird Saloniki in dem Augenblick
eine überragende Bedeutung als wichtigster Hafenplatz des europäischen Ostens
erlangen, in welchem zwei bereits im Werden begriffene Werke der Vollendung
entgegengehen: die Verbindung Salonikis mit Sarajewo und der Ausbau des
klein asiatischen Netzes, beziehungsweise der Bagdadbahn." Weiter sagt Chlumetzky,
Saloniki werde dereinst der europäische Brückenkopf für den Verkehr nach dem
Osten werden. Die Nähe Salonikis an Summa und dem Suezkanal mache es
"zu dem einzigen Ausfallstor, welches der Monarchie den unmittelbaren Zutritt
zum Mittelmeer gewähren könnte". "Dereinst, von Vorderasien der Kultur



CHIumetzky, S. 62.
Die Illusion von Saloniki

daß dieses Gebiet unter eine fremde Herrschaft käme. Daneben aber habe
Österreich-Ungarn ein sehr namhaftes positiveres Interesse in Mazedonien,
nämlich „sich den kommerziellen Weg über Saloniki offen zu halten, frei von
jedwedem beengenden fremden Einfluß"*).

Das ist, um es gleich vorweg zu bemerken, ein Ziel, das durchaus ein¬
leuchtet und dessen Berechtigung niemand bestreiten kann. Diese Forderung
würde darauf hinauslaufen, daß erstens die österreichisch - ungarische Waren»
ausfuhr und -einfuhr zwischen Saloniki und der Grenze unter Zollverschluß in
plombierten Wagen versandt werden könnte, und zweitens, daß es auf dieser
Strecke durch ein völkerrechtliches Abkommen gegen jede tarifarische Differential¬
behandlung und gegen Verwaltungsschikanen gesichert würde. Österreich-Ungarn
hätte nun auf der Londoner Botschafterkonferenz sehr wohl verlangen können,
daß die Mächte sein Anrecht auf eine völlig ungehinderte Durchfuhr nach
Saloniki anerkannten, und keine der Mächte hätte ihm dies versagen können.
Es ist nicht bekannt geworden, daß dies geschehen ist. Dagegen hat die Monarchie
direkte Verhandlungen mit Griechenland und Serbien begonnen; ein Handels¬
vertrag mit Griechenland ist dem Abschluß nahe, während die Verhandlungen mit
Serbien über die orientalischen Bahnen noch wenig von der Stelle gekommen sind.

Serbien seinerseits hat ebenfalls Verhandlungen mit Griechenland eröffnet.
Eine serbisch - griechische Kommission ist bereits im März zusammengetreten und
verhandelt über die Errichtung einer Freihandelszone in Saloniki, wohin die
serbische Warenausfuhr in plombierten Waggons direkt versandt werden soll
und in der Serbien Grundbesitz erwerben darf, um Stallungen für das aus¬
geführte Vieh zu bauen, und ferner über eine Herabsetzung der Frachttarife.

Aber es erscheint uns zweifelhaft, ob ein solches handelspolitisches
Abkommen eine so fundamentale Bedeutung für die Monarchie hätte, als
Chlumetzkn annimmt, und ob Saloniki wirklich eine so große Wichtigkeit als
Ausfuhrhafen für Österreich - Ungarn zukommt. Betrachten wir die Voraus¬
setzungen, von denen CHIumetzky ausgeht: „Saloniki," sagt er. „ist durch seine
geographische Lage dazu prädestiniert, das am weitest nach Südosten vor¬
geschobene Ausfallstor für den südösterreichischen und ungarischen Handel zu
werden. Heute bloß eine Zukunftshoffnung, wird Saloniki in dem Augenblick
eine überragende Bedeutung als wichtigster Hafenplatz des europäischen Ostens
erlangen, in welchem zwei bereits im Werden begriffene Werke der Vollendung
entgegengehen: die Verbindung Salonikis mit Sarajewo und der Ausbau des
klein asiatischen Netzes, beziehungsweise der Bagdadbahn." Weiter sagt Chlumetzky,
Saloniki werde dereinst der europäische Brückenkopf für den Verkehr nach dem
Osten werden. Die Nähe Salonikis an Summa und dem Suezkanal mache es
„zu dem einzigen Ausfallstor, welches der Monarchie den unmittelbaren Zutritt
zum Mittelmeer gewähren könnte". „Dereinst, von Vorderasien der Kultur



CHIumetzky, S. 62.
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[0513] Die Illusion von Saloniki daß dieses Gebiet unter eine fremde Herrschaft käme. Daneben aber habe Österreich-Ungarn ein sehr namhaftes positiveres Interesse in Mazedonien, nämlich „sich den kommerziellen Weg über Saloniki offen zu halten, frei von jedwedem beengenden fremden Einfluß"*). Das ist, um es gleich vorweg zu bemerken, ein Ziel, das durchaus ein¬ leuchtet und dessen Berechtigung niemand bestreiten kann. Diese Forderung würde darauf hinauslaufen, daß erstens die österreichisch - ungarische Waren» ausfuhr und -einfuhr zwischen Saloniki und der Grenze unter Zollverschluß in plombierten Wagen versandt werden könnte, und zweitens, daß es auf dieser Strecke durch ein völkerrechtliches Abkommen gegen jede tarifarische Differential¬ behandlung und gegen Verwaltungsschikanen gesichert würde. Österreich-Ungarn hätte nun auf der Londoner Botschafterkonferenz sehr wohl verlangen können, daß die Mächte sein Anrecht auf eine völlig ungehinderte Durchfuhr nach Saloniki anerkannten, und keine der Mächte hätte ihm dies versagen können. Es ist nicht bekannt geworden, daß dies geschehen ist. Dagegen hat die Monarchie direkte Verhandlungen mit Griechenland und Serbien begonnen; ein Handels¬ vertrag mit Griechenland ist dem Abschluß nahe, während die Verhandlungen mit Serbien über die orientalischen Bahnen noch wenig von der Stelle gekommen sind. Serbien seinerseits hat ebenfalls Verhandlungen mit Griechenland eröffnet. Eine serbisch - griechische Kommission ist bereits im März zusammengetreten und verhandelt über die Errichtung einer Freihandelszone in Saloniki, wohin die serbische Warenausfuhr in plombierten Waggons direkt versandt werden soll und in der Serbien Grundbesitz erwerben darf, um Stallungen für das aus¬ geführte Vieh zu bauen, und ferner über eine Herabsetzung der Frachttarife. Aber es erscheint uns zweifelhaft, ob ein solches handelspolitisches Abkommen eine so fundamentale Bedeutung für die Monarchie hätte, als Chlumetzkn annimmt, und ob Saloniki wirklich eine so große Wichtigkeit als Ausfuhrhafen für Österreich - Ungarn zukommt. Betrachten wir die Voraus¬ setzungen, von denen CHIumetzky ausgeht: „Saloniki," sagt er. „ist durch seine geographische Lage dazu prädestiniert, das am weitest nach Südosten vor¬ geschobene Ausfallstor für den südösterreichischen und ungarischen Handel zu werden. Heute bloß eine Zukunftshoffnung, wird Saloniki in dem Augenblick eine überragende Bedeutung als wichtigster Hafenplatz des europäischen Ostens erlangen, in welchem zwei bereits im Werden begriffene Werke der Vollendung entgegengehen: die Verbindung Salonikis mit Sarajewo und der Ausbau des klein asiatischen Netzes, beziehungsweise der Bagdadbahn." Weiter sagt Chlumetzky, Saloniki werde dereinst der europäische Brückenkopf für den Verkehr nach dem Osten werden. Die Nähe Salonikis an Summa und dem Suezkanal mache es „zu dem einzigen Ausfallstor, welches der Monarchie den unmittelbaren Zutritt zum Mittelmeer gewähren könnte". „Dereinst, von Vorderasien der Kultur CHIumetzky, S. 62.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341899_328099/513>, abgerufen am 22.05.2024.