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Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Zweites Vierteljahr.

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Maßgeblich?? und Unmaßgebliches

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Kern der Sache verdunkelten, und die
Forderung der öffentlichen Meinung nach
Vereinigung Elsaß-Lothringens mit Deutsch¬
land recht wenig als vom elsaß-lothringischen
Jnteressenstnndpunkte aus gestellt erscheinen
ließen, um so mehr, als die Preußischen Gene¬
räle energisch -- viel energischer als die
nur getrieben vorgehende Diplomatie, die mit
tausend Rücksichteleien sich selbst im Wege
stand --vom strategischen Standpunkte aus für
die Vogesen als Grenze eintraten. Nach ihrer
Meinung sollte das Elsaß so eine Art Prell¬
bock gegen die Eroberungsgelüste Frankreichs
abgeben; dafür bedankte es sich natürlich
recht sehr. -- Wer überhaupt hätte das Land
annektieren sollen? Baden dachte seltsamer¬
weise gar nicht daran; es hatte andere Pläne.
Preußen und Württemberg wollten schon,
doch die Politik Österreichs und Englands
verdarb ihnen das Spiel. So wurden alle
schönen Vorschläge, die törichterweise -- was
die Elsaß-Lothringer besonders abstieß -- auch
von einer Teilung der Vogesenlande sprachen,
zu Wasser. Leider. Wie anders hätte sich
im Falle des Gelingens Wohl das Schicksal
Deutschlands gestaltet! Tausende lägen nicht
modernd in den Massengräbern um Metz und
Straßburg. -- Es kann nicht meine Aufgabe
sein, hier eingehend die vielen Schachzuge
der Diplomaten im einzelnen zu verfolgen!
ihre Forderungen wurden nicht aus ideellen
Gründen, nicht aus Rücksicht auf deu Vorteil
Elsaß-Lothringens gestellt, ebensowenig, wie
das in der Öffentlichkeit geschah, und sie
konnten daher in den Herzen der Stammes¬
genossen keine freudige Anerkennung finden.
Das ist der schwerwiegende Fehler, den man
auch heute macht.

Heute freilich bietet das Deutsche Reich
seinem jüngsten Bundesstaate ganz andere
Garantien, und der nunmehr nur nötige
innere Anschluß sollte sich eigentlich rascher
vollziehen. Wer aber früge, was das Elsaß
braucht? (Ich erinnere an die Ablehnung
des Moselkanals.) Mit der bloßen Forde¬
rung: "Ihr seid Deutsche, also benehme euch

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danach!" ist es nicht getan. Wo soll bei einem
Lande, das von seine" Stammesbrüdern dem
mi solsil gegenüberso kläglich im Stiche gelassen
worden ist, das dann als Teil von Frankreichs
Organismus dessen kulturellen und staatlichen
Um- und Aufschwung mitgemacht hat, das
endlich nur aus strategischer Notwendigkeit zu¬
rückgefordert wurde, -- wo soll, frage ich, bei
einem solchen Lande, das zudem ein in allem
benachteiligtes"Reichsland"-dasein friste"muß,
das deutsche Zugehörigkeitsgefühl in solcher
Stärke vorhanden sein, daß man uni der
Ziele des großen Ganzen Wille" gegebenen¬
falls mit den eigenen Forderungen zurück-
tritt? Es ist bezeichnend: vor hundert Jahren
war man über die Deutschtumslage im Elsaß
ebenso unzureichend informiert, wie heute, wo
die einen nur von Französlingen zu reden
wissen -- was notorisch falsch ist, wie ich als
Kenner von Land und Leuten behaupten
kann und muß --, die anderen allerdings auch
gewissen Unterströmungen zu wenig Bedeu¬
tung beilegen. Und so stellt nur jeder seine
Forderung, ohne sich Gedanken darüber zu
machen, welches die Bedingung ihrer Re¬
alisierbarkeit ist. Wenn ich sie hier nennen
soll, so läßt es sich mit ein Paar Worten
sagen: man gebe dem Elsaß dasselbe, was
es unter Frankreich besaß. Was damit ge¬
meint ist, geht aus dem bisherigen ohne
weiteres hervor: engsten, staatlichen und wirt¬
schaftlichen Anschluß an das Reich und eine
miterlebte große Vergangenheit! Das letztere
freilich muh der Zukunft überlassen bleiben.
Das erstere ist die Autonomie. Falls es
nicht anders geht -- eS wäre ein trauriges
Zeichen partikularistischer Eigenbrödelei der
Einzelstaaten, wenn es unmöglich sein sollte --,
nehme man den seinerzeit von Professor
Theobald Ziegler gemachten Vorschlag auf:
preußische Provinz! oder besser noch, meine
ich, badische; denn trotzdem der Badenser auch
"Schwob" für den Elsäßer ist, Paßt er besser
zu ihm. Mit diesem Verzicht Preußens würde
auch das die deutsche Einheit immer mehr
bedrohende -- weil Mißtrauen und Abneigung
süende -- Gerede vom Preußischen Parti¬
kularismus aufhören. Wen? Deutschlands
Zukunft wirklich am Herzen liegt, der muß
das wünschen; freilich dürfte dann die Preußische
Politik nicht in gewissen anderen Fragen ihren

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und Erhaltung der unsterblichen Ideen
deutscher Herrlichkeit, Ehre und Wehrlichkeit"
sein sollte.
Maßgeblich?? und Unmaßgebliches

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Kern der Sache verdunkelten, und die
Forderung der öffentlichen Meinung nach
Vereinigung Elsaß-Lothringens mit Deutsch¬
land recht wenig als vom elsaß-lothringischen
Jnteressenstnndpunkte aus gestellt erscheinen
ließen, um so mehr, als die Preußischen Gene¬
räle energisch — viel energischer als die
nur getrieben vorgehende Diplomatie, die mit
tausend Rücksichteleien sich selbst im Wege
stand —vom strategischen Standpunkte aus für
die Vogesen als Grenze eintraten. Nach ihrer
Meinung sollte das Elsaß so eine Art Prell¬
bock gegen die Eroberungsgelüste Frankreichs
abgeben; dafür bedankte es sich natürlich
recht sehr. — Wer überhaupt hätte das Land
annektieren sollen? Baden dachte seltsamer¬
weise gar nicht daran; es hatte andere Pläne.
Preußen und Württemberg wollten schon,
doch die Politik Österreichs und Englands
verdarb ihnen das Spiel. So wurden alle
schönen Vorschläge, die törichterweise — was
die Elsaß-Lothringer besonders abstieß — auch
von einer Teilung der Vogesenlande sprachen,
zu Wasser. Leider. Wie anders hätte sich
im Falle des Gelingens Wohl das Schicksal
Deutschlands gestaltet! Tausende lägen nicht
modernd in den Massengräbern um Metz und
Straßburg. — Es kann nicht meine Aufgabe
sein, hier eingehend die vielen Schachzuge
der Diplomaten im einzelnen zu verfolgen!
ihre Forderungen wurden nicht aus ideellen
Gründen, nicht aus Rücksicht auf deu Vorteil
Elsaß-Lothringens gestellt, ebensowenig, wie
das in der Öffentlichkeit geschah, und sie
konnten daher in den Herzen der Stammes¬
genossen keine freudige Anerkennung finden.
Das ist der schwerwiegende Fehler, den man
auch heute macht.

Heute freilich bietet das Deutsche Reich
seinem jüngsten Bundesstaate ganz andere
Garantien, und der nunmehr nur nötige
innere Anschluß sollte sich eigentlich rascher
vollziehen. Wer aber früge, was das Elsaß
braucht? (Ich erinnere an die Ablehnung
des Moselkanals.) Mit der bloßen Forde¬
rung: „Ihr seid Deutsche, also benehme euch

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danach!" ist es nicht getan. Wo soll bei einem
Lande, das von seine» Stammesbrüdern dem
mi solsil gegenüberso kläglich im Stiche gelassen
worden ist, das dann als Teil von Frankreichs
Organismus dessen kulturellen und staatlichen
Um- und Aufschwung mitgemacht hat, das
endlich nur aus strategischer Notwendigkeit zu¬
rückgefordert wurde, — wo soll, frage ich, bei
einem solchen Lande, das zudem ein in allem
benachteiligtes„Reichsland"-dasein friste»muß,
das deutsche Zugehörigkeitsgefühl in solcher
Stärke vorhanden sein, daß man uni der
Ziele des großen Ganzen Wille» gegebenen¬
falls mit den eigenen Forderungen zurück-
tritt? Es ist bezeichnend: vor hundert Jahren
war man über die Deutschtumslage im Elsaß
ebenso unzureichend informiert, wie heute, wo
die einen nur von Französlingen zu reden
wissen — was notorisch falsch ist, wie ich als
Kenner von Land und Leuten behaupten
kann und muß —, die anderen allerdings auch
gewissen Unterströmungen zu wenig Bedeu¬
tung beilegen. Und so stellt nur jeder seine
Forderung, ohne sich Gedanken darüber zu
machen, welches die Bedingung ihrer Re¬
alisierbarkeit ist. Wenn ich sie hier nennen
soll, so läßt es sich mit ein Paar Worten
sagen: man gebe dem Elsaß dasselbe, was
es unter Frankreich besaß. Was damit ge¬
meint ist, geht aus dem bisherigen ohne
weiteres hervor: engsten, staatlichen und wirt¬
schaftlichen Anschluß an das Reich und eine
miterlebte große Vergangenheit! Das letztere
freilich muh der Zukunft überlassen bleiben.
Das erstere ist die Autonomie. Falls es
nicht anders geht — eS wäre ein trauriges
Zeichen partikularistischer Eigenbrödelei der
Einzelstaaten, wenn es unmöglich sein sollte —,
nehme man den seinerzeit von Professor
Theobald Ziegler gemachten Vorschlag auf:
preußische Provinz! oder besser noch, meine
ich, badische; denn trotzdem der Badenser auch
„Schwob" für den Elsäßer ist, Paßt er besser
zu ihm. Mit diesem Verzicht Preußens würde
auch das die deutsche Einheit immer mehr
bedrohende — weil Mißtrauen und Abneigung
süende — Gerede vom Preußischen Parti¬
kularismus aufhören. Wen? Deutschlands
Zukunft wirklich am Herzen liegt, der muß
das wünschen; freilich dürfte dann die Preußische
Politik nicht in gewissen anderen Fragen ihren

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und Erhaltung der unsterblichen Ideen
deutscher Herrlichkeit, Ehre und Wehrlichkeit"
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[0055] Maßgeblich?? und Unmaßgebliches Kern der Sache verdunkelten, und die Forderung der öffentlichen Meinung nach Vereinigung Elsaß-Lothringens mit Deutsch¬ land recht wenig als vom elsaß-lothringischen Jnteressenstnndpunkte aus gestellt erscheinen ließen, um so mehr, als die Preußischen Gene¬ räle energisch — viel energischer als die nur getrieben vorgehende Diplomatie, die mit tausend Rücksichteleien sich selbst im Wege stand —vom strategischen Standpunkte aus für die Vogesen als Grenze eintraten. Nach ihrer Meinung sollte das Elsaß so eine Art Prell¬ bock gegen die Eroberungsgelüste Frankreichs abgeben; dafür bedankte es sich natürlich recht sehr. — Wer überhaupt hätte das Land annektieren sollen? Baden dachte seltsamer¬ weise gar nicht daran; es hatte andere Pläne. Preußen und Württemberg wollten schon, doch die Politik Österreichs und Englands verdarb ihnen das Spiel. So wurden alle schönen Vorschläge, die törichterweise — was die Elsaß-Lothringer besonders abstieß — auch von einer Teilung der Vogesenlande sprachen, zu Wasser. Leider. Wie anders hätte sich im Falle des Gelingens Wohl das Schicksal Deutschlands gestaltet! Tausende lägen nicht modernd in den Massengräbern um Metz und Straßburg. — Es kann nicht meine Aufgabe sein, hier eingehend die vielen Schachzuge der Diplomaten im einzelnen zu verfolgen! ihre Forderungen wurden nicht aus ideellen Gründen, nicht aus Rücksicht auf deu Vorteil Elsaß-Lothringens gestellt, ebensowenig, wie das in der Öffentlichkeit geschah, und sie konnten daher in den Herzen der Stammes¬ genossen keine freudige Anerkennung finden. Das ist der schwerwiegende Fehler, den man auch heute macht. Heute freilich bietet das Deutsche Reich seinem jüngsten Bundesstaate ganz andere Garantien, und der nunmehr nur nötige innere Anschluß sollte sich eigentlich rascher vollziehen. Wer aber früge, was das Elsaß braucht? (Ich erinnere an die Ablehnung des Moselkanals.) Mit der bloßen Forde¬ rung: „Ihr seid Deutsche, also benehme euch danach!" ist es nicht getan. Wo soll bei einem Lande, das von seine» Stammesbrüdern dem mi solsil gegenüberso kläglich im Stiche gelassen worden ist, das dann als Teil von Frankreichs Organismus dessen kulturellen und staatlichen Um- und Aufschwung mitgemacht hat, das endlich nur aus strategischer Notwendigkeit zu¬ rückgefordert wurde, — wo soll, frage ich, bei einem solchen Lande, das zudem ein in allem benachteiligtes„Reichsland"-dasein friste»muß, das deutsche Zugehörigkeitsgefühl in solcher Stärke vorhanden sein, daß man uni der Ziele des großen Ganzen Wille» gegebenen¬ falls mit den eigenen Forderungen zurück- tritt? Es ist bezeichnend: vor hundert Jahren war man über die Deutschtumslage im Elsaß ebenso unzureichend informiert, wie heute, wo die einen nur von Französlingen zu reden wissen — was notorisch falsch ist, wie ich als Kenner von Land und Leuten behaupten kann und muß —, die anderen allerdings auch gewissen Unterströmungen zu wenig Bedeu¬ tung beilegen. Und so stellt nur jeder seine Forderung, ohne sich Gedanken darüber zu machen, welches die Bedingung ihrer Re¬ alisierbarkeit ist. Wenn ich sie hier nennen soll, so läßt es sich mit ein Paar Worten sagen: man gebe dem Elsaß dasselbe, was es unter Frankreich besaß. Was damit ge¬ meint ist, geht aus dem bisherigen ohne weiteres hervor: engsten, staatlichen und wirt¬ schaftlichen Anschluß an das Reich und eine miterlebte große Vergangenheit! Das letztere freilich muh der Zukunft überlassen bleiben. Das erstere ist die Autonomie. Falls es nicht anders geht — eS wäre ein trauriges Zeichen partikularistischer Eigenbrödelei der Einzelstaaten, wenn es unmöglich sein sollte —, nehme man den seinerzeit von Professor Theobald Ziegler gemachten Vorschlag auf: preußische Provinz! oder besser noch, meine ich, badische; denn trotzdem der Badenser auch „Schwob" für den Elsäßer ist, Paßt er besser zu ihm. Mit diesem Verzicht Preußens würde auch das die deutsche Einheit immer mehr bedrohende — weil Mißtrauen und Abneigung süende — Gerede vom Preußischen Parti¬ kularismus aufhören. Wen? Deutschlands Zukunft wirklich am Herzen liegt, der muß das wünschen; freilich dürfte dann die Preußische Politik nicht in gewissen anderen Fragen ihren und Erhaltung der unsterblichen Ideen deutscher Herrlichkeit, Ehre und Wehrlichkeit" sein sollte.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341899_328099/55>, abgerufen am 15.06.2024.