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Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Zweites Vierteljahr.

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Rom, im Vatikan selbst lösen zu können. Daraus erklärt sich seine Übersiedelung
dahin sowie sein Eintritt in den geistlichen Stand, da nur ein Abb6 Kapell¬
meister des Papstes werden konnte; persönliche Neigung sprach bei diesem Ent¬
schluß ebenfalls mit. Aber man hatte in Rom weder für seine Musik noch für
seine Reformideen das rechte Verständnis, und so sah er sich in der Haupt¬
sache doch wieder auf Deutschland hingewiesen, das seine in Rom entstandenen
großen Oratorien "Die Legende von der heiligen Elisabeth" und "Christus"
ganz anders zu schätzen gelernt hat als die Stadt des Nachfolgers Petri.

Die nun wieder folgenden Jahre unstäten Wanderns ließen den alternden
Meister so recht der Einsamkeit des Künstlers, die er schon in früher Zeit
beklagt hat, innewerden, zumal seine zwei geliebtesten Kinder (Daniel und
Blandine) gestorben waren und der Verkehr mit dem dritten (Cosima), wie
schon erwähnt, aufgehört hatte; erst 1872, anläßlich der Grundsteinlegung des
Bayreuther Festspielhauses, wozu Wagner seinen Schwiegervater in überaus
herzlicher Weise eingeladen hatte, erfolgte die endgültige Versöhnung: Liszt reiste
zwar nicht hin. aber seine Erwiderung war gleichfalls so herzlich, daß Wagners im
Herbst nach Weimar kamen, wo Liszt seit alljährlich 18L9 einige Monate verbrachte.
Seine Freude war grenzenlos, und die Wochen, die er nun alljährlich in der
Familie seines Schwiegersohnes verlebte, entschädigten ihn einigermaßen sür sein
Heimloses Wanderleben, welches ihn von Weimar abwechselnd nach Pest und
Rom führte.

Für seinen Aufenthalt in Weimar war ihm die sogenannte "Hofgärtnerei"
angewiesen worden, und während der Monate seiner Anwesenheit entwickelte
sich hier ein ähnliches reges Leben wie einst in der "Altenburg". Anschaulich
schildert Kapp") das Treiben des jungen Volkes um den greisen Meister:
dreimal in der Woche nachmittags von 4 bis 6 Uhr kamen die Schüler, um
vorzuspielen. Jeder legte die Noten des Stückes, das er vortragen wollte, auf
den Tisch. Liszt trat dann herzu und wählte sich etwas aus. Häufig, wenn
er dabei seine eigenen Sachen in die Hand bekam, sagte er: "Wer spielt denn
dieses dumme Zeug?" Dann erscholl es: "Ich, lieber Meistert" Er gab einem
dann scherzend einen Backenstreich und sagte: "Na, lassen Sie mal hören!"

An seinem siebzigsten Geburtstag erlebte er eine besondere Freude: die
Ernennung zum Ehrenpräsidenten des Allgemeinen Deutschen Musikvereins, um
dessen Gründung er sich die größten Verdienste erworben hatte. Die schöne
und treffende Widmung des Diploms lautete: "Dem großen Künstler, dem
allverehrten und geliebten Meister, der schaffend, leitend und lehrend in seltener
Größe und nie rastender Hingebung sein Leben der Tonkunst ruhmvoll geweiht,
der nie erreicht und unerreichbar, Millionen entzückt hat und Tausenden ein
leuchtendes Vorbild geworden ist, dessen Name die Welt bewundernd und unser
Kreis voll treuer Liebe wie voll treuer Ehrfurcht nennt." Es war die feierliche



") a, ni. O. S, 446 ff.
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Rom, im Vatikan selbst lösen zu können. Daraus erklärt sich seine Übersiedelung
dahin sowie sein Eintritt in den geistlichen Stand, da nur ein Abb6 Kapell¬
meister des Papstes werden konnte; persönliche Neigung sprach bei diesem Ent¬
schluß ebenfalls mit. Aber man hatte in Rom weder für seine Musik noch für
seine Reformideen das rechte Verständnis, und so sah er sich in der Haupt¬
sache doch wieder auf Deutschland hingewiesen, das seine in Rom entstandenen
großen Oratorien „Die Legende von der heiligen Elisabeth" und „Christus"
ganz anders zu schätzen gelernt hat als die Stadt des Nachfolgers Petri.

Die nun wieder folgenden Jahre unstäten Wanderns ließen den alternden
Meister so recht der Einsamkeit des Künstlers, die er schon in früher Zeit
beklagt hat, innewerden, zumal seine zwei geliebtesten Kinder (Daniel und
Blandine) gestorben waren und der Verkehr mit dem dritten (Cosima), wie
schon erwähnt, aufgehört hatte; erst 1872, anläßlich der Grundsteinlegung des
Bayreuther Festspielhauses, wozu Wagner seinen Schwiegervater in überaus
herzlicher Weise eingeladen hatte, erfolgte die endgültige Versöhnung: Liszt reiste
zwar nicht hin. aber seine Erwiderung war gleichfalls so herzlich, daß Wagners im
Herbst nach Weimar kamen, wo Liszt seit alljährlich 18L9 einige Monate verbrachte.
Seine Freude war grenzenlos, und die Wochen, die er nun alljährlich in der
Familie seines Schwiegersohnes verlebte, entschädigten ihn einigermaßen sür sein
Heimloses Wanderleben, welches ihn von Weimar abwechselnd nach Pest und
Rom führte.

Für seinen Aufenthalt in Weimar war ihm die sogenannte „Hofgärtnerei"
angewiesen worden, und während der Monate seiner Anwesenheit entwickelte
sich hier ein ähnliches reges Leben wie einst in der „Altenburg". Anschaulich
schildert Kapp") das Treiben des jungen Volkes um den greisen Meister:
dreimal in der Woche nachmittags von 4 bis 6 Uhr kamen die Schüler, um
vorzuspielen. Jeder legte die Noten des Stückes, das er vortragen wollte, auf
den Tisch. Liszt trat dann herzu und wählte sich etwas aus. Häufig, wenn
er dabei seine eigenen Sachen in die Hand bekam, sagte er: „Wer spielt denn
dieses dumme Zeug?" Dann erscholl es: „Ich, lieber Meistert" Er gab einem
dann scherzend einen Backenstreich und sagte: „Na, lassen Sie mal hören!"

An seinem siebzigsten Geburtstag erlebte er eine besondere Freude: die
Ernennung zum Ehrenpräsidenten des Allgemeinen Deutschen Musikvereins, um
dessen Gründung er sich die größten Verdienste erworben hatte. Die schöne
und treffende Widmung des Diploms lautete: „Dem großen Künstler, dem
allverehrten und geliebten Meister, der schaffend, leitend und lehrend in seltener
Größe und nie rastender Hingebung sein Leben der Tonkunst ruhmvoll geweiht,
der nie erreicht und unerreichbar, Millionen entzückt hat und Tausenden ein
leuchtendes Vorbild geworden ist, dessen Name die Welt bewundernd und unser
Kreis voll treuer Liebe wie voll treuer Ehrfurcht nennt." Es war die feierliche



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[0610] ^ranz Lif-je Rom, im Vatikan selbst lösen zu können. Daraus erklärt sich seine Übersiedelung dahin sowie sein Eintritt in den geistlichen Stand, da nur ein Abb6 Kapell¬ meister des Papstes werden konnte; persönliche Neigung sprach bei diesem Ent¬ schluß ebenfalls mit. Aber man hatte in Rom weder für seine Musik noch für seine Reformideen das rechte Verständnis, und so sah er sich in der Haupt¬ sache doch wieder auf Deutschland hingewiesen, das seine in Rom entstandenen großen Oratorien „Die Legende von der heiligen Elisabeth" und „Christus" ganz anders zu schätzen gelernt hat als die Stadt des Nachfolgers Petri. Die nun wieder folgenden Jahre unstäten Wanderns ließen den alternden Meister so recht der Einsamkeit des Künstlers, die er schon in früher Zeit beklagt hat, innewerden, zumal seine zwei geliebtesten Kinder (Daniel und Blandine) gestorben waren und der Verkehr mit dem dritten (Cosima), wie schon erwähnt, aufgehört hatte; erst 1872, anläßlich der Grundsteinlegung des Bayreuther Festspielhauses, wozu Wagner seinen Schwiegervater in überaus herzlicher Weise eingeladen hatte, erfolgte die endgültige Versöhnung: Liszt reiste zwar nicht hin. aber seine Erwiderung war gleichfalls so herzlich, daß Wagners im Herbst nach Weimar kamen, wo Liszt seit alljährlich 18L9 einige Monate verbrachte. Seine Freude war grenzenlos, und die Wochen, die er nun alljährlich in der Familie seines Schwiegersohnes verlebte, entschädigten ihn einigermaßen sür sein Heimloses Wanderleben, welches ihn von Weimar abwechselnd nach Pest und Rom führte. Für seinen Aufenthalt in Weimar war ihm die sogenannte „Hofgärtnerei" angewiesen worden, und während der Monate seiner Anwesenheit entwickelte sich hier ein ähnliches reges Leben wie einst in der „Altenburg". Anschaulich schildert Kapp") das Treiben des jungen Volkes um den greisen Meister: dreimal in der Woche nachmittags von 4 bis 6 Uhr kamen die Schüler, um vorzuspielen. Jeder legte die Noten des Stückes, das er vortragen wollte, auf den Tisch. Liszt trat dann herzu und wählte sich etwas aus. Häufig, wenn er dabei seine eigenen Sachen in die Hand bekam, sagte er: „Wer spielt denn dieses dumme Zeug?" Dann erscholl es: „Ich, lieber Meistert" Er gab einem dann scherzend einen Backenstreich und sagte: „Na, lassen Sie mal hören!" An seinem siebzigsten Geburtstag erlebte er eine besondere Freude: die Ernennung zum Ehrenpräsidenten des Allgemeinen Deutschen Musikvereins, um dessen Gründung er sich die größten Verdienste erworben hatte. Die schöne und treffende Widmung des Diploms lautete: „Dem großen Künstler, dem allverehrten und geliebten Meister, der schaffend, leitend und lehrend in seltener Größe und nie rastender Hingebung sein Leben der Tonkunst ruhmvoll geweiht, der nie erreicht und unerreichbar, Millionen entzückt hat und Tausenden ein leuchtendes Vorbild geworden ist, dessen Name die Welt bewundernd und unser Kreis voll treuer Liebe wie voll treuer Ehrfurcht nennt." Es war die feierliche ") a, ni. O. S, 446 ff.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341899_328099/610>, abgerufen am 03.06.2024.