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Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Zweites Vierteljahr.

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Die pfingstwallfahrt zur Springpro^ssion nach Lchternach

gefüllt, erreichte der lange Zug die Grenzstation Wasserbillig, wo aus nicht er¬
kennbaren Gründen diesmal in die luxemburgische Prinz - Heinrich - Bahn um¬
gestiegen werden mußte. Alles rannte so schnell wie möglich zum Ausgange
des Bahnsteiges, wo es dein einzelnen nur mit Mühe gelang, seinen Körper
mitsamt den Beinen aus dem Knäuel herauszuwinden und mit heiler Haut den
luxemburgischen Bahnsteig zu erreichen. Sobald ich dahin gelangt war, ver¬
suchte ich meine Schutzbefohlenen zu sammeln, aber o Schreck! Des großen
Andranges wegen war der Bahnsteig gleich nach meinem Durchgange hinter
mir geschlossen worden und ein Teil meiner Truppe wimmelte noch auf dem
ersten Bahnsteige herum. Der mich begleitende Teil meiner Jünger dagegen
hatte im Übereifer den bereitstehenden Zug bereits bestiegen und der Stations¬
vorsteher wollte trotz aller guten Worte den Zug abfahren lassen, da er nicht
länger warten könne! Energie und Schimpfen meinerseits half aber. Im
letzten Augenblicke hatte ich schließlich meine Leute noch alle zusammen und im
überbesetzten Zuge fuhren wir unserem Ziele zu. Die Passagiere waren
größtenteils Wallfahrer: ein Summen und Brummen wie das eines großen
Bienenschwarmes betäubte unsere Sinne. Unablässig beteten die gen Echternach
fahrenden Pilger, die in vielen Tausenden von Wasserbillig oder Diekirch
kommend auf der kleinen, fünf Wegstunden von Trier gelegenen Station des
anmutigen Abteistädtchens Echternach an der deutsch-luxemburgischen Grenze
an diesem Morgen ausgeschüttet wurden. Schon am Pfingstmontage sind die
Pilger in größeren und kleineren Haufen betend und singend nach Zurücklegung
weiter Strecken zu Fuß von zehn und zwölf Stunden im Umkreise in den etwa
viertausend Einwohner zählenden Ort eingezogen. Auch die Großprümer
Prozession, welche schon am Pfingstsonntag ihren Ort verläßt und mit Mund¬
vorrat für drei Tage versehen nach Anhörung einer heiligen Messe in der
Unterwegsstation Waxweiler größere Mengen von Pilgern mit sich gezogen hat,
ist bereits früh sieben Uhr auf dem Echternacher Gebiet angelangt. Die Teil¬
nehmer dieser Prozession sind meist Männer mit sonnenverbrannten Gesichtern
und schwieligen Händen, die außer dem nötigen Proviant einen großen blauen
Regenschirm, unter dem sich eine ganze Familie vor dem Regen schützen kann,
mitführen. Drei seltsam gekleidete Jünglinge mit napoleonischen Spitzbuden
tragen zwei schwere Votivwachskerzen mit mannigfachen Verzierungen. Pro¬
zessionsordner und Vorbeter geben durch ihre kräftige Stimme der ganzen
Prozession eine mustergültige Ordnung.

Andere Pilger sind aus der Eifel. dem Gebiete der Saar und den Ardennen
herbeigeströmt und haben den schon mit Tagesgrauen beginnenden Messen sowie
nach vorausgegangener Beichte den Abendmahlsfeiern beigewohnt, während die
tags zuvor angekommenen am gleichen Tage schon am Grabe des heiligen Willi-
brord, des "Friedensbringers", gebetet haben. Denn zahllose Wunder wirkte
Willibrord (f 739), der, aus England kommend, fünfzig Jahre lang als
unermüdlicher Glaubensbote die weiten Länder von der Elbe- und Rheinmündung


Die pfingstwallfahrt zur Springpro^ssion nach Lchternach

gefüllt, erreichte der lange Zug die Grenzstation Wasserbillig, wo aus nicht er¬
kennbaren Gründen diesmal in die luxemburgische Prinz - Heinrich - Bahn um¬
gestiegen werden mußte. Alles rannte so schnell wie möglich zum Ausgange
des Bahnsteiges, wo es dein einzelnen nur mit Mühe gelang, seinen Körper
mitsamt den Beinen aus dem Knäuel herauszuwinden und mit heiler Haut den
luxemburgischen Bahnsteig zu erreichen. Sobald ich dahin gelangt war, ver¬
suchte ich meine Schutzbefohlenen zu sammeln, aber o Schreck! Des großen
Andranges wegen war der Bahnsteig gleich nach meinem Durchgange hinter
mir geschlossen worden und ein Teil meiner Truppe wimmelte noch auf dem
ersten Bahnsteige herum. Der mich begleitende Teil meiner Jünger dagegen
hatte im Übereifer den bereitstehenden Zug bereits bestiegen und der Stations¬
vorsteher wollte trotz aller guten Worte den Zug abfahren lassen, da er nicht
länger warten könne! Energie und Schimpfen meinerseits half aber. Im
letzten Augenblicke hatte ich schließlich meine Leute noch alle zusammen und im
überbesetzten Zuge fuhren wir unserem Ziele zu. Die Passagiere waren
größtenteils Wallfahrer: ein Summen und Brummen wie das eines großen
Bienenschwarmes betäubte unsere Sinne. Unablässig beteten die gen Echternach
fahrenden Pilger, die in vielen Tausenden von Wasserbillig oder Diekirch
kommend auf der kleinen, fünf Wegstunden von Trier gelegenen Station des
anmutigen Abteistädtchens Echternach an der deutsch-luxemburgischen Grenze
an diesem Morgen ausgeschüttet wurden. Schon am Pfingstmontage sind die
Pilger in größeren und kleineren Haufen betend und singend nach Zurücklegung
weiter Strecken zu Fuß von zehn und zwölf Stunden im Umkreise in den etwa
viertausend Einwohner zählenden Ort eingezogen. Auch die Großprümer
Prozession, welche schon am Pfingstsonntag ihren Ort verläßt und mit Mund¬
vorrat für drei Tage versehen nach Anhörung einer heiligen Messe in der
Unterwegsstation Waxweiler größere Mengen von Pilgern mit sich gezogen hat,
ist bereits früh sieben Uhr auf dem Echternacher Gebiet angelangt. Die Teil¬
nehmer dieser Prozession sind meist Männer mit sonnenverbrannten Gesichtern
und schwieligen Händen, die außer dem nötigen Proviant einen großen blauen
Regenschirm, unter dem sich eine ganze Familie vor dem Regen schützen kann,
mitführen. Drei seltsam gekleidete Jünglinge mit napoleonischen Spitzbuden
tragen zwei schwere Votivwachskerzen mit mannigfachen Verzierungen. Pro¬
zessionsordner und Vorbeter geben durch ihre kräftige Stimme der ganzen
Prozession eine mustergültige Ordnung.

Andere Pilger sind aus der Eifel. dem Gebiete der Saar und den Ardennen
herbeigeströmt und haben den schon mit Tagesgrauen beginnenden Messen sowie
nach vorausgegangener Beichte den Abendmahlsfeiern beigewohnt, während die
tags zuvor angekommenen am gleichen Tage schon am Grabe des heiligen Willi-
brord, des „Friedensbringers", gebetet haben. Denn zahllose Wunder wirkte
Willibrord (f 739), der, aus England kommend, fünfzig Jahre lang als
unermüdlicher Glaubensbote die weiten Länder von der Elbe- und Rheinmündung


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[0613] Die pfingstwallfahrt zur Springpro^ssion nach Lchternach gefüllt, erreichte der lange Zug die Grenzstation Wasserbillig, wo aus nicht er¬ kennbaren Gründen diesmal in die luxemburgische Prinz - Heinrich - Bahn um¬ gestiegen werden mußte. Alles rannte so schnell wie möglich zum Ausgange des Bahnsteiges, wo es dein einzelnen nur mit Mühe gelang, seinen Körper mitsamt den Beinen aus dem Knäuel herauszuwinden und mit heiler Haut den luxemburgischen Bahnsteig zu erreichen. Sobald ich dahin gelangt war, ver¬ suchte ich meine Schutzbefohlenen zu sammeln, aber o Schreck! Des großen Andranges wegen war der Bahnsteig gleich nach meinem Durchgange hinter mir geschlossen worden und ein Teil meiner Truppe wimmelte noch auf dem ersten Bahnsteige herum. Der mich begleitende Teil meiner Jünger dagegen hatte im Übereifer den bereitstehenden Zug bereits bestiegen und der Stations¬ vorsteher wollte trotz aller guten Worte den Zug abfahren lassen, da er nicht länger warten könne! Energie und Schimpfen meinerseits half aber. Im letzten Augenblicke hatte ich schließlich meine Leute noch alle zusammen und im überbesetzten Zuge fuhren wir unserem Ziele zu. Die Passagiere waren größtenteils Wallfahrer: ein Summen und Brummen wie das eines großen Bienenschwarmes betäubte unsere Sinne. Unablässig beteten die gen Echternach fahrenden Pilger, die in vielen Tausenden von Wasserbillig oder Diekirch kommend auf der kleinen, fünf Wegstunden von Trier gelegenen Station des anmutigen Abteistädtchens Echternach an der deutsch-luxemburgischen Grenze an diesem Morgen ausgeschüttet wurden. Schon am Pfingstmontage sind die Pilger in größeren und kleineren Haufen betend und singend nach Zurücklegung weiter Strecken zu Fuß von zehn und zwölf Stunden im Umkreise in den etwa viertausend Einwohner zählenden Ort eingezogen. Auch die Großprümer Prozession, welche schon am Pfingstsonntag ihren Ort verläßt und mit Mund¬ vorrat für drei Tage versehen nach Anhörung einer heiligen Messe in der Unterwegsstation Waxweiler größere Mengen von Pilgern mit sich gezogen hat, ist bereits früh sieben Uhr auf dem Echternacher Gebiet angelangt. Die Teil¬ nehmer dieser Prozession sind meist Männer mit sonnenverbrannten Gesichtern und schwieligen Händen, die außer dem nötigen Proviant einen großen blauen Regenschirm, unter dem sich eine ganze Familie vor dem Regen schützen kann, mitführen. Drei seltsam gekleidete Jünglinge mit napoleonischen Spitzbuden tragen zwei schwere Votivwachskerzen mit mannigfachen Verzierungen. Pro¬ zessionsordner und Vorbeter geben durch ihre kräftige Stimme der ganzen Prozession eine mustergültige Ordnung. Andere Pilger sind aus der Eifel. dem Gebiete der Saar und den Ardennen herbeigeströmt und haben den schon mit Tagesgrauen beginnenden Messen sowie nach vorausgegangener Beichte den Abendmahlsfeiern beigewohnt, während die tags zuvor angekommenen am gleichen Tage schon am Grabe des heiligen Willi- brord, des „Friedensbringers", gebetet haben. Denn zahllose Wunder wirkte Willibrord (f 739), der, aus England kommend, fünfzig Jahre lang als unermüdlicher Glaubensbote die weiten Länder von der Elbe- und Rheinmündung

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341899_328099/613>, abgerufen am 22.05.2024.