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Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Zweites Vierteljahr.

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Li-marck und prokesch-Gsten

1853) der Hoffnung Ausdruck geben, ,,daß wir, in würdiger Unabhängigkeit
neben- und miteinander gehend, dem Bunde und Deutschland Nutzen bringen
werden" ("Aus den Briefen" usw. S. 298).

Bald genug kam es dann freilich anders. Daß es Bismarcks leitender
Gedanke sei, "Preußen an die Spitze von Deutschland und aus dem Bundes¬
verhältnis von heute herauszubringen" (a. a. O. S. 257), war ihm schon in der
letzten Zeit in Berlin aufgegangen, und jetzt, in Frankfurt, sollte er erfahren,
daß diesem Gedanken gegenüber alle, aber auch alle anderen Rücksichten zurücktraten.

Man gewinnt aus Prokeschs Berichten an seinen Minister unbedingt den
Eindruck, daß er, dem dies bei seiner eigenen bis zum Leidenschaftlichen tempe¬
ramentvollen Veranlagung nicht leicht gefallen sein mag, doch das Menschen¬
mögliche getan hat, um mit Bismarck, der den Krieg gegen die Präsidialbefuguisse
des Österreichers für seine nähere und die Lahmlegung und ab8uräum
Führung des Bundes für seine weitere Pflicht hielt, dennoch in möglichst gutem
Einvernehmen zu bleiben. "Je snszeptibler er, desto weniger ich," schreibt er
7. März 1853, und fährt freimütig fort: "Übrigens auch unserseits manche
kleinliche Eitelkeit, das heißt, nicht jedermann hat die Geduld, die ich habe"
(a. a. O. S. 304).

Aber die Verhältnisse waren stärker als der stärkste Wille von beiden Seiten,
und die Folge die. daß sowohl Bismarck wie Prokesch in ihren Berichten immer
im gleichen Atem ihre eigenen Rücksichten beteuern und die Rücksichtslosigkeiten
des Gegners in den stärksten Ausdrücken bei Namen nennen.

Noch immer zwar suchte Prokesch mit Bismarck ein erträgliches Verhältnis
zu bewahren, "was bei seiner ungnädigen Haltung gegen alles, was österreichisch,
nicht ohne Mühe ist. Ich bringe einen beträchtlichen Teil meiner Zeit damit
zu, Skandale zu verhüten oder ihnen auszuweichen"; und ein anderesmal schreibt
er: "der hiesige Posten bedarf einer Biegsamkeit und Geduld, die ich nur
wenigen zutraue. Ich glaube wirklich darin einiges geleistet zu haben. Es
wäre ohne ein großes Kapital dieser Eigenschaften nicht möglich gewesen, so
viele Geschäfte von der Hand zu bringen und den Frieden in einer Versammlung
zu erhalten, wo Leute wie Herr von Bismarck sitzen" (a. a. O. S. 404, 429).

Der wurde freilich immer "geharnischter". "Um seiner Übeln Laune Luft
zu machen, hat mich Herr von Bismarck in der Sitzung vom 20. Juli (1854)
inbezug des Beamtenetats auf das Unanständigste angefallen, weil ich noch
immer ein paar Beamte, beide Österreicher, der eine Vater von neun Kindern,
der andere siebzig Jahre alt, nicht weggejagt. Der Normaletät verpflichtet mich
allerdings dazu, läßt aber die Zeit völlig meinem Ermessen anheimgestellt.
Solche Sekkaturen werden sich jetzt wahrscheinlich wiederholen. Schliff von
außen und innere Roheit sind das Charakteristische der preußischen Bildung"
(a. a. O. S. 381 ff.).

Es muß nun aber ausdrücklich betont werden, daß diese und einige ver¬
wandte Äußerungen aus der nächsten Zeit über Bismarcks Rücksichtslosigkeit
-*


s
Li-marck und prokesch-Gsten

1853) der Hoffnung Ausdruck geben, ,,daß wir, in würdiger Unabhängigkeit
neben- und miteinander gehend, dem Bunde und Deutschland Nutzen bringen
werden" („Aus den Briefen" usw. S. 298).

Bald genug kam es dann freilich anders. Daß es Bismarcks leitender
Gedanke sei, „Preußen an die Spitze von Deutschland und aus dem Bundes¬
verhältnis von heute herauszubringen" (a. a. O. S. 257), war ihm schon in der
letzten Zeit in Berlin aufgegangen, und jetzt, in Frankfurt, sollte er erfahren,
daß diesem Gedanken gegenüber alle, aber auch alle anderen Rücksichten zurücktraten.

Man gewinnt aus Prokeschs Berichten an seinen Minister unbedingt den
Eindruck, daß er, dem dies bei seiner eigenen bis zum Leidenschaftlichen tempe¬
ramentvollen Veranlagung nicht leicht gefallen sein mag, doch das Menschen¬
mögliche getan hat, um mit Bismarck, der den Krieg gegen die Präsidialbefuguisse
des Österreichers für seine nähere und die Lahmlegung und ab8uräum
Führung des Bundes für seine weitere Pflicht hielt, dennoch in möglichst gutem
Einvernehmen zu bleiben. „Je snszeptibler er, desto weniger ich," schreibt er
7. März 1853, und fährt freimütig fort: „Übrigens auch unserseits manche
kleinliche Eitelkeit, das heißt, nicht jedermann hat die Geduld, die ich habe"
(a. a. O. S. 304).

Aber die Verhältnisse waren stärker als der stärkste Wille von beiden Seiten,
und die Folge die. daß sowohl Bismarck wie Prokesch in ihren Berichten immer
im gleichen Atem ihre eigenen Rücksichten beteuern und die Rücksichtslosigkeiten
des Gegners in den stärksten Ausdrücken bei Namen nennen.

Noch immer zwar suchte Prokesch mit Bismarck ein erträgliches Verhältnis
zu bewahren, „was bei seiner ungnädigen Haltung gegen alles, was österreichisch,
nicht ohne Mühe ist. Ich bringe einen beträchtlichen Teil meiner Zeit damit
zu, Skandale zu verhüten oder ihnen auszuweichen"; und ein anderesmal schreibt
er: „der hiesige Posten bedarf einer Biegsamkeit und Geduld, die ich nur
wenigen zutraue. Ich glaube wirklich darin einiges geleistet zu haben. Es
wäre ohne ein großes Kapital dieser Eigenschaften nicht möglich gewesen, so
viele Geschäfte von der Hand zu bringen und den Frieden in einer Versammlung
zu erhalten, wo Leute wie Herr von Bismarck sitzen" (a. a. O. S. 404, 429).

Der wurde freilich immer „geharnischter". „Um seiner Übeln Laune Luft
zu machen, hat mich Herr von Bismarck in der Sitzung vom 20. Juli (1854)
inbezug des Beamtenetats auf das Unanständigste angefallen, weil ich noch
immer ein paar Beamte, beide Österreicher, der eine Vater von neun Kindern,
der andere siebzig Jahre alt, nicht weggejagt. Der Normaletät verpflichtet mich
allerdings dazu, läßt aber die Zeit völlig meinem Ermessen anheimgestellt.
Solche Sekkaturen werden sich jetzt wahrscheinlich wiederholen. Schliff von
außen und innere Roheit sind das Charakteristische der preußischen Bildung"
(a. a. O. S. 381 ff.).

Es muß nun aber ausdrücklich betont werden, daß diese und einige ver¬
wandte Äußerungen aus der nächsten Zeit über Bismarcks Rücksichtslosigkeit
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[0079] Li-marck und prokesch-Gsten 1853) der Hoffnung Ausdruck geben, ,,daß wir, in würdiger Unabhängigkeit neben- und miteinander gehend, dem Bunde und Deutschland Nutzen bringen werden" („Aus den Briefen" usw. S. 298). Bald genug kam es dann freilich anders. Daß es Bismarcks leitender Gedanke sei, „Preußen an die Spitze von Deutschland und aus dem Bundes¬ verhältnis von heute herauszubringen" (a. a. O. S. 257), war ihm schon in der letzten Zeit in Berlin aufgegangen, und jetzt, in Frankfurt, sollte er erfahren, daß diesem Gedanken gegenüber alle, aber auch alle anderen Rücksichten zurücktraten. Man gewinnt aus Prokeschs Berichten an seinen Minister unbedingt den Eindruck, daß er, dem dies bei seiner eigenen bis zum Leidenschaftlichen tempe¬ ramentvollen Veranlagung nicht leicht gefallen sein mag, doch das Menschen¬ mögliche getan hat, um mit Bismarck, der den Krieg gegen die Präsidialbefuguisse des Österreichers für seine nähere und die Lahmlegung und ab8uräum Führung des Bundes für seine weitere Pflicht hielt, dennoch in möglichst gutem Einvernehmen zu bleiben. „Je snszeptibler er, desto weniger ich," schreibt er 7. März 1853, und fährt freimütig fort: „Übrigens auch unserseits manche kleinliche Eitelkeit, das heißt, nicht jedermann hat die Geduld, die ich habe" (a. a. O. S. 304). Aber die Verhältnisse waren stärker als der stärkste Wille von beiden Seiten, und die Folge die. daß sowohl Bismarck wie Prokesch in ihren Berichten immer im gleichen Atem ihre eigenen Rücksichten beteuern und die Rücksichtslosigkeiten des Gegners in den stärksten Ausdrücken bei Namen nennen. Noch immer zwar suchte Prokesch mit Bismarck ein erträgliches Verhältnis zu bewahren, „was bei seiner ungnädigen Haltung gegen alles, was österreichisch, nicht ohne Mühe ist. Ich bringe einen beträchtlichen Teil meiner Zeit damit zu, Skandale zu verhüten oder ihnen auszuweichen"; und ein anderesmal schreibt er: „der hiesige Posten bedarf einer Biegsamkeit und Geduld, die ich nur wenigen zutraue. Ich glaube wirklich darin einiges geleistet zu haben. Es wäre ohne ein großes Kapital dieser Eigenschaften nicht möglich gewesen, so viele Geschäfte von der Hand zu bringen und den Frieden in einer Versammlung zu erhalten, wo Leute wie Herr von Bismarck sitzen" (a. a. O. S. 404, 429). Der wurde freilich immer „geharnischter". „Um seiner Übeln Laune Luft zu machen, hat mich Herr von Bismarck in der Sitzung vom 20. Juli (1854) inbezug des Beamtenetats auf das Unanständigste angefallen, weil ich noch immer ein paar Beamte, beide Österreicher, der eine Vater von neun Kindern, der andere siebzig Jahre alt, nicht weggejagt. Der Normaletät verpflichtet mich allerdings dazu, läßt aber die Zeit völlig meinem Ermessen anheimgestellt. Solche Sekkaturen werden sich jetzt wahrscheinlich wiederholen. Schliff von außen und innere Roheit sind das Charakteristische der preußischen Bildung" (a. a. O. S. 381 ff.). Es muß nun aber ausdrücklich betont werden, daß diese und einige ver¬ wandte Äußerungen aus der nächsten Zeit über Bismarcks Rücksichtslosigkeit -* s

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341899_328099/79>, abgerufen am 22.05.2024.