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Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Zweites Vierteljahr.

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Bismarck und prokcsch-Osten

aus hämischen und absprechender Bemerkungen, mit denen er dieser Seite seines
Wesens gedenkt, daß dieserUmstcmd seine Abneigung ehervergrößert, daß er ihmseine
geistigen Vorzüge im Innersten als ein belastendes Moment auf das Schüldkonto
geschrieben habe. Die Bevorzugung im Hasse, die er Prokesch in so hohem
Maße angedeihen ließ, dürfte, man kann die Befürchtung nicht unterdrücken,
zum guten Teile auf die dunkle Empfindung und instinktive Anerkennung einer
Überlegenheit zurückzuführen sein, einer Überlegenheit, die bei jenem nach der
geistigen Seite, nach der Seite von Bildung und Wissen ebenso unzweifelhaft
und im gleichen Maße vorhanden war, wie bei Bismarck nach der Seite des
staatsmünnischen Könnens, Wollens und Müssens. Und da es sich für ihn
ausschloß. Prokesch auf die geistigen Gebiete, die ihm letzten Endes doch innerlich
völlig fernlagen, irgendwie ernstlicher zu folgen, so hielt er sich dafür schadlos
durch Persiflierung des ihm Unverständlichen, und namentlich wo das Wissen¬
schaftliche einmal auch in die politische Sphäre, in die Ausdrucksweise des
Kollegen hinüberzuspielen schien, reibt er sich immer von neuem an seiner
"Langweiligkeit", seiner "didaktischen Weitschweifigkeit", seinem "professoralen
Vortrag", seinen: "oratorischen Schwung" usw.

Nichts begreiflicher als dies! Aber bedauerlich bleibt es doch, daß diese
gänzliche Ablehnung des geistigen Menschen in Prokesch zu einer völligen Ver-
kennung auch des moralischen, der gerade bei ihm mit dem geistigen so unab¬
trennbar verquickt war, in hohem Maße beigetragen hat. Die Natur hatte ja
ohnehin in diesen beiden Männern ein übriges getan, um die hohen Vorzüge,
mit denen sie beide ausgestattet hatte (von der Vaterlandsliebe, die ihnen
gemeinsam war, immer abgesehen), fast ausschließlich nach entgegengesetzten
Seiten zu verlegen, und dies bis ins Allerpersönlichste hinein, den grimmen
Humor z. B., der ebenso Bismarck eigen wie dem schwerblütigeren Prokesch
fremd war. Dazu kam der Altersunterschied von zwanzig Jahren: Prokesch
vertrat ein absterbendes, das metaphysisch-empfindsame, Bismarck ein herauf¬
ziehendes, das positivistisch-nüchterne Zeitalter. Eine gewisse Überschwänglichkeit
ist, neben aller "nüchternen Genialität", die doch auch ihm nachgesagt werden
konnte, vielen Kundgebungen Prokeschs eigen. Gegen Bismarck scheint er sie --
und das begreift sich! -- nie hervorgekehrt zu haben, wenigsteus bin ich auf
keinerlei Echos davon getroffen. Wohl aber erwähnt jener einzelne Male, noch
nach den schlimmsten Vorkommnissen, der "durchbrechenden Herzlichkeit" Prokeschs:
das heißt doch wohl, die urwüchsige Natur des Alpensohnes brach sich in diesen
Fällen durch allen diplomatischen Firniß, durch alle politischen Gegnerschaften
übermächtig Bahn. Nichts Ähnliches auf feiten Bismarcks. Er bewahrt besten¬
falls die eisigkühle Nüchternheit des märkischen Junkers und ließ im übrigen
der Politik allein das Wort, die ihn denn freilich, wie sie damals war, von
einem Manne wie Prokesch immer unheilbarer trennen mußte.

Sie freilich gab ihm eine unermeßliche Überlegenheit über jeden denkbaren
Gegner. Er hatte die bessere, jedenfalls klarere Sache, die gewaltigere Per-


Bismarck und prokcsch-Osten

aus hämischen und absprechender Bemerkungen, mit denen er dieser Seite seines
Wesens gedenkt, daß dieserUmstcmd seine Abneigung ehervergrößert, daß er ihmseine
geistigen Vorzüge im Innersten als ein belastendes Moment auf das Schüldkonto
geschrieben habe. Die Bevorzugung im Hasse, die er Prokesch in so hohem
Maße angedeihen ließ, dürfte, man kann die Befürchtung nicht unterdrücken,
zum guten Teile auf die dunkle Empfindung und instinktive Anerkennung einer
Überlegenheit zurückzuführen sein, einer Überlegenheit, die bei jenem nach der
geistigen Seite, nach der Seite von Bildung und Wissen ebenso unzweifelhaft
und im gleichen Maße vorhanden war, wie bei Bismarck nach der Seite des
staatsmünnischen Könnens, Wollens und Müssens. Und da es sich für ihn
ausschloß. Prokesch auf die geistigen Gebiete, die ihm letzten Endes doch innerlich
völlig fernlagen, irgendwie ernstlicher zu folgen, so hielt er sich dafür schadlos
durch Persiflierung des ihm Unverständlichen, und namentlich wo das Wissen¬
schaftliche einmal auch in die politische Sphäre, in die Ausdrucksweise des
Kollegen hinüberzuspielen schien, reibt er sich immer von neuem an seiner
„Langweiligkeit", seiner „didaktischen Weitschweifigkeit", seinem „professoralen
Vortrag", seinen: „oratorischen Schwung" usw.

Nichts begreiflicher als dies! Aber bedauerlich bleibt es doch, daß diese
gänzliche Ablehnung des geistigen Menschen in Prokesch zu einer völligen Ver-
kennung auch des moralischen, der gerade bei ihm mit dem geistigen so unab¬
trennbar verquickt war, in hohem Maße beigetragen hat. Die Natur hatte ja
ohnehin in diesen beiden Männern ein übriges getan, um die hohen Vorzüge,
mit denen sie beide ausgestattet hatte (von der Vaterlandsliebe, die ihnen
gemeinsam war, immer abgesehen), fast ausschließlich nach entgegengesetzten
Seiten zu verlegen, und dies bis ins Allerpersönlichste hinein, den grimmen
Humor z. B., der ebenso Bismarck eigen wie dem schwerblütigeren Prokesch
fremd war. Dazu kam der Altersunterschied von zwanzig Jahren: Prokesch
vertrat ein absterbendes, das metaphysisch-empfindsame, Bismarck ein herauf¬
ziehendes, das positivistisch-nüchterne Zeitalter. Eine gewisse Überschwänglichkeit
ist, neben aller „nüchternen Genialität", die doch auch ihm nachgesagt werden
konnte, vielen Kundgebungen Prokeschs eigen. Gegen Bismarck scheint er sie —
und das begreift sich! — nie hervorgekehrt zu haben, wenigsteus bin ich auf
keinerlei Echos davon getroffen. Wohl aber erwähnt jener einzelne Male, noch
nach den schlimmsten Vorkommnissen, der „durchbrechenden Herzlichkeit" Prokeschs:
das heißt doch wohl, die urwüchsige Natur des Alpensohnes brach sich in diesen
Fällen durch allen diplomatischen Firniß, durch alle politischen Gegnerschaften
übermächtig Bahn. Nichts Ähnliches auf feiten Bismarcks. Er bewahrt besten¬
falls die eisigkühle Nüchternheit des märkischen Junkers und ließ im übrigen
der Politik allein das Wort, die ihn denn freilich, wie sie damals war, von
einem Manne wie Prokesch immer unheilbarer trennen mußte.

Sie freilich gab ihm eine unermeßliche Überlegenheit über jeden denkbaren
Gegner. Er hatte die bessere, jedenfalls klarere Sache, die gewaltigere Per-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341899_328099/84>, abgerufen am 15.06.2024.