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Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Drittes Vierteljahr.

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Der Minie zu Besuch

unter, daß ich schon glaubte, "es sei um meiner Sünden willen". Und er war
gerade daran zu versichern, daß der Künstler mit dem Dichter zu gehen habe,
weil angeblich beide auf der Menschheit Höhen wandeln, da geschah plötzlich etwas
Seltsames. Über das Mimengesicht lief in der höchsten Ekstase ein Zug pein¬
lichen Erinnerns. Er tat wieder einen Jünglingssprung und war plötzlich am
Fenster. Ich ihm nach. "Kutscher, wenden!" Er rief es hinunter, zur Droschke,
die unten auf ihn wartete. "Wenden!" Ach mit welchem Schmerz in der
Stimme!

Mir wurde die Sache begreiflich. Es war heiß draußen. Und die Sonne
brannte auf die Kissen. Und wenn die Kissen sehr heiß eingeglüht sind
und man setzt sich darauf, dann, nicht wahr . . .

"Wenden!" Noch einmal flutete ein Meer von Empfindung auf den
weißen Blechzylinder hinab. Der Mann aber, unbegreiflicherweise, verstand es
nicht und drehte nicht die Kissen, sondern die ganze Droschke. "Nein, die
Kissen wenden!" "Die Kissen!"

Der Kutscher sah völlig verständnislos herauf. Drüben arbeiteten an einem
Neubau ein paar Maurer. Die Maurer vermittelten sofort das Verständnis
zwischen Olymp und Asphalt.

"Die Kissen sollst ihm drehen, daß er sich nicht, bald er sich "aufsetzt,
den . . . Rücken . . . derbrennt!"

Nehmen wir mal an, die Leute hätten wirklich "Rücken" gesagt. In
Wirklichkeit waren sie roh genug, sich trotz der Gegenwart des Erhabenen anders
auszudrücken.

Das war zuviel. Ich war. wie gesagt, damals noch Kritiker und nicht,
wie heute, selbst einer von der Komödie. Und so konnte ich mich damals nicht
beherrschen und lachte dem beleidigten Zeus in das Gesicht.

"Pfui, wie äöZoutant!"

Nun bitte ich Sie um alles in der Welt: döZvutant! Ich meine, das
ist ein Wort, das man allenfalls denkt, aber doch nie im Leben sagt. Und
denken tut es doch auch schließlich nur etwa ein Mediatisierter, der im Warte¬
saal einen Mann Messer und Gabel verwechseln sieht. Zugegeben aber, das
Wort hat seine Bühnenwirkung, Der Mime also sagte es. Und dann, als
er sah, daß ich noch immer lachte, hoffnungslos lachte und noch lange lachen
würde, vergaß er die Rede und die Situation von vorher, verbeugte sich
förmlich und kühl wie Clunstenberg vor Wallenstein und ging . . . Unten ratterte
zornig die Droschke aus der Nähe des Unwerten.

Am nächsten Morgen hielt ich ein Billet in der Hand. Darauf stand
geschrieben: "Lieber Doktor! Sie haben mir weh getan."

Und dann kam der Name. Nur der Name. Der Name aber klang --
beim bloßen Lesen schon -- so vorwurfsvoll, als wenn Kainz der Unvergeßliche,
seinem königlichen Oheim versicherte, er habe, im Gegenteil, zuviel Sonne . . .




Der Minie zu Besuch

unter, daß ich schon glaubte, „es sei um meiner Sünden willen". Und er war
gerade daran zu versichern, daß der Künstler mit dem Dichter zu gehen habe,
weil angeblich beide auf der Menschheit Höhen wandeln, da geschah plötzlich etwas
Seltsames. Über das Mimengesicht lief in der höchsten Ekstase ein Zug pein¬
lichen Erinnerns. Er tat wieder einen Jünglingssprung und war plötzlich am
Fenster. Ich ihm nach. „Kutscher, wenden!" Er rief es hinunter, zur Droschke,
die unten auf ihn wartete. „Wenden!" Ach mit welchem Schmerz in der
Stimme!

Mir wurde die Sache begreiflich. Es war heiß draußen. Und die Sonne
brannte auf die Kissen. Und wenn die Kissen sehr heiß eingeglüht sind
und man setzt sich darauf, dann, nicht wahr . . .

„Wenden!" Noch einmal flutete ein Meer von Empfindung auf den
weißen Blechzylinder hinab. Der Mann aber, unbegreiflicherweise, verstand es
nicht und drehte nicht die Kissen, sondern die ganze Droschke. „Nein, die
Kissen wenden!" „Die Kissen!"

Der Kutscher sah völlig verständnislos herauf. Drüben arbeiteten an einem
Neubau ein paar Maurer. Die Maurer vermittelten sofort das Verständnis
zwischen Olymp und Asphalt.

„Die Kissen sollst ihm drehen, daß er sich nicht, bald er sich «aufsetzt,
den . . . Rücken . . . derbrennt!"

Nehmen wir mal an, die Leute hätten wirklich „Rücken" gesagt. In
Wirklichkeit waren sie roh genug, sich trotz der Gegenwart des Erhabenen anders
auszudrücken.

Das war zuviel. Ich war. wie gesagt, damals noch Kritiker und nicht,
wie heute, selbst einer von der Komödie. Und so konnte ich mich damals nicht
beherrschen und lachte dem beleidigten Zeus in das Gesicht.

„Pfui, wie äöZoutant!"

Nun bitte ich Sie um alles in der Welt: döZvutant! Ich meine, das
ist ein Wort, das man allenfalls denkt, aber doch nie im Leben sagt. Und
denken tut es doch auch schließlich nur etwa ein Mediatisierter, der im Warte¬
saal einen Mann Messer und Gabel verwechseln sieht. Zugegeben aber, das
Wort hat seine Bühnenwirkung, Der Mime also sagte es. Und dann, als
er sah, daß ich noch immer lachte, hoffnungslos lachte und noch lange lachen
würde, vergaß er die Rede und die Situation von vorher, verbeugte sich
förmlich und kühl wie Clunstenberg vor Wallenstein und ging . . . Unten ratterte
zornig die Droschke aus der Nähe des Unwerten.

Am nächsten Morgen hielt ich ein Billet in der Hand. Darauf stand
geschrieben: „Lieber Doktor! Sie haben mir weh getan."

Und dann kam der Name. Nur der Name. Der Name aber klang —
beim bloßen Lesen schon — so vorwurfsvoll, als wenn Kainz der Unvergeßliche,
seinem königlichen Oheim versicherte, er habe, im Gegenteil, zuviel Sonne . . .




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[0104] Der Minie zu Besuch unter, daß ich schon glaubte, „es sei um meiner Sünden willen". Und er war gerade daran zu versichern, daß der Künstler mit dem Dichter zu gehen habe, weil angeblich beide auf der Menschheit Höhen wandeln, da geschah plötzlich etwas Seltsames. Über das Mimengesicht lief in der höchsten Ekstase ein Zug pein¬ lichen Erinnerns. Er tat wieder einen Jünglingssprung und war plötzlich am Fenster. Ich ihm nach. „Kutscher, wenden!" Er rief es hinunter, zur Droschke, die unten auf ihn wartete. „Wenden!" Ach mit welchem Schmerz in der Stimme! Mir wurde die Sache begreiflich. Es war heiß draußen. Und die Sonne brannte auf die Kissen. Und wenn die Kissen sehr heiß eingeglüht sind und man setzt sich darauf, dann, nicht wahr . . . „Wenden!" Noch einmal flutete ein Meer von Empfindung auf den weißen Blechzylinder hinab. Der Mann aber, unbegreiflicherweise, verstand es nicht und drehte nicht die Kissen, sondern die ganze Droschke. „Nein, die Kissen wenden!" „Die Kissen!" Der Kutscher sah völlig verständnislos herauf. Drüben arbeiteten an einem Neubau ein paar Maurer. Die Maurer vermittelten sofort das Verständnis zwischen Olymp und Asphalt. „Die Kissen sollst ihm drehen, daß er sich nicht, bald er sich «aufsetzt, den . . . Rücken . . . derbrennt!" Nehmen wir mal an, die Leute hätten wirklich „Rücken" gesagt. In Wirklichkeit waren sie roh genug, sich trotz der Gegenwart des Erhabenen anders auszudrücken. Das war zuviel. Ich war. wie gesagt, damals noch Kritiker und nicht, wie heute, selbst einer von der Komödie. Und so konnte ich mich damals nicht beherrschen und lachte dem beleidigten Zeus in das Gesicht. „Pfui, wie äöZoutant!" Nun bitte ich Sie um alles in der Welt: döZvutant! Ich meine, das ist ein Wort, das man allenfalls denkt, aber doch nie im Leben sagt. Und denken tut es doch auch schließlich nur etwa ein Mediatisierter, der im Warte¬ saal einen Mann Messer und Gabel verwechseln sieht. Zugegeben aber, das Wort hat seine Bühnenwirkung, Der Mime also sagte es. Und dann, als er sah, daß ich noch immer lachte, hoffnungslos lachte und noch lange lachen würde, vergaß er die Rede und die Situation von vorher, verbeugte sich förmlich und kühl wie Clunstenberg vor Wallenstein und ging . . . Unten ratterte zornig die Droschke aus der Nähe des Unwerten. Am nächsten Morgen hielt ich ein Billet in der Hand. Darauf stand geschrieben: „Lieber Doktor! Sie haben mir weh getan." Und dann kam der Name. Nur der Name. Der Name aber klang — beim bloßen Lesen schon — so vorwurfsvoll, als wenn Kainz der Unvergeßliche, seinem königlichen Oheim versicherte, er habe, im Gegenteil, zuviel Sonne . . .

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341899_328733/104>, abgerufen am 18.05.2024.