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Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Drittes Vierteljahr.

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An unsere Leser

genug sein, um die Existenz der Völker eines ganzen Kontinents, um eine auf
Jahrtausenden beruhende Kultur aufs Spiel zu setzen I? -- Der Fürstenmord
von Serajewo ist nicht die Ursache des Krieges, -- er ist der erste grausame
Schlag, den der längst vorbereitete Gegner geführt hat, der erste kriegerische
Einbruch I Die Ursache zu diesem frivolen Kriege ist der Neid gegen ein
verhältnismäßig kleines Volk, das in der Friedensarbeit eines halben Jahr¬
hunderts alle anderen Nationen überflügeln konnte, die einst die Führung in
der Welt hatten. Das ist der alleinige Grund für Nußland, Frankreich und
England. Es gilt die unter Habsburg und Hohenzollern geeinten Völker zu
zersplittern und sie zu schwächen durch Vernichtung des Deutschtums, "n dem alle:
Polen, Tschechen, Ungarn, Kroaten, Slowenen, erstarken konnten. Nachdem es
sich als unmöglich erwiesen hat, der großzügigen und systematischen und von
jeder Falschheit und Untreue freien Friedensarbeit der Deutschen entgegenzu¬
wirken, ist gegen uns der Schlag geführt worden, den wir jetzt zu parieren
haben. Und so ist die Vorgeschichte dieses Weltbrandes die Geschichte des deutschen
Aufstiegs seit dem deutsch-französischen Kriege. Moltkes prophetisches Wort,
Deutschland werde die Errungenschaften von 1871 noch fünfzig Jahre verteidigen
müssen, ist Wahrheit geworden.

Wie es zur Wahrheit wurde, das erzählt die Geschichte des russisch-
französischen Bündnisses, die in ihren Anfängen bereits im Jahre 1868 beginnt,
vor dem Balkankriege von 1877 starke Wurzeln schlägt, um dann schließlich
mit der Thronbesteigung Alexanders des Dritten zur praktischen Wirklichkeit zu
werden. In den 1890 er Jahren beginnt dann der immer schärfer werdende
Gegensatz Englands zur deutschen Politik bemerkbar zu werden. Die Ent¬
wicklung der deutschen Kolonialpolitik und damit im Zusammenhang der be¬
ginnende Aufbau einer deutschen Flotte verbreiten beim bisherigen Herrscher
der Meere Furcht und Schrecken, und noch allen ist bekannt, wie die Ein-
krcisungSpolitik Eduards des Siebenten immer wieder versuchte, schon vor einer
Reihe von Jahren dieselbe Situation herbeizuführen, die jetzt in der politischen
Weltlage eingetreten ist. Es liegt menschlich nur zu nahe, wenn man sich er¬
innert, wie es des Fürsten Bülow geschickter Hand lange Zeit hindurch gelungen
ist, die diplomatische Einkreisung Deutschlands zu verhindern. Aber auch diesem
geschickten Diplomaten wurde es immer schwerer, die geschichtliche Entwicklung
im Auslande abzubiegen und in ein Fahrwasser zu lenken, das die Einkreisung
unterband. Keine Diplomatie ist imstande elementare Kräfte zu beseitigen! Das
vermag nur das Schwert! Vielleicht war es ein großer Fehler, wenn Fürst
Bülow im Jahre 1904/5 nicht mit Rußland brach, sondern im Gegenteil der
russischen Monarchie trotz der Schläge Japans und der Revolution im Innern
den Rücken stärkte. Aber die Voraussetzungen für günstige Folgen einer solchen
Haltung waren ja nach menschlichem Ermessen gegeben. Man glaubte es mit einem in
deutscher Kultur wurzelnden Fürstenhause zu tun zu haben und durfte danach psycho¬
logische Momente bewerten. Seit 1905. besonders aber seit 1906, seit die Russen eine


An unsere Leser

genug sein, um die Existenz der Völker eines ganzen Kontinents, um eine auf
Jahrtausenden beruhende Kultur aufs Spiel zu setzen I? — Der Fürstenmord
von Serajewo ist nicht die Ursache des Krieges, — er ist der erste grausame
Schlag, den der längst vorbereitete Gegner geführt hat, der erste kriegerische
Einbruch I Die Ursache zu diesem frivolen Kriege ist der Neid gegen ein
verhältnismäßig kleines Volk, das in der Friedensarbeit eines halben Jahr¬
hunderts alle anderen Nationen überflügeln konnte, die einst die Führung in
der Welt hatten. Das ist der alleinige Grund für Nußland, Frankreich und
England. Es gilt die unter Habsburg und Hohenzollern geeinten Völker zu
zersplittern und sie zu schwächen durch Vernichtung des Deutschtums, «n dem alle:
Polen, Tschechen, Ungarn, Kroaten, Slowenen, erstarken konnten. Nachdem es
sich als unmöglich erwiesen hat, der großzügigen und systematischen und von
jeder Falschheit und Untreue freien Friedensarbeit der Deutschen entgegenzu¬
wirken, ist gegen uns der Schlag geführt worden, den wir jetzt zu parieren
haben. Und so ist die Vorgeschichte dieses Weltbrandes die Geschichte des deutschen
Aufstiegs seit dem deutsch-französischen Kriege. Moltkes prophetisches Wort,
Deutschland werde die Errungenschaften von 1871 noch fünfzig Jahre verteidigen
müssen, ist Wahrheit geworden.

Wie es zur Wahrheit wurde, das erzählt die Geschichte des russisch-
französischen Bündnisses, die in ihren Anfängen bereits im Jahre 1868 beginnt,
vor dem Balkankriege von 1877 starke Wurzeln schlägt, um dann schließlich
mit der Thronbesteigung Alexanders des Dritten zur praktischen Wirklichkeit zu
werden. In den 1890 er Jahren beginnt dann der immer schärfer werdende
Gegensatz Englands zur deutschen Politik bemerkbar zu werden. Die Ent¬
wicklung der deutschen Kolonialpolitik und damit im Zusammenhang der be¬
ginnende Aufbau einer deutschen Flotte verbreiten beim bisherigen Herrscher
der Meere Furcht und Schrecken, und noch allen ist bekannt, wie die Ein-
krcisungSpolitik Eduards des Siebenten immer wieder versuchte, schon vor einer
Reihe von Jahren dieselbe Situation herbeizuführen, die jetzt in der politischen
Weltlage eingetreten ist. Es liegt menschlich nur zu nahe, wenn man sich er¬
innert, wie es des Fürsten Bülow geschickter Hand lange Zeit hindurch gelungen
ist, die diplomatische Einkreisung Deutschlands zu verhindern. Aber auch diesem
geschickten Diplomaten wurde es immer schwerer, die geschichtliche Entwicklung
im Auslande abzubiegen und in ein Fahrwasser zu lenken, das die Einkreisung
unterband. Keine Diplomatie ist imstande elementare Kräfte zu beseitigen! Das
vermag nur das Schwert! Vielleicht war es ein großer Fehler, wenn Fürst
Bülow im Jahre 1904/5 nicht mit Rußland brach, sondern im Gegenteil der
russischen Monarchie trotz der Schläge Japans und der Revolution im Innern
den Rücken stärkte. Aber die Voraussetzungen für günstige Folgen einer solchen
Haltung waren ja nach menschlichem Ermessen gegeben. Man glaubte es mit einem in
deutscher Kultur wurzelnden Fürstenhause zu tun zu haben und durfte danach psycho¬
logische Momente bewerten. Seit 1905. besonders aber seit 1906, seit die Russen eine


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[0275] An unsere Leser genug sein, um die Existenz der Völker eines ganzen Kontinents, um eine auf Jahrtausenden beruhende Kultur aufs Spiel zu setzen I? — Der Fürstenmord von Serajewo ist nicht die Ursache des Krieges, — er ist der erste grausame Schlag, den der längst vorbereitete Gegner geführt hat, der erste kriegerische Einbruch I Die Ursache zu diesem frivolen Kriege ist der Neid gegen ein verhältnismäßig kleines Volk, das in der Friedensarbeit eines halben Jahr¬ hunderts alle anderen Nationen überflügeln konnte, die einst die Führung in der Welt hatten. Das ist der alleinige Grund für Nußland, Frankreich und England. Es gilt die unter Habsburg und Hohenzollern geeinten Völker zu zersplittern und sie zu schwächen durch Vernichtung des Deutschtums, «n dem alle: Polen, Tschechen, Ungarn, Kroaten, Slowenen, erstarken konnten. Nachdem es sich als unmöglich erwiesen hat, der großzügigen und systematischen und von jeder Falschheit und Untreue freien Friedensarbeit der Deutschen entgegenzu¬ wirken, ist gegen uns der Schlag geführt worden, den wir jetzt zu parieren haben. Und so ist die Vorgeschichte dieses Weltbrandes die Geschichte des deutschen Aufstiegs seit dem deutsch-französischen Kriege. Moltkes prophetisches Wort, Deutschland werde die Errungenschaften von 1871 noch fünfzig Jahre verteidigen müssen, ist Wahrheit geworden. Wie es zur Wahrheit wurde, das erzählt die Geschichte des russisch- französischen Bündnisses, die in ihren Anfängen bereits im Jahre 1868 beginnt, vor dem Balkankriege von 1877 starke Wurzeln schlägt, um dann schließlich mit der Thronbesteigung Alexanders des Dritten zur praktischen Wirklichkeit zu werden. In den 1890 er Jahren beginnt dann der immer schärfer werdende Gegensatz Englands zur deutschen Politik bemerkbar zu werden. Die Ent¬ wicklung der deutschen Kolonialpolitik und damit im Zusammenhang der be¬ ginnende Aufbau einer deutschen Flotte verbreiten beim bisherigen Herrscher der Meere Furcht und Schrecken, und noch allen ist bekannt, wie die Ein- krcisungSpolitik Eduards des Siebenten immer wieder versuchte, schon vor einer Reihe von Jahren dieselbe Situation herbeizuführen, die jetzt in der politischen Weltlage eingetreten ist. Es liegt menschlich nur zu nahe, wenn man sich er¬ innert, wie es des Fürsten Bülow geschickter Hand lange Zeit hindurch gelungen ist, die diplomatische Einkreisung Deutschlands zu verhindern. Aber auch diesem geschickten Diplomaten wurde es immer schwerer, die geschichtliche Entwicklung im Auslande abzubiegen und in ein Fahrwasser zu lenken, das die Einkreisung unterband. Keine Diplomatie ist imstande elementare Kräfte zu beseitigen! Das vermag nur das Schwert! Vielleicht war es ein großer Fehler, wenn Fürst Bülow im Jahre 1904/5 nicht mit Rußland brach, sondern im Gegenteil der russischen Monarchie trotz der Schläge Japans und der Revolution im Innern den Rücken stärkte. Aber die Voraussetzungen für günstige Folgen einer solchen Haltung waren ja nach menschlichem Ermessen gegeben. Man glaubte es mit einem in deutscher Kultur wurzelnden Fürstenhause zu tun zu haben und durfte danach psycho¬ logische Momente bewerten. Seit 1905. besonders aber seit 1906, seit die Russen eine

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341899_328733/275>, abgerufen am 09.06.2024.