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Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Drittes Vierteljahr.

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Briefe eines Leipzigers aus England während des Krieges ^s?o/?^

armen, ins Elend gekommenen Landleute und Weber in den ausgebrannten
Dörfern ist in gleicher Weise gesammelt worden. Die Society of friends
hat allein über 100000 Pfund, das sind etwa 700000 Taler gegeben.
Die Sammlung der Daily News ergab bis heute die Summe von ziemlich
16000 Pfund, die dazu verwendet wird, den Webern wieder Webstuhle, den
Abgebrannten und Verarmten Suppen, warme Kleidung und LebenLmittel zu
geben. Ferner gehen ebenso bedeutende Sammlungen ein an Geld und Getreide,
um die Landleute mit Saatkorn zu versehen, daß sie die Felder bestellen und
so einer Hungersnot in diesem Jahre vorbeugen können. Seit der Gefangen¬
nahme des Kaisers hat sich jedoch die Sympathie in England Frankreich zu¬
gewandt, zum Teil, weil man den Krieg als einen Eroberungskrieg betrachtet,
und zum Teil, weil man wünscht, in Frankreich eine Republik zu sehen. In
London sind sogar Demonstrationen gemacht worden, die englische Regierung zur
tätlichen Parteinahme für Frankreich zu treiben, das ist zum Krieg gegen Deutsch¬
land. Diese Demonstrationen rühren jedoch nur von den Sozialdemoktraten her,
deren Partei durch die hier lebenden Franzosen und durch die dazu gekommenen
Flüchtlinge sehr angeschwollen ist. Das englische Volk jedoch als ein Ganzes tadelt
entschieden diese Demonstrationen und, obgleich es mit Mitleiden auf Frankreich
sieht, will es um jeden Preis den Frieden. Von England ist daher kein anderes
Einmischen zu gewärtigen, als daß es beim Frieden Deutschlands zur Mäßigung
und Frankreich zur Nachgiebigkeit und Weisheit mahnen will. Das englische
Volk ist, man muß das anerkennen, beseelt von Ehrenhaftigkeit und Gerechtigkeits¬
liebe, und natürlich beurteilen sie das französische Volk, wie sie sich selbst
beurteilen. Ich bin aber fest davon überzeugt, wenn Deutschland auf die
Ehrenhaftigkeit Frankreichs bauen wollte, würde es auf Sand bauen. Die
Franzosen sind zu leidenschaftlich, ruhmsüchtig und rachsüchtig, so daß Deutsch¬
land solidere Garantien als bloße Verträge heimtragen muß. Das ist es, was
ich hier predige und auch überzeuge. . . .

Kidderminster, 9. Februar 1871

Der Krieg ist noch nicht zu Ende, obschon es heute so scheinen mag. Der
Süden Frankreichs setzt noch den Krieg fort, wahrscheinlich mit einigen Er¬
folgen im Anfang, bis die Republikaner, vielleicht in Lyon, eingeschlossen und
bombardiert werden, womit dann die Republik und Gambetta ein Ende haben*).
Garibaldi nebst seinen Söhnen und Anhängern werden von den deutschen
Truppen erschlagen, und Napoleon kommt wieder ans den Thron, bis auch sein
Stündlein endlich schlägt**). Die Sammlungen hier in England gehen unaus¬
gesetzt fort, alle die Summen, die ich Dir früher nannte, sind höher und höher
angeschwollen. Allein in London sind bis Ende voriger Woche für die Unter-




*) Garibaldi legte bekanntlich bereits am 6. Februar sein Amt als Mitglied der
Regierung nieder.
**) Englische Phantastereien!
Briefe eines Leipzigers aus England während des Krieges ^s?o/?^

armen, ins Elend gekommenen Landleute und Weber in den ausgebrannten
Dörfern ist in gleicher Weise gesammelt worden. Die Society of friends
hat allein über 100000 Pfund, das sind etwa 700000 Taler gegeben.
Die Sammlung der Daily News ergab bis heute die Summe von ziemlich
16000 Pfund, die dazu verwendet wird, den Webern wieder Webstuhle, den
Abgebrannten und Verarmten Suppen, warme Kleidung und LebenLmittel zu
geben. Ferner gehen ebenso bedeutende Sammlungen ein an Geld und Getreide,
um die Landleute mit Saatkorn zu versehen, daß sie die Felder bestellen und
so einer Hungersnot in diesem Jahre vorbeugen können. Seit der Gefangen¬
nahme des Kaisers hat sich jedoch die Sympathie in England Frankreich zu¬
gewandt, zum Teil, weil man den Krieg als einen Eroberungskrieg betrachtet,
und zum Teil, weil man wünscht, in Frankreich eine Republik zu sehen. In
London sind sogar Demonstrationen gemacht worden, die englische Regierung zur
tätlichen Parteinahme für Frankreich zu treiben, das ist zum Krieg gegen Deutsch¬
land. Diese Demonstrationen rühren jedoch nur von den Sozialdemoktraten her,
deren Partei durch die hier lebenden Franzosen und durch die dazu gekommenen
Flüchtlinge sehr angeschwollen ist. Das englische Volk jedoch als ein Ganzes tadelt
entschieden diese Demonstrationen und, obgleich es mit Mitleiden auf Frankreich
sieht, will es um jeden Preis den Frieden. Von England ist daher kein anderes
Einmischen zu gewärtigen, als daß es beim Frieden Deutschlands zur Mäßigung
und Frankreich zur Nachgiebigkeit und Weisheit mahnen will. Das englische
Volk ist, man muß das anerkennen, beseelt von Ehrenhaftigkeit und Gerechtigkeits¬
liebe, und natürlich beurteilen sie das französische Volk, wie sie sich selbst
beurteilen. Ich bin aber fest davon überzeugt, wenn Deutschland auf die
Ehrenhaftigkeit Frankreichs bauen wollte, würde es auf Sand bauen. Die
Franzosen sind zu leidenschaftlich, ruhmsüchtig und rachsüchtig, so daß Deutsch¬
land solidere Garantien als bloße Verträge heimtragen muß. Das ist es, was
ich hier predige und auch überzeuge. . . .

Kidderminster, 9. Februar 1871

Der Krieg ist noch nicht zu Ende, obschon es heute so scheinen mag. Der
Süden Frankreichs setzt noch den Krieg fort, wahrscheinlich mit einigen Er¬
folgen im Anfang, bis die Republikaner, vielleicht in Lyon, eingeschlossen und
bombardiert werden, womit dann die Republik und Gambetta ein Ende haben*).
Garibaldi nebst seinen Söhnen und Anhängern werden von den deutschen
Truppen erschlagen, und Napoleon kommt wieder ans den Thron, bis auch sein
Stündlein endlich schlägt**). Die Sammlungen hier in England gehen unaus¬
gesetzt fort, alle die Summen, die ich Dir früher nannte, sind höher und höher
angeschwollen. Allein in London sind bis Ende voriger Woche für die Unter-




*) Garibaldi legte bekanntlich bereits am 6. Februar sein Amt als Mitglied der
Regierung nieder.
**) Englische Phantastereien!
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[0296] Briefe eines Leipzigers aus England während des Krieges ^s?o/?^ armen, ins Elend gekommenen Landleute und Weber in den ausgebrannten Dörfern ist in gleicher Weise gesammelt worden. Die Society of friends hat allein über 100000 Pfund, das sind etwa 700000 Taler gegeben. Die Sammlung der Daily News ergab bis heute die Summe von ziemlich 16000 Pfund, die dazu verwendet wird, den Webern wieder Webstuhle, den Abgebrannten und Verarmten Suppen, warme Kleidung und LebenLmittel zu geben. Ferner gehen ebenso bedeutende Sammlungen ein an Geld und Getreide, um die Landleute mit Saatkorn zu versehen, daß sie die Felder bestellen und so einer Hungersnot in diesem Jahre vorbeugen können. Seit der Gefangen¬ nahme des Kaisers hat sich jedoch die Sympathie in England Frankreich zu¬ gewandt, zum Teil, weil man den Krieg als einen Eroberungskrieg betrachtet, und zum Teil, weil man wünscht, in Frankreich eine Republik zu sehen. In London sind sogar Demonstrationen gemacht worden, die englische Regierung zur tätlichen Parteinahme für Frankreich zu treiben, das ist zum Krieg gegen Deutsch¬ land. Diese Demonstrationen rühren jedoch nur von den Sozialdemoktraten her, deren Partei durch die hier lebenden Franzosen und durch die dazu gekommenen Flüchtlinge sehr angeschwollen ist. Das englische Volk jedoch als ein Ganzes tadelt entschieden diese Demonstrationen und, obgleich es mit Mitleiden auf Frankreich sieht, will es um jeden Preis den Frieden. Von England ist daher kein anderes Einmischen zu gewärtigen, als daß es beim Frieden Deutschlands zur Mäßigung und Frankreich zur Nachgiebigkeit und Weisheit mahnen will. Das englische Volk ist, man muß das anerkennen, beseelt von Ehrenhaftigkeit und Gerechtigkeits¬ liebe, und natürlich beurteilen sie das französische Volk, wie sie sich selbst beurteilen. Ich bin aber fest davon überzeugt, wenn Deutschland auf die Ehrenhaftigkeit Frankreichs bauen wollte, würde es auf Sand bauen. Die Franzosen sind zu leidenschaftlich, ruhmsüchtig und rachsüchtig, so daß Deutsch¬ land solidere Garantien als bloße Verträge heimtragen muß. Das ist es, was ich hier predige und auch überzeuge. . . . Kidderminster, 9. Februar 1871 Der Krieg ist noch nicht zu Ende, obschon es heute so scheinen mag. Der Süden Frankreichs setzt noch den Krieg fort, wahrscheinlich mit einigen Er¬ folgen im Anfang, bis die Republikaner, vielleicht in Lyon, eingeschlossen und bombardiert werden, womit dann die Republik und Gambetta ein Ende haben*). Garibaldi nebst seinen Söhnen und Anhängern werden von den deutschen Truppen erschlagen, und Napoleon kommt wieder ans den Thron, bis auch sein Stündlein endlich schlägt**). Die Sammlungen hier in England gehen unaus¬ gesetzt fort, alle die Summen, die ich Dir früher nannte, sind höher und höher angeschwollen. Allein in London sind bis Ende voriger Woche für die Unter- *) Garibaldi legte bekanntlich bereits am 6. Februar sein Amt als Mitglied der Regierung nieder. **) Englische Phantastereien!

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341899_328733/296>, abgerufen am 19.05.2024.