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Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Drittes Vierteljahr.

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von der Kirche des Geistes

protestantisch, sondern es ist so alt und so universell wie all jene Gemeinschafts¬
bildungen, zu denen der religiöse Trieb immer und überall geführt hat. Es
ist überhaupt ja nur ein Teilproblem in dem viel größeren Kampf zwischen
Geist und Stoff. Inhalt und Form. Idee und Wirklichkeit, der als ein stets sich
wiederholendes Herabsinken und Hinaufstreben. als ein Verstricktwerden und
Erlöstwerden sich darstellt. Was in dem Satz "la möäiOLrits wnäa l'autori.t6"
an historischer Wirklichkeit und innerer Wahrheit steckt, das führt, wenn eine
gewisse Hypertrophie der äußeren Form in die Erscheinung getreten ist. Naturen
mit ausgeprägtem Sinn für das Innerliche und Wesentliche zur Auflehnung
gegen das unpersönliche, für die Bedürfnisse einer Masse zugeschnittene Formen¬
wesen mit seinem Zwang. In den religiösen Gemeinschaften offenbart sich diese
Reaktion des genialisch Ursprünglichen am stärksten, weil Religion das aller-
persönlichste im Menschen ist. In der Geschichte des Christentums ist sie seit
der ersten Auflehnung gegen den Nomismus und seit den Tagen, wo das
Evangelium des Pneumas, das unter des Johannes Namen geht, und die
grandiose Vision des apokalyptischen Sehers vom himmlischen Jerusalem der
irdischen Gemeinschaft eine höhere, geistigere gegenüberstellte, fast zu den all¬
täglichen Erscheinungen geworden. Den Traum von einer Kirche des Geistes
träumten sie in allen Jahrhunderten, und je schmerzlicher die streit- und ha߬
erfüllte enge Gegenwart war, desto näher glaubten sie den Anbruch des Zeit¬
alters des heiligen Geistes. Erfüllt hat er sich bis heute nicht und die Tragik
der Enttäuschung war nur noch bitterer, wenn, wie es der Zisterzienserabt
Joachim von Fiore tat, ein genauer Termin für die Erfüllung angegeben
wurde (1260).

Aber der Traum ist zu schön, als daß er sterben könnte. Es ist wie mit
den alten goldenen Mythen. Und wie in diesen, so steckt auch in jenem Traum
ein Stück Wahrheit und Wirklichkeit, die höher ist als die mit Namen und
Zahlen umgrenzbare. An dieser Wahrheit im Reich der Ideen entzündet sich
die alte Sehnsucht und der alte Traum auch in jener Gemeinde von Katholiken,
deren Fühlen und Streben Funk ausspricht: sie stehen bewußt auf dem Boden
einer universal-katholischen Kirche und wollen sie trotz aller gegenwärtigen Enge
nicht verlassen; auch wenn das Kirchentum der Gegenwart auf ein Kindermaß
berechnet und die Stufe der Pubertätsftömmigkeit zum Ideal und Normalmaß
kirchlichen Geistes geworden zu sein scheint, sie halten das Ideal der "Kirche
des Geistes" hoch: die Gemeinschaft voll ausgereifter Persönlichkeiten und deren
harmonisches, in aller Mannigfaltigkeit der Sprachen und Geister einheitliches
Zusammenwirken zu dem einen großen Ziel; sie sind es. die das Pfingstfeuer
im heiligen Enthusiasmus eines genialen persönlichen Christentums brennend
erhalten wollen; das ist es. was sie alle, die die Kirche nicht verlassen wollen,
zusammenführt zu der auserwählten Brüderschaft vom Orden des heiligen Geistes
im Sinne Joachims von Fiore: die Pflege persönlichen, begeisterten Christentums
(S. 1 bis 9). Ihre Fragestellung lautet nicht: radikal oder konservativ?


von der Kirche des Geistes

protestantisch, sondern es ist so alt und so universell wie all jene Gemeinschafts¬
bildungen, zu denen der religiöse Trieb immer und überall geführt hat. Es
ist überhaupt ja nur ein Teilproblem in dem viel größeren Kampf zwischen
Geist und Stoff. Inhalt und Form. Idee und Wirklichkeit, der als ein stets sich
wiederholendes Herabsinken und Hinaufstreben. als ein Verstricktwerden und
Erlöstwerden sich darstellt. Was in dem Satz „la möäiOLrits wnäa l'autori.t6"
an historischer Wirklichkeit und innerer Wahrheit steckt, das führt, wenn eine
gewisse Hypertrophie der äußeren Form in die Erscheinung getreten ist. Naturen
mit ausgeprägtem Sinn für das Innerliche und Wesentliche zur Auflehnung
gegen das unpersönliche, für die Bedürfnisse einer Masse zugeschnittene Formen¬
wesen mit seinem Zwang. In den religiösen Gemeinschaften offenbart sich diese
Reaktion des genialisch Ursprünglichen am stärksten, weil Religion das aller-
persönlichste im Menschen ist. In der Geschichte des Christentums ist sie seit
der ersten Auflehnung gegen den Nomismus und seit den Tagen, wo das
Evangelium des Pneumas, das unter des Johannes Namen geht, und die
grandiose Vision des apokalyptischen Sehers vom himmlischen Jerusalem der
irdischen Gemeinschaft eine höhere, geistigere gegenüberstellte, fast zu den all¬
täglichen Erscheinungen geworden. Den Traum von einer Kirche des Geistes
träumten sie in allen Jahrhunderten, und je schmerzlicher die streit- und ha߬
erfüllte enge Gegenwart war, desto näher glaubten sie den Anbruch des Zeit¬
alters des heiligen Geistes. Erfüllt hat er sich bis heute nicht und die Tragik
der Enttäuschung war nur noch bitterer, wenn, wie es der Zisterzienserabt
Joachim von Fiore tat, ein genauer Termin für die Erfüllung angegeben
wurde (1260).

Aber der Traum ist zu schön, als daß er sterben könnte. Es ist wie mit
den alten goldenen Mythen. Und wie in diesen, so steckt auch in jenem Traum
ein Stück Wahrheit und Wirklichkeit, die höher ist als die mit Namen und
Zahlen umgrenzbare. An dieser Wahrheit im Reich der Ideen entzündet sich
die alte Sehnsucht und der alte Traum auch in jener Gemeinde von Katholiken,
deren Fühlen und Streben Funk ausspricht: sie stehen bewußt auf dem Boden
einer universal-katholischen Kirche und wollen sie trotz aller gegenwärtigen Enge
nicht verlassen; auch wenn das Kirchentum der Gegenwart auf ein Kindermaß
berechnet und die Stufe der Pubertätsftömmigkeit zum Ideal und Normalmaß
kirchlichen Geistes geworden zu sein scheint, sie halten das Ideal der „Kirche
des Geistes" hoch: die Gemeinschaft voll ausgereifter Persönlichkeiten und deren
harmonisches, in aller Mannigfaltigkeit der Sprachen und Geister einheitliches
Zusammenwirken zu dem einen großen Ziel; sie sind es. die das Pfingstfeuer
im heiligen Enthusiasmus eines genialen persönlichen Christentums brennend
erhalten wollen; das ist es. was sie alle, die die Kirche nicht verlassen wollen,
zusammenführt zu der auserwählten Brüderschaft vom Orden des heiligen Geistes
im Sinne Joachims von Fiore: die Pflege persönlichen, begeisterten Christentums
(S. 1 bis 9). Ihre Fragestellung lautet nicht: radikal oder konservativ?


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[0033] von der Kirche des Geistes protestantisch, sondern es ist so alt und so universell wie all jene Gemeinschafts¬ bildungen, zu denen der religiöse Trieb immer und überall geführt hat. Es ist überhaupt ja nur ein Teilproblem in dem viel größeren Kampf zwischen Geist und Stoff. Inhalt und Form. Idee und Wirklichkeit, der als ein stets sich wiederholendes Herabsinken und Hinaufstreben. als ein Verstricktwerden und Erlöstwerden sich darstellt. Was in dem Satz „la möäiOLrits wnäa l'autori.t6" an historischer Wirklichkeit und innerer Wahrheit steckt, das führt, wenn eine gewisse Hypertrophie der äußeren Form in die Erscheinung getreten ist. Naturen mit ausgeprägtem Sinn für das Innerliche und Wesentliche zur Auflehnung gegen das unpersönliche, für die Bedürfnisse einer Masse zugeschnittene Formen¬ wesen mit seinem Zwang. In den religiösen Gemeinschaften offenbart sich diese Reaktion des genialisch Ursprünglichen am stärksten, weil Religion das aller- persönlichste im Menschen ist. In der Geschichte des Christentums ist sie seit der ersten Auflehnung gegen den Nomismus und seit den Tagen, wo das Evangelium des Pneumas, das unter des Johannes Namen geht, und die grandiose Vision des apokalyptischen Sehers vom himmlischen Jerusalem der irdischen Gemeinschaft eine höhere, geistigere gegenüberstellte, fast zu den all¬ täglichen Erscheinungen geworden. Den Traum von einer Kirche des Geistes träumten sie in allen Jahrhunderten, und je schmerzlicher die streit- und ha߬ erfüllte enge Gegenwart war, desto näher glaubten sie den Anbruch des Zeit¬ alters des heiligen Geistes. Erfüllt hat er sich bis heute nicht und die Tragik der Enttäuschung war nur noch bitterer, wenn, wie es der Zisterzienserabt Joachim von Fiore tat, ein genauer Termin für die Erfüllung angegeben wurde (1260). Aber der Traum ist zu schön, als daß er sterben könnte. Es ist wie mit den alten goldenen Mythen. Und wie in diesen, so steckt auch in jenem Traum ein Stück Wahrheit und Wirklichkeit, die höher ist als die mit Namen und Zahlen umgrenzbare. An dieser Wahrheit im Reich der Ideen entzündet sich die alte Sehnsucht und der alte Traum auch in jener Gemeinde von Katholiken, deren Fühlen und Streben Funk ausspricht: sie stehen bewußt auf dem Boden einer universal-katholischen Kirche und wollen sie trotz aller gegenwärtigen Enge nicht verlassen; auch wenn das Kirchentum der Gegenwart auf ein Kindermaß berechnet und die Stufe der Pubertätsftömmigkeit zum Ideal und Normalmaß kirchlichen Geistes geworden zu sein scheint, sie halten das Ideal der „Kirche des Geistes" hoch: die Gemeinschaft voll ausgereifter Persönlichkeiten und deren harmonisches, in aller Mannigfaltigkeit der Sprachen und Geister einheitliches Zusammenwirken zu dem einen großen Ziel; sie sind es. die das Pfingstfeuer im heiligen Enthusiasmus eines genialen persönlichen Christentums brennend erhalten wollen; das ist es. was sie alle, die die Kirche nicht verlassen wollen, zusammenführt zu der auserwählten Brüderschaft vom Orden des heiligen Geistes im Sinne Joachims von Fiore: die Pflege persönlichen, begeisterten Christentums (S. 1 bis 9). Ihre Fragestellung lautet nicht: radikal oder konservativ?

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341899_328733/33>, abgerufen am 18.05.2024.