Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Drittes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Das slawische Unlturproblom

sich von diesem Problem weit weniger beunruhigt, als wer Geschichte macht.
Bismarck hat sich ungemein stark dafür interessiert und scharfäugig Seelenkunde
getrieben, als er in unserer Donaumonarchie Deutsche und Magyaren zu
gemeinsamer Tätigkeit berief. Die Beobachtungen des großen Staatsmannes
waren feiner, als die des großen deutschen Historikers Mommsen, der die
Deutschen in Böhmen aufforderte, "ihre Kultur und ihren Charakter in die
inferioren harten slawischen Schädel einzuhämmern". Dieses Problem vibriert
v!el stärker in den Seelen großer Dichter als in den Gehirnen ihrer Biographen
und Beurteiler, der Literarhistoriker. Der Dichter trügt große Synthesen in
sich, tut sie in seinen Werken kund, überträgt sie durch seine Werke in Taten,
-- der literarische Kritiker aber greift zögernd nach vollzogener Tat eine bleiche
Idee, eine Abstraktion auf, fängt einen bunten Falter, steckt ihn auf ein Brett
und setzt einen lateinischen Namen darüber. Jene Wundererscheinung hat sich
gewiß nicht diesem Namen zuliebe in blauer Luft gewiegt, gewiß war es nicht
ihr Zweck, nach Nahrung, Aufenthalt und Fortpflanzungsweise in eine Familie,
Art und Klasse eingereiht und beschrieben zu werden. Was vom Falter gilt,
gilt erst recht vom Menschen, besonders aber von den Völkern und der Volks¬
seele. Ein Volk ist nicht nur das, was als sein Körper und an seinem Körper
sichtbar wird, es verbirgt sich noch ein Etwas dahinter. Wer statistische Angaben
zu lesen versteht, sieht nicht nur Zahlen und Verhältnisse, sondern auch das
Walten moralischer Kräfte. So sichtbar sind diese, daß die Diplomatie gerade
bei den wichtigsten Entschlüssen mit ihnen rechnet. Geistige, psychologische
Momente sind mit materiellen Proportionen in die unentwirrbare Logik des
Lebens verflochten. Das Leben ist eine 3narren suam^rum. Und wer seine
Lehre, seine politische Tat, sein gesellschaftliches und persönliches Leben vor sich
selbst rechtfertigen will, hat sich auch mit dem Problem der Volksseele zu
beschäftigen, mit dem Charakter der Rasse und der Bedeutung, den sie in der
Geschichte hat.

Von den kroatischen Historikern besaß einzig Natko Nodilo solch eine
synthetische Anschauungsweise. Ich habe seine Ansichten niemals geliebt, wohl
aber liebte ich seine Aufgabe. Mich hat es immer gereizt, Äußerungen zu tun,
die seinen Auffassungen entgegengesetzt sind, aber ich fühlte, daß dies nicht
feuilletonistisch geschehen dürfe, sondern daß es vorher noch zu lernen und
Gelerntes durchzuarbeiten gab.

Nodilo ist nicht mehr. Inzwischen hatte ich Gelegenheit, Italiener, Fran¬
zosen, Deutsche, die Nordslawen: Tschechen, Polen und Russen, kennen zulernen
und wurde im lange gehegten Verdacht bestärkt, daß Nodilo tendenziös und
gefühlsmäßig geschrieben, daß er die germanische Rasse in satirischen Lichte,
als Karikatur, die romanische dagegen in sympathischer, idealisierter Gestalt
gesehen hat. Dies ist auf die halbromanische Individualität des Gelehrten
zurückzuführen. Die Italiener und Franzosen hassen die Deutschen, wir fürchten
sie in politischer Beziehung, sprechen deshalb jenes romanische Urteil über die


Das slawische Unlturproblom

sich von diesem Problem weit weniger beunruhigt, als wer Geschichte macht.
Bismarck hat sich ungemein stark dafür interessiert und scharfäugig Seelenkunde
getrieben, als er in unserer Donaumonarchie Deutsche und Magyaren zu
gemeinsamer Tätigkeit berief. Die Beobachtungen des großen Staatsmannes
waren feiner, als die des großen deutschen Historikers Mommsen, der die
Deutschen in Böhmen aufforderte, „ihre Kultur und ihren Charakter in die
inferioren harten slawischen Schädel einzuhämmern". Dieses Problem vibriert
v!el stärker in den Seelen großer Dichter als in den Gehirnen ihrer Biographen
und Beurteiler, der Literarhistoriker. Der Dichter trügt große Synthesen in
sich, tut sie in seinen Werken kund, überträgt sie durch seine Werke in Taten,
— der literarische Kritiker aber greift zögernd nach vollzogener Tat eine bleiche
Idee, eine Abstraktion auf, fängt einen bunten Falter, steckt ihn auf ein Brett
und setzt einen lateinischen Namen darüber. Jene Wundererscheinung hat sich
gewiß nicht diesem Namen zuliebe in blauer Luft gewiegt, gewiß war es nicht
ihr Zweck, nach Nahrung, Aufenthalt und Fortpflanzungsweise in eine Familie,
Art und Klasse eingereiht und beschrieben zu werden. Was vom Falter gilt,
gilt erst recht vom Menschen, besonders aber von den Völkern und der Volks¬
seele. Ein Volk ist nicht nur das, was als sein Körper und an seinem Körper
sichtbar wird, es verbirgt sich noch ein Etwas dahinter. Wer statistische Angaben
zu lesen versteht, sieht nicht nur Zahlen und Verhältnisse, sondern auch das
Walten moralischer Kräfte. So sichtbar sind diese, daß die Diplomatie gerade
bei den wichtigsten Entschlüssen mit ihnen rechnet. Geistige, psychologische
Momente sind mit materiellen Proportionen in die unentwirrbare Logik des
Lebens verflochten. Das Leben ist eine 3narren suam^rum. Und wer seine
Lehre, seine politische Tat, sein gesellschaftliches und persönliches Leben vor sich
selbst rechtfertigen will, hat sich auch mit dem Problem der Volksseele zu
beschäftigen, mit dem Charakter der Rasse und der Bedeutung, den sie in der
Geschichte hat.

Von den kroatischen Historikern besaß einzig Natko Nodilo solch eine
synthetische Anschauungsweise. Ich habe seine Ansichten niemals geliebt, wohl
aber liebte ich seine Aufgabe. Mich hat es immer gereizt, Äußerungen zu tun,
die seinen Auffassungen entgegengesetzt sind, aber ich fühlte, daß dies nicht
feuilletonistisch geschehen dürfe, sondern daß es vorher noch zu lernen und
Gelerntes durchzuarbeiten gab.

Nodilo ist nicht mehr. Inzwischen hatte ich Gelegenheit, Italiener, Fran¬
zosen, Deutsche, die Nordslawen: Tschechen, Polen und Russen, kennen zulernen
und wurde im lange gehegten Verdacht bestärkt, daß Nodilo tendenziös und
gefühlsmäßig geschrieben, daß er die germanische Rasse in satirischen Lichte,
als Karikatur, die romanische dagegen in sympathischer, idealisierter Gestalt
gesehen hat. Dies ist auf die halbromanische Individualität des Gelehrten
zurückzuführen. Die Italiener und Franzosen hassen die Deutschen, wir fürchten
sie in politischer Beziehung, sprechen deshalb jenes romanische Urteil über die


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <div n="2">
            <pb facs="#f0396" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/329130"/>
            <fw type="header" place="top"> Das slawische Unlturproblom</fw><lb/>
            <p xml:id="ID_1330" prev="#ID_1329"> sich von diesem Problem weit weniger beunruhigt, als wer Geschichte macht.<lb/>
Bismarck hat sich ungemein stark dafür interessiert und scharfäugig Seelenkunde<lb/>
getrieben, als er in unserer Donaumonarchie Deutsche und Magyaren zu<lb/>
gemeinsamer Tätigkeit berief. Die Beobachtungen des großen Staatsmannes<lb/>
waren feiner, als die des großen deutschen Historikers Mommsen, der die<lb/>
Deutschen in Böhmen aufforderte, &#x201E;ihre Kultur und ihren Charakter in die<lb/>
inferioren harten slawischen Schädel einzuhämmern". Dieses Problem vibriert<lb/>
v!el stärker in den Seelen großer Dichter als in den Gehirnen ihrer Biographen<lb/>
und Beurteiler, der Literarhistoriker. Der Dichter trügt große Synthesen in<lb/>
sich, tut sie in seinen Werken kund, überträgt sie durch seine Werke in Taten,<lb/>
&#x2014; der literarische Kritiker aber greift zögernd nach vollzogener Tat eine bleiche<lb/>
Idee, eine Abstraktion auf, fängt einen bunten Falter, steckt ihn auf ein Brett<lb/>
und setzt einen lateinischen Namen darüber. Jene Wundererscheinung hat sich<lb/>
gewiß nicht diesem Namen zuliebe in blauer Luft gewiegt, gewiß war es nicht<lb/>
ihr Zweck, nach Nahrung, Aufenthalt und Fortpflanzungsweise in eine Familie,<lb/>
Art und Klasse eingereiht und beschrieben zu werden. Was vom Falter gilt,<lb/>
gilt erst recht vom Menschen, besonders aber von den Völkern und der Volks¬<lb/>
seele. Ein Volk ist nicht nur das, was als sein Körper und an seinem Körper<lb/>
sichtbar wird, es verbirgt sich noch ein Etwas dahinter. Wer statistische Angaben<lb/>
zu lesen versteht, sieht nicht nur Zahlen und Verhältnisse, sondern auch das<lb/>
Walten moralischer Kräfte. So sichtbar sind diese, daß die Diplomatie gerade<lb/>
bei den wichtigsten Entschlüssen mit ihnen rechnet. Geistige, psychologische<lb/>
Momente sind mit materiellen Proportionen in die unentwirrbare Logik des<lb/>
Lebens verflochten. Das Leben ist eine 3narren suam^rum. Und wer seine<lb/>
Lehre, seine politische Tat, sein gesellschaftliches und persönliches Leben vor sich<lb/>
selbst rechtfertigen will, hat sich auch mit dem Problem der Volksseele zu<lb/>
beschäftigen, mit dem Charakter der Rasse und der Bedeutung, den sie in der<lb/>
Geschichte hat.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_1331"> Von den kroatischen Historikern besaß einzig Natko Nodilo solch eine<lb/>
synthetische Anschauungsweise. Ich habe seine Ansichten niemals geliebt, wohl<lb/>
aber liebte ich seine Aufgabe. Mich hat es immer gereizt, Äußerungen zu tun,<lb/>
die seinen Auffassungen entgegengesetzt sind, aber ich fühlte, daß dies nicht<lb/>
feuilletonistisch geschehen dürfe, sondern daß es vorher noch zu lernen und<lb/>
Gelerntes durchzuarbeiten gab.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_1332" next="#ID_1333"> Nodilo ist nicht mehr. Inzwischen hatte ich Gelegenheit, Italiener, Fran¬<lb/>
zosen, Deutsche, die Nordslawen: Tschechen, Polen und Russen, kennen zulernen<lb/>
und wurde im lange gehegten Verdacht bestärkt, daß Nodilo tendenziös und<lb/>
gefühlsmäßig geschrieben, daß er die germanische Rasse in satirischen Lichte,<lb/>
als Karikatur, die romanische dagegen in sympathischer, idealisierter Gestalt<lb/>
gesehen hat. Dies ist auf die halbromanische Individualität des Gelehrten<lb/>
zurückzuführen. Die Italiener und Franzosen hassen die Deutschen, wir fürchten<lb/>
sie in politischer Beziehung, sprechen deshalb jenes romanische Urteil über die</p><lb/>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0396] Das slawische Unlturproblom sich von diesem Problem weit weniger beunruhigt, als wer Geschichte macht. Bismarck hat sich ungemein stark dafür interessiert und scharfäugig Seelenkunde getrieben, als er in unserer Donaumonarchie Deutsche und Magyaren zu gemeinsamer Tätigkeit berief. Die Beobachtungen des großen Staatsmannes waren feiner, als die des großen deutschen Historikers Mommsen, der die Deutschen in Böhmen aufforderte, „ihre Kultur und ihren Charakter in die inferioren harten slawischen Schädel einzuhämmern". Dieses Problem vibriert v!el stärker in den Seelen großer Dichter als in den Gehirnen ihrer Biographen und Beurteiler, der Literarhistoriker. Der Dichter trügt große Synthesen in sich, tut sie in seinen Werken kund, überträgt sie durch seine Werke in Taten, — der literarische Kritiker aber greift zögernd nach vollzogener Tat eine bleiche Idee, eine Abstraktion auf, fängt einen bunten Falter, steckt ihn auf ein Brett und setzt einen lateinischen Namen darüber. Jene Wundererscheinung hat sich gewiß nicht diesem Namen zuliebe in blauer Luft gewiegt, gewiß war es nicht ihr Zweck, nach Nahrung, Aufenthalt und Fortpflanzungsweise in eine Familie, Art und Klasse eingereiht und beschrieben zu werden. Was vom Falter gilt, gilt erst recht vom Menschen, besonders aber von den Völkern und der Volks¬ seele. Ein Volk ist nicht nur das, was als sein Körper und an seinem Körper sichtbar wird, es verbirgt sich noch ein Etwas dahinter. Wer statistische Angaben zu lesen versteht, sieht nicht nur Zahlen und Verhältnisse, sondern auch das Walten moralischer Kräfte. So sichtbar sind diese, daß die Diplomatie gerade bei den wichtigsten Entschlüssen mit ihnen rechnet. Geistige, psychologische Momente sind mit materiellen Proportionen in die unentwirrbare Logik des Lebens verflochten. Das Leben ist eine 3narren suam^rum. Und wer seine Lehre, seine politische Tat, sein gesellschaftliches und persönliches Leben vor sich selbst rechtfertigen will, hat sich auch mit dem Problem der Volksseele zu beschäftigen, mit dem Charakter der Rasse und der Bedeutung, den sie in der Geschichte hat. Von den kroatischen Historikern besaß einzig Natko Nodilo solch eine synthetische Anschauungsweise. Ich habe seine Ansichten niemals geliebt, wohl aber liebte ich seine Aufgabe. Mich hat es immer gereizt, Äußerungen zu tun, die seinen Auffassungen entgegengesetzt sind, aber ich fühlte, daß dies nicht feuilletonistisch geschehen dürfe, sondern daß es vorher noch zu lernen und Gelerntes durchzuarbeiten gab. Nodilo ist nicht mehr. Inzwischen hatte ich Gelegenheit, Italiener, Fran¬ zosen, Deutsche, die Nordslawen: Tschechen, Polen und Russen, kennen zulernen und wurde im lange gehegten Verdacht bestärkt, daß Nodilo tendenziös und gefühlsmäßig geschrieben, daß er die germanische Rasse in satirischen Lichte, als Karikatur, die romanische dagegen in sympathischer, idealisierter Gestalt gesehen hat. Dies ist auf die halbromanische Individualität des Gelehrten zurückzuführen. Die Italiener und Franzosen hassen die Deutschen, wir fürchten sie in politischer Beziehung, sprechen deshalb jenes romanische Urteil über die

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341899_328733
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341899_328733/396
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341899_328733/396>, abgerufen am 20.05.2024.