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Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Viertes Vierteljahr.

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Die "Seeherrschcift

einigen Jahren in Betracht zu ziehn begonnen und namentlich den Umstand
hervorgehoben, daß England eine unglaubliche Torheit begeht, wenn es auf
den Ruin Deutschlands, seines besten Kunden, ausgeht. Die Schädigungen,
die es sich jetzt schon durch diese Torheit zugezogen hat. werden in unsern
Zeitungen fleißig registriert. Aber daß der frühere Handel Raubhandel, Piraterie
gewesen ist, daß aus diesem vom heutigen grundverschiednen Handel der Begriff
"Seeherrschaft" stammt, und daß dieser Begriff heute keinerlei Inhalt mehr hat.
das habe ich bis jetzt nirgends ausgesprochen gefunden als in F. C. Hubers
"Deutschland als Industriestaat" (1901); in die Presse ist die für die Orientierung
in der auswärtigen Politik unumgänglich notwendige Wahrheit noch nicht
gedrungen. Im Zeitalter der Piraterie waren die Kriegsschiffe die Instrumente
des Handels, heut können sie nur als seine Störer und Zerstörer eine Rolle
spielen. Kriegsschiffe sind heute nur noch Instrumente des Krieges; man kann
mit ihnen Küstenstädte des Feindes beschießen, seine Häfen blockieren, seinen
Handel stören; aber mit ihnen den eignen Handel fördern, das kann man nicht.
Es hat daher wohl Sinn, wenn sich der Kriegsschiffe ein Staat bedient, der
auf dem Territorium eines andern Staates Eroberungen machen will, aber
wenn John Bull einen Seekrieg führt, um seinen Handel zu heben, so zäumt
er sein Roß am Schwänze auf.

Raub war das eine der beiden Mittel, mit denen England vorübergehend
ein Handelsmonopol errungen hat; das andre ist der Vorsprung in der Industrie
gewesen, zu dem ihm die Gunst der Natur und allerlei Künste verholfen hatten.
Diesen Vorsprung haben die übrigen Nationen eingeholt; alle Staaten des
europäisch - amerikanischen Kulturkreises haben sich industrialisiert, dazu auch noch
die Japaner. Auch die zweite Grundlage des Handelsmonopols ist also
unwiederbringlich dahin; England hat kein Mittel, irgend eine Nation zu hindern,
ihre Bedürfnisse teils durch eigne Produktion zu befriedigen, teils dort einzukaufen,
wo sie am besten und wohlfeilsten zu haben sind.

Einen Umstand gibt es, der die unglaubliche Dummheit der Engländer
einigermaßen erklärlich erscheinen läßt: Angst hat ihren Sinn verwirrt, die
Angst vor Aushungerung, die öffentlich einzugestehen sie sich schämen. Sie haben
ihren Bauernstand vernichtet und ihre Volkswirtschaft auf das unsolide Fundament
des Exporthandels und der Ausbeutung überseeischer Kolonien gegründet, sodaß
nun ihre übervölkerte Insel ausgehungert werden kann wie eine belagerte Stadt.
Das war eS, was sie nervös machte, als sich Deutschland seine Flotte schuf.
Indes war auch diese Angst töricht, denn sie setzte bei uns Deutschen einen
Grad von Dummheit voraus, dessen wir nicht fähig sind. Was in aller Welt
hätten wir davon, wenn wir England aushungern wollten? Zudem könnten
wir das nicht ohne ein halbes Dutzend seemächtiger Bundesgenossen. Jetzt
allerdings haben wir Aussicht, diese zu finden, denn wenn John Bull als der
frevelnde Störer des friedlichen Handelsverkehrs allgemein erkannt sein wird,
dann wird sich der Unwille aller Völker gegen ihn richten.




Die „Seeherrschcift

einigen Jahren in Betracht zu ziehn begonnen und namentlich den Umstand
hervorgehoben, daß England eine unglaubliche Torheit begeht, wenn es auf
den Ruin Deutschlands, seines besten Kunden, ausgeht. Die Schädigungen,
die es sich jetzt schon durch diese Torheit zugezogen hat. werden in unsern
Zeitungen fleißig registriert. Aber daß der frühere Handel Raubhandel, Piraterie
gewesen ist, daß aus diesem vom heutigen grundverschiednen Handel der Begriff
„Seeherrschaft" stammt, und daß dieser Begriff heute keinerlei Inhalt mehr hat.
das habe ich bis jetzt nirgends ausgesprochen gefunden als in F. C. Hubers
„Deutschland als Industriestaat" (1901); in die Presse ist die für die Orientierung
in der auswärtigen Politik unumgänglich notwendige Wahrheit noch nicht
gedrungen. Im Zeitalter der Piraterie waren die Kriegsschiffe die Instrumente
des Handels, heut können sie nur als seine Störer und Zerstörer eine Rolle
spielen. Kriegsschiffe sind heute nur noch Instrumente des Krieges; man kann
mit ihnen Küstenstädte des Feindes beschießen, seine Häfen blockieren, seinen
Handel stören; aber mit ihnen den eignen Handel fördern, das kann man nicht.
Es hat daher wohl Sinn, wenn sich der Kriegsschiffe ein Staat bedient, der
auf dem Territorium eines andern Staates Eroberungen machen will, aber
wenn John Bull einen Seekrieg führt, um seinen Handel zu heben, so zäumt
er sein Roß am Schwänze auf.

Raub war das eine der beiden Mittel, mit denen England vorübergehend
ein Handelsmonopol errungen hat; das andre ist der Vorsprung in der Industrie
gewesen, zu dem ihm die Gunst der Natur und allerlei Künste verholfen hatten.
Diesen Vorsprung haben die übrigen Nationen eingeholt; alle Staaten des
europäisch - amerikanischen Kulturkreises haben sich industrialisiert, dazu auch noch
die Japaner. Auch die zweite Grundlage des Handelsmonopols ist also
unwiederbringlich dahin; England hat kein Mittel, irgend eine Nation zu hindern,
ihre Bedürfnisse teils durch eigne Produktion zu befriedigen, teils dort einzukaufen,
wo sie am besten und wohlfeilsten zu haben sind.

Einen Umstand gibt es, der die unglaubliche Dummheit der Engländer
einigermaßen erklärlich erscheinen läßt: Angst hat ihren Sinn verwirrt, die
Angst vor Aushungerung, die öffentlich einzugestehen sie sich schämen. Sie haben
ihren Bauernstand vernichtet und ihre Volkswirtschaft auf das unsolide Fundament
des Exporthandels und der Ausbeutung überseeischer Kolonien gegründet, sodaß
nun ihre übervölkerte Insel ausgehungert werden kann wie eine belagerte Stadt.
Das war eS, was sie nervös machte, als sich Deutschland seine Flotte schuf.
Indes war auch diese Angst töricht, denn sie setzte bei uns Deutschen einen
Grad von Dummheit voraus, dessen wir nicht fähig sind. Was in aller Welt
hätten wir davon, wenn wir England aushungern wollten? Zudem könnten
wir das nicht ohne ein halbes Dutzend seemächtiger Bundesgenossen. Jetzt
allerdings haben wir Aussicht, diese zu finden, denn wenn John Bull als der
frevelnde Störer des friedlichen Handelsverkehrs allgemein erkannt sein wird,
dann wird sich der Unwille aller Völker gegen ihn richten.




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[0105] Die „Seeherrschcift einigen Jahren in Betracht zu ziehn begonnen und namentlich den Umstand hervorgehoben, daß England eine unglaubliche Torheit begeht, wenn es auf den Ruin Deutschlands, seines besten Kunden, ausgeht. Die Schädigungen, die es sich jetzt schon durch diese Torheit zugezogen hat. werden in unsern Zeitungen fleißig registriert. Aber daß der frühere Handel Raubhandel, Piraterie gewesen ist, daß aus diesem vom heutigen grundverschiednen Handel der Begriff „Seeherrschaft" stammt, und daß dieser Begriff heute keinerlei Inhalt mehr hat. das habe ich bis jetzt nirgends ausgesprochen gefunden als in F. C. Hubers „Deutschland als Industriestaat" (1901); in die Presse ist die für die Orientierung in der auswärtigen Politik unumgänglich notwendige Wahrheit noch nicht gedrungen. Im Zeitalter der Piraterie waren die Kriegsschiffe die Instrumente des Handels, heut können sie nur als seine Störer und Zerstörer eine Rolle spielen. Kriegsschiffe sind heute nur noch Instrumente des Krieges; man kann mit ihnen Küstenstädte des Feindes beschießen, seine Häfen blockieren, seinen Handel stören; aber mit ihnen den eignen Handel fördern, das kann man nicht. Es hat daher wohl Sinn, wenn sich der Kriegsschiffe ein Staat bedient, der auf dem Territorium eines andern Staates Eroberungen machen will, aber wenn John Bull einen Seekrieg führt, um seinen Handel zu heben, so zäumt er sein Roß am Schwänze auf. Raub war das eine der beiden Mittel, mit denen England vorübergehend ein Handelsmonopol errungen hat; das andre ist der Vorsprung in der Industrie gewesen, zu dem ihm die Gunst der Natur und allerlei Künste verholfen hatten. Diesen Vorsprung haben die übrigen Nationen eingeholt; alle Staaten des europäisch - amerikanischen Kulturkreises haben sich industrialisiert, dazu auch noch die Japaner. Auch die zweite Grundlage des Handelsmonopols ist also unwiederbringlich dahin; England hat kein Mittel, irgend eine Nation zu hindern, ihre Bedürfnisse teils durch eigne Produktion zu befriedigen, teils dort einzukaufen, wo sie am besten und wohlfeilsten zu haben sind. Einen Umstand gibt es, der die unglaubliche Dummheit der Engländer einigermaßen erklärlich erscheinen läßt: Angst hat ihren Sinn verwirrt, die Angst vor Aushungerung, die öffentlich einzugestehen sie sich schämen. Sie haben ihren Bauernstand vernichtet und ihre Volkswirtschaft auf das unsolide Fundament des Exporthandels und der Ausbeutung überseeischer Kolonien gegründet, sodaß nun ihre übervölkerte Insel ausgehungert werden kann wie eine belagerte Stadt. Das war eS, was sie nervös machte, als sich Deutschland seine Flotte schuf. Indes war auch diese Angst töricht, denn sie setzte bei uns Deutschen einen Grad von Dummheit voraus, dessen wir nicht fähig sind. Was in aller Welt hätten wir davon, wenn wir England aushungern wollten? Zudem könnten wir das nicht ohne ein halbes Dutzend seemächtiger Bundesgenossen. Jetzt allerdings haben wir Aussicht, diese zu finden, denn wenn John Bull als der frevelnde Störer des friedlichen Handelsverkehrs allgemein erkannt sein wird, dann wird sich der Unwille aller Völker gegen ihn richten.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341899_329227/105>, abgerufen am 19.05.2024.