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Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Viertes Vierteljahr.

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Das englische Schuldkonw bei Buren und Türkon

die Abtretung seiner Stadt zu fordern! Als er unbegreiflicherweise nicht sofort
freudig darauf einging, wurde im Januar 1839 Aden ohne weitere Kriegs¬
ankündigung von englischen Soldaten erstürmt -- und England hatte nun in
Händen, was ihm "zur Sicherung der Schiffahrt" erforderlich schien. Der
Geschäftstrick, mit dem sich England später in den Besitz des französischen Suez¬
kanals setzte, richtete sich freilich mehr gegen Frankreich als gegen den Islam,
aber unvergessen ist in Konstantinopel das britische Schüren und Hetzen in allen
möglichen- Teilen Arabiens und Mesopotamiens, um kleine Stammeshäuptlinge
zu bewegen, sich für "unabhängige Fürsten" zu halten und sie schließlich mit
sanftem Druck zu bewegen, sich unter britischen Schutz zu stellen. Man erinnert
sich, daß der "Beschützer der schwachen Staaten" seit zehn Jahren alle Unruhen
in Deinen gegen die rechtmäßige türkische Herrschaft angezettelt und mit Gelo,
Munition und Waffen ziemlich offen unterstützt hat. Man weiß auch, daß der
Kuweiter Aufstand von 1906 von England finanziert und durch Waffen- und
Munitionstransporte von Indien aus ganz ungeniert gefördert worden ist. Als
trotzdem der Sultan von Kuweit mit Waffengewalt wieder unter die türkische
Herrschaft gezwungen wurde, sahen die Engländer diese Entwicklung zu
ihrem größten Leidwesen, denn Kuweit war als Endpunkt der deutschen Bagdad¬
bahn in Aussicht genommen und konnte daher unmöglich länger nicht-britisch
bleiben. England fand denn auch den Gegenschachzug gegen den türkischen
Waffenerfolg: es ignorierte ihn einfach und ließ die Türkei wissen, daß in
seinen Augen das Sultanlein von Kuweit ein "unabhängiger" Herrscher und
ein "Freund" Englands sei. Als die Türkei dieser Auslegung nicht zustimmte
-- die türkische Flagge hatte seit 1872 unangefochten in Kuweit geweht --
benutzte England die durch den Balkankrieg geschaffene Verlegenheit der Türkei,
um durch eine Expedition von Kriegsschiffen den Sultan von Kuweit ihrer
ewigen Freundschaft zu versichern und ihn als mächtigen, unabhängigen
Herrscher zu begrüßen, auf dessen Brust der ihm feierlich umgehängte "Stern
von Indien" sich köstlich ausnahm. Nebenbei schloß man mit dem guten
Mann einen "Vertrag", in dem er sein Land völlig unter englischen Einfluß
stellte und versprach, keiner "fremden" Macht, am wenigsten der türkischen,
irgend welche Vergünstigungen (wie z. B. Eisenbahnendpunkte) zu überlassen,
wenn nicht England ausdrücklich einverstanden sei. Seit 1913 ist Kuweit
nichts anderes mehr als eine britische Kolonie. Wie sich der britische Einfluß
in ganz gleicher Weise in Mesopotamien ausgedehnt hat, so daß Konstantinopel
in diesem "türkischen" Gebiet ohne Englands Planet ebensowenig etwas zu
sagen hat wie in Kuweit, in Ägypten, in Arabien, ist allbekannt. Ganz ohne
Krieg hat England der Türkei und wirtschaftlichen Maßnahmen und uneigen¬
nützigen Phrasen den größten Teil ihres asiatischen und afrikanischen Besitzes
abspenstig gemacht, und der Zeitpunkt der förmlichen Annektierung war ohnehin
nicht mehr fern: die Türkei riskiert auch in einem verlorenen Krieg nicht mehr,
als wenn der Friede erhalten geblieben wäre! Nun aber naht die Vergeltung.


Das englische Schuldkonw bei Buren und Türkon

die Abtretung seiner Stadt zu fordern! Als er unbegreiflicherweise nicht sofort
freudig darauf einging, wurde im Januar 1839 Aden ohne weitere Kriegs¬
ankündigung von englischen Soldaten erstürmt — und England hatte nun in
Händen, was ihm „zur Sicherung der Schiffahrt" erforderlich schien. Der
Geschäftstrick, mit dem sich England später in den Besitz des französischen Suez¬
kanals setzte, richtete sich freilich mehr gegen Frankreich als gegen den Islam,
aber unvergessen ist in Konstantinopel das britische Schüren und Hetzen in allen
möglichen- Teilen Arabiens und Mesopotamiens, um kleine Stammeshäuptlinge
zu bewegen, sich für „unabhängige Fürsten" zu halten und sie schließlich mit
sanftem Druck zu bewegen, sich unter britischen Schutz zu stellen. Man erinnert
sich, daß der „Beschützer der schwachen Staaten" seit zehn Jahren alle Unruhen
in Deinen gegen die rechtmäßige türkische Herrschaft angezettelt und mit Gelo,
Munition und Waffen ziemlich offen unterstützt hat. Man weiß auch, daß der
Kuweiter Aufstand von 1906 von England finanziert und durch Waffen- und
Munitionstransporte von Indien aus ganz ungeniert gefördert worden ist. Als
trotzdem der Sultan von Kuweit mit Waffengewalt wieder unter die türkische
Herrschaft gezwungen wurde, sahen die Engländer diese Entwicklung zu
ihrem größten Leidwesen, denn Kuweit war als Endpunkt der deutschen Bagdad¬
bahn in Aussicht genommen und konnte daher unmöglich länger nicht-britisch
bleiben. England fand denn auch den Gegenschachzug gegen den türkischen
Waffenerfolg: es ignorierte ihn einfach und ließ die Türkei wissen, daß in
seinen Augen das Sultanlein von Kuweit ein „unabhängiger" Herrscher und
ein „Freund" Englands sei. Als die Türkei dieser Auslegung nicht zustimmte
— die türkische Flagge hatte seit 1872 unangefochten in Kuweit geweht —
benutzte England die durch den Balkankrieg geschaffene Verlegenheit der Türkei,
um durch eine Expedition von Kriegsschiffen den Sultan von Kuweit ihrer
ewigen Freundschaft zu versichern und ihn als mächtigen, unabhängigen
Herrscher zu begrüßen, auf dessen Brust der ihm feierlich umgehängte „Stern
von Indien" sich köstlich ausnahm. Nebenbei schloß man mit dem guten
Mann einen „Vertrag", in dem er sein Land völlig unter englischen Einfluß
stellte und versprach, keiner „fremden" Macht, am wenigsten der türkischen,
irgend welche Vergünstigungen (wie z. B. Eisenbahnendpunkte) zu überlassen,
wenn nicht England ausdrücklich einverstanden sei. Seit 1913 ist Kuweit
nichts anderes mehr als eine britische Kolonie. Wie sich der britische Einfluß
in ganz gleicher Weise in Mesopotamien ausgedehnt hat, so daß Konstantinopel
in diesem „türkischen" Gebiet ohne Englands Planet ebensowenig etwas zu
sagen hat wie in Kuweit, in Ägypten, in Arabien, ist allbekannt. Ganz ohne
Krieg hat England der Türkei und wirtschaftlichen Maßnahmen und uneigen¬
nützigen Phrasen den größten Teil ihres asiatischen und afrikanischen Besitzes
abspenstig gemacht, und der Zeitpunkt der förmlichen Annektierung war ohnehin
nicht mehr fern: die Türkei riskiert auch in einem verlorenen Krieg nicht mehr,
als wenn der Friede erhalten geblieben wäre! Nun aber naht die Vergeltung.


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[0338] Das englische Schuldkonw bei Buren und Türkon die Abtretung seiner Stadt zu fordern! Als er unbegreiflicherweise nicht sofort freudig darauf einging, wurde im Januar 1839 Aden ohne weitere Kriegs¬ ankündigung von englischen Soldaten erstürmt — und England hatte nun in Händen, was ihm „zur Sicherung der Schiffahrt" erforderlich schien. Der Geschäftstrick, mit dem sich England später in den Besitz des französischen Suez¬ kanals setzte, richtete sich freilich mehr gegen Frankreich als gegen den Islam, aber unvergessen ist in Konstantinopel das britische Schüren und Hetzen in allen möglichen- Teilen Arabiens und Mesopotamiens, um kleine Stammeshäuptlinge zu bewegen, sich für „unabhängige Fürsten" zu halten und sie schließlich mit sanftem Druck zu bewegen, sich unter britischen Schutz zu stellen. Man erinnert sich, daß der „Beschützer der schwachen Staaten" seit zehn Jahren alle Unruhen in Deinen gegen die rechtmäßige türkische Herrschaft angezettelt und mit Gelo, Munition und Waffen ziemlich offen unterstützt hat. Man weiß auch, daß der Kuweiter Aufstand von 1906 von England finanziert und durch Waffen- und Munitionstransporte von Indien aus ganz ungeniert gefördert worden ist. Als trotzdem der Sultan von Kuweit mit Waffengewalt wieder unter die türkische Herrschaft gezwungen wurde, sahen die Engländer diese Entwicklung zu ihrem größten Leidwesen, denn Kuweit war als Endpunkt der deutschen Bagdad¬ bahn in Aussicht genommen und konnte daher unmöglich länger nicht-britisch bleiben. England fand denn auch den Gegenschachzug gegen den türkischen Waffenerfolg: es ignorierte ihn einfach und ließ die Türkei wissen, daß in seinen Augen das Sultanlein von Kuweit ein „unabhängiger" Herrscher und ein „Freund" Englands sei. Als die Türkei dieser Auslegung nicht zustimmte — die türkische Flagge hatte seit 1872 unangefochten in Kuweit geweht — benutzte England die durch den Balkankrieg geschaffene Verlegenheit der Türkei, um durch eine Expedition von Kriegsschiffen den Sultan von Kuweit ihrer ewigen Freundschaft zu versichern und ihn als mächtigen, unabhängigen Herrscher zu begrüßen, auf dessen Brust der ihm feierlich umgehängte „Stern von Indien" sich köstlich ausnahm. Nebenbei schloß man mit dem guten Mann einen „Vertrag", in dem er sein Land völlig unter englischen Einfluß stellte und versprach, keiner „fremden" Macht, am wenigsten der türkischen, irgend welche Vergünstigungen (wie z. B. Eisenbahnendpunkte) zu überlassen, wenn nicht England ausdrücklich einverstanden sei. Seit 1913 ist Kuweit nichts anderes mehr als eine britische Kolonie. Wie sich der britische Einfluß in ganz gleicher Weise in Mesopotamien ausgedehnt hat, so daß Konstantinopel in diesem „türkischen" Gebiet ohne Englands Planet ebensowenig etwas zu sagen hat wie in Kuweit, in Ägypten, in Arabien, ist allbekannt. Ganz ohne Krieg hat England der Türkei und wirtschaftlichen Maßnahmen und uneigen¬ nützigen Phrasen den größten Teil ihres asiatischen und afrikanischen Besitzes abspenstig gemacht, und der Zeitpunkt der förmlichen Annektierung war ohnehin nicht mehr fern: die Türkei riskiert auch in einem verlorenen Krieg nicht mehr, als wenn der Friede erhalten geblieben wäre! Nun aber naht die Vergeltung.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341899_329227/338>, abgerufen am 15.06.2024.