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Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Viertes Vierteljahr.

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Die Deutschen in Rußland

Leben Rußlands machte aber nur geringe Fortschritte und so kam es, daß im
Auftrag der Regierung wieder Schritte unternommen wurden, die zur Ein¬
wanderung der Deutschen nach Rußland ermuntern sollten. Es liegt uns eine
Broschüre vor, die im Auftrag der russischen Regierung "Von Agenten für
Einwanderung nach Rußland", unter dem Titel: "Botschaft für alle, welche
auswandern wollen" in Se. Petersburg im Jahre 1865 herausgegeben worden
ist und den Zuzug der Deutschen nach Rußland eifrigst befürwortete. Wie
kann man unter diesen Verhältnissen solche Albernheiten verteidigen, wie sie
neuerdings verbreitet wurden, als wenn Deutschland ein Interesse daran hätte,
diese Auswanderer als Pioniere seiner Politik, als Spione und dergleichen aus¬
zusenden? Daß diese seit Jahrhunderten im Gang befindliche Einwanderung
auch Nachzügler hat, daß Handel und Verkehr unzählige Elemente in unser
Nachbarland führte, muß doch ganz selbstverständlich erscheinen. Insbesondere
geschah dies durch die Entwicklung des Eisenbahnbaues, der von dem 1863
ernannten Finanzminister Reutern, des größten Staatsmannes, den
Rußland seit einem Jahrhundert hervorgebracht hat, gefördert wurde.
Reutern war ein ehrlicher Balle, der die Entwicklung Rußlands mit allen
Kräften heben wollte, sich selbstredend von den Panslawisten nicht umgarnen
ließ, geradeaus seinen Weg ging, sechzehn Jahre lang seines Amtes gewissenhaft
waltete, und sich auch mancher deutschen Kraft bediente, um seinen Zweck zu
erreichen. Der Türkenkrieg 1877 machte seinem Streben ein Ende; da er ein
viel zu vornehmer Geist war, um seinem Vaterlande in der Stunde der Gefahr
seine Unterstützung zu versagen, so blieb er im Amte bis der gegen seinen
Willen entstandene Krieg ausgefochten war, legte es aber dann in die Hände
seines Herrn zurück. Seitdem krankt Rußland an allerhand Phantomen; dazu
gehört auch der künstliche Deutschenhaß, der es in die Hände derjenigen Männer
treibt, die seinen Untergang als Großmacht zu bewirken drohen.

Wir schreiben diese Zeilen zu dem Zweck, daß sowohl Deutsche wie Russen
daran denken sollen, wie ihr gegenseitiges Verhältnis entstand. Unsere Nach¬
barn müssen einsehen lernen, was die russische Nation den deutschen Einwanderern
verdankt, und was die beiden Nachbarreiche auch in Zukunft im Verkehr für
einander bedeuten. Wir wünschen, daß eine gütige Sonne über beiden strahlen
möge. Wer aber Wind sät, wird Sturm ernten!




Die Deutschen in Rußland

Leben Rußlands machte aber nur geringe Fortschritte und so kam es, daß im
Auftrag der Regierung wieder Schritte unternommen wurden, die zur Ein¬
wanderung der Deutschen nach Rußland ermuntern sollten. Es liegt uns eine
Broschüre vor, die im Auftrag der russischen Regierung „Von Agenten für
Einwanderung nach Rußland", unter dem Titel: „Botschaft für alle, welche
auswandern wollen" in Se. Petersburg im Jahre 1865 herausgegeben worden
ist und den Zuzug der Deutschen nach Rußland eifrigst befürwortete. Wie
kann man unter diesen Verhältnissen solche Albernheiten verteidigen, wie sie
neuerdings verbreitet wurden, als wenn Deutschland ein Interesse daran hätte,
diese Auswanderer als Pioniere seiner Politik, als Spione und dergleichen aus¬
zusenden? Daß diese seit Jahrhunderten im Gang befindliche Einwanderung
auch Nachzügler hat, daß Handel und Verkehr unzählige Elemente in unser
Nachbarland führte, muß doch ganz selbstverständlich erscheinen. Insbesondere
geschah dies durch die Entwicklung des Eisenbahnbaues, der von dem 1863
ernannten Finanzminister Reutern, des größten Staatsmannes, den
Rußland seit einem Jahrhundert hervorgebracht hat, gefördert wurde.
Reutern war ein ehrlicher Balle, der die Entwicklung Rußlands mit allen
Kräften heben wollte, sich selbstredend von den Panslawisten nicht umgarnen
ließ, geradeaus seinen Weg ging, sechzehn Jahre lang seines Amtes gewissenhaft
waltete, und sich auch mancher deutschen Kraft bediente, um seinen Zweck zu
erreichen. Der Türkenkrieg 1877 machte seinem Streben ein Ende; da er ein
viel zu vornehmer Geist war, um seinem Vaterlande in der Stunde der Gefahr
seine Unterstützung zu versagen, so blieb er im Amte bis der gegen seinen
Willen entstandene Krieg ausgefochten war, legte es aber dann in die Hände
seines Herrn zurück. Seitdem krankt Rußland an allerhand Phantomen; dazu
gehört auch der künstliche Deutschenhaß, der es in die Hände derjenigen Männer
treibt, die seinen Untergang als Großmacht zu bewirken drohen.

Wir schreiben diese Zeilen zu dem Zweck, daß sowohl Deutsche wie Russen
daran denken sollen, wie ihr gegenseitiges Verhältnis entstand. Unsere Nach¬
barn müssen einsehen lernen, was die russische Nation den deutschen Einwanderern
verdankt, und was die beiden Nachbarreiche auch in Zukunft im Verkehr für
einander bedeuten. Wir wünschen, daß eine gütige Sonne über beiden strahlen
möge. Wer aber Wind sät, wird Sturm ernten!




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[0412] Die Deutschen in Rußland Leben Rußlands machte aber nur geringe Fortschritte und so kam es, daß im Auftrag der Regierung wieder Schritte unternommen wurden, die zur Ein¬ wanderung der Deutschen nach Rußland ermuntern sollten. Es liegt uns eine Broschüre vor, die im Auftrag der russischen Regierung „Von Agenten für Einwanderung nach Rußland", unter dem Titel: „Botschaft für alle, welche auswandern wollen" in Se. Petersburg im Jahre 1865 herausgegeben worden ist und den Zuzug der Deutschen nach Rußland eifrigst befürwortete. Wie kann man unter diesen Verhältnissen solche Albernheiten verteidigen, wie sie neuerdings verbreitet wurden, als wenn Deutschland ein Interesse daran hätte, diese Auswanderer als Pioniere seiner Politik, als Spione und dergleichen aus¬ zusenden? Daß diese seit Jahrhunderten im Gang befindliche Einwanderung auch Nachzügler hat, daß Handel und Verkehr unzählige Elemente in unser Nachbarland führte, muß doch ganz selbstverständlich erscheinen. Insbesondere geschah dies durch die Entwicklung des Eisenbahnbaues, der von dem 1863 ernannten Finanzminister Reutern, des größten Staatsmannes, den Rußland seit einem Jahrhundert hervorgebracht hat, gefördert wurde. Reutern war ein ehrlicher Balle, der die Entwicklung Rußlands mit allen Kräften heben wollte, sich selbstredend von den Panslawisten nicht umgarnen ließ, geradeaus seinen Weg ging, sechzehn Jahre lang seines Amtes gewissenhaft waltete, und sich auch mancher deutschen Kraft bediente, um seinen Zweck zu erreichen. Der Türkenkrieg 1877 machte seinem Streben ein Ende; da er ein viel zu vornehmer Geist war, um seinem Vaterlande in der Stunde der Gefahr seine Unterstützung zu versagen, so blieb er im Amte bis der gegen seinen Willen entstandene Krieg ausgefochten war, legte es aber dann in die Hände seines Herrn zurück. Seitdem krankt Rußland an allerhand Phantomen; dazu gehört auch der künstliche Deutschenhaß, der es in die Hände derjenigen Männer treibt, die seinen Untergang als Großmacht zu bewirken drohen. Wir schreiben diese Zeilen zu dem Zweck, daß sowohl Deutsche wie Russen daran denken sollen, wie ihr gegenseitiges Verhältnis entstand. Unsere Nach¬ barn müssen einsehen lernen, was die russische Nation den deutschen Einwanderern verdankt, und was die beiden Nachbarreiche auch in Zukunft im Verkehr für einander bedeuten. Wir wünschen, daß eine gütige Sonne über beiden strahlen möge. Wer aber Wind sät, wird Sturm ernten!

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341899_329227/412>, abgerufen am 19.05.2024.