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Die Grenzboten. Jg. 74, 1915, Erstes Vierteljahr.

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Nassenverhältnisso und die Rassenpolitik Englands in Andersen

ins soziale oder gesellschaftliche Leben zu übertragen durchweg "nur Iaboiiu8
kailure" sind. . . . Selbst die sozial so bindekräftigen Lehren des Christentums,
die ihre kastenüberbrückende Kraft doch schon an den Senatoren und Sklaven
des alten Rom bewiesen haben, selbst sie scheitern an dem elastischen, aber
festen Widerstande des Hindugeistes so gut wie völlig: entweder hat der weiße
Missionar überhaupt nur bei tasterlosen Indern, bei den Wildstämmen der
Berge oder den Parias der Ebene einige Erfolge, oder aber der Ein¬
geborene wird Christ, ohne seine alte Kaste in seinen und seiner Angehörigen
Augen nach der Taufe abzulegen, was im Grunde genommen doch nur eine
Verdrehung des inneren Prinzips seines neuen Glaubens ist.

Dieser, schier seltsam anmutenden Buntheit der kolonialen Kasten- und
Rassenverhältnisse Großbritanniens entsprechend, ist auch das theoretische und
praktische Verhalten der Engländer den Eingeborenen gegenüber völlig
verschieden, um nicht zu sagen systemlos. Das tritt besonders deutlich in der
Stellung der englischen Beamten und Offiziere zu den Eingeborenen hervor. --
Da verlangt z. B. ein Diplomat vom britischen Kolonialoffizier, er solle sich in
Übersee "nicht nur als Herr, sondern auch als Gentleman" fühlen und be¬
tragen; ein anderer, selbst Offizier der angloindischen Armee, fordert dagegen,
daß "der Eingeborene Indiens, -- mögen seine Stellung und sein Gehalt sein,
so hoch sie wollen, -- nicht nur stets und ständig sich vergegenwärtigen solle,
daß britisches Blut Indien erobert hat, und beherrscht, sondern auch, daß diesem
deshalb zu allen Zeiten und an allen Orten (!) Achtung und Unterwürfigkeit (!)
bezeigt werden müsse." -- (Lion auel Military (Zweite ok Inclia, abgedruckt
in Fortnightly Review 191t. Juli, S. 105). -- Dabei machen gerade die
von England zur Niederhaltung der fremden Völker reichlich benutzten rassen¬
abtrünnigen Eingeborenen die breite Kluft zwischen den farbigen Volksteilen
und ihnen selbst nicht kleiner: "Sie verleumden euch," schreibt ein einsichts¬
reicher Mohammedaner mit Recht von den Spionen des "Geheimdienstes",
"wenn sie zu uns herabstolzieren; und sie denunzieren uns, wenn sie vor euch
scharwenzeln."

Genau so hochfahrend aber wie der eben erwähnte englische Offizier in
Indien die Eingeborenen behandelt wissen möchte, verfuhren seine Kameraden
im englischen Ägypten durchweg. Als kleines, aber immerhin lehrreiches Beispiel
mag hier nur der sportmäßig betriebene, unerlaubte Abschuß der so gut wie
heilig gehaltenen Dorftauben des Nillandes seitens der angloägyptischen Offiziere
genannt sein, der vor einigen Jahren zu einer blutigen Revolte der empörten
armen Fellahin führte, wobei mehrere der widerrechtlichen Sportsleute ihren
wohlverdienten Tod fanden.

So wird also die große Frage der Rassenbeherrschung, ganz abgesehen
davon, daß sie schon ein schweres wirtschaftliches Problem, das der Lebens¬
und Lohnfrage der weißen Arbeit, umschließt, zu einer geradezu vitalen
Frage der englischen Kolonialpolitik durch die Beherrschung von Millionen


Nassenverhältnisso und die Rassenpolitik Englands in Andersen

ins soziale oder gesellschaftliche Leben zu übertragen durchweg „nur Iaboiiu8
kailure" sind. . . . Selbst die sozial so bindekräftigen Lehren des Christentums,
die ihre kastenüberbrückende Kraft doch schon an den Senatoren und Sklaven
des alten Rom bewiesen haben, selbst sie scheitern an dem elastischen, aber
festen Widerstande des Hindugeistes so gut wie völlig: entweder hat der weiße
Missionar überhaupt nur bei tasterlosen Indern, bei den Wildstämmen der
Berge oder den Parias der Ebene einige Erfolge, oder aber der Ein¬
geborene wird Christ, ohne seine alte Kaste in seinen und seiner Angehörigen
Augen nach der Taufe abzulegen, was im Grunde genommen doch nur eine
Verdrehung des inneren Prinzips seines neuen Glaubens ist.

Dieser, schier seltsam anmutenden Buntheit der kolonialen Kasten- und
Rassenverhältnisse Großbritanniens entsprechend, ist auch das theoretische und
praktische Verhalten der Engländer den Eingeborenen gegenüber völlig
verschieden, um nicht zu sagen systemlos. Das tritt besonders deutlich in der
Stellung der englischen Beamten und Offiziere zu den Eingeborenen hervor. —
Da verlangt z. B. ein Diplomat vom britischen Kolonialoffizier, er solle sich in
Übersee „nicht nur als Herr, sondern auch als Gentleman" fühlen und be¬
tragen; ein anderer, selbst Offizier der angloindischen Armee, fordert dagegen,
daß „der Eingeborene Indiens, — mögen seine Stellung und sein Gehalt sein,
so hoch sie wollen, — nicht nur stets und ständig sich vergegenwärtigen solle,
daß britisches Blut Indien erobert hat, und beherrscht, sondern auch, daß diesem
deshalb zu allen Zeiten und an allen Orten (!) Achtung und Unterwürfigkeit (!)
bezeigt werden müsse." — (Lion auel Military (Zweite ok Inclia, abgedruckt
in Fortnightly Review 191t. Juli, S. 105). — Dabei machen gerade die
von England zur Niederhaltung der fremden Völker reichlich benutzten rassen¬
abtrünnigen Eingeborenen die breite Kluft zwischen den farbigen Volksteilen
und ihnen selbst nicht kleiner: „Sie verleumden euch," schreibt ein einsichts¬
reicher Mohammedaner mit Recht von den Spionen des „Geheimdienstes",
„wenn sie zu uns herabstolzieren; und sie denunzieren uns, wenn sie vor euch
scharwenzeln."

Genau so hochfahrend aber wie der eben erwähnte englische Offizier in
Indien die Eingeborenen behandelt wissen möchte, verfuhren seine Kameraden
im englischen Ägypten durchweg. Als kleines, aber immerhin lehrreiches Beispiel
mag hier nur der sportmäßig betriebene, unerlaubte Abschuß der so gut wie
heilig gehaltenen Dorftauben des Nillandes seitens der angloägyptischen Offiziere
genannt sein, der vor einigen Jahren zu einer blutigen Revolte der empörten
armen Fellahin führte, wobei mehrere der widerrechtlichen Sportsleute ihren
wohlverdienten Tod fanden.

So wird also die große Frage der Rassenbeherrschung, ganz abgesehen
davon, daß sie schon ein schweres wirtschaftliches Problem, das der Lebens¬
und Lohnfrage der weißen Arbeit, umschließt, zu einer geradezu vitalen
Frage der englischen Kolonialpolitik durch die Beherrschung von Millionen


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[0103] Nassenverhältnisso und die Rassenpolitik Englands in Andersen ins soziale oder gesellschaftliche Leben zu übertragen durchweg „nur Iaboiiu8 kailure" sind. . . . Selbst die sozial so bindekräftigen Lehren des Christentums, die ihre kastenüberbrückende Kraft doch schon an den Senatoren und Sklaven des alten Rom bewiesen haben, selbst sie scheitern an dem elastischen, aber festen Widerstande des Hindugeistes so gut wie völlig: entweder hat der weiße Missionar überhaupt nur bei tasterlosen Indern, bei den Wildstämmen der Berge oder den Parias der Ebene einige Erfolge, oder aber der Ein¬ geborene wird Christ, ohne seine alte Kaste in seinen und seiner Angehörigen Augen nach der Taufe abzulegen, was im Grunde genommen doch nur eine Verdrehung des inneren Prinzips seines neuen Glaubens ist. Dieser, schier seltsam anmutenden Buntheit der kolonialen Kasten- und Rassenverhältnisse Großbritanniens entsprechend, ist auch das theoretische und praktische Verhalten der Engländer den Eingeborenen gegenüber völlig verschieden, um nicht zu sagen systemlos. Das tritt besonders deutlich in der Stellung der englischen Beamten und Offiziere zu den Eingeborenen hervor. — Da verlangt z. B. ein Diplomat vom britischen Kolonialoffizier, er solle sich in Übersee „nicht nur als Herr, sondern auch als Gentleman" fühlen und be¬ tragen; ein anderer, selbst Offizier der angloindischen Armee, fordert dagegen, daß „der Eingeborene Indiens, — mögen seine Stellung und sein Gehalt sein, so hoch sie wollen, — nicht nur stets und ständig sich vergegenwärtigen solle, daß britisches Blut Indien erobert hat, und beherrscht, sondern auch, daß diesem deshalb zu allen Zeiten und an allen Orten (!) Achtung und Unterwürfigkeit (!) bezeigt werden müsse." — (Lion auel Military (Zweite ok Inclia, abgedruckt in Fortnightly Review 191t. Juli, S. 105). — Dabei machen gerade die von England zur Niederhaltung der fremden Völker reichlich benutzten rassen¬ abtrünnigen Eingeborenen die breite Kluft zwischen den farbigen Volksteilen und ihnen selbst nicht kleiner: „Sie verleumden euch," schreibt ein einsichts¬ reicher Mohammedaner mit Recht von den Spionen des „Geheimdienstes", „wenn sie zu uns herabstolzieren; und sie denunzieren uns, wenn sie vor euch scharwenzeln." Genau so hochfahrend aber wie der eben erwähnte englische Offizier in Indien die Eingeborenen behandelt wissen möchte, verfuhren seine Kameraden im englischen Ägypten durchweg. Als kleines, aber immerhin lehrreiches Beispiel mag hier nur der sportmäßig betriebene, unerlaubte Abschuß der so gut wie heilig gehaltenen Dorftauben des Nillandes seitens der angloägyptischen Offiziere genannt sein, der vor einigen Jahren zu einer blutigen Revolte der empörten armen Fellahin führte, wobei mehrere der widerrechtlichen Sportsleute ihren wohlverdienten Tod fanden. So wird also die große Frage der Rassenbeherrschung, ganz abgesehen davon, daß sie schon ein schweres wirtschaftliches Problem, das der Lebens¬ und Lohnfrage der weißen Arbeit, umschließt, zu einer geradezu vitalen Frage der englischen Kolonialpolitik durch die Beherrschung von Millionen

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 74, 1915, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341901_323097/103>, abgerufen am 29.05.2024.