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Die Grenzboten. Jg. 74, 1915, Erstes Vierteljahr.

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Grundzüge für den Wiederaufbau (vstpreußens

erreichen, was im Osten in höherem Sinne erstrebt werden muß. Dazu bedarf
es unabhängiger künstlerischer Individualitäten mit freiester Kraftentfaltung und
einer Organisation, die diese freieste Kraftentfaltung gewährleistet und dem
Künstler bei einem sich entwickelnden Gefühl der Verantwortlichkeit alle die
subjektive Freiheit läßt, die zu erfolgreicher Ausübung ihrer Kunst unerläßlich
ist. Denn es handelt sich darum, große bedeutende Summen zu verbauen, die
als öffentliche Gelder und als Beihilfen für den einzelnen gewährt werden.
Sie wirtschaftlich, nutzbringend und zugleich schön zu verwenden und damit dem
Besitzer eines Unwesens Grund zu neuer Lebensfreude, zu gehobener Arbeits¬
stimmung zu gewähren, ist ein sorgsam zu beachtendes Ziel. Zusammenfassend
dürfte demnach der Grundsatz aufzustellen sein, an die zu gewährenden Unter-
stützungssummen des Staates oder des Reiches die Bedingung zu knüpfen,
nach welcher der Bedachte sich den baukünstlerischen Maßnahmen der Bezirks¬
stelle zu unterwerfen hat, aber das Recht behält, alle Wünsche geschäftlicher,
wirtschaftlicher, wohnungstechnischer Natur zu äußern. Das bezieht sich
sowohl auf die Städte, die Dorfgemeinden, das einzelne Wirtschaftswesen,
wie auf die Gutsanlagen. Nur aus einer autoritativen Einflußnahme auf den
Besitzer seitens einer Stelle, die mit allen organisatorischen und baukünstlerischen
Eigenschaften in praktischer wie in idealer Hinsicht ausgestattet ist, läßt sich ein
Wiederaufbau erreichen, der die Keime und die Grundlage zu einer blühenden
Weiterentwicklung für alle Zeiten enthält. Mit ihr werden Heimath- und
Vaterlandsliebe, gehobene Lebensauffassung und ein gesundes, auf ideale Grund¬
lagen gestelltes Volkstum Hand in Hand gehen."

Der den ostpreußischen Verhältnissen Fernstehende darf sich durch die enorme
Höhe der für Ostpreußen zur Verfügung gestellten Staatsmittel nicht zu falschen
Schlüssen und zu einer ungerechten Beurteilung der Materie verleiten lassen,
insonderheit betreffs der Landwirte. Es kann kaum bestritten werden, daß
Ostpreußens Landwirtschaft vorbildlich organisiert und in dieser Beziehung allen
anderen deutschen Provinzen weit voraus ist. In Würdigung dieses Umstandes
beschränkt sich der Staat, das heißt die Kriegshilfslonnnission vorerst -- und
mit Recht -- auf die pekuniäre Unterstützung der Gutsbesitzer hinsichtlich der
Wiedererrichtung ihrer Wohn- und Wirtschaftsgebäude, während er alle weiteren
Maßnahmen seinen Nachgeordneten halbamtlichen Organen, der Landwirtschafts¬
kammer, den landwirtschaftlichen Genossenschaften und Vereinen, Spar- und
Darlehnskassen usw., überläßt. Das sofortige, sinngemäße und rationelle
Funktionieren aller dieser vorzüglich organisierten Institutionen bewahrte die
meisten ostpreußischen Landwirte vor der wirtschaftlichen Katastrophe, die auch
noch so große, weil zu spät kommende staatliche Beihilfen nicht aufzuhalten
vermocht hätte. Als die ersten Flüchtlinge in Königsberg eintrafen, schickte die
Landwirtschaftskammer sogleich ihre Beamten in Ermangelung anderer Be¬
förderungsmittel ans Fahrrädern in die verlassenen Ortschaften, die das halbver¬
hungerte, verwahrloste Vieh, Pferde usw. einfangen ließen, registrierten und in


Grundzüge für den Wiederaufbau (vstpreußens

erreichen, was im Osten in höherem Sinne erstrebt werden muß. Dazu bedarf
es unabhängiger künstlerischer Individualitäten mit freiester Kraftentfaltung und
einer Organisation, die diese freieste Kraftentfaltung gewährleistet und dem
Künstler bei einem sich entwickelnden Gefühl der Verantwortlichkeit alle die
subjektive Freiheit läßt, die zu erfolgreicher Ausübung ihrer Kunst unerläßlich
ist. Denn es handelt sich darum, große bedeutende Summen zu verbauen, die
als öffentliche Gelder und als Beihilfen für den einzelnen gewährt werden.
Sie wirtschaftlich, nutzbringend und zugleich schön zu verwenden und damit dem
Besitzer eines Unwesens Grund zu neuer Lebensfreude, zu gehobener Arbeits¬
stimmung zu gewähren, ist ein sorgsam zu beachtendes Ziel. Zusammenfassend
dürfte demnach der Grundsatz aufzustellen sein, an die zu gewährenden Unter-
stützungssummen des Staates oder des Reiches die Bedingung zu knüpfen,
nach welcher der Bedachte sich den baukünstlerischen Maßnahmen der Bezirks¬
stelle zu unterwerfen hat, aber das Recht behält, alle Wünsche geschäftlicher,
wirtschaftlicher, wohnungstechnischer Natur zu äußern. Das bezieht sich
sowohl auf die Städte, die Dorfgemeinden, das einzelne Wirtschaftswesen,
wie auf die Gutsanlagen. Nur aus einer autoritativen Einflußnahme auf den
Besitzer seitens einer Stelle, die mit allen organisatorischen und baukünstlerischen
Eigenschaften in praktischer wie in idealer Hinsicht ausgestattet ist, läßt sich ein
Wiederaufbau erreichen, der die Keime und die Grundlage zu einer blühenden
Weiterentwicklung für alle Zeiten enthält. Mit ihr werden Heimath- und
Vaterlandsliebe, gehobene Lebensauffassung und ein gesundes, auf ideale Grund¬
lagen gestelltes Volkstum Hand in Hand gehen."

Der den ostpreußischen Verhältnissen Fernstehende darf sich durch die enorme
Höhe der für Ostpreußen zur Verfügung gestellten Staatsmittel nicht zu falschen
Schlüssen und zu einer ungerechten Beurteilung der Materie verleiten lassen,
insonderheit betreffs der Landwirte. Es kann kaum bestritten werden, daß
Ostpreußens Landwirtschaft vorbildlich organisiert und in dieser Beziehung allen
anderen deutschen Provinzen weit voraus ist. In Würdigung dieses Umstandes
beschränkt sich der Staat, das heißt die Kriegshilfslonnnission vorerst — und
mit Recht — auf die pekuniäre Unterstützung der Gutsbesitzer hinsichtlich der
Wiedererrichtung ihrer Wohn- und Wirtschaftsgebäude, während er alle weiteren
Maßnahmen seinen Nachgeordneten halbamtlichen Organen, der Landwirtschafts¬
kammer, den landwirtschaftlichen Genossenschaften und Vereinen, Spar- und
Darlehnskassen usw., überläßt. Das sofortige, sinngemäße und rationelle
Funktionieren aller dieser vorzüglich organisierten Institutionen bewahrte die
meisten ostpreußischen Landwirte vor der wirtschaftlichen Katastrophe, die auch
noch so große, weil zu spät kommende staatliche Beihilfen nicht aufzuhalten
vermocht hätte. Als die ersten Flüchtlinge in Königsberg eintrafen, schickte die
Landwirtschaftskammer sogleich ihre Beamten in Ermangelung anderer Be¬
förderungsmittel ans Fahrrädern in die verlassenen Ortschaften, die das halbver¬
hungerte, verwahrloste Vieh, Pferde usw. einfangen ließen, registrierten und in


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 74, 1915, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341901_323097/122>, abgerufen am 04.06.2024.