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Die Grenzboten. Jg. 74, 1915, Erstes Vierteljahr.

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Belgiens Neutralität <s?o

as Thema "Garantie der belgischen Neutralität" taucht 1870 in
der öffentlichen Meinung während der Emser Verhandlungen auf.
Am 12. Juli setzen die Meldungen aus Brüssel von Truppen¬
bewegungen nach der französischen Grenze ein und werden im
Laufe der folgenden acht Tage wiederholt bestätigt. Die Ver¬
anlassung, so berichtete der Korrespondent der Kreuzzeitung, sei das Vorgehen
Frankreichs, das Besorgnis erregt habe; man fürchte alles von Frankreich,
dagegen nichts von Preußen. Ähnliche Vermutungen äußerte König Wilhelm
in einem Brief vom 19. Juli. Er schreibt an die Königin Augusta: "Die von
uns und Frankreich respektierte Neutralität Belgiens und Hollands inklusive
Luxemburgs ist wichtig; aber werden die Franzosen sie wirklich lange respek¬
tieren? Die Belgiens vielleicht wegen England, was sich auch zu rüsten anfängt."

Vorläufig schien Belgien allein für seine Sicherheit sorgen zu wollen Am
Tage der französischen Kriegserklärung vollendete sich der Aufmarsch seiner
Observationsarmee. Sie streckte vom Zentrum Namur den linken Flügel nach
Nordosten zum Plateau von Heroe, den rechte" südlich nach Glock aus. um
gleichsam mit dieser Frontstellung die beiden kriegführenden Staaten vor einem
Angriff auf die Neutralität Belgiens zu warnen. Zugleich bemühte sich die
belgische Regierung auf diplomatischem Wege um die erneute Bestätigung der
Neutralität, wie sie der Vertrag von 1339 festgelegt hatte.

Die Gesandten Belgiens hatten am 15. Juli bereits in Paris und Berlin
die Zusicherung der Garantie erbitten müssen. Die preußische Regierung erfüllte
einfach ihren Wunsch; Gramont, der französische Minister des Auswärtigen,
glaubte seine Antwort durch die Versicherung verstärken zu müssen, daß Frank¬
reich unter keinen Umstünden die Neutralität Belgiens verletzten würde. Er
gab mit diesen Worten eine Erklärung ab, die schon am folgenden Tage durch
eine schriftliche amtliche Mitteilung der französischen Negierung aufgehoben
wurde, da diese Belgien die Garantie seiner Neutralität nur unter der Voraus¬
setzung versprach, daß Preußen sie ebenfalls nicht verletzen würde. Diese
Klausel, auf Frankreich angewandt, konnte die belgische Negierung auch in der
amtlichen Zusicherung der Garantie lesen, die Bismarck am 22. Juli, als er
allem Anschein nach den Wortlaut der französischen Mitteilung erfahren hatte,
dem belgischen Gesandten übergab, in der er hinzufügte, daß die von Belgien
geforderten Erklärungen im Hinblick auf die vorhandenen Verträge über¬
flüssig wären.

Die beiden Aktenstücke, die die belgische Regierung jetzt in den Händen
hatte, waren nicht nur überflüssig; sie schufen eine neue Situation, da sie durch
die Bedingung die Garantie der belgischen Neutralität zu einer aktuellen
politischen Frage umwandelten, deren Lösung über den Machtbereich der
belgischen Regierung hinausging. England, die erste der Stgnatarmächte von
1839, hatte sich schon am 16. Juli nach der Stellung der preußischen und der
französischen Regierung zur Garantie der belgischen Neutralität erkundigt und


Belgiens Neutralität <s?o

as Thema „Garantie der belgischen Neutralität" taucht 1870 in
der öffentlichen Meinung während der Emser Verhandlungen auf.
Am 12. Juli setzen die Meldungen aus Brüssel von Truppen¬
bewegungen nach der französischen Grenze ein und werden im
Laufe der folgenden acht Tage wiederholt bestätigt. Die Ver¬
anlassung, so berichtete der Korrespondent der Kreuzzeitung, sei das Vorgehen
Frankreichs, das Besorgnis erregt habe; man fürchte alles von Frankreich,
dagegen nichts von Preußen. Ähnliche Vermutungen äußerte König Wilhelm
in einem Brief vom 19. Juli. Er schreibt an die Königin Augusta: „Die von
uns und Frankreich respektierte Neutralität Belgiens und Hollands inklusive
Luxemburgs ist wichtig; aber werden die Franzosen sie wirklich lange respek¬
tieren? Die Belgiens vielleicht wegen England, was sich auch zu rüsten anfängt."

Vorläufig schien Belgien allein für seine Sicherheit sorgen zu wollen Am
Tage der französischen Kriegserklärung vollendete sich der Aufmarsch seiner
Observationsarmee. Sie streckte vom Zentrum Namur den linken Flügel nach
Nordosten zum Plateau von Heroe, den rechte» südlich nach Glock aus. um
gleichsam mit dieser Frontstellung die beiden kriegführenden Staaten vor einem
Angriff auf die Neutralität Belgiens zu warnen. Zugleich bemühte sich die
belgische Regierung auf diplomatischem Wege um die erneute Bestätigung der
Neutralität, wie sie der Vertrag von 1339 festgelegt hatte.

Die Gesandten Belgiens hatten am 15. Juli bereits in Paris und Berlin
die Zusicherung der Garantie erbitten müssen. Die preußische Regierung erfüllte
einfach ihren Wunsch; Gramont, der französische Minister des Auswärtigen,
glaubte seine Antwort durch die Versicherung verstärken zu müssen, daß Frank¬
reich unter keinen Umstünden die Neutralität Belgiens verletzten würde. Er
gab mit diesen Worten eine Erklärung ab, die schon am folgenden Tage durch
eine schriftliche amtliche Mitteilung der französischen Negierung aufgehoben
wurde, da diese Belgien die Garantie seiner Neutralität nur unter der Voraus¬
setzung versprach, daß Preußen sie ebenfalls nicht verletzen würde. Diese
Klausel, auf Frankreich angewandt, konnte die belgische Negierung auch in der
amtlichen Zusicherung der Garantie lesen, die Bismarck am 22. Juli, als er
allem Anschein nach den Wortlaut der französischen Mitteilung erfahren hatte,
dem belgischen Gesandten übergab, in der er hinzufügte, daß die von Belgien
geforderten Erklärungen im Hinblick auf die vorhandenen Verträge über¬
flüssig wären.

Die beiden Aktenstücke, die die belgische Regierung jetzt in den Händen
hatte, waren nicht nur überflüssig; sie schufen eine neue Situation, da sie durch
die Bedingung die Garantie der belgischen Neutralität zu einer aktuellen
politischen Frage umwandelten, deren Lösung über den Machtbereich der
belgischen Regierung hinausging. England, die erste der Stgnatarmächte von
1839, hatte sich schon am 16. Juli nach der Stellung der preußischen und der
französischen Regierung zur Garantie der belgischen Neutralität erkundigt und


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[0142] Belgiens Neutralität <s?o as Thema „Garantie der belgischen Neutralität" taucht 1870 in der öffentlichen Meinung während der Emser Verhandlungen auf. Am 12. Juli setzen die Meldungen aus Brüssel von Truppen¬ bewegungen nach der französischen Grenze ein und werden im Laufe der folgenden acht Tage wiederholt bestätigt. Die Ver¬ anlassung, so berichtete der Korrespondent der Kreuzzeitung, sei das Vorgehen Frankreichs, das Besorgnis erregt habe; man fürchte alles von Frankreich, dagegen nichts von Preußen. Ähnliche Vermutungen äußerte König Wilhelm in einem Brief vom 19. Juli. Er schreibt an die Königin Augusta: „Die von uns und Frankreich respektierte Neutralität Belgiens und Hollands inklusive Luxemburgs ist wichtig; aber werden die Franzosen sie wirklich lange respek¬ tieren? Die Belgiens vielleicht wegen England, was sich auch zu rüsten anfängt." Vorläufig schien Belgien allein für seine Sicherheit sorgen zu wollen Am Tage der französischen Kriegserklärung vollendete sich der Aufmarsch seiner Observationsarmee. Sie streckte vom Zentrum Namur den linken Flügel nach Nordosten zum Plateau von Heroe, den rechte» südlich nach Glock aus. um gleichsam mit dieser Frontstellung die beiden kriegführenden Staaten vor einem Angriff auf die Neutralität Belgiens zu warnen. Zugleich bemühte sich die belgische Regierung auf diplomatischem Wege um die erneute Bestätigung der Neutralität, wie sie der Vertrag von 1339 festgelegt hatte. Die Gesandten Belgiens hatten am 15. Juli bereits in Paris und Berlin die Zusicherung der Garantie erbitten müssen. Die preußische Regierung erfüllte einfach ihren Wunsch; Gramont, der französische Minister des Auswärtigen, glaubte seine Antwort durch die Versicherung verstärken zu müssen, daß Frank¬ reich unter keinen Umstünden die Neutralität Belgiens verletzten würde. Er gab mit diesen Worten eine Erklärung ab, die schon am folgenden Tage durch eine schriftliche amtliche Mitteilung der französischen Negierung aufgehoben wurde, da diese Belgien die Garantie seiner Neutralität nur unter der Voraus¬ setzung versprach, daß Preußen sie ebenfalls nicht verletzen würde. Diese Klausel, auf Frankreich angewandt, konnte die belgische Negierung auch in der amtlichen Zusicherung der Garantie lesen, die Bismarck am 22. Juli, als er allem Anschein nach den Wortlaut der französischen Mitteilung erfahren hatte, dem belgischen Gesandten übergab, in der er hinzufügte, daß die von Belgien geforderten Erklärungen im Hinblick auf die vorhandenen Verträge über¬ flüssig wären. Die beiden Aktenstücke, die die belgische Regierung jetzt in den Händen hatte, waren nicht nur überflüssig; sie schufen eine neue Situation, da sie durch die Bedingung die Garantie der belgischen Neutralität zu einer aktuellen politischen Frage umwandelten, deren Lösung über den Machtbereich der belgischen Regierung hinausging. England, die erste der Stgnatarmächte von 1839, hatte sich schon am 16. Juli nach der Stellung der preußischen und der französischen Regierung zur Garantie der belgischen Neutralität erkundigt und

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 74, 1915, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341901_323097/142>, abgerufen am 15.05.2024.