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Die Grenzboten. Jg. 74, 1915, Erstes Vierteljahr.

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Italien am Scheidewege

Italien und Österreich zusammenballen, werden ihre Blitze wahrscheinlich erst später
entsenden, wenn es abrechnen heißen wird. Italien feilscht nicht mit seiner Neutralität,
feilschen ist im staatsmännischen Sinne an und für sich schon ein häßliches Wort.
Aber es will etwas verdienen. Dieser Wunsch spricht verstohlen aus allen Ver¬
öffentlichungen und Agitationen dieser Tage. Immer wieder wird darauf hingewiesen,
daß Österreich Italien nie irgendeine Entschädigung angeboten oder überreicht
habe, wenn es, wie zum Beispiel gelegentlich der Annektierung von Bosnien
und der Herzegowina, sich selbst mit neuen Ländern bereicherte. Österreich ver¬
schenke nichts freiwillig -- diese Meinung ist den Italienern ebenso in den Kopf
gehämmert worden, wie die, daß der nächste Krieg der Donaumonarchie auf
Betreiben des ermordeten Erzherzogs Franz Ferdinand Italien gegolten haben
würde. Es gefällt sich deshalb gar zu gern im Gedanken an einen Präventiv¬
krieg, der weniger dem Triebe der Staatserhaltung, als dem der Besitzvermehrung,
des Verdrängens Österreich-Ungarns von der Adriatischen Küste und aus den
Südtiroler Bergen entspringen würde. Wenn nun eine diplomatische Prüventiv-
aktion eingeleitet werden sollte, was mir behufs Erhaltung des "Status quo"
in Italien als die allererste Bedingung erscheint--, so muß und wird sich die
Frage vor allem um das zukünftige Soll und Haben im politischen Hauptbuchs
dieses Landes drehen. Die schwere, dem Fürsten von Bülow zugefallene Auf¬
gabe gipfelt demnach darin, erstens den Italienern Geduld beizubringen,
zweitens Österreich-Ungarn und Italien die Verbindungstür zum Ausgleichs-
stübchen vorsichtig zu öffnen. Weder hüben noch drüben ist behauptet
worden, daß eine Verständiguvg unmöglich ist. Man erwartet nur den richtigen
Mann, das richtige Wort. Ist es unser Altreichskanzler, der dieses, jeden Zwist
zwischen beiden Ländern beendende Wort auszusprechen imstande sein wird, so
hat er nicht nur den Ländern des Dreibundes, sondern auch der Menschheit
im allgemeinen einen unvergeßlichen Dienst geleistet. Der Gedanke allein an
einen neuen Krieg nach solchem Kriege, würde die ganze Welt zu dem Bismarck-
schen Aufschrei hinreißen: "Ich kann das nicht mehr!"




Italien am Scheidewege

Italien und Österreich zusammenballen, werden ihre Blitze wahrscheinlich erst später
entsenden, wenn es abrechnen heißen wird. Italien feilscht nicht mit seiner Neutralität,
feilschen ist im staatsmännischen Sinne an und für sich schon ein häßliches Wort.
Aber es will etwas verdienen. Dieser Wunsch spricht verstohlen aus allen Ver¬
öffentlichungen und Agitationen dieser Tage. Immer wieder wird darauf hingewiesen,
daß Österreich Italien nie irgendeine Entschädigung angeboten oder überreicht
habe, wenn es, wie zum Beispiel gelegentlich der Annektierung von Bosnien
und der Herzegowina, sich selbst mit neuen Ländern bereicherte. Österreich ver¬
schenke nichts freiwillig — diese Meinung ist den Italienern ebenso in den Kopf
gehämmert worden, wie die, daß der nächste Krieg der Donaumonarchie auf
Betreiben des ermordeten Erzherzogs Franz Ferdinand Italien gegolten haben
würde. Es gefällt sich deshalb gar zu gern im Gedanken an einen Präventiv¬
krieg, der weniger dem Triebe der Staatserhaltung, als dem der Besitzvermehrung,
des Verdrängens Österreich-Ungarns von der Adriatischen Küste und aus den
Südtiroler Bergen entspringen würde. Wenn nun eine diplomatische Prüventiv-
aktion eingeleitet werden sollte, was mir behufs Erhaltung des „Status quo"
in Italien als die allererste Bedingung erscheint—, so muß und wird sich die
Frage vor allem um das zukünftige Soll und Haben im politischen Hauptbuchs
dieses Landes drehen. Die schwere, dem Fürsten von Bülow zugefallene Auf¬
gabe gipfelt demnach darin, erstens den Italienern Geduld beizubringen,
zweitens Österreich-Ungarn und Italien die Verbindungstür zum Ausgleichs-
stübchen vorsichtig zu öffnen. Weder hüben noch drüben ist behauptet
worden, daß eine Verständiguvg unmöglich ist. Man erwartet nur den richtigen
Mann, das richtige Wort. Ist es unser Altreichskanzler, der dieses, jeden Zwist
zwischen beiden Ländern beendende Wort auszusprechen imstande sein wird, so
hat er nicht nur den Ländern des Dreibundes, sondern auch der Menschheit
im allgemeinen einen unvergeßlichen Dienst geleistet. Der Gedanke allein an
einen neuen Krieg nach solchem Kriege, würde die ganze Welt zu dem Bismarck-
schen Aufschrei hinreißen: „Ich kann das nicht mehr!"




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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 74, 1915, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341901_323097/20>, abgerufen am 14.05.2024.