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Die Grenzboten. Jg. 74, 1915, Erstes Vierteljahr.

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Vas alte und tels none Blockaderecht

wenn möglich, ein sicherer Weg nach Lindesnaes-Leuchtturm angegeben werden soll.
Von diesem Punkt würden sie, je nach ihrer Bestimmung, nördlichen oder südlichen
Kurs zu nehmen haben, wobei sie sich möglichst nahe an der Küste zu halten hätten.
Für ausreisende Schiffe ist dieser Weg in umgekehrter Richtung maßgebend."

Auch dieser (hier nur im Auszuge mitgeteilte) Erlaß sucht seine Existenz
durch die Berufung auf willkürliche deutsche Minenlegung zu rechtfertigen. Aber
"die Behauptung über die Sperrung neutraler Zufahrtsstraßen ist unwahr, keine
deutsche Mine ist auf der Zufahrtsstraße von der hohen See zu einem neutralen
Hafen gelegt worden." (Deutsche Denkschrift vom 15. November 1914.)

Den wahren Grund des Sperrerlasses teilt eine spätere, in Deutschland
fast unbeachtet gebliebene amtliche Erklärung der englischen Negierung mit.
Sie findet sich in einer Rede des Premierministers Asquith. der am 14. November
1914 im Unterhaus sagte, die Sperrmaßnahmen hätten "den alleinigen Zweck,
zu verhindern, daß dem Feinde Güter zugeführt werden."

Die Frage, ob eine kriegführende Macht tatsächlich imstande ist, die
bezeichnete Zone zu sperren, insbesondere ob die große Wassertiefe eine erfolg¬
reiche Legung von Minen überhaupt zuläßt -- diese Frage ist militärtechnischer
Natur und deshalb hier nicht weiter zu untersuchen. Das, worauf es in
diesem Zusammenhange ankommt, ist. daß England, ohne eine Blockade zu
verhängen, erklärt, daß nach Ablauf einer zweitätigen Frist neutrale Schiffe
bestimmte ausgedehnte Teile der hohen See nicht, genauer gesprochen: nur
"auf eigene Gefahr" befahren dürfen. Auf eigene Gefahr. England lehnt es
also ab, in irgendeiner Weise -- moralisch, politisch, juristisch -- für den
Schaden verantwortlich zu sein, den neutrale Schiffe und Ladungen, Besatzungen
und Passagiere infolge des Befahrens des als gefährlich bezeichneten Gebiets
erleiden. Dabei läßt es England vollkommen offen, welche gefahrbringenden
Mittel zur Anwendung gebracht werden sollen, und für viele der seither in
jenen Gebieten gesunkenen Fahrzeuge wird die Frage, ob sie das Opfer
englischer Aufsee- oder Unterseeschiffe oder auch englischer Minen geworden sind,
niemals Beantwortung finden.

So hat England der aufhorchenden Welt ein neues Blockaderecht --
"Sperrungsrecht" wird man es Vielleicht in Zukunft zur Unterscheidung von
dem alten Blockaderecht nennen -- verkündet, dessen Regeln sich dahin zusammen¬
fassen lassen: Eine kriegführende Macht ist berechtigt, beliebige Teile der hohen
See durch öffentliche Bekanntmachung als gefährdet zu erklären. Diese Er¬
klärung tritt an dem in der Bekanntmachung bezeichneten Tage in Kraft.
Schiffe, welche sich in das als gefährdet bezeichnete Gebiet begeben, tun dies
auf eigene Gefahr. Sie können angehalten oder vernichtet werden. Die Ver¬
nichtung ist auf Grund der allgemeinen Gefährdungserklärung zulässig, eine
besondere Warnung ist nicht erforderlich. Ein Schadenersatzanspruch steht weder
den Schiffs- und Ladungsinteressenten noch den Hinterbliebenen der zur
Besatzung gehörigen Personen und der Passagiere zu.


Vas alte und tels none Blockaderecht

wenn möglich, ein sicherer Weg nach Lindesnaes-Leuchtturm angegeben werden soll.
Von diesem Punkt würden sie, je nach ihrer Bestimmung, nördlichen oder südlichen
Kurs zu nehmen haben, wobei sie sich möglichst nahe an der Küste zu halten hätten.
Für ausreisende Schiffe ist dieser Weg in umgekehrter Richtung maßgebend."

Auch dieser (hier nur im Auszuge mitgeteilte) Erlaß sucht seine Existenz
durch die Berufung auf willkürliche deutsche Minenlegung zu rechtfertigen. Aber
„die Behauptung über die Sperrung neutraler Zufahrtsstraßen ist unwahr, keine
deutsche Mine ist auf der Zufahrtsstraße von der hohen See zu einem neutralen
Hafen gelegt worden." (Deutsche Denkschrift vom 15. November 1914.)

Den wahren Grund des Sperrerlasses teilt eine spätere, in Deutschland
fast unbeachtet gebliebene amtliche Erklärung der englischen Negierung mit.
Sie findet sich in einer Rede des Premierministers Asquith. der am 14. November
1914 im Unterhaus sagte, die Sperrmaßnahmen hätten „den alleinigen Zweck,
zu verhindern, daß dem Feinde Güter zugeführt werden."

Die Frage, ob eine kriegführende Macht tatsächlich imstande ist, die
bezeichnete Zone zu sperren, insbesondere ob die große Wassertiefe eine erfolg¬
reiche Legung von Minen überhaupt zuläßt — diese Frage ist militärtechnischer
Natur und deshalb hier nicht weiter zu untersuchen. Das, worauf es in
diesem Zusammenhange ankommt, ist. daß England, ohne eine Blockade zu
verhängen, erklärt, daß nach Ablauf einer zweitätigen Frist neutrale Schiffe
bestimmte ausgedehnte Teile der hohen See nicht, genauer gesprochen: nur
„auf eigene Gefahr" befahren dürfen. Auf eigene Gefahr. England lehnt es
also ab, in irgendeiner Weise — moralisch, politisch, juristisch — für den
Schaden verantwortlich zu sein, den neutrale Schiffe und Ladungen, Besatzungen
und Passagiere infolge des Befahrens des als gefährlich bezeichneten Gebiets
erleiden. Dabei läßt es England vollkommen offen, welche gefahrbringenden
Mittel zur Anwendung gebracht werden sollen, und für viele der seither in
jenen Gebieten gesunkenen Fahrzeuge wird die Frage, ob sie das Opfer
englischer Aufsee- oder Unterseeschiffe oder auch englischer Minen geworden sind,
niemals Beantwortung finden.

So hat England der aufhorchenden Welt ein neues Blockaderecht —
„Sperrungsrecht" wird man es Vielleicht in Zukunft zur Unterscheidung von
dem alten Blockaderecht nennen — verkündet, dessen Regeln sich dahin zusammen¬
fassen lassen: Eine kriegführende Macht ist berechtigt, beliebige Teile der hohen
See durch öffentliche Bekanntmachung als gefährdet zu erklären. Diese Er¬
klärung tritt an dem in der Bekanntmachung bezeichneten Tage in Kraft.
Schiffe, welche sich in das als gefährdet bezeichnete Gebiet begeben, tun dies
auf eigene Gefahr. Sie können angehalten oder vernichtet werden. Die Ver¬
nichtung ist auf Grund der allgemeinen Gefährdungserklärung zulässig, eine
besondere Warnung ist nicht erforderlich. Ein Schadenersatzanspruch steht weder
den Schiffs- und Ladungsinteressenten noch den Hinterbliebenen der zur
Besatzung gehörigen Personen und der Passagiere zu.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 74, 1915, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341901_323097/212>, abgerufen am 16.05.2024.