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Die Grenzboten. Jg. 74, 1915, Erstes Vierteljahr.

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Holland, der Trabant

unglücklichen belgischen Opfer vermehrt habe. Das neue Verbrüderungskonntee
hätte seine Tätigkeit nicht statutenmäßiger beginnen können..

Daß die hier gekennzeichneten Bestrebungen zur Befestigung der französisch-
holländischen Beziehungen zunächst privater Natur sind, darf uns nicht dazu
verleiten, diese Regungen zu übersehen. Wohl waren die vor einem knappen
Jahre erfolgten optimistischen Bemühungen sonst ganz ernst zu nehmender
Parlamentarier und Literaten, zunächst eine intellektuelle, dann aber mit Hilfe
dieser eine politische Annäherung zwischen Deutschland und Frankreich herbeizu¬
führen, von vornherein ein Schlag ins Wasser. Hier aber liegen leichter zu
versöhnende Gegensätze vor, und es tritt zutage, daß in beiden Ländern starke
Gruppen vorhanden sind, die unter allen Umständen entschlossen sind, die
politischen und wirtschaftlichen Bande zwischen Frankreich und Holland zu einem
dauerhaften Knoten zu schürzen. Eine derartige Vereinigung kann sich zu einem
politischen und wirtschaftlichen Faktor herausbilden, mit dem zu rechnen wäre.
Und nichts anderes ist auch dieser neuen Propaganda Endziel und Endzweck.
Es liegt ein schlagendes und überzeugendes Beispiel in dieser Richtung vor. In
Brüssel wurde vor wenigen Jahren ebenfalls ein "Belgisch-Holländisches Komitee"
gebildet, das anfangs, gleich dem jetzigen Pariser, sehr unschuldig aussah und
mehr Lacher als Gläubige auf seiner Seite hatte. In gar nicht langer Zeit
wuchs es sich zu einem Organismus ersten Ranges aus. Hüben und drüben
traten ihm Staatsmänner und Wirtschaftler von Ruf bei: in Belgien auffallender¬
weise solche, die dem belgischen Handel sowohl im In- wie namentlich im Aus¬
lande zum Schaden des deutschen Wirtschaftslebens Bahn zu brechen wünschten.
Das Komitee wurde in beiden Ländern zu einer Einrichtung, die nicht nur,
was selbstverständlich, zwischen Holland und Belgien zu vermitteln wünschte,
sondern auch auf die beiderseitige Gesetzgebung zugunsten einer übereinstimmenden
Behandlung der Staatsangehörigen und deren Eigentum einzuwirken begann.
Wenn heute in Holland statt der ehemaligen ehrlichen Abneigung gegen Belgien,
vor allem gegen dessen frankophile Sprachbezirke, eine fast übertriebene Liebe
zu den belgischen Opfern zutage getreten ist, so offenbart sich diese nicht nur,
weil man uns in Holland nicht liebt, sondern vielmehr, weil jenes "Belgisch-
Holländische Komitee" einem besseren Verständnis zwischen beiden Ländern vor¬
gearbeitet hat. Es hat Holland über das moderne Belgien und über die
gemeinsame politische und wirtschaftliche Gefahr die Augen geöffnet. Und der
Holländer, der trotz seines geflissentlich zur Schau getragenen Unabhängigkeils¬
stolzes innerlich stets nach einem Protektor Umschau hält, ließ sich nicht allzu¬
lange bitten, 1830 zu vergessen. Die Tatsache, sich in Sprache und Kultur
mit der Hälfte der Bewohner Belgiens verwandt zu wissen, bot eine Handhabe
zu einem Rückzüge von der früheren Voreingenommenheit und zur Anbahnung
eines besseren politischen Einvernehmens. Es ist uns hier ein Fingerzeig gegeben,
der uns manche bisher unverständliche Strömung in beiden, beziehungsweise in den
drei westlichen Ländern jetzt besser erkennen läßt und uns neue Ausblicke eröffnet.


Holland, der Trabant

unglücklichen belgischen Opfer vermehrt habe. Das neue Verbrüderungskonntee
hätte seine Tätigkeit nicht statutenmäßiger beginnen können..

Daß die hier gekennzeichneten Bestrebungen zur Befestigung der französisch-
holländischen Beziehungen zunächst privater Natur sind, darf uns nicht dazu
verleiten, diese Regungen zu übersehen. Wohl waren die vor einem knappen
Jahre erfolgten optimistischen Bemühungen sonst ganz ernst zu nehmender
Parlamentarier und Literaten, zunächst eine intellektuelle, dann aber mit Hilfe
dieser eine politische Annäherung zwischen Deutschland und Frankreich herbeizu¬
führen, von vornherein ein Schlag ins Wasser. Hier aber liegen leichter zu
versöhnende Gegensätze vor, und es tritt zutage, daß in beiden Ländern starke
Gruppen vorhanden sind, die unter allen Umständen entschlossen sind, die
politischen und wirtschaftlichen Bande zwischen Frankreich und Holland zu einem
dauerhaften Knoten zu schürzen. Eine derartige Vereinigung kann sich zu einem
politischen und wirtschaftlichen Faktor herausbilden, mit dem zu rechnen wäre.
Und nichts anderes ist auch dieser neuen Propaganda Endziel und Endzweck.
Es liegt ein schlagendes und überzeugendes Beispiel in dieser Richtung vor. In
Brüssel wurde vor wenigen Jahren ebenfalls ein „Belgisch-Holländisches Komitee"
gebildet, das anfangs, gleich dem jetzigen Pariser, sehr unschuldig aussah und
mehr Lacher als Gläubige auf seiner Seite hatte. In gar nicht langer Zeit
wuchs es sich zu einem Organismus ersten Ranges aus. Hüben und drüben
traten ihm Staatsmänner und Wirtschaftler von Ruf bei: in Belgien auffallender¬
weise solche, die dem belgischen Handel sowohl im In- wie namentlich im Aus¬
lande zum Schaden des deutschen Wirtschaftslebens Bahn zu brechen wünschten.
Das Komitee wurde in beiden Ländern zu einer Einrichtung, die nicht nur,
was selbstverständlich, zwischen Holland und Belgien zu vermitteln wünschte,
sondern auch auf die beiderseitige Gesetzgebung zugunsten einer übereinstimmenden
Behandlung der Staatsangehörigen und deren Eigentum einzuwirken begann.
Wenn heute in Holland statt der ehemaligen ehrlichen Abneigung gegen Belgien,
vor allem gegen dessen frankophile Sprachbezirke, eine fast übertriebene Liebe
zu den belgischen Opfern zutage getreten ist, so offenbart sich diese nicht nur,
weil man uns in Holland nicht liebt, sondern vielmehr, weil jenes „Belgisch-
Holländische Komitee" einem besseren Verständnis zwischen beiden Ländern vor¬
gearbeitet hat. Es hat Holland über das moderne Belgien und über die
gemeinsame politische und wirtschaftliche Gefahr die Augen geöffnet. Und der
Holländer, der trotz seines geflissentlich zur Schau getragenen Unabhängigkeils¬
stolzes innerlich stets nach einem Protektor Umschau hält, ließ sich nicht allzu¬
lange bitten, 1830 zu vergessen. Die Tatsache, sich in Sprache und Kultur
mit der Hälfte der Bewohner Belgiens verwandt zu wissen, bot eine Handhabe
zu einem Rückzüge von der früheren Voreingenommenheit und zur Anbahnung
eines besseren politischen Einvernehmens. Es ist uns hier ein Fingerzeig gegeben,
der uns manche bisher unverständliche Strömung in beiden, beziehungsweise in den
drei westlichen Ländern jetzt besser erkennen läßt und uns neue Ausblicke eröffnet.


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[0228] Holland, der Trabant unglücklichen belgischen Opfer vermehrt habe. Das neue Verbrüderungskonntee hätte seine Tätigkeit nicht statutenmäßiger beginnen können.. Daß die hier gekennzeichneten Bestrebungen zur Befestigung der französisch- holländischen Beziehungen zunächst privater Natur sind, darf uns nicht dazu verleiten, diese Regungen zu übersehen. Wohl waren die vor einem knappen Jahre erfolgten optimistischen Bemühungen sonst ganz ernst zu nehmender Parlamentarier und Literaten, zunächst eine intellektuelle, dann aber mit Hilfe dieser eine politische Annäherung zwischen Deutschland und Frankreich herbeizu¬ führen, von vornherein ein Schlag ins Wasser. Hier aber liegen leichter zu versöhnende Gegensätze vor, und es tritt zutage, daß in beiden Ländern starke Gruppen vorhanden sind, die unter allen Umständen entschlossen sind, die politischen und wirtschaftlichen Bande zwischen Frankreich und Holland zu einem dauerhaften Knoten zu schürzen. Eine derartige Vereinigung kann sich zu einem politischen und wirtschaftlichen Faktor herausbilden, mit dem zu rechnen wäre. Und nichts anderes ist auch dieser neuen Propaganda Endziel und Endzweck. Es liegt ein schlagendes und überzeugendes Beispiel in dieser Richtung vor. In Brüssel wurde vor wenigen Jahren ebenfalls ein „Belgisch-Holländisches Komitee" gebildet, das anfangs, gleich dem jetzigen Pariser, sehr unschuldig aussah und mehr Lacher als Gläubige auf seiner Seite hatte. In gar nicht langer Zeit wuchs es sich zu einem Organismus ersten Ranges aus. Hüben und drüben traten ihm Staatsmänner und Wirtschaftler von Ruf bei: in Belgien auffallender¬ weise solche, die dem belgischen Handel sowohl im In- wie namentlich im Aus¬ lande zum Schaden des deutschen Wirtschaftslebens Bahn zu brechen wünschten. Das Komitee wurde in beiden Ländern zu einer Einrichtung, die nicht nur, was selbstverständlich, zwischen Holland und Belgien zu vermitteln wünschte, sondern auch auf die beiderseitige Gesetzgebung zugunsten einer übereinstimmenden Behandlung der Staatsangehörigen und deren Eigentum einzuwirken begann. Wenn heute in Holland statt der ehemaligen ehrlichen Abneigung gegen Belgien, vor allem gegen dessen frankophile Sprachbezirke, eine fast übertriebene Liebe zu den belgischen Opfern zutage getreten ist, so offenbart sich diese nicht nur, weil man uns in Holland nicht liebt, sondern vielmehr, weil jenes „Belgisch- Holländische Komitee" einem besseren Verständnis zwischen beiden Ländern vor¬ gearbeitet hat. Es hat Holland über das moderne Belgien und über die gemeinsame politische und wirtschaftliche Gefahr die Augen geöffnet. Und der Holländer, der trotz seines geflissentlich zur Schau getragenen Unabhängigkeils¬ stolzes innerlich stets nach einem Protektor Umschau hält, ließ sich nicht allzu¬ lange bitten, 1830 zu vergessen. Die Tatsache, sich in Sprache und Kultur mit der Hälfte der Bewohner Belgiens verwandt zu wissen, bot eine Handhabe zu einem Rückzüge von der früheren Voreingenommenheit und zur Anbahnung eines besseren politischen Einvernehmens. Es ist uns hier ein Fingerzeig gegeben, der uns manche bisher unverständliche Strömung in beiden, beziehungsweise in den drei westlichen Ländern jetzt besser erkennen läßt und uns neue Ausblicke eröffnet.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 74, 1915, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341901_323097/228>, abgerufen am 29.05.2024.