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Die Grenzboten. Jg. 74, 1915, Erstes Vierteljahr.

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Sir Rogor Lasement

den Reichtum ihres Landes den fremden Herren zuzureichen. In dem von
tausend Panzerschiffen getragenen Begriff der "supremacy" wird der englische
Glaube zum Dogma, und die Monroe-Doktrin ist nichts anderes als die
amerikanische Ergänzung des angelsächsischen Glaubensbekenntnisses.

Die Frage erhebt sich: wie konnte es geschehen, daß die Selbstachtung der
nicht-angelsächsischen Völker noch nie in genügender Stärke sich ermannte, um
die entwürdigende Zwingherrschaft dieses einen Stammes zu zerbrechen? Einer
der Gründe liegt klar zutage. Wir kennen das Spiel, das England seit je
mit den Kontinentalvölkern trieb, damit sie im englischen Interesse gegenseitig
sich erwürgten, wobei die Verblendung auf der einen Seite nicht minder er¬
staunlich ist wie das Geschick und die Gewissenlosigkeit auf der andern. Aller¬
dings zeigt die Geschichte, daß zu verschiedenen Zeiten stolze Völker wider den
Stachel tollen, aber das Wollen gedieh nie zum Vollbringen. Das Spanien
des König Philipp sowie das Frankreich Ludwigs des Vierzehnten und Napo¬
leons erhoben sich gegen England, aber das Unternehmen scheiterte, weil man
das Geheimnis der englischen Stärke nicht erkannte, das auch zugleich das
Geheimnis seiner Schwäche bedeutet.

Wiederum erhebt sich ein großes Volk gegen die angelsächsische Weltherr¬
schaft. Es geht einen blutigen Gang. Da tritt ein großer Ire in unsern Weg,
gleich uns ein Kanaaniter, der den Herren der Welt nicht froren mag, und
der es sich zum Ziel des Lebens gesetzt hat, seine Volksgenossen aus der Dienst¬
barkeit zu befreien. Die Befreiung seines Volkes aber bedeutet ihm die Be¬
freiung Europas aus englischer Bevormundung, bedeutet ihm die Befreiung der
Welt. Aus inneren Gründen ist das eine ganz notwendig mit dem andern
gegeben.

Wo man bisher auf dem Kontinente das Wort "Irland" aussprach, zeigte
sich ein Bild der Kümmerlichkeit. Man dachte an eine unfruchtbare Insel, die in
dem Meere jenseits von England ein verschlafenes, weltverloren zweckloses
Dasein führe. Und diese Insel sah man bewohnt von dem kläglichen Überrest
eines Volkes, das seinen Beruf verfehlt hat, von armseligen Menschen, die, ohne
Interessen und Ziele der Bildung, mit stumpfem Sinn ihrem Tagewerk nach¬
gingen. War ihnen ein übles Los gefallen in dem Gange der Geschichte,
dann hatten sie es ja wohl verdient gleich andern Völkern, die ihre Freiheit
verscherzten; bedeuteten sie nichts für die europäische Kulturgemeinschaft in
ihrem gegenwärtigen Stande, so trugen sie auch wohl nichts in sich, das ihnen
eine solche Bedeutung hätte verschaffen können.

Sir Roger Casement erweist diese ganze Vorstellung von Irland und
seinem Volke als ein Trugbild. Er zeigt uns ein Land mit reichen Hilfsquellen
und ein kernhaftes, begabtes Volk, das lange vor den andern Völkern West¬
europas eine hohe Kultur besaß, und er weist nach, daß England von dem
Fett dieses Landes sich nährte und groß ward. Irlands Söhne traten den
Webstuhl, auf dem die Engländer ihre Seide spannen, sie schlugen Englands


Sir Rogor Lasement

den Reichtum ihres Landes den fremden Herren zuzureichen. In dem von
tausend Panzerschiffen getragenen Begriff der „supremacy" wird der englische
Glaube zum Dogma, und die Monroe-Doktrin ist nichts anderes als die
amerikanische Ergänzung des angelsächsischen Glaubensbekenntnisses.

Die Frage erhebt sich: wie konnte es geschehen, daß die Selbstachtung der
nicht-angelsächsischen Völker noch nie in genügender Stärke sich ermannte, um
die entwürdigende Zwingherrschaft dieses einen Stammes zu zerbrechen? Einer
der Gründe liegt klar zutage. Wir kennen das Spiel, das England seit je
mit den Kontinentalvölkern trieb, damit sie im englischen Interesse gegenseitig
sich erwürgten, wobei die Verblendung auf der einen Seite nicht minder er¬
staunlich ist wie das Geschick und die Gewissenlosigkeit auf der andern. Aller¬
dings zeigt die Geschichte, daß zu verschiedenen Zeiten stolze Völker wider den
Stachel tollen, aber das Wollen gedieh nie zum Vollbringen. Das Spanien
des König Philipp sowie das Frankreich Ludwigs des Vierzehnten und Napo¬
leons erhoben sich gegen England, aber das Unternehmen scheiterte, weil man
das Geheimnis der englischen Stärke nicht erkannte, das auch zugleich das
Geheimnis seiner Schwäche bedeutet.

Wiederum erhebt sich ein großes Volk gegen die angelsächsische Weltherr¬
schaft. Es geht einen blutigen Gang. Da tritt ein großer Ire in unsern Weg,
gleich uns ein Kanaaniter, der den Herren der Welt nicht froren mag, und
der es sich zum Ziel des Lebens gesetzt hat, seine Volksgenossen aus der Dienst¬
barkeit zu befreien. Die Befreiung seines Volkes aber bedeutet ihm die Be¬
freiung Europas aus englischer Bevormundung, bedeutet ihm die Befreiung der
Welt. Aus inneren Gründen ist das eine ganz notwendig mit dem andern
gegeben.

Wo man bisher auf dem Kontinente das Wort „Irland" aussprach, zeigte
sich ein Bild der Kümmerlichkeit. Man dachte an eine unfruchtbare Insel, die in
dem Meere jenseits von England ein verschlafenes, weltverloren zweckloses
Dasein führe. Und diese Insel sah man bewohnt von dem kläglichen Überrest
eines Volkes, das seinen Beruf verfehlt hat, von armseligen Menschen, die, ohne
Interessen und Ziele der Bildung, mit stumpfem Sinn ihrem Tagewerk nach¬
gingen. War ihnen ein übles Los gefallen in dem Gange der Geschichte,
dann hatten sie es ja wohl verdient gleich andern Völkern, die ihre Freiheit
verscherzten; bedeuteten sie nichts für die europäische Kulturgemeinschaft in
ihrem gegenwärtigen Stande, so trugen sie auch wohl nichts in sich, das ihnen
eine solche Bedeutung hätte verschaffen können.

Sir Roger Casement erweist diese ganze Vorstellung von Irland und
seinem Volke als ein Trugbild. Er zeigt uns ein Land mit reichen Hilfsquellen
und ein kernhaftes, begabtes Volk, das lange vor den andern Völkern West¬
europas eine hohe Kultur besaß, und er weist nach, daß England von dem
Fett dieses Landes sich nährte und groß ward. Irlands Söhne traten den
Webstuhl, auf dem die Engländer ihre Seide spannen, sie schlugen Englands


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[0257] Sir Rogor Lasement den Reichtum ihres Landes den fremden Herren zuzureichen. In dem von tausend Panzerschiffen getragenen Begriff der „supremacy" wird der englische Glaube zum Dogma, und die Monroe-Doktrin ist nichts anderes als die amerikanische Ergänzung des angelsächsischen Glaubensbekenntnisses. Die Frage erhebt sich: wie konnte es geschehen, daß die Selbstachtung der nicht-angelsächsischen Völker noch nie in genügender Stärke sich ermannte, um die entwürdigende Zwingherrschaft dieses einen Stammes zu zerbrechen? Einer der Gründe liegt klar zutage. Wir kennen das Spiel, das England seit je mit den Kontinentalvölkern trieb, damit sie im englischen Interesse gegenseitig sich erwürgten, wobei die Verblendung auf der einen Seite nicht minder er¬ staunlich ist wie das Geschick und die Gewissenlosigkeit auf der andern. Aller¬ dings zeigt die Geschichte, daß zu verschiedenen Zeiten stolze Völker wider den Stachel tollen, aber das Wollen gedieh nie zum Vollbringen. Das Spanien des König Philipp sowie das Frankreich Ludwigs des Vierzehnten und Napo¬ leons erhoben sich gegen England, aber das Unternehmen scheiterte, weil man das Geheimnis der englischen Stärke nicht erkannte, das auch zugleich das Geheimnis seiner Schwäche bedeutet. Wiederum erhebt sich ein großes Volk gegen die angelsächsische Weltherr¬ schaft. Es geht einen blutigen Gang. Da tritt ein großer Ire in unsern Weg, gleich uns ein Kanaaniter, der den Herren der Welt nicht froren mag, und der es sich zum Ziel des Lebens gesetzt hat, seine Volksgenossen aus der Dienst¬ barkeit zu befreien. Die Befreiung seines Volkes aber bedeutet ihm die Be¬ freiung Europas aus englischer Bevormundung, bedeutet ihm die Befreiung der Welt. Aus inneren Gründen ist das eine ganz notwendig mit dem andern gegeben. Wo man bisher auf dem Kontinente das Wort „Irland" aussprach, zeigte sich ein Bild der Kümmerlichkeit. Man dachte an eine unfruchtbare Insel, die in dem Meere jenseits von England ein verschlafenes, weltverloren zweckloses Dasein führe. Und diese Insel sah man bewohnt von dem kläglichen Überrest eines Volkes, das seinen Beruf verfehlt hat, von armseligen Menschen, die, ohne Interessen und Ziele der Bildung, mit stumpfem Sinn ihrem Tagewerk nach¬ gingen. War ihnen ein übles Los gefallen in dem Gange der Geschichte, dann hatten sie es ja wohl verdient gleich andern Völkern, die ihre Freiheit verscherzten; bedeuteten sie nichts für die europäische Kulturgemeinschaft in ihrem gegenwärtigen Stande, so trugen sie auch wohl nichts in sich, das ihnen eine solche Bedeutung hätte verschaffen können. Sir Roger Casement erweist diese ganze Vorstellung von Irland und seinem Volke als ein Trugbild. Er zeigt uns ein Land mit reichen Hilfsquellen und ein kernhaftes, begabtes Volk, das lange vor den andern Völkern West¬ europas eine hohe Kultur besaß, und er weist nach, daß England von dem Fett dieses Landes sich nährte und groß ward. Irlands Söhne traten den Webstuhl, auf dem die Engländer ihre Seide spannen, sie schlugen Englands

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 74, 1915, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341901_323097/257>, abgerufen am 14.05.2024.