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Die Grenzboten. Jg. 74, 1915, Erstes Vierteljahr.

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Ein holländischer Britenspiegel

scharf das Profil Englands heraus. "Seit zwanzig Jahren", so heißt es zu
Beginn der Ausführungen, "zeichnet sich stets deutlicher die Hand des Urhebers
der Ereignisse ab, die wir jetzt erleben", . . . Englands, das sich jetzt mit soviel
Pathos und Entrüstung rühmt, der "Beschirmer der gewährleisteten Rechte der
kleinen Staaten" zu sein. Mit diesem Märchen aufzuräumen und überhaupt
durch rückhaltlose Aufdeckung der "selbstsüchtigen und brutalen" britischen Politik
allgemein und besonders dem friedliebenden, aufrichtigen Deutschland gegenüber
den wahren Macher aller europäischen und selbst außereuropäischen Verwicklungen
während der letzten zwanzig Jahre vor seinen Landsleuten und aller Welt blo߬
zustellen -- das ist die Grundidee der Valterschen Beiträge.

Wir müssen es uns leider versagen, auf die wirklich interessante Aufrollung
und Wertung der politischen Begebenheiten in den zwei Jahrzehnten im einzelnen
einzugehen. Es sei deshalb im folgenden nur ein Überblick über die Ausführungen
und Urteile Walters gegeben:

Die deutschfeindliche Richtung erhielt die englische Politik nach ihm schon
im Laufe der achtziger Jahre, und zwar vornehmlich aus Furcht vor einer un¬
günstigen Beeinflussung der britischen Unternehmungen in Afrika durch deutschen
Intellekt und deutsche wirtschaftliche Tüchtigkeit, und diese Unruhe steigerte sich
nach und nach desto mehr, je kräftiger Deutschland als Welt- und Kolonialmacht
aufblühte. Im auf und ab der wechselnden politischen Konstellationen intrigiert
Großbritannien bald mit allen Mitteln gegen Deutschland, dann mal wieder
sucht es, wenn sein Himmel bewölkt ist, gegen andere Gegner (Transvaal,
Rußland, Frankreich) Anlehnung an das Deutsche Reich, dessen Ehrlichkeit
gewissenlos ausnutzend. Durch alle Wirrnisse läßt sich der rote Faden der
englischen Politik verfolgen, die, nie klar, nie ehrlich, stets lavierend und rück¬
sichtslos, drei große Ziele fest im Auge behält: 1. Das Rule Britannia.
Dem müssen sich alle Mächte fügen, große und kleine, über den ganzen Erdkreis,-
ihm zuliebe werden sie alle gegeneinander ausgespielt, bald Freund, bald Feind,
wobei möglichst beide um ihren Gewinn gebracht werden. 2. Die "Rechte der
kleinen Staaten", sei es nun Transvaal, Portugal, Belgien, Holland, gleichviel,
-- spielen keine Rolle. Vatter widmet diesem dunklen Blatt in Englands Ge¬
schichte ein besonderes, sehr lehrreiches Kapitel, auf das hier näher einzugehen
wir uns versagen müssen. 3. Deutschland muß herunter, muß vernichtet werden.
Dies ist und bleibt, vom ersten Aufkeimen scheeler Eifersucht an, das Haupt¬
axiom der englischen Krämerdiplomatie. Gegen diese "deutsche Gefahr" in
Afrika, in Asien, in der ganzen Welt werden alle "geeigneten" Kräfte, je
nach Lage der politischen Verhältnisse, in Bewegung gesetzt, aber dabei
immer mit arglistigen Bedacht, sie selbst nicht über Gebühr mächtig
werden zu lassen. Bald -- und mit Vorliebe -- ist es Frankreichs nie
versiegtes Revanchebedürfnis, bald sind es russische Expansionsgelüste, bald
Amerikas Monroemaxime, gelegentlich italienische "Interessen" usw. ... je
nachdem.


Ein holländischer Britenspiegel

scharf das Profil Englands heraus. „Seit zwanzig Jahren", so heißt es zu
Beginn der Ausführungen, „zeichnet sich stets deutlicher die Hand des Urhebers
der Ereignisse ab, die wir jetzt erleben", . . . Englands, das sich jetzt mit soviel
Pathos und Entrüstung rühmt, der „Beschirmer der gewährleisteten Rechte der
kleinen Staaten" zu sein. Mit diesem Märchen aufzuräumen und überhaupt
durch rückhaltlose Aufdeckung der „selbstsüchtigen und brutalen" britischen Politik
allgemein und besonders dem friedliebenden, aufrichtigen Deutschland gegenüber
den wahren Macher aller europäischen und selbst außereuropäischen Verwicklungen
während der letzten zwanzig Jahre vor seinen Landsleuten und aller Welt blo߬
zustellen — das ist die Grundidee der Valterschen Beiträge.

Wir müssen es uns leider versagen, auf die wirklich interessante Aufrollung
und Wertung der politischen Begebenheiten in den zwei Jahrzehnten im einzelnen
einzugehen. Es sei deshalb im folgenden nur ein Überblick über die Ausführungen
und Urteile Walters gegeben:

Die deutschfeindliche Richtung erhielt die englische Politik nach ihm schon
im Laufe der achtziger Jahre, und zwar vornehmlich aus Furcht vor einer un¬
günstigen Beeinflussung der britischen Unternehmungen in Afrika durch deutschen
Intellekt und deutsche wirtschaftliche Tüchtigkeit, und diese Unruhe steigerte sich
nach und nach desto mehr, je kräftiger Deutschland als Welt- und Kolonialmacht
aufblühte. Im auf und ab der wechselnden politischen Konstellationen intrigiert
Großbritannien bald mit allen Mitteln gegen Deutschland, dann mal wieder
sucht es, wenn sein Himmel bewölkt ist, gegen andere Gegner (Transvaal,
Rußland, Frankreich) Anlehnung an das Deutsche Reich, dessen Ehrlichkeit
gewissenlos ausnutzend. Durch alle Wirrnisse läßt sich der rote Faden der
englischen Politik verfolgen, die, nie klar, nie ehrlich, stets lavierend und rück¬
sichtslos, drei große Ziele fest im Auge behält: 1. Das Rule Britannia.
Dem müssen sich alle Mächte fügen, große und kleine, über den ganzen Erdkreis,-
ihm zuliebe werden sie alle gegeneinander ausgespielt, bald Freund, bald Feind,
wobei möglichst beide um ihren Gewinn gebracht werden. 2. Die „Rechte der
kleinen Staaten", sei es nun Transvaal, Portugal, Belgien, Holland, gleichviel,
— spielen keine Rolle. Vatter widmet diesem dunklen Blatt in Englands Ge¬
schichte ein besonderes, sehr lehrreiches Kapitel, auf das hier näher einzugehen
wir uns versagen müssen. 3. Deutschland muß herunter, muß vernichtet werden.
Dies ist und bleibt, vom ersten Aufkeimen scheeler Eifersucht an, das Haupt¬
axiom der englischen Krämerdiplomatie. Gegen diese „deutsche Gefahr" in
Afrika, in Asien, in der ganzen Welt werden alle „geeigneten" Kräfte, je
nach Lage der politischen Verhältnisse, in Bewegung gesetzt, aber dabei
immer mit arglistigen Bedacht, sie selbst nicht über Gebühr mächtig
werden zu lassen. Bald — und mit Vorliebe — ist es Frankreichs nie
versiegtes Revanchebedürfnis, bald sind es russische Expansionsgelüste, bald
Amerikas Monroemaxime, gelegentlich italienische „Interessen" usw. ... je
nachdem.


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[0286] Ein holländischer Britenspiegel scharf das Profil Englands heraus. „Seit zwanzig Jahren", so heißt es zu Beginn der Ausführungen, „zeichnet sich stets deutlicher die Hand des Urhebers der Ereignisse ab, die wir jetzt erleben", . . . Englands, das sich jetzt mit soviel Pathos und Entrüstung rühmt, der „Beschirmer der gewährleisteten Rechte der kleinen Staaten" zu sein. Mit diesem Märchen aufzuräumen und überhaupt durch rückhaltlose Aufdeckung der „selbstsüchtigen und brutalen" britischen Politik allgemein und besonders dem friedliebenden, aufrichtigen Deutschland gegenüber den wahren Macher aller europäischen und selbst außereuropäischen Verwicklungen während der letzten zwanzig Jahre vor seinen Landsleuten und aller Welt blo߬ zustellen — das ist die Grundidee der Valterschen Beiträge. Wir müssen es uns leider versagen, auf die wirklich interessante Aufrollung und Wertung der politischen Begebenheiten in den zwei Jahrzehnten im einzelnen einzugehen. Es sei deshalb im folgenden nur ein Überblick über die Ausführungen und Urteile Walters gegeben: Die deutschfeindliche Richtung erhielt die englische Politik nach ihm schon im Laufe der achtziger Jahre, und zwar vornehmlich aus Furcht vor einer un¬ günstigen Beeinflussung der britischen Unternehmungen in Afrika durch deutschen Intellekt und deutsche wirtschaftliche Tüchtigkeit, und diese Unruhe steigerte sich nach und nach desto mehr, je kräftiger Deutschland als Welt- und Kolonialmacht aufblühte. Im auf und ab der wechselnden politischen Konstellationen intrigiert Großbritannien bald mit allen Mitteln gegen Deutschland, dann mal wieder sucht es, wenn sein Himmel bewölkt ist, gegen andere Gegner (Transvaal, Rußland, Frankreich) Anlehnung an das Deutsche Reich, dessen Ehrlichkeit gewissenlos ausnutzend. Durch alle Wirrnisse läßt sich der rote Faden der englischen Politik verfolgen, die, nie klar, nie ehrlich, stets lavierend und rück¬ sichtslos, drei große Ziele fest im Auge behält: 1. Das Rule Britannia. Dem müssen sich alle Mächte fügen, große und kleine, über den ganzen Erdkreis,- ihm zuliebe werden sie alle gegeneinander ausgespielt, bald Freund, bald Feind, wobei möglichst beide um ihren Gewinn gebracht werden. 2. Die „Rechte der kleinen Staaten", sei es nun Transvaal, Portugal, Belgien, Holland, gleichviel, — spielen keine Rolle. Vatter widmet diesem dunklen Blatt in Englands Ge¬ schichte ein besonderes, sehr lehrreiches Kapitel, auf das hier näher einzugehen wir uns versagen müssen. 3. Deutschland muß herunter, muß vernichtet werden. Dies ist und bleibt, vom ersten Aufkeimen scheeler Eifersucht an, das Haupt¬ axiom der englischen Krämerdiplomatie. Gegen diese „deutsche Gefahr" in Afrika, in Asien, in der ganzen Welt werden alle „geeigneten" Kräfte, je nach Lage der politischen Verhältnisse, in Bewegung gesetzt, aber dabei immer mit arglistigen Bedacht, sie selbst nicht über Gebühr mächtig werden zu lassen. Bald — und mit Vorliebe — ist es Frankreichs nie versiegtes Revanchebedürfnis, bald sind es russische Expansionsgelüste, bald Amerikas Monroemaxime, gelegentlich italienische „Interessen" usw. ... je nachdem.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 74, 1915, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341901_323097/286>, abgerufen am 15.05.2024.